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Wie kommen revolutionäre Entdeckungen zustande? Die unbekannte Geschichte eines Interviewprojekts im Kalten Krieg, das den Helden der Quantenphysik das Geheimnis der wichtigsten wissenschaftlichen Revolution des 20. Jahrhunderts zu entlocken versuchte.

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Produktbeschreibung
Wie kommen revolutionäre Entdeckungen zustande? Die unbekannte Geschichte eines Interviewprojekts im Kalten Krieg, das den Helden der Quantenphysik das Geheimnis der wichtigsten wissenschaftlichen Revolution des 20. Jahrhunderts zu entlocken versuchte.

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Autorenporträt
Anke te Heesen lehrt Wissenschaftsgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Für ihre Arbeiten wurde sie unter anderem mit dem Wissenschaftspreis der Aby-Warburg-Stiftung ausgezeichnet. Zu ihren Buchveröffentlichungen zählen »Der Weltkasten. Die Geschichte einer Bildenzyklopädie«, »Der Zeitungsausschnitt. Papierobjekt der Moderne« und »Theorien des Museums«.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

Rezensentin Katharina Teutsch wünscht dem Leser des Buches der Wissenschaftshistorikerin Anke te Heesen ein Mindestmaß an Vorkenntnissen im Bereich der Quantenphysik. Was die Autorin im Rückgriff auf ein Interview-Projekt von Thomas S. Kuhn in Berkeley in ihrem Buch zusammenträgt, ist dann leichter verständlich, meint Teutsch. Laien bietet der Band laut Teutsch immerhin Grundlegendes über den "wissenschaftlichen Paradigmenwechsel" Anfang des 20. Jahrhunderts, als Einstein und Kollegen die Quantenphysik in Gang brachten. Genauer gesagt, erzählen Kuhn/te Heesen von den Sackgassen und vom Sozialen im Treibhaus der Wissenschaft, erklärt Teutsch, die den Band lesbar, da stilistisch angenehm unakademisch findet.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.04.2022

Man kann nicht immer wissen, was man gemessen hat
Anke te Heesen blickt Thomas S. Kuhn bei dem Versuch über die Schulter, den Veteranen der Quantenphysik Erinnerungen an ihre Revolution zu entlocken

Im Jahr 1914 führten die Physiker James Franck und Gustav Hertz in Berlin ein berühmtes Experiment durch: In einer mit Quecksilberdampf gefüllten Röhre beschleunigten sie Elektronen im elektrischen Feld einer angelegten Spannung. Je höher sie die Spannung drehten, desto mehr Elektronen überwanden ein schwaches Gegenfeld und wurden am anderen Ende der Röhre registriert. Ab einer bestimmten Spannung aber ging ihre Zahl zurück, um danach wieder anzusteigen und nach einem abermaligen Maximum erneut abzufallen und dann wieder anzusteigen. Die Erklärung dafür steht heute in allen Physikbüchern: Ab einer bestimmten Energie der Elektronen kommt es bei Stößen mit den Quecksilberatomen zu einem Energieverlust, nämlich dann, wenn sie genug Wucht haben, um ein Hüllenelektron des Schwermetalls auf ein höheres Niveau zu heben. Die Existenz solcher Energieniveaus in Atomhüllen hatte Niels Bohr 1913 vorhergesagt. Das war ein wichtiger Schritt in der frühen Geschichte einer umwälzenden neuen Theorie, der Quantenphysik.

Franck und Hertz bekamen für ihr Experiment 1925 den Nobelpreis. Dabei wussten sie bis 1919 nicht, was sie da eigentlich gemessen hatten. Das jedenfalls musste Thomas S. Kuhn feststellen, als er im Juli 1962 James Franck interviewte. Da bekundete ihm der fast achtzig Jahre alte Physiker zunächst die Lehrbuchlegende, ihr Versuch habe der Überprüfung der bohrschen Theorie gegolten. Erst als Kuhn ihn darauf aufmerksam machte, dass in den ersten Fachartikeln darüber nichts stünde, bekannte Franck: "Mit anderen Worten, wir haben Bohrs Theorie in dieser Zeit noch gar nicht gekannt."

Die Begebenheit ist ein Paradebeispiel für das Auseinanderfallen von Begründungszusammenhang und Entdeckungszusammenhang und findet sich in dem Buch "Revolutionäre im Interview" der Berliner Wissenschaftshistorikerin Anke te Heesen beschrieben. Dort wird überdies deutlich, wie konsterniert nicht nur der greise Nobelpreisträger in diesem Moment gewesen war, sondern auch sein Besucher. Thomas Kuhn ist heute durch sein Buch "The Structure of Scientific Revolutions" fast berühmter als James Franck. Im Juli 1962 war das bis heute enorm einflussreiche wissenschaftsphilosophische Werk gerade zwei Monate im Handel. Kuhn aber leitete zwischen 1961 und 1964 die "Sources for History of Quantum Physics" (SHQP), ein Vorhaben zur Befragung damals noch lebender Personen, welche die Entstehung der Quantenphysik aus der Nähe miterlebt hatten oder selbst daran beteiligt gewesen waren. James Franck war einer von 73 Zeitzeugen, mit denen Kuhn und seine Mitarbeiter John L. Heilbron und Paul Forman insgesamt 139 Interviews führten.

Die Begegnung mit Franck ist eine von kaum einer Handvoll, denen sich Anke te Heesen in ihrer ebenso lesbaren wie verdienstvollen Darstellung des SHQP-Projektes näher widmet. Lesbar ist das Buch durch seine konzentrierte Klarheit, die völlig ohne den kulturtheoretischen Jargon auskommt, der zuweilen anzutreffen ist, wenn in metawissenschaftlichen Texten von Kuhn und dann auch noch der Quantenphysik die Rede ist. Und verdienstvoll ist es, weil es damit breiteren Leserkreisen an einem besonderen und geistesgeschichtlich besonders wichtigen Beispiel durchsichtig macht, wie sehr auch das junge Feld der Wissenschaftsgeschichte bereits selbst eine Geschichte hat.

Deren Erforschung hatte sich erst um die Wende zum 20. Jahrhundert zu professionalisieren begonnen und ist damit quasi genauso alt wie die Quantenphysik. Und um 1960 hatten sich beide Felder grundlegend gewandelt. Die Quantenmechanik hatte dreißig Jahre zuvor - mit den Lehrbüchern Paul Diracs 1930 und John von Neumanns 1932 - das Stadium der Kodifizierung erreicht. Einige ihrer Erzväter - Planck, Sommerfeld, Einstein und Pauli - waren schon nicht mehr am Leben. Die wissenschaftsphilosophischen Auseinandersetzungen der Gründerzeit waren in den Hintergrund getreten - und sollten erst 1964 durch die Arbeiten John S. Bells wieder aufflammen. Stattdessen wurde die Quantenphysik nun angewandt, insbesondere auf Atomkerne. Damit brachte die eben noch arkane Theorie eine auch die große weite Welt umstürzende Technologie ins Dasein. Die Bomben auf Hiroshima und Nagasaki beschädigten das bis dahin gepflegte Selbstverständnis der Wissenschaft, durch ihren eigenen Fortschritt zugleich den der Humanität zu befördern. Damit war Wissenschaftsgeschichte nun anders zu schreiben.

Wie te Heesen darlegt, waren die "Sources" aber gerade kein politisches Projekt und von der Anlage her auch keines mit wissenschaftstheoretischem Erkenntnisinteresse. Ein Buch wie "Heller als tausend Sonnen" des Journalisten Robert Jungk war genau das, wovon der Hauptinitiator der "Sources", John A. Wheeler, das Vorhaben gerade abgehoben wissen wollte. Und Thomas Kuhn wurde nicht seines berühmten Buches wegen zum Leiter berufen, das er 1961 zwar weitgehend abgeschlossen, aber eben noch nicht publiziert hatte, sondern weil er als promovierter Festkörperphysiker, der in die "Science Studies" gewechselt war, eine Doppelbegabung mitbrachte - und offenbar auch, weil er keiner marxistischen Gesinnung verdächtig war.

Wheeler wollte weder Journalismus noch "Gespräche im Umkreis der Atomphysik" . Vielmehr sollten Fachleute, welche die quantenphysikalische Originalliteratur lesen konnten und gelesen hatten, Fachleute befragen, die das Zustandekommen dieser Literatur miterlebt hatten. Es ging allein um Quellen, die Historiker dann in die Lage versetzen konnten, die Ideengeschichte der Quantenphysik zu rekonstruieren, aber nicht als Abfolge der Begründungszusammenhänge, wie sie sich in Fachartikeln, Festreden oder Lehrbüchern präsentiert, sondern in ihren Entstehungszusammenhängen, ihrem Tasten, Scheitern, Umorientieren. Die Beschränkung auf die quantenphysikalische Gründerzeit, deren Ende auf das Jahr 1932 angesetzt werden konnte, stellte praktischerweise sicher, dass Kernphysik und Politik außen vor blieben.

Anke te Heesens Auswahl der Interviews, auf die sie näher eingeht, mag nicht jeden zufriedenstellen, insofern viele, auch berühmte Namen fehlen. Aber es geht der Autorin mindestens so sehr um Kuhn wie um die Quantenphysiker und darum, wie sich der Blick des Wissenschaftsphilosophen auf die Möglichkeiten und Grenzen des Zeitzeugeninterviews als ideengeschichtlicher Quelle im Laufe des Projekts veränderte - und wie er darüber zum Historiker wurde. Zugleich zeigen die angeführten Begegnungen trotz ihrer geringen Zahl eine ganze Bandbreite dessen, was bei Zeitzeugeninterviews so alles schiefgehen kann. Führte Kuhn mit Alfred Landé, dem Pionier der quantentheoretischen Spektroskopie, noch ein aus seiner Sicht ideales Gespräch, das ihm die erhofften Einblicke in die Innendynamik der Forschungsprozesse gewährte, war es mit anderen, Peter Debye etwa, ausgesprochen unergiebig. Niels Bohr, der Kuhn noch am Tag vor seinem Tod das letzte von fünf Interviews gab, war an dem SHQP-Projekt äußerst interessiert, doch die Befragung scheiterte trotzdem. An dem Termin mit Werner Heisenberg dagegen hatten beide Gesprächspartner die größte Freude, doch te Heesen macht deutlich, wie hier Kuhns Theorie der Wissenschaftsgeschichte dem Ideal einer unverzerrten Erfassung der Entdeckungszusammenhänge in die Quere kam.

Als Kuhn Heisenberg traf, lag "Structures of Scientific Revolutions" vor, und der philosophisch interessierte Heisenberg hatte das Buch bereits gelesen. Bei James Franck schließlich zeigten sich Kuhn ganz direkt die Grenzen der Zeitzeugenschaft, besteht Erinnerung doch nicht nur aus dem Erinnerten, sondern auch aus dem, was seither damit geschah: wie es bewertet wurde, wie oft und in welcher Ausführlichkeit oder Pointierung der Erinnernde es schon zum Besten geben musste - und was ihm seinerseits darüber erzählt wurde. ULF VON RAUCHHAUPT

Anke te Heesen: "Revolutionäre im Interview." Thomas Kuhn, Quantenphysik und Oral History.

Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2022. 240 S., br., 24,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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