Richard Strauss (11.Juni1864 bis 8.September1949) gehört zu den bedeutendsten Komponisten der Moderne. Tondichtungen, Lieder, vor allem aber seine Opern gehören zum überzeitlichen musikalischen Erbe unserer Kultur. Wer immer in dieser Generation Opern komponierte, mußte sich mit den Ideen und Werken Wagners auseinandersetzen. Strauss hat, trotz seiner lebenslangen Bewunderung für Wagner einen sehr bewußten Prozeß der Distanzierung und Abgrenzung von ihm vollzogen und es dabei verstanden, sich seinen eigenen Weg in die musikalische Moderne zu bahnen. Wie ihm dies gelungen ist, wie er sich in seinen Opern ausdrückte und welche Librettisten ihm dabei geholfen haben, beschreibt Laurenz Lütteken in dem vorliegenden kleinen Band, in dem er alle Opern von Richard Strauss vorstellt und in ihren Besonderheiten erläutert.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.06.2014Gebt dem Mann einen Schatten!
Laurenz Lütteken bewertet Leben und Werk von Richard Strauss neu. Warum aber beurteilt auch er dessen Rolle im "Dritten Reich" so wohlwollend?
Laurenz Lütteken deklariert sein Buch über Richard Strauss als "Essay", der auf einer Verschränkung von Biographie und Werkanalyse beruhe, ohne das eine oder andere in den Vordergrund treten zu lassen. "Musik der Moderne" ist der Untertitel, und die Verankerung von Strauss im Kontext der Moderne ist das erklärte Ziel dieser Studie, die sich damit an Adornos großen Strauss-Essay von 1964 anlehnt, in dem diese Positionierung, wenn auch mit Widerhaken, gleich zu Beginn vorgenommen wird. Auf Adornos fundamentalen Text wird merkwürdigerweise in Lüttekens Buch nur mit einem Halbsatz Bezug genommen, ausführlicher auf einen Passus aus dessen "Ästhetischer Theorie".
Mit einer stupenden Kenntnis des Werks und der geistigen Welt des Komponisten arbeitet sich Lütteken voran. Dessen intellektuelle Prägung, vor allem in den Beziehungen zu Schopenhauer und Nietzsche, wird deutlicher als in dem Gros der bisherigen Strauss-Literatur. Die Interdependenz von Inspiration und Technik, die andauernde Gleichzeitigkeit von Komponisten- und Dirigentenexistenz, die Strauss bewusst nie verlassen hat - glänzend das Kapitel über den Dirigenten -, wie auch die ebenso bewusste Begrenzung auf die Tonalität als strikte Grenze seines Schaffens - dies sind einige der eindrücklichen Markierungen, die Lütteken vornimmt.
Stärker als bisher üblich wird das Lied als zentraler Bereich seines Werks dargestellt, was mit überzeugenden Argumenten geschieht. Die Fülle der Verfahrensweisen, die erstaunliche Modernität der Textwahl vor allem beim frühen und mittleren Strauss, das alles stellt Lütteken mit teilweise überraschenden neuen Beleuchtungen dar. Man folgt ihm auch gerne, wenn er gegenüber einer gängigen Sicht auf das OEuvre, die die Bedeutung der Tondichtungen auf eine Art "Vorgebirge" vor den Gipfeln des Opernwerks einschränkt, diese nachdrücklich rehabilitiert und die chronologische Abfolge zweier Werkkomplexe nicht unbefragt als Steigerung gelten lässt. Ebenso überzeugt ist man, wenn er den Einfluss des Wagnerschen Musikdramas auf die Opern von Strauss in eine skeptische Perspektive rückt und die Eigenständigkeit der Lösungen betont.
Lüttekens Stärke ist die Einbettung seines Komponisten in die geistig-künstlerischen Umstände seiner Epoche. Diejenige in gesellschaftliche und politische Bedingungszusammenhänge ist schwächer ausgeprägt. Die Passagen zu den Opern sind Kondensate der entsprechenden Kapitel in Lüttekens Buch über die Opern von Strauss aus dem letzten Jahr - wer beide Bücher liest, muss sich hier auf Doubletten gefasst machen. Über die umfangreiche Strauss-Literatur wird souverän verfügt. Es wundert nur, wenn die Tagebücher von Harry Graf Kessler nach einer völlig überholten kleinen Auswahlausgabe zitiert werden. Inzwischen liegt das komplette Tagebuch (mit Ausnahme des chronologisch ersten Bandes) vor, rund 8000 Seiten, in denen Strauss vielfach aufscheint, mit teilweise wichtigen Notaten, da die Zusammenarbeit zwischen Kessler, Hofmannsthal, Reinhardt und Strauss ja recht lange recht eng war - diese eminente Quelle hätte als Ganzes benutzt werden sollen.
In der Begeisterung für seinen Gegenstand neigt Lütteken gelegentlich zu emphatischen Wertungen. Die Behauptung, dass alle Bühnenwerke und Tondichtungen, "wenn auch in unterschiedlichen Staffelungen", im Unterschied zu früher im Repertoire präsent seien, ist eine verblüffende Übertreibung. Wenn an der New Yorker Metropolitan Opera, immer noch ein Barometer der globalisierten Opernwelt, die Strauss-Opern "Die Liebe der Danae", "Daphne", "Intermezzo", "Friedenstag" und "Die schweigsame Frau" noch niemals aufgeführt wurden, wenn auf den Opernbühnen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz in der Spielzeit 2011/12 ebenfalls drei der genannten Opern sowie die "Ägyptische Helena" nicht auftauchen, während "Rosenkavalier", "Elektra" und "Salome" zusammen 146 Aufführungen erleben, die "Frau ohne Schatten" nur neun, dann kann von einer Präsenz "aller" Opern nicht gesprochen werden.
Man kann sich wohl kaum damit beruhigen, dass es nur an unzureichenden Libretti oder einem ignoranten Publikum liege, wenn derart gravierende Unterschiede zutage träten zwischen dem Erfolg der früheren und dem Misserfolg der späteren Werke - wo es doch eigentlich nach allen Regeln der Kunst umgekehrt sein müsste. Es muss sich vielmehr um Qualitätsunterschiede vor allem der Kompositionen selbst handeln, wie sie weder bei Wolfgang Amadeus Mozart noch bei Richard Wagner, noch bei Giuseppe Verdi, noch bei Leos Janácek zu diagnostizieren sind. Es wäre also eine Diskussion über den Rang des Straussschen Opernschaffens insgesamt zu führen, die der begeisterte Strauss-Forscher Lütteken offensichtlich nicht für nötig hält.
Auch die Rolle von Strauss im "Dritten Reich", wie auch die Rolle seiner sehr viel älteren antijüdischen Ressentiments, wird nicht entschieden genug thematisiert. Nun ist Lüttekens Buch nicht primär als Biographie angelegt, aber natürlich spielt das alles hier eine Rolle, bereits in der ausführlichen Zeittafel am Anfang wie auch in der Darstellung selbst. Schon die auch in zahllosen anderen Fällen allseits verbreitete und beliebte Abmilderungsvokabel "Verstrickung" sollte (nicht nur) in Bezug auf Strauss und den Nationalsozialismus besser nicht benutzt werden.
Bei "Verstrickung" schwingt mit, dass hier jemand wie der Gladiator im feindlichen Wurfnetz oder Laookon von den Schlangen gegen seinen Willen ausweglos eingefangen wird. Wenn der Begriff für Personen benutzt wird, die sich absichtlich und willentlich mit dem Nationalsozialismus eingelassen haben, dient er stets ihrer Entlastung. Strauss selbst hat das in aller Offenheit bekundet, so in jenem Brief an Stefan Zweig vom Juni 1935, in dem er zum Amt des Präsidenten der Reichsmusikkammer schreibt: "Unter jeder Regierung hätte ich dieses ärgerreiche Ehrenamt angenommen, aber weder Kaiser Wilhelm noch Herr Rathenau haben es mir angeboten." Hitler und Goebbels, so muss man Strauss hier fortsetzen, haben dies getan, und so hat er es eben angenommen - "Verstrickung" sieht anders aus. Der Berliner Intendant Tietjen, selbst eine schattenreiche Gestalt, hat das seinerzeit mokant so formuliert: "Ubi tantieme, ibi patria."
Es gibt eine problematische Tendenz bei Autoren, die über Richard Strauss schreiben - zu den rühmlichen Ausnahmen zählen Michael Kater, Fred Prieberg und Michael Walter -, die einschlägigen Handlungen und Unterlassungen des Komponisten bewusst unausgewogen darzustellen. Entlastende Argumente werden auf-, belastende abgewertet. Ähnliche Mechanismen konnte man lange Zeit beim (anders gelagerten) Fall Richard Wagner und dessen Antisemitismus beobachten. Dessen Jubiläumsjahr 2013 hat immerhin gezeigt, dass eine Abmilderung nicht mehr konsensfähig ist.
Für Richard Strauss und sein Paktieren mit den Machthabern des "Dritten Reichs" scheint der Prozess noch nicht abgeschlossen zu sein. Heikel ist da beispielsweise eine immer wieder kolportierte Episode, mit der nicht nur hier versucht wird, Strauss in einem besseren Licht dastehen zu lassen. Der sei, so wird behauptet, im Krieg auf dem Weg von Wien nach Dresden auch über Theresienstadt gefahren, um etwas für die dort internierte Großmutter seiner jüdischen Schwiegertochter Alice zu tun.
Lütteken nennt das einen "spektakulären Versuch", diese Person "freizubekommen". Zu dieser Geschichte gibt es als bisher bekannten Beleg nur eine mündliche Äußerung der Schwiegertochter. In Franz Trenners umfangreicher Strauss-Chronik sind nahezu jeder Tag, manchmal auch Stunden im Leben des Komponisten verzeichnet, nicht aber ein Abstecher nach Theresienstadt. Wie dem auch sei: Wenn sogar Alice Strauss nur von einem "Besuch" spricht, sollte man nicht unangemessene Bedeutungsaufwertung betreiben.
Von diesen Einwänden abgesehen, ist Lüttekens Buch ein gedankenreicher Großessay, mit manchen überraschenden und anregenden Neubewertungen. In der aktuellen Literaturausbeute zum Jubiläumsjahr, die bisher nicht aufregend ausfällt, kann sich sein Buch durchaus sehen lassen.
JENS MALTE FISCHER
Laurenz Lütteken: Richard Strauss. Musik der Moderne. Reclam Verlag, Stuttgart 2014. 319 S., Abb., geb., 29,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Laurenz Lütteken bewertet Leben und Werk von Richard Strauss neu. Warum aber beurteilt auch er dessen Rolle im "Dritten Reich" so wohlwollend?
Laurenz Lütteken deklariert sein Buch über Richard Strauss als "Essay", der auf einer Verschränkung von Biographie und Werkanalyse beruhe, ohne das eine oder andere in den Vordergrund treten zu lassen. "Musik der Moderne" ist der Untertitel, und die Verankerung von Strauss im Kontext der Moderne ist das erklärte Ziel dieser Studie, die sich damit an Adornos großen Strauss-Essay von 1964 anlehnt, in dem diese Positionierung, wenn auch mit Widerhaken, gleich zu Beginn vorgenommen wird. Auf Adornos fundamentalen Text wird merkwürdigerweise in Lüttekens Buch nur mit einem Halbsatz Bezug genommen, ausführlicher auf einen Passus aus dessen "Ästhetischer Theorie".
Mit einer stupenden Kenntnis des Werks und der geistigen Welt des Komponisten arbeitet sich Lütteken voran. Dessen intellektuelle Prägung, vor allem in den Beziehungen zu Schopenhauer und Nietzsche, wird deutlicher als in dem Gros der bisherigen Strauss-Literatur. Die Interdependenz von Inspiration und Technik, die andauernde Gleichzeitigkeit von Komponisten- und Dirigentenexistenz, die Strauss bewusst nie verlassen hat - glänzend das Kapitel über den Dirigenten -, wie auch die ebenso bewusste Begrenzung auf die Tonalität als strikte Grenze seines Schaffens - dies sind einige der eindrücklichen Markierungen, die Lütteken vornimmt.
Stärker als bisher üblich wird das Lied als zentraler Bereich seines Werks dargestellt, was mit überzeugenden Argumenten geschieht. Die Fülle der Verfahrensweisen, die erstaunliche Modernität der Textwahl vor allem beim frühen und mittleren Strauss, das alles stellt Lütteken mit teilweise überraschenden neuen Beleuchtungen dar. Man folgt ihm auch gerne, wenn er gegenüber einer gängigen Sicht auf das OEuvre, die die Bedeutung der Tondichtungen auf eine Art "Vorgebirge" vor den Gipfeln des Opernwerks einschränkt, diese nachdrücklich rehabilitiert und die chronologische Abfolge zweier Werkkomplexe nicht unbefragt als Steigerung gelten lässt. Ebenso überzeugt ist man, wenn er den Einfluss des Wagnerschen Musikdramas auf die Opern von Strauss in eine skeptische Perspektive rückt und die Eigenständigkeit der Lösungen betont.
Lüttekens Stärke ist die Einbettung seines Komponisten in die geistig-künstlerischen Umstände seiner Epoche. Diejenige in gesellschaftliche und politische Bedingungszusammenhänge ist schwächer ausgeprägt. Die Passagen zu den Opern sind Kondensate der entsprechenden Kapitel in Lüttekens Buch über die Opern von Strauss aus dem letzten Jahr - wer beide Bücher liest, muss sich hier auf Doubletten gefasst machen. Über die umfangreiche Strauss-Literatur wird souverän verfügt. Es wundert nur, wenn die Tagebücher von Harry Graf Kessler nach einer völlig überholten kleinen Auswahlausgabe zitiert werden. Inzwischen liegt das komplette Tagebuch (mit Ausnahme des chronologisch ersten Bandes) vor, rund 8000 Seiten, in denen Strauss vielfach aufscheint, mit teilweise wichtigen Notaten, da die Zusammenarbeit zwischen Kessler, Hofmannsthal, Reinhardt und Strauss ja recht lange recht eng war - diese eminente Quelle hätte als Ganzes benutzt werden sollen.
In der Begeisterung für seinen Gegenstand neigt Lütteken gelegentlich zu emphatischen Wertungen. Die Behauptung, dass alle Bühnenwerke und Tondichtungen, "wenn auch in unterschiedlichen Staffelungen", im Unterschied zu früher im Repertoire präsent seien, ist eine verblüffende Übertreibung. Wenn an der New Yorker Metropolitan Opera, immer noch ein Barometer der globalisierten Opernwelt, die Strauss-Opern "Die Liebe der Danae", "Daphne", "Intermezzo", "Friedenstag" und "Die schweigsame Frau" noch niemals aufgeführt wurden, wenn auf den Opernbühnen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz in der Spielzeit 2011/12 ebenfalls drei der genannten Opern sowie die "Ägyptische Helena" nicht auftauchen, während "Rosenkavalier", "Elektra" und "Salome" zusammen 146 Aufführungen erleben, die "Frau ohne Schatten" nur neun, dann kann von einer Präsenz "aller" Opern nicht gesprochen werden.
Man kann sich wohl kaum damit beruhigen, dass es nur an unzureichenden Libretti oder einem ignoranten Publikum liege, wenn derart gravierende Unterschiede zutage träten zwischen dem Erfolg der früheren und dem Misserfolg der späteren Werke - wo es doch eigentlich nach allen Regeln der Kunst umgekehrt sein müsste. Es muss sich vielmehr um Qualitätsunterschiede vor allem der Kompositionen selbst handeln, wie sie weder bei Wolfgang Amadeus Mozart noch bei Richard Wagner, noch bei Giuseppe Verdi, noch bei Leos Janácek zu diagnostizieren sind. Es wäre also eine Diskussion über den Rang des Straussschen Opernschaffens insgesamt zu führen, die der begeisterte Strauss-Forscher Lütteken offensichtlich nicht für nötig hält.
Auch die Rolle von Strauss im "Dritten Reich", wie auch die Rolle seiner sehr viel älteren antijüdischen Ressentiments, wird nicht entschieden genug thematisiert. Nun ist Lüttekens Buch nicht primär als Biographie angelegt, aber natürlich spielt das alles hier eine Rolle, bereits in der ausführlichen Zeittafel am Anfang wie auch in der Darstellung selbst. Schon die auch in zahllosen anderen Fällen allseits verbreitete und beliebte Abmilderungsvokabel "Verstrickung" sollte (nicht nur) in Bezug auf Strauss und den Nationalsozialismus besser nicht benutzt werden.
Bei "Verstrickung" schwingt mit, dass hier jemand wie der Gladiator im feindlichen Wurfnetz oder Laookon von den Schlangen gegen seinen Willen ausweglos eingefangen wird. Wenn der Begriff für Personen benutzt wird, die sich absichtlich und willentlich mit dem Nationalsozialismus eingelassen haben, dient er stets ihrer Entlastung. Strauss selbst hat das in aller Offenheit bekundet, so in jenem Brief an Stefan Zweig vom Juni 1935, in dem er zum Amt des Präsidenten der Reichsmusikkammer schreibt: "Unter jeder Regierung hätte ich dieses ärgerreiche Ehrenamt angenommen, aber weder Kaiser Wilhelm noch Herr Rathenau haben es mir angeboten." Hitler und Goebbels, so muss man Strauss hier fortsetzen, haben dies getan, und so hat er es eben angenommen - "Verstrickung" sieht anders aus. Der Berliner Intendant Tietjen, selbst eine schattenreiche Gestalt, hat das seinerzeit mokant so formuliert: "Ubi tantieme, ibi patria."
Es gibt eine problematische Tendenz bei Autoren, die über Richard Strauss schreiben - zu den rühmlichen Ausnahmen zählen Michael Kater, Fred Prieberg und Michael Walter -, die einschlägigen Handlungen und Unterlassungen des Komponisten bewusst unausgewogen darzustellen. Entlastende Argumente werden auf-, belastende abgewertet. Ähnliche Mechanismen konnte man lange Zeit beim (anders gelagerten) Fall Richard Wagner und dessen Antisemitismus beobachten. Dessen Jubiläumsjahr 2013 hat immerhin gezeigt, dass eine Abmilderung nicht mehr konsensfähig ist.
Für Richard Strauss und sein Paktieren mit den Machthabern des "Dritten Reichs" scheint der Prozess noch nicht abgeschlossen zu sein. Heikel ist da beispielsweise eine immer wieder kolportierte Episode, mit der nicht nur hier versucht wird, Strauss in einem besseren Licht dastehen zu lassen. Der sei, so wird behauptet, im Krieg auf dem Weg von Wien nach Dresden auch über Theresienstadt gefahren, um etwas für die dort internierte Großmutter seiner jüdischen Schwiegertochter Alice zu tun.
Lütteken nennt das einen "spektakulären Versuch", diese Person "freizubekommen". Zu dieser Geschichte gibt es als bisher bekannten Beleg nur eine mündliche Äußerung der Schwiegertochter. In Franz Trenners umfangreicher Strauss-Chronik sind nahezu jeder Tag, manchmal auch Stunden im Leben des Komponisten verzeichnet, nicht aber ein Abstecher nach Theresienstadt. Wie dem auch sei: Wenn sogar Alice Strauss nur von einem "Besuch" spricht, sollte man nicht unangemessene Bedeutungsaufwertung betreiben.
Von diesen Einwänden abgesehen, ist Lüttekens Buch ein gedankenreicher Großessay, mit manchen überraschenden und anregenden Neubewertungen. In der aktuellen Literaturausbeute zum Jubiläumsjahr, die bisher nicht aufregend ausfällt, kann sich sein Buch durchaus sehen lassen.
JENS MALTE FISCHER
Laurenz Lütteken: Richard Strauss. Musik der Moderne. Reclam Verlag, Stuttgart 2014. 319 S., Abb., geb., 29,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main