er Amerikaner Tom Ripley liebt tadellose Manieren, den richtigen Burgunder zum Hummer und allmorgendlich die schönste Blume aus dem liebevoll gehegten Garten seines Landsitzes südlich von Paris. Niemand käme auf die Idee, im Keller eines solchen Herrn nach Blutspuren zu suchen. Niemand außer Ripleys neuem Nachbarn, der davon träumt, Tom Ripleys Leben zu führen.
Süddeutsche ZeitungSternbilder der Leidenschaft
Im Plot steckt das Geheimnis hier nicht: Bei Diogenes erscheinen vier neue Bände der Patricia-Highsmith-Werkausgabe
35 Bände wird die Werkausgabe von Patricia Highsmith im Diogenes-Verlag dereinst umfassen; davon sind kürzlich vier neue Bände erschienen, rechtzeitig zum zehnten Todestag der am 4. Februar 1995 gestorbenen Autorin. Auch Tom Ripley, zweifellos ihre bekannteste Figur, ist dabei. Er hat nicht eben wenig Dreck am Stecken. Aber jetzt, in „Ripley Under Water”, dem fünften und letzten Roman der Serie, scheint ihn, der endlich Achtbarkeit und Sicherheit erlangt hat, seine Vergangenheit einzuholen. Ein amerikanisches Ehepaar, die Pritchards, lässt sich in seiner Nachbarschaft nieder; und der Mann, David, hat offenbar nichts Anderes zu tun, als Ripley, erst sacht, dann immer bedrohlicher, zu umschleichen.
„Und wie ist David gerade auf mich verfallen?” will der verblüffte Tom von Pritchards Frau wissen. „Ein kurzer Blick, sie überlegte: ,Ich meine, er hätte Sie irgendwo auf einem Flughafen gesehen. Ihr Mantel fiel ihm auf. ,Mein Mantel? ,Leder mit Pelzbesatz, ein schönes Stück jedenfalls, und David sagte: Was für ein schöner Mantel! Wer das wohl ist? Und irgendwie hat ers herausgefunden. Vielleicht hat er sich hinter Ihnen angestellt, um zu hören, wie Sie heißen. Janice zuckte die Achseln.”
In der Verhaltensforschung bezeichnet man so etwas als Prägung: Die neugeschlüpfte Gans schaut sich das erste Wesen, das ihr auf der Welt begegnet, kurz, aber genau an und wird danach nie wieder aufhören, ihm hinterherzulaufen, selbst wenn es ihr Leben kosten sollte. So schlüpft Pritchards Bosheit aus dem Ei und bleibt an Ripleys Mantel hängen. Es ist Hass auf den ersten Blick, ein übler, schwärender, missgünstiger Hass, der sich am Zappeln seines Opfers weiden will. Eine Erklärung dafür bietet Highsmith dem Leser nicht. Pritchard, den sein Hass zäh und hellsichtig macht, bohrt nach und nach alles heraus, insbesondere dass es da einen Mann namens Murchison gab, der vor etlichen Jahren Ripleys Haus betrat, um später nie mehr gesehen zu werden. Schließlich wird er fündig: Er fischt aus einem Kanal in der Nähe die Leiche Murchisons heraus - oder was von ihr noch übrig ist - und deponiert sie in der Morgendämmerung auf Ripleys Haustürschwelle.
Logisch ist hier nichts
Logisch ist das nicht. Logisch wäre es, zur Polizei zu gehen. Aber die Polizei spielt eine höchstens dekorative Rolle im Kampf der zwei Männer, dem das Augenmerk allein gilt. Logisch ist es auch nicht, dass Ripley, nach kurzer Bedenkzeit, sich nachts mit den Knochen an Pritchards Swimmingpool heranpirscht, um sie dort ein zweites Mal zu versenken - schließlich gibt er das ihn belastende Indiz, das ihm unvermutet zugefallen ist, ohne Not wieder aus der Hand. Wer Highsmith und die gespenstische Leichtigkeit kennt, mit der bei ihr getötet und hinterher die Tat vertuscht wird, weiß, dass es hier nur noch eine Wendung des Plots geben kann: Ripleys Gegner muss sterben, und zwar ganz zufällig und rasch. Diesmal treibt die Autorin es freilich auf die Spitze; Pritchard vernimmt das Klatschen des Knochenbündels, kommt argwöhnisch mit seiner Frau aus dem Haus gelaufen, beide machen sich am Pool zu schaffen, gleiten aus und ertrinken; Ripley, schon dabei sich zu entfernen, hört es noch mit einem Ohr. Niemand vermutet die Beteiligung eines Dritten, die Polizei schon gar nicht, Ripley bleibt unbehelligt, und das Buch hat sein Happy End.
Dass es der Leser so, als Happy End, empfindet; dass er weder über die Beiläufigkeit dieses Schlusses die Achseln zuckt noch sich über das Farcenhafte verstimmt fühlt, dass er vielmehr, ohne jede Rücksicht auf Wahrscheinlichkeit und Moral, für den windig-smarten Tom Ripley Partei nimmt und zittert, den wohl kaum jemand als realen Mitmenschen mögen würde: Daran zeigt sich Patricia Highsmiths Kunst. Es ist schwer, anzugeben, worin genau sie eigentlich besteht. Der Stil hält sich so nüchtern und unliterarisch wie möglich - man könnte kaum einen einzelnen Satz anführen, der ihn unzweideutig charakterisiert. Aber auch im Plot steckt das Geheimnis nicht; oder vielmehr es steckt darin, dass man alle hanebüchenen Wendungen der Geschichte hinnimmt, als könnte es gar nicht anders sein. Highsmith ist die Autorin der Konstellation.
Sternbilder wandeln sich nicht. Die Notwendigkeit, nach der einige Sterne in genau dieses Verhältnis zueinander eingetreten sind, erschließt sich keiner Analyse; aber die Starre der Anordnung, in der nichts je von der Stelle rückt, lässt auch keinen Zweifel zu, dass es so sein muss. Besser, man denkt darüber gar nicht nach, denn da quält man nur unnütz seinen Verstand, und lässt es beim Staunen bewenden. Wie Charaktere nicht anders können, als bei sich und ihren Leidenschaften zu bleiben, bei ihrer Liebe und ihrem Hass, wie ihre Leidenschaft sie mit Ausschließlichkeit definiert und wie beides, Hass oder Liebe, sie gleichermaßen ausweglos ins Unglück stürzt, davon handeln die Bücher der Patricia Highsmith.
Auch in „Venedig kann sehr kalt sein” sind es zwei Männer, die miteinander ringen, diesmal Schwiegervater und ein Schwiegersohn. Gemeinsam kreisen sie um den gemeinsamen Schwerpunkt der Tochter und Frau, die, noch ganz jung und kaum ein Jahr verheiratet, Selbstmord begangen hat. So ist dieser Punkt leer; aber gerade darum kommen die zwei nicht los voneinander.
Die phantasmagorische Natur aller Leidenschaft zeigt sich nirgends deutlicher als in „Elsies Lebenslust”, und vielleicht darf man dieses Buch darum das beste und packendste der vier nennen. Wenig erfährt man von Elsie selbst, einem etwa zwanzigjährigen Mädchen, mit kurzem blonden Haar, eben aus der Provinz eingetroffen und als Kellnerin in einer Kaffeebar beschäftigt. Desto mehr malt sie sich, wie die Helena des Homer, in den Reaktionen der Menschen um sie herum. Sie hat das Glück und das Pech, dass alle, die ihr begegnen, sie lieben müssen. Im Anblick ihrer frischen graziösen Gestalt scheint die schwere Zweiteilung der Geschlechter aufgehoben, und dem Verlangen nach ihr wächst kindliche Unschuld zu.
Sex wird entbehrlich - nicht, als gäbe es keinen, aber es kommt nicht drauf an. Sie spricht fast nichts, aber sie lacht und sie tanzt wie ein Schmetterling; und als sie einen Vertrag als Model erhält, erweist sie sich als Naturtalent, und eine kometenhafter Karriere zeichnet sich ab. Da schlägt die Rache der Ausgestochenen zu: Eine Lesbe, der sie die Freundin ausgespannt hat, oder nicht einmal ausgespannt, sondern sie nur im Vorübergehen verzaubert, tötet sie mit einem Betonbrocken. Schmetterling und Beton: Es ist zum Verzweifeln überflüssig; und doch wiederum, im Universum der Patricia Highsmith, unumgänglich.
Wie man Tiere rächt
Wenn ein lebendes Wesen sich vor allem in der Konstanz von Charakter und Passion beglaubigt, dann ergibt sich mit Notwendigkeit, dass die Tiere die besseren Menschen sind. Tiere haben von Natur, was Menschen nur manchmal durch besondere Willenskraft oder Gunst der Umstände erwerben: Fasson. Ihnen gehört Highsmiths uneingeschränkte Sympathie. Mit der einsamen Elefantenkuh „Tanzmädchen” trauert sie um den geliebten Pfleger Steve. „Was haben mir Menschen je gegeben bis auf Steve? Nicht einmal Gras unter den Füßen.”
„Kleine Mordgeschichten für Tierfreunde” heißt die Sammlung; und wirklich werden fast alle Helden darin, auch unwahrscheinliche wie Frettchen, Ziegen, Affen, selbst Hamster, glänzend durch eine Mordtat gerächt, die sie an ihren Quälern verüben dürfen. Gekoppelt damit sind die „Kleinen Geschichten für Weiberfeinde”. Frauen erscheinen darin als traurige Zerrbilder der Tiere. Ihr Beharren ist von der bösartigen und bornierten Art und läuft darauf hinaus, sich durch einfaches Nichtstun die gegenleistungsfreie lebenslängliche Versorgung durch die Männer zu sichern. Mehr als eine Nummer haben sie nicht drauf, aber die langt vollständig. Sie heißen „Die Invalidin oder die Bettlägrige”, „Die Kokette”, „Die Hure mit staatlicher Genehmigung oder die Ehefrau”.
In der Knappheit, mit der je ein Laster gekennzeichnet und dann seiner sachlich-drastisch geschilderten Strafe zugeführt wird, erinnern diese Geschichten an den Struwwelpeter: Die „Predigerin” glaubt mit Hilfe ihres süßen Freundes Jesus vom Fensterbrett aus fliegen zu können, worin sie sich freilich täuscht; der „austauschbare Betthase” wird in einen Teppich gerollt, in eine Amsterdamer Gracht versenkt, und: „Niemand nahm sich Mildreds Abwesenheit zu Herzen.” Wie ein braves Kind, das den Struwwelpeter liest, denkt man: Recht so!
Zu diesem editorischen Projekt gehört es auch, dass alle Bände mit einem (manchmal arg launigen) Nachwort von Paul Ingendaay versehen und neu übersetzt worden sind. Die älteren Versionen waren offenbar nicht frei von Fahrlässigkeit und haben sogar in die Textgestalt eingegriffen. Das passiert den gewissenhaften neuen Übersetzern nicht. Dennoch merkt man, wie schwer es ist, diese scheinbar kunstlose Prosa ins Deutsche zu heben. Highsmith schreibt von Ripleys Haushälterin: „Mme Annette had by now cleared the breakfast table and was probably doing the most minor of chores in the kitchen, such as checking the black and white pepper supplies. (. . .) Sunday was Sunday, and exerted its influence, Tom had noticed, also on him: one simply didnt tryto work as hard on Sunday. Monday was Mme Annettes official day off.” Daraus wird bei Matthias Jendis: „Madame Annette hatte mittlerweile den Frühstückstisch abgeräumt und erledigte wahrscheinlich gerade die kleineren Küchenarbeiten, füllte etwa Pfeffer- und Salzstreuer auf. (. . .) Sonntag war Sonntag, und er zeitigte Wirkung, sogar auf ihn, wie er gemerkt hatte: Sonntag arbeitete man einfach nicht so hart. Offiziell war aber Montag Madames freier Tag.” Da ist an keiner Stelle etwas wirklich verkehrt; und doch trifft es den Ton nicht ganz. Mme Annette ist eine Hausfrau, ein Wesen, das Patricia Highsmith nun einmal nicht leiden kann. Hier schwingt sie allerdings nicht den schweren Hammer der Ausmerzung, sondern das leichte Hämmerlein der Ironie.
Blick auf den Pfefferstreuer
Die Dinge, welche die Haushälterin treibt, sind nicht nur kleinere Arbeiten, sondern winzigste, „most minor”, also eigentlich überflüssig und störend; nicht einmal im Auffüllen des Pfefferstreuers bestehen sie, sondern, noch geringer, bloß im „checking”, im Nachschauen, ob sie noch voll wären. Und ebenso ist es vom Sonntag zu viel gesagt, dass er „Wirkung zeitige” wie ein Artilleriebeschuss; es würde genügen, wenn sein Einfluss zu spüren ist. Zu rühmen jedoch ist die Beharrlichkeit, mit der Matthias Jendis jedem sachlichen Detail hinterherspürt. Und so schreitet die Werkausgabe, die jetzt schon zur guten Hälfte fertig vorliegt, mit einer großen und dankenswerten Sorgfalt voran.
BURKHARD MÜLLER
PATRICIA HIGHSMITH: Ripley Under Water. Roman. Aus dem Englischen von Matthias Jendis. 433 S., 22,90 Euro. / Venedig kann sehr kalt sein. Roman. Aus dem Englischen von Matthias Jendis. 355 S., 19,90 Euro. / Elsies Lebenslust. Roman. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. 477 S., 22,90 Euro. / Kleine Mordgeschichten für Tierfreunde. Kleine Geschichten für Weiberfeinde. Stories. Aus dem Englischen von Melanie Walz. 409 S., 22,90 Euro. Alle Diogenes Verlag, Zürich 2004, mit Nachworten von Paul Ingendaay.
Die abgewandte Seite des Lebens fest im Blick: Patricia Highsmith (1921-1995)
Foto: HANNAH/Opale
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Im Plot steckt das Geheimnis hier nicht: Bei Diogenes erscheinen vier neue Bände der Patricia-Highsmith-Werkausgabe
35 Bände wird die Werkausgabe von Patricia Highsmith im Diogenes-Verlag dereinst umfassen; davon sind kürzlich vier neue Bände erschienen, rechtzeitig zum zehnten Todestag der am 4. Februar 1995 gestorbenen Autorin. Auch Tom Ripley, zweifellos ihre bekannteste Figur, ist dabei. Er hat nicht eben wenig Dreck am Stecken. Aber jetzt, in „Ripley Under Water”, dem fünften und letzten Roman der Serie, scheint ihn, der endlich Achtbarkeit und Sicherheit erlangt hat, seine Vergangenheit einzuholen. Ein amerikanisches Ehepaar, die Pritchards, lässt sich in seiner Nachbarschaft nieder; und der Mann, David, hat offenbar nichts Anderes zu tun, als Ripley, erst sacht, dann immer bedrohlicher, zu umschleichen.
„Und wie ist David gerade auf mich verfallen?” will der verblüffte Tom von Pritchards Frau wissen. „Ein kurzer Blick, sie überlegte: ,Ich meine, er hätte Sie irgendwo auf einem Flughafen gesehen. Ihr Mantel fiel ihm auf. ,Mein Mantel? ,Leder mit Pelzbesatz, ein schönes Stück jedenfalls, und David sagte: Was für ein schöner Mantel! Wer das wohl ist? Und irgendwie hat ers herausgefunden. Vielleicht hat er sich hinter Ihnen angestellt, um zu hören, wie Sie heißen. Janice zuckte die Achseln.”
In der Verhaltensforschung bezeichnet man so etwas als Prägung: Die neugeschlüpfte Gans schaut sich das erste Wesen, das ihr auf der Welt begegnet, kurz, aber genau an und wird danach nie wieder aufhören, ihm hinterherzulaufen, selbst wenn es ihr Leben kosten sollte. So schlüpft Pritchards Bosheit aus dem Ei und bleibt an Ripleys Mantel hängen. Es ist Hass auf den ersten Blick, ein übler, schwärender, missgünstiger Hass, der sich am Zappeln seines Opfers weiden will. Eine Erklärung dafür bietet Highsmith dem Leser nicht. Pritchard, den sein Hass zäh und hellsichtig macht, bohrt nach und nach alles heraus, insbesondere dass es da einen Mann namens Murchison gab, der vor etlichen Jahren Ripleys Haus betrat, um später nie mehr gesehen zu werden. Schließlich wird er fündig: Er fischt aus einem Kanal in der Nähe die Leiche Murchisons heraus - oder was von ihr noch übrig ist - und deponiert sie in der Morgendämmerung auf Ripleys Haustürschwelle.
Logisch ist hier nichts
Logisch ist das nicht. Logisch wäre es, zur Polizei zu gehen. Aber die Polizei spielt eine höchstens dekorative Rolle im Kampf der zwei Männer, dem das Augenmerk allein gilt. Logisch ist es auch nicht, dass Ripley, nach kurzer Bedenkzeit, sich nachts mit den Knochen an Pritchards Swimmingpool heranpirscht, um sie dort ein zweites Mal zu versenken - schließlich gibt er das ihn belastende Indiz, das ihm unvermutet zugefallen ist, ohne Not wieder aus der Hand. Wer Highsmith und die gespenstische Leichtigkeit kennt, mit der bei ihr getötet und hinterher die Tat vertuscht wird, weiß, dass es hier nur noch eine Wendung des Plots geben kann: Ripleys Gegner muss sterben, und zwar ganz zufällig und rasch. Diesmal treibt die Autorin es freilich auf die Spitze; Pritchard vernimmt das Klatschen des Knochenbündels, kommt argwöhnisch mit seiner Frau aus dem Haus gelaufen, beide machen sich am Pool zu schaffen, gleiten aus und ertrinken; Ripley, schon dabei sich zu entfernen, hört es noch mit einem Ohr. Niemand vermutet die Beteiligung eines Dritten, die Polizei schon gar nicht, Ripley bleibt unbehelligt, und das Buch hat sein Happy End.
Dass es der Leser so, als Happy End, empfindet; dass er weder über die Beiläufigkeit dieses Schlusses die Achseln zuckt noch sich über das Farcenhafte verstimmt fühlt, dass er vielmehr, ohne jede Rücksicht auf Wahrscheinlichkeit und Moral, für den windig-smarten Tom Ripley Partei nimmt und zittert, den wohl kaum jemand als realen Mitmenschen mögen würde: Daran zeigt sich Patricia Highsmiths Kunst. Es ist schwer, anzugeben, worin genau sie eigentlich besteht. Der Stil hält sich so nüchtern und unliterarisch wie möglich - man könnte kaum einen einzelnen Satz anführen, der ihn unzweideutig charakterisiert. Aber auch im Plot steckt das Geheimnis nicht; oder vielmehr es steckt darin, dass man alle hanebüchenen Wendungen der Geschichte hinnimmt, als könnte es gar nicht anders sein. Highsmith ist die Autorin der Konstellation.
Sternbilder wandeln sich nicht. Die Notwendigkeit, nach der einige Sterne in genau dieses Verhältnis zueinander eingetreten sind, erschließt sich keiner Analyse; aber die Starre der Anordnung, in der nichts je von der Stelle rückt, lässt auch keinen Zweifel zu, dass es so sein muss. Besser, man denkt darüber gar nicht nach, denn da quält man nur unnütz seinen Verstand, und lässt es beim Staunen bewenden. Wie Charaktere nicht anders können, als bei sich und ihren Leidenschaften zu bleiben, bei ihrer Liebe und ihrem Hass, wie ihre Leidenschaft sie mit Ausschließlichkeit definiert und wie beides, Hass oder Liebe, sie gleichermaßen ausweglos ins Unglück stürzt, davon handeln die Bücher der Patricia Highsmith.
Auch in „Venedig kann sehr kalt sein” sind es zwei Männer, die miteinander ringen, diesmal Schwiegervater und ein Schwiegersohn. Gemeinsam kreisen sie um den gemeinsamen Schwerpunkt der Tochter und Frau, die, noch ganz jung und kaum ein Jahr verheiratet, Selbstmord begangen hat. So ist dieser Punkt leer; aber gerade darum kommen die zwei nicht los voneinander.
Die phantasmagorische Natur aller Leidenschaft zeigt sich nirgends deutlicher als in „Elsies Lebenslust”, und vielleicht darf man dieses Buch darum das beste und packendste der vier nennen. Wenig erfährt man von Elsie selbst, einem etwa zwanzigjährigen Mädchen, mit kurzem blonden Haar, eben aus der Provinz eingetroffen und als Kellnerin in einer Kaffeebar beschäftigt. Desto mehr malt sie sich, wie die Helena des Homer, in den Reaktionen der Menschen um sie herum. Sie hat das Glück und das Pech, dass alle, die ihr begegnen, sie lieben müssen. Im Anblick ihrer frischen graziösen Gestalt scheint die schwere Zweiteilung der Geschlechter aufgehoben, und dem Verlangen nach ihr wächst kindliche Unschuld zu.
Sex wird entbehrlich - nicht, als gäbe es keinen, aber es kommt nicht drauf an. Sie spricht fast nichts, aber sie lacht und sie tanzt wie ein Schmetterling; und als sie einen Vertrag als Model erhält, erweist sie sich als Naturtalent, und eine kometenhafter Karriere zeichnet sich ab. Da schlägt die Rache der Ausgestochenen zu: Eine Lesbe, der sie die Freundin ausgespannt hat, oder nicht einmal ausgespannt, sondern sie nur im Vorübergehen verzaubert, tötet sie mit einem Betonbrocken. Schmetterling und Beton: Es ist zum Verzweifeln überflüssig; und doch wiederum, im Universum der Patricia Highsmith, unumgänglich.
Wie man Tiere rächt
Wenn ein lebendes Wesen sich vor allem in der Konstanz von Charakter und Passion beglaubigt, dann ergibt sich mit Notwendigkeit, dass die Tiere die besseren Menschen sind. Tiere haben von Natur, was Menschen nur manchmal durch besondere Willenskraft oder Gunst der Umstände erwerben: Fasson. Ihnen gehört Highsmiths uneingeschränkte Sympathie. Mit der einsamen Elefantenkuh „Tanzmädchen” trauert sie um den geliebten Pfleger Steve. „Was haben mir Menschen je gegeben bis auf Steve? Nicht einmal Gras unter den Füßen.”
„Kleine Mordgeschichten für Tierfreunde” heißt die Sammlung; und wirklich werden fast alle Helden darin, auch unwahrscheinliche wie Frettchen, Ziegen, Affen, selbst Hamster, glänzend durch eine Mordtat gerächt, die sie an ihren Quälern verüben dürfen. Gekoppelt damit sind die „Kleinen Geschichten für Weiberfeinde”. Frauen erscheinen darin als traurige Zerrbilder der Tiere. Ihr Beharren ist von der bösartigen und bornierten Art und läuft darauf hinaus, sich durch einfaches Nichtstun die gegenleistungsfreie lebenslängliche Versorgung durch die Männer zu sichern. Mehr als eine Nummer haben sie nicht drauf, aber die langt vollständig. Sie heißen „Die Invalidin oder die Bettlägrige”, „Die Kokette”, „Die Hure mit staatlicher Genehmigung oder die Ehefrau”.
In der Knappheit, mit der je ein Laster gekennzeichnet und dann seiner sachlich-drastisch geschilderten Strafe zugeführt wird, erinnern diese Geschichten an den Struwwelpeter: Die „Predigerin” glaubt mit Hilfe ihres süßen Freundes Jesus vom Fensterbrett aus fliegen zu können, worin sie sich freilich täuscht; der „austauschbare Betthase” wird in einen Teppich gerollt, in eine Amsterdamer Gracht versenkt, und: „Niemand nahm sich Mildreds Abwesenheit zu Herzen.” Wie ein braves Kind, das den Struwwelpeter liest, denkt man: Recht so!
Zu diesem editorischen Projekt gehört es auch, dass alle Bände mit einem (manchmal arg launigen) Nachwort von Paul Ingendaay versehen und neu übersetzt worden sind. Die älteren Versionen waren offenbar nicht frei von Fahrlässigkeit und haben sogar in die Textgestalt eingegriffen. Das passiert den gewissenhaften neuen Übersetzern nicht. Dennoch merkt man, wie schwer es ist, diese scheinbar kunstlose Prosa ins Deutsche zu heben. Highsmith schreibt von Ripleys Haushälterin: „Mme Annette had by now cleared the breakfast table and was probably doing the most minor of chores in the kitchen, such as checking the black and white pepper supplies. (. . .) Sunday was Sunday, and exerted its influence, Tom had noticed, also on him: one simply didnt tryto work as hard on Sunday. Monday was Mme Annettes official day off.” Daraus wird bei Matthias Jendis: „Madame Annette hatte mittlerweile den Frühstückstisch abgeräumt und erledigte wahrscheinlich gerade die kleineren Küchenarbeiten, füllte etwa Pfeffer- und Salzstreuer auf. (. . .) Sonntag war Sonntag, und er zeitigte Wirkung, sogar auf ihn, wie er gemerkt hatte: Sonntag arbeitete man einfach nicht so hart. Offiziell war aber Montag Madames freier Tag.” Da ist an keiner Stelle etwas wirklich verkehrt; und doch trifft es den Ton nicht ganz. Mme Annette ist eine Hausfrau, ein Wesen, das Patricia Highsmith nun einmal nicht leiden kann. Hier schwingt sie allerdings nicht den schweren Hammer der Ausmerzung, sondern das leichte Hämmerlein der Ironie.
Blick auf den Pfefferstreuer
Die Dinge, welche die Haushälterin treibt, sind nicht nur kleinere Arbeiten, sondern winzigste, „most minor”, also eigentlich überflüssig und störend; nicht einmal im Auffüllen des Pfefferstreuers bestehen sie, sondern, noch geringer, bloß im „checking”, im Nachschauen, ob sie noch voll wären. Und ebenso ist es vom Sonntag zu viel gesagt, dass er „Wirkung zeitige” wie ein Artilleriebeschuss; es würde genügen, wenn sein Einfluss zu spüren ist. Zu rühmen jedoch ist die Beharrlichkeit, mit der Matthias Jendis jedem sachlichen Detail hinterherspürt. Und so schreitet die Werkausgabe, die jetzt schon zur guten Hälfte fertig vorliegt, mit einer großen und dankenswerten Sorgfalt voran.
BURKHARD MÜLLER
PATRICIA HIGHSMITH: Ripley Under Water. Roman. Aus dem Englischen von Matthias Jendis. 433 S., 22,90 Euro. / Venedig kann sehr kalt sein. Roman. Aus dem Englischen von Matthias Jendis. 355 S., 19,90 Euro. / Elsies Lebenslust. Roman. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. 477 S., 22,90 Euro. / Kleine Mordgeschichten für Tierfreunde. Kleine Geschichten für Weiberfeinde. Stories. Aus dem Englischen von Melanie Walz. 409 S., 22,90 Euro. Alle Diogenes Verlag, Zürich 2004, mit Nachworten von Paul Ingendaay.
Die abgewandte Seite des Lebens fest im Blick: Patricia Highsmith (1921-1995)
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Burkhard Müller bespricht neue Bände einer auf 35 Bände angelegten Patricia-Highsmith-Werkausgabe des Diogenes Verlags und rühmt die "große und dankenswerte Sorgfalt", mit der sie neu ediert und übersetzt worden sind. "Tom Ripley Under Water" ist der fünfte Roman einer Serie um diesen Protagonisten und dürfte deswegen für die Leser "kein Unbekannter" sein. In diesem Band wird Ripley diesmal selbst beinah zum Opfer eines Mannes, der ihn ohne erkennbaren Grund mit seinem Hass verfolgt, fasst Müller zusammen, der zwar betont, dass die Geschichte kaum einer inneren "Logik" folgt, vom Leser aber dennoch ohne Widerspruch hingenommen wird. Gerade darin, dass es der Autorin gelingt, "ohne Rücksicht auf Wahrscheinlichkeit und Moral" Sympathie für Ripley zu wecken, zeigt sich für den begeisterten Rezensenten die große "Kunst" Highsmiths.
© Perlentaucher Medien GmbH
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