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Nach dem Kannibalismus: Eine Studie befragt die Robotik
An der Universität Tokio entwickelt Hideki Hashimoto ein Gerät, mit dessen Hilfe sich zwei räumlich weit getrennte Personen die Hände schütteln können. Jeder ergreift die Hand eines Roboterarms; diese Arme sind miteinander über das Internet verbunden und übertragen die jeweils auf sie ausgeübten Kräfte. Solche Factoids und vieles mehr erfährt der Leser aus einer Studie, die prominente Robotiker wie Thomas Christaller und Gerd Hirzinger sowie Philosophen und Juristen verfaßt haben. Die umfängliche Arbeit, gewiß die wichtigste Publikation zum Thema seit Jahren, wurde am gestrigen Mittwoch der Öffentlichkeit vorgestellt.
Der Händeschüttler ist emblematisch für einen Trend der Robotik: Maschinen sollen auch außerhalb der Fabriken Hand in Hand mit Menschen zusammenarbeiten. Zur Autonomie - Heiliger Gral der Robotik - müßte auf seiten der Apparate also die vielgerühmte Teamfähigkeit hinzutreten. Im gemischten Doppel übernimmt der Automat diejenigen Aufgaben, die der Mensch nicht erfüllen kann oder möchte. Ein solcher Ansatz wird seit vielen Jahren am Robotics Institute der Carnegie Mellon University in Pittsburgh verfolgt: Von dort stammen Roboter, die Minen suchen, in Vulkane steigen, heiße Reaktordruckbehälter inspizieren, Bomben entschärfen oder Rohre entlangkriechen und dabei deren Ummantelung aus Asbest wegfressen - alles nichts für unsereins. Die eigentliche Killer-Applikation für die Teamarbeit von Mensch und Maschine aber sind Spielzeugroboter. Sonys Roboterhund Aibo wird in der Roboterkatze Robokoneko seine Nachfolgerin haben; in ihrem Kopf sollen Millionen von künstlichen Neuronen arbeiten.
Vor solchen "Quasiautomaten" warnt der Essener Philosoph Dieter Sturma in der Studie. Er kritisiert, daß sie eine allzu primitive Vorstellung von Intelligenz und expressivem Verhalten ausdrückten, die sich durch die Hintertür in unsere Lebenswelt einschleicht. Sturma befürchtet, daß Aibo & Co. psychischen Schaden anrichten, und fordert: "Bei der Einführung von Quasiautomaten muß in einer Umkehr der Begründungslast dargelegt werden, daß Verstörungssyndrome prinzipiell ausgeschlossen werden." Dagegen ließe sich zumindest einwenden, daß es für die Einführung eines solchen Seelen-TÜVs durchaus stärkere Anlässe gäbe, nehmen wir nur gewisse Betriebssysteme mitsamt ihren kryptischen Fehlermeldungen. Es fragt sich auch, ob ein lebenslänglich eingesperrter Kanarienvogel die Seelenverrohung nicht viel mehr befördert als ein Roboterhund.
Aibo ist jedenfalls ein gutes Beispiel dafür, daß auch Automaten jenseits der klassischen Industrierobotik das Stadium der Massenproduktion erreicht haben. Diese Entwicklung trägt dazu bei, daß auch die forschende Robotik mittlerweile auf eine reife technische Umgebung zugreifen kann. Sie ist nicht mehr, wie Thomas Christaller mit hörbarem Aufatmen schreibt, zwangsläufig "eine Odyssee durch diverse Disziplinen wie Maschinenbau, Elektrotechnik, Regelungstechnik, Softwaretechnik und Algorithmik mit unzähligen unfreiwilligen Zwischenstopps". Der Reifezustand der Robotik läßt sich daran erkennen, daß der Besucher eines Roboterlabors nicht mehr allenthalben Geräteteilen aus anderen technischen Zusammenhängen begegnet. Die Zeit des Kannibalismus ist vorbei, in der Robotiker kleine Servomotoren aus dem Flugzeugmodellbau sowie Schläuche aus dem OP verwendeten. Robotiker können heute fix und fertig konstruierte Hard- und Software kaufen und sich ihrem eigentlichen Thema widmen: Entwurf und Systemintegration. Ihre Disziplin verliert damit das Bastlerhafte und verwissenschaftlicht sich; das mag der Außenstehende als Verlust an Attraktivität beklagen, ist aber nun einmal der Lauf der autonomen Dinge.
Auf dieser technischen Grundlage findet ein Umbau der Welt statt, der als unsichtbare Roboterisierung beschrieben werden kann: Mikrokontroller nehmen Daten aus der Umwelt auf und steuern mit ihrer Hilfe Geräte des Alltags, ohne daß wir das Robotische an ihnen wahrnehmen. Wer sich heute in ein von Technik ummanteltes Auto setzt, begibt sich in Wahrheit in das Innere eines Roboters; das gleiche gilt für durchautomatisierte Gebäude und die meisten Flugzeuge. Auch das Internet mitsamt den angeschlossenen PCs und den unterschiedlich autonomen Software-Agenten ließe sich als Gesamtroboter oder doch als Gesellschaft von Robotern beschreiben. Und es ist nicht ganz klar, wer die Sensoren und Aktuatoren sind, also die Rezeptoren und die ausführenden Glieder: die Peripheriegeräte - oder wir? Die Zahl der Dinge wächst, die mit Displays, Piepen und neuerdings auch Sprachmodulen mit den Menschen interagieren. Es besteht Grund zur Sorge, daß wir in eine Welt der schwatzhaften Sachen eintreten, eine nervöse Welt seufzender Türen und nölender Rechner, wie sie Douglas Adams in "Per Anhalter durch die Galaxis" beschrieben hat.
Der originellste Beitrag der Studie ist juristisch und beginnt mit einer Diskussion der Rechtsfähigkeit von Robotern. De lege lata ist der Roboter eine Sache. So war es früher auch für Tiere festgelegt. Für Roboter mit emotionalen Zuständen - oder solchen, die nur wirken, als wären sie ihnen zu eigen - könnten de lege ferenda Vorschriften gelten, die dem heutigen Tierschutz ähneln. Bis es soweit ist, bleibt für Robotikjuristen genug zu tun. Mehr oder weniger autonome Maschinen, die als Partner des Menschen fungieren, werfen Fragen der Zurechnung von Handlungen (Schadensersatzrecht) und Erklärungen (Vertragsrecht) auf. Es ließe sich auch an Produkt- und Gefährdungshaftung denken, letztere ähnlich der Tierhalterhaftung. Ein rechtssystematischer Umschwung ist freilich fällig, sobald Robotern personale Eigenschaften zugesprochen werden müssen. Ob das jemals der Fall sein wird, ist Gegenstand einer seit Jahrzehnten geführten Debatte. Die Verfasser argumentieren strikt anthropozentrisch, ihr Kernbegriff ist die Zumutbarkeit der neuen Roboterwelt für den Menschen. Doch was soll dieser Begriff festhalten? Er verweist lediglich darauf, daß wir nur das erschaffen sollten, was wir uns auch wünschen - er sagt aber nicht, was wir dürfen. Insofern ist Zumutbarkeit ein ethisch unbestimmter Begriff.
Bedenkenswert dagegen der kürzlich geäußerte Einwand des Essener Philosophen Thomas Metzinger: Sollte jemals eine technische Lebensform entstehen, die über Bewußtsein verfügt, dann wird sie - gerade in der Anfangsperiode ihrer Existenz - auch leiden und verwirrt sein. Mit der Arbeit an künstlichem Bewußtsein laufe die Menschheit Gefahr, die Menge des Leidens und der Verwirrung ein weiteres Mal zu vermehren. Daß die Welt mit Homo sapiens schon hinreichend bestraft sei, ist ein Gedanke, der ulkiger klingt, als er ist. Robo sapiens als neues Kapitel der planetaren Leidensgeschichte: Einen ernster zu nehmenden Einwand gegen die Konstruktion maschineller Intelligenz hat die Philosophie bisher nicht hervorgebracht; er will wohl erwogen werden.
GERO VON RANDOW
Thomas Christaller u.a.: "Robotik". Perspektiven für menschliches Handeln in der zukünftigen Gesellschaft. Schriftenreihe "Wissenschaftsethik und Technikfolgenbeurteilung" der Europäischen Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen, Bad Neuenahr-Ahrweiler, Bd. 14. Springer Verlag, Berlin 2001. 302 S., geb., 149,90 DM.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
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