Energie und Macht spielen auch heute zusammen. Das Putin-Regime nährt sich aus den Milliarden-Renditen, die aus dem Verkauf von Öl, Gas und anderen fossilen Energieträgern erzielt werden.
Dabei verlief die Entwicklung der russischen Energiewirtschaft in den letzten einhundert Jahren parallel zu einer immer engeren energetischen Verflechtung mit der Welt, und insbesondere mit Europa, dem wichtigsten Absatzmarkt für russische Rohstoffe.
Dieses Buch zeigt auf, dass das Denken über Energie die Dynamik der Ost-West-Beziehungen weit stärker beeinflusst hat, als die bisherige Forschung dies vermuten lässt. Es war im Bereich des Handels mit Öl und Gas, wo sogar zur Zeit des Kalten Krieges und über den Eisernen Vorhang hinweg Zusammenarbeit möglich war.
Die Energiegeschichte und die Geschichte des Aussenhandels treten in den gängigen Darstellungen zur russischen Geschichte höchstens als Nebenschauplätze in Erscheinung. Dieses Buch rückt sie in den Mittelpunkt der Erzählung. Denn der Umgang Russlands mit seinem Rohstoffreichtum ist zentral, um den Entwicklungsweg des Landes und sein Verhalten in Vergangenheit und Gegenwart zu verstehen. Jeronim Perovi? ist Direktor des Center for Eastern European Studies (CEES) und Titularprofessor fu?r Osteuropäische Geschichte an der Universität Zu?rich. Er befasst sich in Forschung und Lehre mit russischer Geschichte und der Geschichte des Balkans.
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Wie Russland zur Rohstoffmacht wurde - und Deutschland in Abhängigkeit geriet
Deutschland verabschiedet sich von Kohle, Öl und Gas aus Russland. Ging es noch vor wenigen Monaten darum, wann erstmals Gas durch die Ostseepipeline Nord Stream 2 fließt, will die Bundesregierung seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine am 24. Februar nun so schnell wie möglich unabhängig von Moskau werden. Energiewende und Diversifizierung von Energiequellen im Hauruckverfahren. Dabei dürfte wohl den wenigsten Deutschen klar gewesen sein, dass bis dato mehr als die Hälfte der Kohle und des Gases sowie ein Drittel des Öls hierzulande aus Russland kommen. Und Deutschland ist bei Weitem nicht das einzige Land in der Europäischen Union, dessen Energieversorgung abhängig ist von Lieferungen aus dem Osten.
Doch wie kam es dazu? Der Osteuropahistoriker Jeronim Perovic analysiert in seinem neuen Buch "Rohstoffmacht Russland. Eine globale Energiegeschichte" die sowjetische und russische Energiepolitik der vergangenen hundert Jahre. Demnach hat Russlands Aufstieg zum bedeutenden Öllieferanten in Europa ironischerweise damit zu tun, dass die Westeuropäer in den 1970er-Jahren Alternativen zu Öl aus dem Nahen Osten suchten. Denn die arabischen Mitglieder der Organisation der Erdöl exportierender Länder (OPEC) hatten im Oktober 1973 als Reaktion auf die westliche Unterstützung Israels im Jom-Kippur-Krieg die Ölproduktion gedrosselt, die Preise entsprechend erhöht und ein Embargo gegen Amerika und andere Verbündete Israels verhängt. Die Suche nach neuen Lieferanten machte Europa anstelle von Öl aus dem Nahen Osten abhängig von Öl der Sowjetunion.
Überhaupt hätten wirtschaftliche und energiepolitische Überlegungen die Dynamik der Ost-West-Beziehungen weit stärker beeinflusst, als die bisherige Forschung vermuten lasse, so Perovics Grundthese. Dabei nimmt er vor allem das Denken Moskaus in den Blick, das vor allem im Kalten Krieg einen pragmatischen Zugang in Sachen Energie hatte. So ließ sich der von 1964 bis 1982 amtierende Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Leonid Breschnew, auf Kooperationen mit dem Westen ein, um Devisen aus dem Export von Öl und Gas zu erhalten und die Erschließung von Rohstoffquellen in Sibirien zu ermöglichen. Die Sowjetunion brauchte hartes Geld, Röhren und moderne Fördertechnik aus Amerika und Westeuropa und bot dafür Erdgas an. Kritiker der Pläne in der Sowjetunion argumentierten, dass Energielieferungen das kapitalistische System und den ideologischen Feind unterstützten.
Als Beispiele für solche Kooperationsvorhaben nennt Perovic das letztlich nie umgesetzte Projekt "North Star" mit Amerika und den 1970 abgeschlossenen Erdgas-Röhren-Vertrag mit Westdeutschland. "Wandel durch Handel" hieß das Credo des damaligen sozialdemokratischen Bundeskanzlers Willy Brandt und seines Beraters Egon Bahr, den Perovic zum Außenminister "befördert". Doch nicht nur die SPD blickte damals auf die Gasfelder im Osten, auch die CSU lobbyierte kräftig für das "rote Gas". Es ist kein Zufall, dass die Transgas-Pipeline ausgerechnet im bayrischen Waidhaus ankommt. Im Oktober 1973 floss erstmals Gas aus der Sowjetunion in die Bundesrepublik. Nur wenige Monate später, mitten im Winter, drosselte Moskau die Versorgung in den eigenen Gebieten, um die Gaslieferungen an die Kunden im Westen zu gewährleisten. In der Ukrainischen Sowjetrepublik wurde das Gas teils komplett abgestellt.
Jeronim Perovic ist Direktor des Center for Eastern European Studies (CEES). Seit 2011 arbeitet er als Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Zürich. Der Schweizer befasst sich vor allem mit russischer und sowjetischer Geschichte. Sein Schwerpunkt liegt dabei auf der Energiepolitik der Sowjetunion und Russlands.
In seinem Buch zeigt er, wie der Energiehandel mit der Sowjetunion beziehungsweise später mit Russland auch immer im politischen Kontext stand. Das gilt schon für die Zeit kurz nach der Machtergreifung der Bolschewiki, die trotz aller Widersprüche und Boykottversuche seitens westlicher Erdölfirmen versuchten, das "schwarze Gold" ins Ausland zu verkaufen. Infolge des Mauerbaus in Berlin und der Kubakrise verhängte die NATO Sanktionen, um den Bau der Ölpipeline "Druschba" zu verhindern. Das traf besonders westdeutsche Firmen, die Stahlrohre für den Bau liefern sollten. Doch die NATO-Partner folgten Washington zu dieser Zeit noch.
Später wuchs der Energiebedarf allerdings dermaßen, dass selbst ein von der amerikanischen Regierung verhängtes Embargo auf die Lieferung von Röhren und Pipelinetechnik an die Sowjetunion von den westeuropäischen Alliierten ignoriert wurde. Die Amerikaner versprachen mehr Kohlelieferungen, wenn die Westeuropäer im Gegenzug auf sowjetisches Gas verzichteten. Der Fall erinnert an Nord Stream 2 gut 30 Jahre später, als Washington Schiefergaslieferungen als Ersatz für russisches Gas in Aussicht stellten.
Russlands Aufstieg zur Großmacht ist mit seinen Rohstoffen verbunden. Die drei Ereignisse 1973 - die Ölpreiskrise, die erste sowjetische Gaslieferung nach Westdeutschland, die Verknappung in der Ukraine - sind für Perovic der Ausgangspunkt für die bis heute andauernde Energieabhängigkeit Europas von Russland. Er zeigt auch, dass Russland heute ebenso abhängig ist von den Öl- und Gaslieferungen an den Westen, womöglich sogar abhängiger als umgekehrt Europa. Fragwürdig ist seine daraus resultierende Einschätzung, dass Russland seine Beziehung zu Europa nicht strapazieren werde, schon gar nicht wegen der Ukraine. Er sieht im Handel mit fossilen Rohstoffen auch eine wichtige Verbindung, der "in einer Zeit geopolitischer Verwerfungen . . . eine "beruhigende Wirkung" zukomme. "Stürzt diese Brücke ein, dann wird sich Russland möglicherweise noch stärker als bisher von Europa entfernen." Mit der Invasion in die Ukraine hat Moskau diese Brücke selbst zum Einsturz gebracht. Die wirtschaftlichen Verbindungen nach Russland sind eher ein Grund zur Sorge als zur Beruhigung. OTHMARA GLAS
Jeronim Perovic: Rohstoffmacht Russland. Eine globale Energiegeschichte.
Böhlau Verlag, Köln 2022. 264 S., 39,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH