Die vielleicht schönsten Seiten der italienischen Nachkriegsgeschichte wurden in Rom zur Zeit der Dolce Vita, der fünfziger und sechziger Jahre geschrieben. Fellini und andere drehten in Cinecittà, auf der Via Veneto drängelten sich Hollywood-Stars. Das Antlitz der Zeit aber wurde geprägt von den Freunden um Elsa Morante, Alberto Moravia, Carlo Emilio Gadda, Ennio Flaiano und Pier Paolo Pasolini. Sie mischten sich mit polarisierender Stimme in das politische und kulturelle Geschehen. Mit ihren Büchern und heiß umstrittenen Filmen schrieben sie ein bis heute unvergängliches Kapitel italienischer Kulturgeschichte. Maike Albath macht in ihrem Buch, in dem viele Zeitzeugen zu Wort kommen, die unvergleichlich kreative Atmosphäre jener römischen Jahre noch einmal fühlbar.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Hingerissen zeigt sich Rezensent Peter Kammerer von Maike Albaths Buch "Rom, Träume". Die Autorin schildert für ihn die Zeit der römischen Dolce Vita und der großen Schriftsteller und Filmemacher wie Moravia, Pasolini, Morante, Gadda und Flaiano als eine künstlerisch besonders fruchtbare Epoche, eine Epoche auch, in der Rom ein "urbanes Dorf" war, wo sich alle Welt traf und miteinander redete, disktuierte, feierte. Neben dem Rückgriff auf aktuellste Quellen zeichnet sich das Buch in seinen Augen durch die vielen Gespräche mit Zeitzeugen aus der unmittelbaren Umgebung der porträtierten Literarten. Sein Fazit: ein Buch, das den "Herzschlag" einer wichtigen Periode römischer Literatur hörbar macht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.12.2013Offene
Stadt
Maike Albaths Kulturgeschichte
Roms nach dem Weltkrieg
Dass der sprichwörtliche „Paparazzo“ sich einer Lesefrucht von Fellinis Drehbuchautor Ennio Flaiano verdankt, dass der Romancier Carlo Emilio Gadda als Ingenieur die Elektrifizierung des Vatikans leitete, dass Pier Paolo Pasolini als junger Drehbuchautor für Luis Trenker arbeitete – das wird nicht jeder wissen. Es sind nur einige der Beiläufigkeiten, die Maike Albath in ihrer Darstellung der römischen Kulturszene zwischen den vierziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts funkeln lässt. Diese Epoche war groß nicht nur für Italien. Mit der „Gräßlichen Bescherung in der Via Merulana“ schrieb Gadda einen der schönsten Rom-Romane aller Zeiten, vor allem ein Buch, das neben Joyce und Proust bestehen kann. Federico Fellinis frühe Schwarzweißfilme, „La dolce vita“ und „8 1/2“, haben viel zitierte Bildmythen geschaffen: Sogar Coppolas Helikopter-Ouvertüre in „Apocalypse Now“ wäre ohne den Helikopter über dem EUR bei Rom, den Fellini in Szene setzte, nicht denkbar. Pasolini hat auch fürs deutsche Publikum seiner Zeit kanonischen Rang gewonnen, im Film als sexueller Befreier, in der Literatur als einflussreichster linker Kulturkritiker neben Adorno. Italien war einmal ein Kernland der europäischen Moderne.
An diese Epoche erinnert Albath – nach einem schönen Buch über Turin – nun zum zweiten Mal. „Rom, Träume“ (der an Rolf Dieter Brinkmann angelehnte Titel sollte italienisch-unromantisch verstanden werden) ist eine Kulturgeschichte in Gesprächen und Reportagen, in der fast alle Großen vorkommen: Alberto Moravia, seine Frau Elsa Morante und seine Geliebte Dacia Maraini; der einsame Gadda mit seinem kritischen Verehrer Pietro Citati; Pasolini und sein begabter Cousin Nico Naldini; Fellini und sein Drehbuchautor Ennio Flaiano, der auch ein überragender Erzähler war und mit „Tempo di uccidere“ eins der wichtigsten Bücher der Zeit verfasst hat. Albath hat die wenigen Zeugen – darunter Naldini, Maraini und den Dichter Andrea Zanzotto – noch persönlich befragen können. Begierig hat sie ihnen die Beiläufigkeiten der Geselligkeit abgelauscht, um am lebendigen Geist dieser verzweigten Gruppe teilzuhaben. Das liest man gern, auch wenn nicht jedes Detail wichtig ist.
Wichtig aber ist die Erinnerung an eine Zeit, in der Italien sich nicht in fremdenfeindlichen Ressentiments erging, sondern eine führende Stimme in Europa sprach; wichtig ist die Wahrnehmung, dass ein ganzes Land durch seine Kultur modernisiert werden konnte – dieser Vorgang fand im postfaschistischen Italien vitaler statt als im nachnazistischen Deutschland; und wichtig bleibt zu sehen, wie die Künste zusammenwirken konnten: Alle beteiligten Künstler hatten Mehrfachrollen als Erzähler, öffentliche Intellektuelle, Filmemacher, Radioleute.
Am weitesten ging dabei Pasolini, der sich in seiner ganzen Körperlichkeit zum Instrument machte: Bei seinen Liebhabern aus dem Subproletariat fand er eine nie geschriebene Sprache, ein archaisches, vorkapitalistisches Ethos mit urchristlichen Zügen, oft auch die Darsteller seiner Filme, die andererseits die italienischen Malerei der Renaissance zitierten. Fellinis Witz profitierte von den Aphorismen Flaianos und Moravia lieferte nicht nur Romanvorlagen für Filme, sondern wurde auch zu einem brillanten Kritiker. Gadda schrieb Radiofeatures, die denen von Arno Schmidt nicht nachstehen. Eine große Zeit! Und ein schöner Appell, wieder an die Bücherregale und die Videotheken zu gehen. Bleibt die Frage: Wann wird Italien wieder so zu uns sprechen?
GUSTAV SEIBT
Maike Albath: Rom, Träume. Moravia, Pasolini, Gadda und die Zeit der Dolce Vita. Berenberg Verlag, Berlin 2013. 303 Seiten, 25 Euro.
Eine Zeit, in der Italien eine
führende Stimme in Europa war
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Stadt
Maike Albaths Kulturgeschichte
Roms nach dem Weltkrieg
Dass der sprichwörtliche „Paparazzo“ sich einer Lesefrucht von Fellinis Drehbuchautor Ennio Flaiano verdankt, dass der Romancier Carlo Emilio Gadda als Ingenieur die Elektrifizierung des Vatikans leitete, dass Pier Paolo Pasolini als junger Drehbuchautor für Luis Trenker arbeitete – das wird nicht jeder wissen. Es sind nur einige der Beiläufigkeiten, die Maike Albath in ihrer Darstellung der römischen Kulturszene zwischen den vierziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts funkeln lässt. Diese Epoche war groß nicht nur für Italien. Mit der „Gräßlichen Bescherung in der Via Merulana“ schrieb Gadda einen der schönsten Rom-Romane aller Zeiten, vor allem ein Buch, das neben Joyce und Proust bestehen kann. Federico Fellinis frühe Schwarzweißfilme, „La dolce vita“ und „8 1/2“, haben viel zitierte Bildmythen geschaffen: Sogar Coppolas Helikopter-Ouvertüre in „Apocalypse Now“ wäre ohne den Helikopter über dem EUR bei Rom, den Fellini in Szene setzte, nicht denkbar. Pasolini hat auch fürs deutsche Publikum seiner Zeit kanonischen Rang gewonnen, im Film als sexueller Befreier, in der Literatur als einflussreichster linker Kulturkritiker neben Adorno. Italien war einmal ein Kernland der europäischen Moderne.
An diese Epoche erinnert Albath – nach einem schönen Buch über Turin – nun zum zweiten Mal. „Rom, Träume“ (der an Rolf Dieter Brinkmann angelehnte Titel sollte italienisch-unromantisch verstanden werden) ist eine Kulturgeschichte in Gesprächen und Reportagen, in der fast alle Großen vorkommen: Alberto Moravia, seine Frau Elsa Morante und seine Geliebte Dacia Maraini; der einsame Gadda mit seinem kritischen Verehrer Pietro Citati; Pasolini und sein begabter Cousin Nico Naldini; Fellini und sein Drehbuchautor Ennio Flaiano, der auch ein überragender Erzähler war und mit „Tempo di uccidere“ eins der wichtigsten Bücher der Zeit verfasst hat. Albath hat die wenigen Zeugen – darunter Naldini, Maraini und den Dichter Andrea Zanzotto – noch persönlich befragen können. Begierig hat sie ihnen die Beiläufigkeiten der Geselligkeit abgelauscht, um am lebendigen Geist dieser verzweigten Gruppe teilzuhaben. Das liest man gern, auch wenn nicht jedes Detail wichtig ist.
Wichtig aber ist die Erinnerung an eine Zeit, in der Italien sich nicht in fremdenfeindlichen Ressentiments erging, sondern eine führende Stimme in Europa sprach; wichtig ist die Wahrnehmung, dass ein ganzes Land durch seine Kultur modernisiert werden konnte – dieser Vorgang fand im postfaschistischen Italien vitaler statt als im nachnazistischen Deutschland; und wichtig bleibt zu sehen, wie die Künste zusammenwirken konnten: Alle beteiligten Künstler hatten Mehrfachrollen als Erzähler, öffentliche Intellektuelle, Filmemacher, Radioleute.
Am weitesten ging dabei Pasolini, der sich in seiner ganzen Körperlichkeit zum Instrument machte: Bei seinen Liebhabern aus dem Subproletariat fand er eine nie geschriebene Sprache, ein archaisches, vorkapitalistisches Ethos mit urchristlichen Zügen, oft auch die Darsteller seiner Filme, die andererseits die italienischen Malerei der Renaissance zitierten. Fellinis Witz profitierte von den Aphorismen Flaianos und Moravia lieferte nicht nur Romanvorlagen für Filme, sondern wurde auch zu einem brillanten Kritiker. Gadda schrieb Radiofeatures, die denen von Arno Schmidt nicht nachstehen. Eine große Zeit! Und ein schöner Appell, wieder an die Bücherregale und die Videotheken zu gehen. Bleibt die Frage: Wann wird Italien wieder so zu uns sprechen?
GUSTAV SEIBT
Maike Albath: Rom, Träume. Moravia, Pasolini, Gadda und die Zeit der Dolce Vita. Berenberg Verlag, Berlin 2013. 303 Seiten, 25 Euro.
Eine Zeit, in der Italien eine
führende Stimme in Europa war
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