Hans Keilsons erzählerisches Werk entwirft Porträts, Psychogramme und Bilder aus der Zeit der späten Weimarer Republik, des zerstörerischen Nationalsozialismus und des Exils. Keilson führt seine Figuren durch die dunkelsten Jahre des 20. Jahrhunderts und verzichtet dabei auf eine polarisierende Schwarz-Weiß-Malerei. Die Grenze zwischen Gut und Böse, zwischen Täter und Opfer ist hier keine präzise Linie, sondern ein diffuser Bereich, an dem sich die Figuren dieser Romane und Erzählungen entlangtasten müssen. Dass sie dabei weder ihren Humor noch ihre Menschlichkeit verlieren, ist Ausdruck eines nachhaltigen Widerstands gegen äußere Not und Barbarei. Die Werkausgabe beinhaltet die Romane >Das Leben geht weiter< und >Der Tod des Widersachers< sowie die Erzählungen >Komödie in Moll< und >Dissonanzenquartett<. Während sich der junge Hans Keilson hauptsächlich als Erzähler hervortat, stehen in seinem Spätwerk die Gedichte und Essays im Zentrum. >Sprachwurzellos< ist nicht nur der Titel seiner bekannten Gedichtsammlung, es ist gleichsam die Bezeichnung für eine existentielle Erfahrung, um die das Spätwerk Keilsons kreist. Wie kaum ein anderer Autor hat er auch in seinen aktuellsten Texten die seelischen, politischen und kulturellen Folgen der NS-Zeit analysiert und sprachlich vergegenwärtigt; ein literarisches Engagement, das bis zuletzt anhielt. Neben der bereits erwähnten Gedichtsammlung enthält die Werkausgabe die unter dem Titel >Wohin die Sprache nicht reicht< publizierten Essays sowie verstreute, teilweise bisher unveröffentlichte Gedichte und Schriften. Inhaltsverzeichnis Ein großer Dichter in seiner Prosa, ein hellsichtiger Analytiker in seiner Dichtung. Das bewegende Werk Hans Keilsons kann zum ersten Mal in einer Gesamtschau besichtigt werden. >Romane und Erzählungen<: Das Leben geht weiter, Der Tod des Widersachers, Komödie in Moll, Dissonanzen-Quartett >Gedichte und Essays<: Sprachwurzellos, Einer Träumenden, Wohin die Sprache nicht reicht, verstreute Texte.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.05.2005Bilder eines Freundes
In Moll: Romane, Essays und Gedichte von Hans Keilson
Nicht einmal auf die Sterne ist mehr Verlaß, auf sie vielleicht am allerwenigsten: "weißt du wieviel / das alte kinderlied / die kuchenform der mutter / als sie / für festtage / figuren schnitt / aus mürbeteig / herzen männchen tiere / und sterne / vor allem sterne". Die Erinnerung an die plätzchenbackende Mutter ist später ebenso vergiftet wie der Gedanke an die einstigen Jugendnächte mit dem Vater auf dem Hausdach, "wir zählten den himmel ab / tupfen / auf der schwarzen schiefertafel". Denn in der Rückschau gesellt sich zu beiden der Zwang zum Tragen des Judensterns, und der Stern sieht sich danach nicht mehr gleich: "ich riß ihn mir / in der kurve / vor den friedhöfen / von der jacke / bestieg einen anderen zug / warf den erhabenen orden / in den nebel / bei den kilometersteinen / und spuckte / auf die geschichte / (...) die süßen plätzchen / verbrannten / in den öfen / weißt du wieviel".
Hans Keilsons Gedicht aus dem Jahr 1967 berührt die eigene Emigration des 1909 in Bad Freienwalde geborenen jüdischen Autors, der 1936 vor den Nationalsozialisten nach Holland floh und später dort untertauchen mußte. Auch der Tod seiner Eltern, die in Birkenau ermordet wurden, ist dem Text eingeschrieben wie das Sterben so vieler anderer - Keilson hat ihrem Gedächtnis einige seiner schönsten und zartesten Gedichte gewidmet, und der wachsende zeitliche Abstand zu den Ereignissen hat dabei, so scheint es, noch zu einer wachsenden Intensität der Memoria beigetragen. Und wenn in diesem Gedicht Wilhelm Heys Lied "Weißt du wieviel Sterne stehen" (1816) insgesamt als Echo mitklingt, dann auch dessen letzte Strophe, die von der göttlichen Liebe zu den Kindern spricht, eine Fürsorge, auf die sich die "Sterne"-Stimme erkennbar nicht mehr blind verlassen mag.
Doch das Gedicht deutet auch auf ein Problem, das den Autor in einem großen Teil seines erzählerischen und vor allem essayistischen Werks beschäftigt wie kein zweites: Die Frage, ob und wie die Katastrophe der Schoa gedanklich von dem kulturellen Erbe wie etwa jenem "alten Kinderlied" zu trennen ist, das Mörder und Ermordete gemein hatten - von dem Verhältnis zwischen Täter und Opfer handelt Keilsons Roman "Der Tod des Widersachers" (1959) wie sein Essay "Die Faszination des Hasses" von 1996 oder das schon 1937 verfaßte Gedicht "Bildnis eines Feindes".
Bei S. Fischer, dem Verlag, in dem 1933 der erste Roman des jungen Hans Keilson erschienen ist, haben nun Heinrich Detering und Gerhard Kurz eine zweibändige Werkausgabe des Autors herausgegeben: Zwei Romane, zwei Erzählungen im ersten, an die hundert Seiten Gedichte - viele von ihnen sind zuvor in der Gießener edition literarischer Salon" gesammelt erschienen - und eine überraschend umfangreiche Sammlung Essays im zweiten Band, gut eintausend Seiten insgesamt, und für ein Schriftstellerleben von mittlerweile 95 Jahren ist das kein Übermaß an Text. Nur daß Keilson sich eben schon längst nicht mehr ausschließlich oder auch nur vorrangig als Autor begreift: Er ist Arzt und Psychoanalytiker, der bis heute im holländischen Bussum eine Praxis betreibt und der in der Betreuung und Langzeituntersuchung von Kriegswaisen Bahnbrechendes geleistet hat.
Die Zeit im Untergrund, die Situation des Exilierten zwischen den Ländern und Sprachen, schließlich die Arbeit mit jugendlichen und erwachsenen Patienten bilden den Hintergrund, vor dem dieses Werk erwächst und sich trotz der verschiedenen Textformen als Einheit erweist. Gemeinsam ist ihnen die ruhige, niemals aufgeregte Erzählstimme Keilsons, die so mit geringen Nuancen große Wirkung erzielen kann, etwa in der schmalen "Komödie in Moll". Die Erzählung aus der Zeit der deutschen Besatzung berichtet von den Schwierigkeiten, die Leiche eines versteckten Juden aus dem Haus zu schaffen und würdevoll zu beerdigen, und weil der Alltag unter den Bedingungen des Krieges zusammen mit der besonderen Situation nach dem Tod des Untergetauchten trotz aller Schrecken immer wieder für Momente absurder Komik gut ist, bewährt sich die verhaltene Darstellungskunst Keilsons hier besonders.
In einem Essay von 1996 hat sich der Autor als einen "ehemaligen deutschen Juden" bezeichnet, der "die Schoa in den Niederlanden überlebt hat und noch immer ein gewisses Einverständnis mit der deutschen Sprache pflegt" - das ist fast schon ein wenig kokett und stapelt jedenfalls sehr tief. Richtig ist aber, daß sich Keilson in der Entscheidung zwischen der alten und der neuen Heimat, die sich jedem überlebenden Emigranten stellte, zu den Niederlanden bekannt hat und seither die deutschen Verhältnisse mit freundlichen, versöhnlichen Worten, aber eben aus einem Abstand heraus begleitet hat. Es wäre an der Zeit, ihn ein bißchen zu verkleinern. Diese Werkausgabe bietet dazu Anlaß und Gelegenheit.
Hans Keilson: "Werke in zwei Bänden". Romane und Erzählungen; Gedichte und Essays. Herausgegeben von Heinrich Detering und Gerhard Kurz. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005. 1008 S., geb., 64,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In Moll: Romane, Essays und Gedichte von Hans Keilson
Nicht einmal auf die Sterne ist mehr Verlaß, auf sie vielleicht am allerwenigsten: "weißt du wieviel / das alte kinderlied / die kuchenform der mutter / als sie / für festtage / figuren schnitt / aus mürbeteig / herzen männchen tiere / und sterne / vor allem sterne". Die Erinnerung an die plätzchenbackende Mutter ist später ebenso vergiftet wie der Gedanke an die einstigen Jugendnächte mit dem Vater auf dem Hausdach, "wir zählten den himmel ab / tupfen / auf der schwarzen schiefertafel". Denn in der Rückschau gesellt sich zu beiden der Zwang zum Tragen des Judensterns, und der Stern sieht sich danach nicht mehr gleich: "ich riß ihn mir / in der kurve / vor den friedhöfen / von der jacke / bestieg einen anderen zug / warf den erhabenen orden / in den nebel / bei den kilometersteinen / und spuckte / auf die geschichte / (...) die süßen plätzchen / verbrannten / in den öfen / weißt du wieviel".
Hans Keilsons Gedicht aus dem Jahr 1967 berührt die eigene Emigration des 1909 in Bad Freienwalde geborenen jüdischen Autors, der 1936 vor den Nationalsozialisten nach Holland floh und später dort untertauchen mußte. Auch der Tod seiner Eltern, die in Birkenau ermordet wurden, ist dem Text eingeschrieben wie das Sterben so vieler anderer - Keilson hat ihrem Gedächtnis einige seiner schönsten und zartesten Gedichte gewidmet, und der wachsende zeitliche Abstand zu den Ereignissen hat dabei, so scheint es, noch zu einer wachsenden Intensität der Memoria beigetragen. Und wenn in diesem Gedicht Wilhelm Heys Lied "Weißt du wieviel Sterne stehen" (1816) insgesamt als Echo mitklingt, dann auch dessen letzte Strophe, die von der göttlichen Liebe zu den Kindern spricht, eine Fürsorge, auf die sich die "Sterne"-Stimme erkennbar nicht mehr blind verlassen mag.
Doch das Gedicht deutet auch auf ein Problem, das den Autor in einem großen Teil seines erzählerischen und vor allem essayistischen Werks beschäftigt wie kein zweites: Die Frage, ob und wie die Katastrophe der Schoa gedanklich von dem kulturellen Erbe wie etwa jenem "alten Kinderlied" zu trennen ist, das Mörder und Ermordete gemein hatten - von dem Verhältnis zwischen Täter und Opfer handelt Keilsons Roman "Der Tod des Widersachers" (1959) wie sein Essay "Die Faszination des Hasses" von 1996 oder das schon 1937 verfaßte Gedicht "Bildnis eines Feindes".
Bei S. Fischer, dem Verlag, in dem 1933 der erste Roman des jungen Hans Keilson erschienen ist, haben nun Heinrich Detering und Gerhard Kurz eine zweibändige Werkausgabe des Autors herausgegeben: Zwei Romane, zwei Erzählungen im ersten, an die hundert Seiten Gedichte - viele von ihnen sind zuvor in der Gießener edition literarischer Salon" gesammelt erschienen - und eine überraschend umfangreiche Sammlung Essays im zweiten Band, gut eintausend Seiten insgesamt, und für ein Schriftstellerleben von mittlerweile 95 Jahren ist das kein Übermaß an Text. Nur daß Keilson sich eben schon längst nicht mehr ausschließlich oder auch nur vorrangig als Autor begreift: Er ist Arzt und Psychoanalytiker, der bis heute im holländischen Bussum eine Praxis betreibt und der in der Betreuung und Langzeituntersuchung von Kriegswaisen Bahnbrechendes geleistet hat.
Die Zeit im Untergrund, die Situation des Exilierten zwischen den Ländern und Sprachen, schließlich die Arbeit mit jugendlichen und erwachsenen Patienten bilden den Hintergrund, vor dem dieses Werk erwächst und sich trotz der verschiedenen Textformen als Einheit erweist. Gemeinsam ist ihnen die ruhige, niemals aufgeregte Erzählstimme Keilsons, die so mit geringen Nuancen große Wirkung erzielen kann, etwa in der schmalen "Komödie in Moll". Die Erzählung aus der Zeit der deutschen Besatzung berichtet von den Schwierigkeiten, die Leiche eines versteckten Juden aus dem Haus zu schaffen und würdevoll zu beerdigen, und weil der Alltag unter den Bedingungen des Krieges zusammen mit der besonderen Situation nach dem Tod des Untergetauchten trotz aller Schrecken immer wieder für Momente absurder Komik gut ist, bewährt sich die verhaltene Darstellungskunst Keilsons hier besonders.
In einem Essay von 1996 hat sich der Autor als einen "ehemaligen deutschen Juden" bezeichnet, der "die Schoa in den Niederlanden überlebt hat und noch immer ein gewisses Einverständnis mit der deutschen Sprache pflegt" - das ist fast schon ein wenig kokett und stapelt jedenfalls sehr tief. Richtig ist aber, daß sich Keilson in der Entscheidung zwischen der alten und der neuen Heimat, die sich jedem überlebenden Emigranten stellte, zu den Niederlanden bekannt hat und seither die deutschen Verhältnisse mit freundlichen, versöhnlichen Worten, aber eben aus einem Abstand heraus begleitet hat. Es wäre an der Zeit, ihn ein bißchen zu verkleinern. Diese Werkausgabe bietet dazu Anlaß und Gelegenheit.
Hans Keilson: "Werke in zwei Bänden". Romane und Erzählungen; Gedichte und Essays. Herausgegeben von Heinrich Detering und Gerhard Kurz. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005. 1008 S., geb., 64,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Tilman Spreckelsen heißt diese zweibändige Werkausgabe des deutschstämmigen, niederländisch-jüdischen Autors Hans Keilson hoch willkommen. Sichtlich bewegt streift er die Themenkomplexe der Gedichte und Prosatexte. Das Problem, das Hans Keilson beschäftige wie kein zweites, ist laut Rezensent die Frage, man die Shoa von dem kulturellen Erbe trennen kann, das Mörder und Ermordete gemeinsam haben. Im Übrigen hat den Rezensenten der Umfang der Edition überrascht. An Keilsons Stil bewundert er die ruhige, niemals aufgeregte Erzählstimme, die mit geringen Nuancen große Wirkung erzielen könne.
© Perlentaucher Medien GmbH
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