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Doch Rüdiger Safranski hat sie nicht umgebracht. Sein Buch stellt ihr nur den Totenschein aus
Von der deutschen Romantik ist doch, Hand aufs kalte Herz, nur das Adjektiv "romantisch" übriggeblieben, von dem man auch nicht mehr weiß, was es bedeuten soll. Ein Abendessen zu zweit bei Kerzenlicht: romantisch? Das machen sogar Jugendliche und finden es normal. Vor Jahren war "romantisch" eine Art Schimpfwort: Romantische Träumer waren junge Leute, die nicht wissen wollten, was Sache ist. Die anderes wollten, als das Leben ihrer Alten im Amt weiterzuführen. "Romantisch" ist heute nur eine Zugabe, eine kleine, verdiente, manchmal verlogene Lebensqualitätssteigerung: eine romantische (man schaut nur auf die schönen Dinge) Fahrt durchs grüne Schottland zum Beispiel.
Dann gibt es echte Universitätsseminare über die Romantik, einige Buchausgaben, vor allem Reclamheftchen, die man im Deutschunterricht durchnehmen muss. Der eine oder andere kennt einige Gedichte, meistens vom Hörensagen, meistens von Eichendorff. Friedrich Schlegel, den Theorieguru der Romantik, liest heute keiner. Das war's mit der Romantik, die versucht hat, aus der Kunst eine Religion zu machen. Wir haben heute den Kunstmarkt und die Medien, der Rest ist Esoterik. Keiner außer dem in dieser heiklen Angelegenheit des Geistes von einem romantischen Furor getriebenen Theoretiker der Romantik, dem "Merkur"-Herausgeber Karl Heinz Bohrer, und dem in Tübingen unermüdlich die romantischen Finessen lehrenden Manfred Frank würde noch von der Romantik groß reden.
Nun taucht Rüdiger Safranski auf, und die Bäume, die ansonsten eine stumme Waldeinsamkeit bilden, rascheln und lauschen. Die Romantik geht auf Fahrt. Safranski hat über die Romantik und das Romantische ein Buch geschrieben, das den Dichter Ludwig Tieck nicht mehr aus der Versenkung herausholen wird, aber den Deutschen ein wenig das deutsche Erbe zeigt.
Was ist deutsch? Die Romantik. Die Romantik ist bei Safranski so deutsch, dass die englische Romantik nicht vorkommt. Die Romantik ist eine deutsche Affäre. Damit hat man eine Epoche und eine These in der Hand. Eine Affäre heißt: Hier handelt es sich um eine wilde, leidenschaftliche, aber zeitlich beschränkte Liebesbeziehung, nicht um eine stabile Ehe. Am Ende von Safranskis Buch muss man im Sinne des Autors sagen: Was für ein Glück, dass kein Ehebund geschlossen wurde. Die Romantik ist sexy, doch kein verlässlicher Partner fürs Leben. Das entspricht der Haltung jener, die schon morgens beim Aufstehen an ihr ökonomisches Fortkommen und ihren Vorteil denken. Insofern kommt Safranskis Buch gerade recht. Man sieht unter der Hand, was von der Romantik und vom Romantischen übriggeblieben ist: nichts Entscheidendes.
Rüdiger Safranski, dessen Belesenheit und Stoffbeherrschung immer ein Lob wert ist, gibt seit Jahren, seitdem er mit wachsendem Erfolg Biographien schreibt, den Deutschen zurück, was der Deutschen ureigenste Geisteskinder sind: E. T. A. Hoffmann, Schopenhauer, Nietzsche, Heidegger, Schiller. Seine Originalität besteht darin, nicht originell zu sein. Das kommt seinen Büchern zugute: Sie lassen sich ohne Krämpfe im Kopf lesen. Er rennt keinen Chimären oder Wahnsinns-Ideen hinterher - und kann sich deshalb auf die Darstellung konzentrieren. Er hat ein ausgeprägtes inszenatorisches Talent. Schon der Anfang der "Romantik" ist in diesem Sinne gelungen: Herder sticht in See. Kein Mensch würde Herder in die Bibliothek folgen - jetzt aber möchte man wissen, was dem Gelehrten auf den Wogen widerfuhr. Und darauf: Schiller dachte sich seine Spieltheorie der Kunst aus, Fichte setzte ein tolles Ich in die Landschaft, Friedrich Schlegel erfand die Universalpoesie, Tieck trieb sich im Wunderbaren und Schaurigen herum, Novalis verliebte sich in die Nacht, Eichendorff schwebte über entrückten Wiesen, E. T. A. Hoffmann machte Faxen, dann kamen Wagner, Nietzsche, die Lebensreformbewegung, Hofmannsthal, Thomas Mann, Jünger, Goebbels, Gehlen, Adorno, '68: Das ist der Lauf des Romantischen bei Safranski. Seitdem ist in den Herzen Ruh'. Nur die jungen Leute, die sich bei den G-8-Gipfeln zum Gegengipfel treffen, scheinen mit ihrer Vorstellung vom gerechten Weltmarkt noch etwas romantisch zu sein.
Safranski ist der Liegenschaftsverwalter des deutschen Geistes. Ihm gebührt dringend ein Bundesverdienstkreuz. Ohne ihn wüssten die normalen Deutschen, die doch schon genug arbeiten müssen und sich deshalb nicht auch mit Schopenhauers, Nietzsches oder Heideggers Schriften beschäftigen können (und überhaupt: zu schwer, zu viel Text, komische Sprache), nicht, was sie auf ihren Schultern über die Jahrzehnte mit sich rumschleppen. Riesen auf den Schultern von Zwergen. Riesen, von denen man aber nichts weiß, nichts merkt. Bis Safranskis Finger darauf zeigt.
Safranski, der Schriftsteller des Geistes, hat, was der diesjährige Büchnerpreisträger Martin Mosebach, der schriftstellernde Geist eines geisterhaften Bürgertums, in seinen Romanen zu haben vorgibt: bürgerliches Format. Er schreibt für seine Deutschen wie der Essayist Thomas Mann, der sich vor den wirklichen philosophischen Problemen drückte, wenn er seine geistesgeschichtlichen Ausflüge unternahm: Der schwierige Stoff wird dann halt etwas flacher ausgebreitet, dafür können nun mehr Leute mit aufs Floß. Wie bei dem Lübecker Erfolgsautor, der lieber Schneisen schlug, als bei den verflixten Details hängenzubleiben, ordnet sich bei Safranski die Welt des Geistes zu einer runden und dynamischen Sache. Der Effekt ist, dass bei der Lektüre sich sofort jenes Behagen einstellt, das Reisende überkommt, wenn sie die in ihrem gepackten Koffer herrschende Übersichtlichkeit und Ordnung beschauen.
Nur wer solche Bögen schlägt, hält den schweren Geist auf Trab für all jene, die dem Geist nicht mehr allzu viel zutrauen. Safranski beginnt mit Herder und endet bei den Studenten von '68, er fängt bei der Romantik an und macht, als die Romantik am Ende ist (die Romantiker der ersten Stunde sind tot), mit "dem Romantischen" (das Erbe der Romantik) weiter. Dass dabei viel verlorengeht, ist das Kalkül dessen, der weiß, dass das Interesse nur im Spiel gehalten wird, wenn die Vorlagen stimmen. Man muss nur einmal die Romantik-Studien von Manfred Frank und Karl Heinz Bohrer daneben legen, um zu ermessen, welche Schwierigkeiten der Geist einem machen kann.
Was gute Vorlagen sind - das kann man ebenfalls bei Thomas Mann lernen, der die Welt häufig mit einem handlichen Gegensatzpaar erkundete. Man denke nur an "Tonio Kröger" und den in alle Ecken und Winkel der Erzählung getriebenen Gegensatz von Kunst (Tonio) und Leben (Hans). Auch Safranski holt aus dem Gegensatz den Rhythmus seiner Darstellung: die Vernunft und das Irrationale, der Alltag und das Wunderbare, das Leben und die Kunst, das Bekannte und das Unbekannte, das Wissen und die Poesie. Auf diese Weise durch das Dickicht der Geistesgeschichte zu kommen ist bewundernswert - andere sind dort drinnen verschollen.
Am Ende seines Buches, das zu lesen ein Vergnügen ist, insbesondere für all jene, denen Bohrers Theorielawinen das Fürchten lehren, verbeugt sich vor dem Publikum ein in seiner Schlichtheit bei den neuen Kennern der Romantik sicherlich willkommenes begriffliches Paar, dem man die zweihundert Jahre, die hinter ihm liegen sollen, nicht mehr ansieht: das Lebbare und das Vorstellbare. Die beiden stehen nebeneinander wie Brüderchen und Schwesterchen, sie liegen sich nicht in den Armen und gehen nicht miteinander ins Bett: Sie haben keine Affäre.
Die Quintessenz von Safranskis Buch ist die Empfehlung, dass Politik und Kultur zwei getrennte Bereiche bleiben sollen. Dass (einerseits) das Romantische bei der Kultur gut aufgehoben ist - und in der Politik, wo im Falle eines romantischen Übergriffs nur Gefahr droht, nichts verloren hat: Dort wird das Romantische nur zum Terror des besseren, des anderen Lebens. Und dass (andererseits) ein langes Leben sich in der Politik vielleicht nicht erfüllt und deswegen ihm ein Schuss Romantik gut bekommt.
Safranskis Zweispartenprogramm, hier Politik mit Augenmaß, dort Kultur zum Austoben, gleicht einer großen Koalition des befriedeten Geistes, mit der sich der Geist selber besser regieren lässt. Das ist die Romantik von Demokraten, die das Funktionieren des Alltags nicht mit der Forderung durcheinanderbringen wollen, dass das Leben Poesie werde. Die nicht vom Weg, der zur Rente führt, abkommen wollen, nur weil ihnen der Augenblick einen riesigen Schrecken einjagen könnte. Denen die Wirklichkeit über den Kopf gewachsen ist, so dass an Möglichkeiten nicht mehr zu denken ist. Safranskis Buch hat die Romantik domestiziert, er hat sie eingepasst in eine Gegenwart, der die romantische Geistesverfassung abhandengekommen ist. Uns fällt zu einem besseren Leben nur die Gehaltserhöhung ein. Insofern sehen wir uns und unser mediokres romantisches Potential in Safranskis Buch wie in einem Spiegel.
Vom Sessel aus ahnt man mit Safranski die Gefahr, die vom Romantischen ausgehen soll, wenn es sich nicht nach dem Zweikammersystem richtet, sondern über die Stränge schlägt. '68 hieß es zum Beispiel: Die Phantasie an die Macht! Das war, kommentiert Safranski, wohl keine gute Idee. Vielleicht aber war das gar keine romantische Forderung? Sondern nur Blödsinn? Das Romantische, wie es Safranski darstellt, zerkrümelt die Romantik, als wäre sie aus Heidesand gebacken, während umgekehrt das Romantische einen sehr diffusen Eindruck macht - ein Begriff, unter dem das Nichtvernünftige, Maßlose, Realitätsferne, verträumt Vagabundenhafte, gemeingefährlich Ideenbesessene und kriegerisch Abenteuerliche subsumiert wird. Vielleicht ist diese Weiterführung des romantischen Geistes über die Epoche der Romantik hinaus ein Nachschwappen jenes den großen geistigen Wurf wagenden Tiefsinns, der gerne deutsch, der gerne romantisch genannt wird, aber wahrscheinlich in seiner auf die Vitrine im Kopf zielenden Formsucht nur bürgerlich ist - und den Safranski selber Thomas Mann vorhält, der im "Doktor Faustus" das "Dritte Reich" und den romantischen Geist deutelnd zusammenzubringen versucht hat.
Was bleibt? Ein Buch über die Romantik, das, gegen den Willen des Autors, auch ein Buch über uns geworden ist. Es bleibt die Einsicht, dass wir, romantisch gesehen, am Ende sind. Die Romantik ist tot, unser Möglichkeitssinn ausgetrocknet.
EBERHARD RATHGEB
Rüdiger Safranski: "Romantik. Eine deutsche Affäre". Hanser-Verlag, München 2007. 415 Seiten, Euro 24,90
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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"Safranski ist einer der kompetentesten und bekanntesten Historiker deutscher Ideen- und Kulturgeschichte." Paul Michael Lützeler, Die Literarische Welt, 01.09.07
"Rüdiger Safranskis großes Romantikbuch beschreibt eine "deutsche Affäre" so mitreißend, als fände sie mitten in unserer Gegenwart statt. ... Safranski ist ein Zauberkünstler, dem man lieber nicht widersteht." Christian Geyer, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.09.07
"Safranskis "Romantik" ist überfällig - eine aufgeklärt helle, ja heitere Beschreibung eines Sonderwegs. Es ist der Roman des deutschen Geistes." Matthias Matussek, Der Spiegel, 03.09.07
"Rüdiger Safranski macht uns glanzvoll mit der Romantik und dem Romantischen vertraut. Sein grandioses Buch verbindet philosophische Analyse mit anekdotischer Anschauung derart gekonnt, dass wir Seltenes vor uns haben: spannend erzählte deutsche Geistesgeschichte. Einer, der es infolge seiner Belesenheit und seiner Sprachkraft versteht, die Schatzkammer der Geistesgeschichte gangbar zu machen." Ulrich Greiner, Die Zeit, 06.09.07
"Vom Sieg der Fantasie über die Wirklichkeit, vom Unbehagen am Leben in einer entzauberten Welt und von Religiosität als Reaktion auf die Moderne. Von all dem erzählt der Philosoph Rüdiger Safranski in seinem grandiosen Buch über die deutsche Romantik." Denis Scheck, Der Tagesspiegel, 07.10.07