»Alles ist gut«, ein Satz, der Trost spenden soll und doch so falsch ist.
Im Leben des siebenjährigen Szymeks ist 2002 nichts mehr gut, denn seine Eltern sterben bei einem Autounfall und er wohnt ab sofort bei seiner Großmutter Tosia. Der Allmächtige habe sie zu sich genommen, sagt man ihm und so
nimmt er seine gesamten Spielsachen und versteckt sie in der Waschmaschine, damit dieser…mehr»Alles ist gut«, ein Satz, der Trost spenden soll und doch so falsch ist.
Im Leben des siebenjährigen Szymeks ist 2002 nichts mehr gut, denn seine Eltern sterben bei einem Autounfall und er wohnt ab sofort bei seiner Großmutter Tosia. Der Allmächtige habe sie zu sich genommen, sagt man ihm und so nimmt er seine gesamten Spielsachen und versteckt sie in der Waschmaschine, damit dieser Allmächtige sie nicht auch noch holt.
Auch Tosia kennt diesen Satz nur zu gut, als man sie 63 Jahre zuvor aus der Schule heimgeschickt wurde, weil ihr Dorf Chojny von deutschen Flugzeugen bombardiert wurde, meinte man, sie damit trösten zu können. Kurz darauf muss sie miterleben, wie 26 Flüchtlinge in einer Scheune verbrennen. Es wird nicht die einzige Gräueltat sein, die sie und die Bewohner von Chony im Krieg miterleben werden.
Wie schon in Saturnin (2022) und Beben in uns (2023) widmet sich Małecki in Rost (2019) mehreren Generationen der polnischen Landbevölkerung. Auf zwei verschiedenen Zeitebenen folgen wir zum einen Szymek, den alle Saurier nennen, weil er ein reptilienartiges Gesicht hat, bis er zu einem eigensinnigen jungen Mann heranwächst, als auch Tosia, die sich in ihrer Kindheit in »den Unsichtbaren« verliebt, den einzigen Menschen, den sie je geliebt hat, dem sie ins Ohr flüsterte: »Mit dir könnte ich sterben.« Wir begegnen Julka, die in ihrem Laden keine Rothaarigen bedient. Und Michał, den alle den Doktor nennen, der in seiner eigenen Welt aus Gerüchen lebt. Es ist eine eigenwillige Dorfgemeinschaft, die immer wieder dem Lauf der Geschichte trotzt – der Vertreibung durch die Deutschen, dann die Rückkehr, der Nachkriegszeit im Sozialismus, dann die Wende. Mit viel erzählerischen Talent verwebt Małecki die einzelnen Schicksale mit der Geschichte des Dorfes Chojny und zeichnet so die Geschichte Polens nach.
Małecki hat einen sehr eigenen, nüchternen spröden Erzählton, unter den sich eine leise Zärtlichkeit mischt. Hin und wieder blitzt sein Humor durch, den ich sehr zu schätzen weiß. Er legt so viel Augenmerk auf seine Nebenfiguren, dass sie fast zu Protagonisten werden, die letztlich zu einer Schicksalsgemeinschaft verschmelzen. Nur so gelingt es, trotz aller Trauer und Kriegsgewalt nicht an der Wirklichkeit zu zerbrechen. Es ist eine Geschichte über das Erwachsenwerden in schwierigen Zeiten, über Freundschaft und die Kraft der Liebe und einer Menge verpasster Gelegenheiten, die mich mal wieder zutiefst berührt hat.
Małecki gehört inzwischen für mich zu den besten zeitgenössischen Erzählern, gerade wegen seiner tieftraurigen Molltöne, den bodenständigen Figuren, die auf den ersten Blick wenig Heldenhaftes haben, voller Ecken und Kanten sind, manchmal auch sperrig und spröde, aber stets authentisch. Traurig schöne Geschichten, die mich immer wieder begeistern. Wieder hervorragend übersetzt von Renate Schmidgall. Ob am Ende alles gut ist, solltet ihr unbedingt selbst herausfinden, denn von mir gibt es eine absolute Leseempfehlung. Wie übrigens auch für seine anderen Bücher.