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Dieses Buch kommt gerade rechtzeitig, um unter den Gästen der bevorstehenden feierlichen Einweihung der "Rudi-Dutschke-Straße" in Berlin für schlechte Laune zu sorgen. Wolfgang Kraushaar, wohl der erste Kenner der Geheimgeschichte der bundesrepublikanischen Protestbewegung, geht darin der Dutschke-Legende nach. Aufgebracht hatte diese Legende vor allem der Dichter Erich Fried, der anläßlich des Selbstmordes von Ulrike Meinhof erklärte, die gefeierte Konkret-Kolumnistin hätte den Weg in die RAF wohl nicht eingeschlagen, wenn sie die Gelegenheit zum Austausch mit Dutschke gehabt hätte. In seiner Studie "Rudi Dutschke und der bewaffnete Kampf" setzt Kraushaar hier ein weithin sichtbares Fragezeichen (Wolfgang Kraushaar, Karin Wieland und Jan Philipp Reemtsma: "Rudi Dutschke, Andreas Baader und die RAF". Hamburger Edition, Hamburg 2005. 143 S., geb., 12,- [Euro]).
Dutschke, an Heiligabend 1979 gestorben, hatte mehrere Gesichter: Das des christlichen und nationalen Revolutionärs hat unlängst sein alter Kampfgenosse Bernd Rabehl gezeichnet. Kraushaar ist auf einer anderen Spur. Die Gewaltbereitschaft, so glaubt er, begann nicht erst mit dem Zerfall der Studentenbewegung. Nur die von den damaligen Akteuren gelegten falschen Fährten oder schlicht der Gedächtnisschwund könnten zu einer anderen Ansicht verleiten. Gegen Frieds Bild eines pazifistischen Revolutionärs hatte schon kurze Zeit später aus der Haft Fritz Teufel polemisiert: "Ohne das Attentat, meine ich, wäre Rudi vielleicht selbst diesen Weg gegangen und hätte dem bewaffneten Kampf in den Metropolen, ebenso wie Ulrike, entscheidende Impulse gegeben."
Und damit lag Teufel, wenn man Kraushaar folgt, nicht ganz falsch. Tatsächlich hatte Dutschke ein eigenes, schon vor der Gründung der RAF entworfenes Konzept für den "bewaffneten Kampf" entworfen. In dem mit Hans-Jürgen Krahl verfaßten "Organisationsreferat" vom September 1967 hieß es dazu: "Die ,Propaganda der Schüsse' (Che) in der ,Dritten Welt' muß durch die ,Propaganda der Tat' in den Metropolen vervollständigt werden, welche eine Urbanisierung ruraler Guerilla-Tätigkeit geschichtlich möglich macht. Der städtische Guerillero ist der Organisator schlechthinniger Irregularität als Destruktion des Systems der repressiven Institutionen."
Es folgten praktische Versuche. Gemeinsam mit dem persischen Schah-Kritiker Bahman Nirumand wollte Dutschke im Februar 1968 die Sendemasten des amerikanischen Armeesenders AFN bei Frankfurt sprengen. Die Bombe stammte von einem Mann des Verfassungsschutzes. Dutschke und Nirumand führten sie in einem Koffer mit sich. Bei der Ankunft am Frankfurter Flughafen wurden sie von Polizisten aufgehalten, die Wind von der Sache bekommen haben mochten - und nun folgt eine Szene aus der politischen Hochkomik der guten alten Bundesrepublik: "Da sich Dutschke beklagte, daß er sich nicht die ganze Zeit über mit dem schweren Koffer abschleppen wolle, waren ihnen die Polizeibeamten ganz nach dem Motto ,Die Polizei, dein Freund und Helfer' dabei behilflich, das Gepäckstück in einem Schließfach unterzustellen."
Weitere Sprengstoff-Episoden führen zu Dutschkes Kontakt mit dem italienischen Verleger Feltrinelli im Frühjahr 1968. Feltrinelli sprengte sich später bei einem geplanten Attentat selbst in die Luft, und naturgemäß gab es daraufhin die Legende, er sei von der Polizei oder von Faschisten umgebracht worden. Dutschke hat in einem späten Interview die Abgrenzung seiner Konzeption von jener der RAF darin gesehen, daß die geplanten Attentate ausschließlich der "Gewalt gegen Sachen" galten: "um Aufklärung und Aktion durchzuführen, als symbolischer Akt, ohne dabei im geringsten Gewalt gegen Menschen anzuwenden".
Um Gewalt gegen Menschen geht es in Jan Philipp Reemtsmas kritischer Auseinandersetzung mit dem Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter, dem er vorwirft, die Einlassungen der RAF-Terroristin Birgit Hogefeld allzu blauäugig "verstehen" zu wollen. Der Mord an dem amerikanischen Soldaten Pimental werde als "Erschießung" verharmlost, gemeinsam bedienten der Psychoanalytiker und die Terroristin das "Klischee ,68 und die Nazivergangenheit'" mit der hier stets unvermeidlichen Rede vom "Verschweigen der Älteren".
Karin Wieland, die kürzlich ein Buch über den Duce und seine jüdische Geliebte und Mitarbeiterin Margherita Sarfatti veröffentlicht hat, erzählt die Geschichte der RAF als Paarbildung zwischen dem "Narziß" und "Dandy" Baader und Gudrun Ensslin nach, in die sich Ulrike Meinhof bei der "Baader-Befreiung" in Berlin ihr Entree verschafft habe. Die Figur des Dandys, im neunzehnten Jahrhundert von Baudelaire und anderen beschrieben, dann auf Nationalrevolutionäre wie Ernst Jünger angewandt, wird für Karin Wieland zum Schlüssel der Entwicklung: "Der Dandy kennt keinen Nächsten." Untersucht werden vor allem der Stil der RAF und die Botschaft, die von Frisuren und Jacken ausgehen soll: "Ein großer Teil des Geldes, das sie bei Banküberfällen erbeuteten, gaben sie für Kleider aus." Auch die Psychoanalyse steuert ihren Teil bei: "Baaders Geheimnis seiner Macht über Frauen ist, daß er deren phallische Wünsche ernst nahm." Schließlich mündet die Geschlechterwelt des Terrorismus in die Hungerstreiks und in die "zweite Generation": "Es mußte gelingen, eine breite Nachkommenschaft der RAF zu zeugen, indem man die Körper der Gefangenen öffentlich leiden und martern ließ." Das sind assoziativ gewonnene Erklärungen, die nur dann überzeugen, wenn man sie sowieso schon glaubt; wer nicht zu den Eingeweihten gehört, wird sie in dem ansonsten sachhaltigen Band mit einiger Ratlosigkeit lesen.
LORENZ JÄGER
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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