Rudolf Borchardt war nicht nur ein virtuoser Sprachkünstler, dem tiefsinnige Gedichte, brillante Essays, ironisch-satirische Erzählungen und Reden von sensationeller Wirkung gelangen. Er war auch ein zutiefst politisch empfindender Mensch, der aus dem «Untergang der deutschen Nation» persönliche Konsequenzen zog und – mit der großen Ausnahme des Ersten Weltkriegs – schon früh aus dem Vaterland ausstieg. Peter Sprengel schildert die wechselvolle Biographie eines der berühmtesten Unbekannten der deutschen Literatur. Als Mieter alter Toskana-Villen erprobte der Emigrant und Monarchist – bis zur gewaltsamen Rückführung in das Deutsche Reich 1944 – den Anschluss an althergebrachte aristokratische Lebensformen. Gleichzeitig war er als Übersetzer (vor allem Dantes) um die Rettung des kulturellen Erbes Alteuropas bemüht. Seine Beschreibungen italienischer Städte geben das Bild einer imaginären Geschichte, einer Geschichte der unrealisierten Möglichkeiten, in der die Verlierer zu Siegern werden. Die hier vorgelegte Biographie kann auf Hunderte von Briefen zurückgreifen, die in den letzten zwei Jahrzehnten erstmals herausgegeben wurden, und nutzt darüber hinaus unveröffentlichte Materialien. Auf dieser Grundlage gelingen überraschende Entdeckungen wie die einer monströsen Fälschung Borchardts. Hier lernen wir nicht nur den Dichter und Publizisten gleichsam von innen, sondern auch den ‹verlorenen Sohn›, Ehemann und Familienvater, vor allem aber und immer wieder den Liebhaber Borchardt kennen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mit gemischten Gefühlen hat Kai Kauffmann Peter Sprengels Rudolf-Borchardt-Biografie gelesen. Der Literaturwissenschaftler vermag dank eingehender Recherche durchaus manche Lücke in Borchardts Lebensgeschichte zu schließen, betont der Kritiker, der das Buch wie einen spannenden "Abenteuerroman" voller sensationeller Enthüllungen und satirischer Zuspitzungen liest. Leider muss der Rezensent aber während der fesselnden Lektüre auch feststellen, dass es Sprengel nicht gelingt, Borchardts narzisstische Persönlichkeitsstruktur mit seinen imaginationsreichen und wortgewaltigen Werken zu verbinden. Über den Schriftsteller Borchardt und seine "phantasmagorische" Gedankenwelt hat Kauffmann hier deshalb nur wenig erfahren.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine ZeitungWindiger Hochstapler und wendiger Liebhaber?
Eine interessante Verbindung von Philologie und Pikanterie: Rudolf Borchardts Leben, erzählt von Peter Sprengel
Um 2000 hieß es im Feuilleton einer führenden deutschen Tageszeitung über Rudolf Borchardt: "Der Aufstieg dieses Schriftstellers aus völliger Vergessenheit zu einem Dichter mit Gemeinde gehört zu den wunderlichsten Ereignissen der Geistesgeschichte in den vergangenen Jahren." Der Hype ging so weit, dass an anderer Stelle die Ablösung der von den "Linken" lange verehrten Geistesheroen Adorno und Benjamin durch, ja doch, Borchardt ausgerufen wurde. Während die gerade erst durch die umfassende Edition seines Brief-Werks und einige größere Studien in Gang gekommene Forschung weiterlief, ließ jedoch das kulturpolitisch motivierte Interesse in der intellektuellen Öffentlichkeit schlagartig wieder nach. Man glaubte wohl selbst nicht recht an die Eignung Borchardts als Vordenker einer kulturkonservativen Zeitenwende.
Der 1877 in Königsberg geborene, 1945 in Trins/Tirol gestorbene Schriftsteller schien erneut in Vergessenheit zu geraten. Aus dieser möchte ihn nun der Berliner Literaturwissenschaftler Peter Sprengel mit seiner Biographie, der ersten überhaupt, befreien. Und tatsächlich beginnt das Buch mit einem Aufmerksamkeit erregenden Trompetenstoß: Sprengel entlarvt einen angeblich von Friedrich Leo an Rudolf Borchardt, seinen aus Göttingen nach Wien entlaufenen Doktoranden, geschriebenen Brief, der sowohl die moralisch bedenklichen Liebes- und Duellaffären als auch die geistige Potenz dieses ebenso leidenschaftlichen wie hinreißenden jungen Mannes mit beeindruckendem Wortreichtum schildert, als eine Fälschung von Borchardts Hand, die sich eigentlich an den Wiener Gastgeber Hugo von Hofmannsthal richtete (F.A.Z. vom 9. September 2015). Diese Entdeckung und die Art, wie sie dem Leser zu Beginn mitgeteilt wird, charakterisieren den Biographen und seine Darstellung. Ausgehend von einer souveränen Kenntnis des Textmaterials und Forschungsstands, schließt Sprengel durch eigene Recherchen zahlreiche Lücken unseres Wissens über Borchardt und korrigiert dabei manche Fehler. Sogar über die Lebensphase zwischen 1902 und 1906, eine Zeit unsteter Wanderungen in Italien, bekommt man endlich genauere Daten und einen besseren Überblick. Zum anderen weiß er Borchardts Lebensgeschichte wie einen spannenden Abenteuerroman zu erzählen, mit einem ausgeprägten Sinn für sensationelle Enthüllungen und satirische Zuspitzungen. Eine interessante Verbindung von Philologie und Pikanterie! Man wird dieses Buch nicht nur wegen der Fülle von verlässlichen Informationen lesen, sondern auch, weil es Borchardt immer wieder als windigen Hochstapler und wendigen Liebhaber vorführt, der andere Menschen belügt und betrügt, benutzt und beschädigt, sich damit aber - wie der Biograph nicht ohne schadenfrohen Unterton mitteilt - letztlich selbst um Vertrauen und Erfolg bringt.
Hier zeichnet sich das eigentliche Problem des Buches ab. Es bestätigt die bekannten Vorurteile und berechtigten Vorbehalte gegenüber der narzisstisch geprägten Persönlichkeit Borchardts, die schon von Zeitgenossen vielfach beschrieben wurde. Umgekehrt gelingt es Sprengel kaum, dem Leser die mit der Persönlichkeitsstruktur des Autors durchaus in Zusammenhang stehende Wortgewalt und Imaginationskraft seiner Reden und Schriften nahezubringen. Der im Untertitel der Biographie angekündigte "Herr der Worte" erscheint zu einseitig unter dem negativen Vorzeichen des von Walter Benjamin an Rudolf Borchardt bemerkten "Willens zur Lüge". Zwar kommt Sprengel im Laufe seiner Erzählung auf eine Vielzahl von Borchardts Werken zu sprechen, doch tut er wenig, um ihre faszinierenden Züge herauszuarbeiten. Die vergleichsweise häufigen Zitate aus Gedichten deuten darauf hin, dass er die bereits von Theodor W. Adorno gerühmte Lyrik besonders schätzt, und gegen Ende der Biographie scheint eine gewisse Bewunderung für den großen, 1932 entstandenen Pisa-Essay und das bis 1945 geschriebene Homer-Fragment durch. An solchen Stellen hätte es sich gelohnt, den Pfad der biographischen Erzählung für mehr als ein paar referierende Sätze zu verlassen und tiefer in die phantasmagorischen Gedankenreiche und Sprachwelten Borchardts einzudringen, die fast immer mit seiner Person und seinem Leben in einer direkten oder indirekten Beziehung stehen und gerade daraus ihre ungeheure Dramatik und Intensität beziehen. Das gilt schon für den gefälschten Friedrich-Leo-Brief, ein "Portrait of the Artist as a Young Man", mit dem die lange Reihe der grandiosen Selbstdarstellungen beginnt, und gilt noch für den kurz vor dem Lebensende begonnenen Essay über den Göttinger Doktorvater, der gleichfalls eine verkappte Autobiographie ist, freilich im Rahmen einer weitgespannten Kulturgeschichte der deutschen Altphilologie. Sprengels Biographie ist ein wichtiges Buch, auch wenn es über den Menschen Borchardt wenig Angenehmes berichtet. Aber so, wie es geschrieben ist, wird der Weg zu dem Schriftsteller und seiner Redekunst möglicherweise eher verstellt als gebahnt.
KAI KAUFFMANN.
Peter Sprengel: "Rudolf Borchardt - Der Herr der Worte". Biographie.
Verlag C. H. Beck, München 2015. 512 S., geb., 29,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine interessante Verbindung von Philologie und Pikanterie: Rudolf Borchardts Leben, erzählt von Peter Sprengel
Um 2000 hieß es im Feuilleton einer führenden deutschen Tageszeitung über Rudolf Borchardt: "Der Aufstieg dieses Schriftstellers aus völliger Vergessenheit zu einem Dichter mit Gemeinde gehört zu den wunderlichsten Ereignissen der Geistesgeschichte in den vergangenen Jahren." Der Hype ging so weit, dass an anderer Stelle die Ablösung der von den "Linken" lange verehrten Geistesheroen Adorno und Benjamin durch, ja doch, Borchardt ausgerufen wurde. Während die gerade erst durch die umfassende Edition seines Brief-Werks und einige größere Studien in Gang gekommene Forschung weiterlief, ließ jedoch das kulturpolitisch motivierte Interesse in der intellektuellen Öffentlichkeit schlagartig wieder nach. Man glaubte wohl selbst nicht recht an die Eignung Borchardts als Vordenker einer kulturkonservativen Zeitenwende.
Der 1877 in Königsberg geborene, 1945 in Trins/Tirol gestorbene Schriftsteller schien erneut in Vergessenheit zu geraten. Aus dieser möchte ihn nun der Berliner Literaturwissenschaftler Peter Sprengel mit seiner Biographie, der ersten überhaupt, befreien. Und tatsächlich beginnt das Buch mit einem Aufmerksamkeit erregenden Trompetenstoß: Sprengel entlarvt einen angeblich von Friedrich Leo an Rudolf Borchardt, seinen aus Göttingen nach Wien entlaufenen Doktoranden, geschriebenen Brief, der sowohl die moralisch bedenklichen Liebes- und Duellaffären als auch die geistige Potenz dieses ebenso leidenschaftlichen wie hinreißenden jungen Mannes mit beeindruckendem Wortreichtum schildert, als eine Fälschung von Borchardts Hand, die sich eigentlich an den Wiener Gastgeber Hugo von Hofmannsthal richtete (F.A.Z. vom 9. September 2015). Diese Entdeckung und die Art, wie sie dem Leser zu Beginn mitgeteilt wird, charakterisieren den Biographen und seine Darstellung. Ausgehend von einer souveränen Kenntnis des Textmaterials und Forschungsstands, schließt Sprengel durch eigene Recherchen zahlreiche Lücken unseres Wissens über Borchardt und korrigiert dabei manche Fehler. Sogar über die Lebensphase zwischen 1902 und 1906, eine Zeit unsteter Wanderungen in Italien, bekommt man endlich genauere Daten und einen besseren Überblick. Zum anderen weiß er Borchardts Lebensgeschichte wie einen spannenden Abenteuerroman zu erzählen, mit einem ausgeprägten Sinn für sensationelle Enthüllungen und satirische Zuspitzungen. Eine interessante Verbindung von Philologie und Pikanterie! Man wird dieses Buch nicht nur wegen der Fülle von verlässlichen Informationen lesen, sondern auch, weil es Borchardt immer wieder als windigen Hochstapler und wendigen Liebhaber vorführt, der andere Menschen belügt und betrügt, benutzt und beschädigt, sich damit aber - wie der Biograph nicht ohne schadenfrohen Unterton mitteilt - letztlich selbst um Vertrauen und Erfolg bringt.
Hier zeichnet sich das eigentliche Problem des Buches ab. Es bestätigt die bekannten Vorurteile und berechtigten Vorbehalte gegenüber der narzisstisch geprägten Persönlichkeit Borchardts, die schon von Zeitgenossen vielfach beschrieben wurde. Umgekehrt gelingt es Sprengel kaum, dem Leser die mit der Persönlichkeitsstruktur des Autors durchaus in Zusammenhang stehende Wortgewalt und Imaginationskraft seiner Reden und Schriften nahezubringen. Der im Untertitel der Biographie angekündigte "Herr der Worte" erscheint zu einseitig unter dem negativen Vorzeichen des von Walter Benjamin an Rudolf Borchardt bemerkten "Willens zur Lüge". Zwar kommt Sprengel im Laufe seiner Erzählung auf eine Vielzahl von Borchardts Werken zu sprechen, doch tut er wenig, um ihre faszinierenden Züge herauszuarbeiten. Die vergleichsweise häufigen Zitate aus Gedichten deuten darauf hin, dass er die bereits von Theodor W. Adorno gerühmte Lyrik besonders schätzt, und gegen Ende der Biographie scheint eine gewisse Bewunderung für den großen, 1932 entstandenen Pisa-Essay und das bis 1945 geschriebene Homer-Fragment durch. An solchen Stellen hätte es sich gelohnt, den Pfad der biographischen Erzählung für mehr als ein paar referierende Sätze zu verlassen und tiefer in die phantasmagorischen Gedankenreiche und Sprachwelten Borchardts einzudringen, die fast immer mit seiner Person und seinem Leben in einer direkten oder indirekten Beziehung stehen und gerade daraus ihre ungeheure Dramatik und Intensität beziehen. Das gilt schon für den gefälschten Friedrich-Leo-Brief, ein "Portrait of the Artist as a Young Man", mit dem die lange Reihe der grandiosen Selbstdarstellungen beginnt, und gilt noch für den kurz vor dem Lebensende begonnenen Essay über den Göttinger Doktorvater, der gleichfalls eine verkappte Autobiographie ist, freilich im Rahmen einer weitgespannten Kulturgeschichte der deutschen Altphilologie. Sprengels Biographie ist ein wichtiges Buch, auch wenn es über den Menschen Borchardt wenig Angenehmes berichtet. Aber so, wie es geschrieben ist, wird der Weg zu dem Schriftsteller und seiner Redekunst möglicherweise eher verstellt als gebahnt.
KAI KAUFFMANN.
Peter Sprengel: "Rudolf Borchardt - Der Herr der Worte". Biographie.
Verlag C. H. Beck, München 2015. 512 S., geb., 29,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Dies Leben, von Sprengel mit einer Fülle von Details zur Besichtigung freigegeben, schlägt auch den Leser in Bann, der das Werk nicht kennt."
Martin Mosebach, Süddeutsche Zeitung, 16. November 2015
"Packend: Peter Sprengel zeigt in der ersten Biographie des großen Schriftstellers Rudolf Borchardt, wie eng Dichtung und Wahn verschwistert sein müssen."
Alexander Kissler, Cicero, Oktober 2015
Martin Mosebach, Süddeutsche Zeitung, 16. November 2015
"Packend: Peter Sprengel zeigt in der ersten Biographie des großen Schriftstellers Rudolf Borchardt, wie eng Dichtung und Wahn verschwistert sein müssen."
Alexander Kissler, Cicero, Oktober 2015