Produktdetails
- Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
- Erscheinungstermin: 14. November 2009
- Deutsch
- ISBN-13: 9783531917276
- Artikelnr.: 37363307
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.10.2009Von einem Extrem ins andere
Nachdem viele Wirtschaftsdaten früher als erwartet wieder nach oben zeigen, mehren sich in der Bundesrepublik die Stimmen, die dazu aufrufen, das Ruder in der Wirtschaftspolitik erneut herumzureißen. Der Staat, so fordern erinnerungsschwache Banker, Politiker und Wirtschaftsjournalisten, möge sich aus der Arena der Wirtschaft und Finanzen schleunigst zurückziehen und mit seiner Rolle als „Schiedsrichter” vorlieb nehmen – so wie vor dem Finanzcrash des Jahres 2008. Auch auf internationaler Ebene ist zu beobachten, dass die Bereitschaft zu einschneidenden Maßnahmen zur Regulierung der Finanzmärkte schwindet. Da kommt ein Buch gerade zur rechten Zeit, das weder einem blauäugigen „Marktradikalismus” noch einem ebenso blauäugigen „Staatsinterventionismus” das Wort redet.
Der Autor, Soziologieprofessor an der Universität Bochum, bietet keine leichte Kost. Aber es lohnt sich, seinen Überlegungen zu folgen und seine Analysen nachzuvollziehen. Denn der Abschied von der „Markt(leicht)gläubigkeit” dürfe nicht dazu führen, stattdessen in eine Staatsgläubigkeit zu verfallen, so Heinzes These. Damit geriete nämlich in Vergessenheit, dass das – übertriebene – Vertrauen in die „Selbstregulierungskräfte” des Marktes eine Reaktion auf vermeintliches und tatsächliches „Staatsversagen” bei der Lösung der immer dramatischeren wirtschafts- und sozialpolitischen Probleme seit der Mitte der siebziger Jahre darstellte. Die Lehre aus der Krise könne also keine „naive Renaissance” des Staates als Allheilmittel sein.
Im einleitenden Kapitel erörtert Heinze, warum das Pendel von der „Markthörigkeit” wieder ins andere Extrem zurückschwang. Ausdrücklich warnt er vor der „Fiktion des starken Staates”, welche die schwindenden Handlungsoptionen verkenne. Stattdessen plädiert er für einen „neuen Staatsrealismus”, der die Leistungen staatlicher und nicht-staatlicher Akteure zu kombinieren vermag mit dem Ziel, „die Verantwortung auf mehrere Schultern” zu verteilen. In den folgenden Kapiteln skizziert Heinze verschiedene Politikfelder, die lange Zeit als Domänen öffentlicher Daseinsvorsorge galten, mittlerweile aber durch Privatisierungsbestrebungen unterschiedlicher Reichweite und Intensität gekennzeichnet seien: der Wohnungsmarkt, die „Wohlfahrtsproduktion” einschließlich solcher Modelle wie Nachbarschafts- und Selbsthilfegruppen, das Gesundheitswesen, der Arbeitsmarkt und der Hochschulsektor. Im Anschluss setzt er sich in einem interessanten Kapitel mit den Veränderungen im Bereich der Politikberatung auseinander – ein für die Frage der Steuerungskompetenzen des Staates enorm wichtiger Aspekt. Die weit verbreitete Kritik an der „Berliner Räterepublik”, also jenem insbesondere seit der rot-grünen Ära gepflegten und geförderten System aus Expertenkommissionen und Beratergremien, teilt er übrigens nicht.
Den Abschluss des insbesondere wegen seiner Materialfülle und seiner differenzierten Argumentation höchst lesenswerten Buches bildet ein Plädoyer für eine neue Balance zwischen Politik, Wirtschaft, „aktiver Bürgergesellschaft” und Eigenverantwortung. Zwar seien die großzügigen Konjunkturprogramme zur Überwindung der aktuellen Krise unvermeidlich gewesen, doch dürfe nicht übersehen werden, dass die daraus resultierenden „gigantischen Schuldenberge” die Handlungsmöglichkeiten des Staates weiter drastisch einengten. Vor „überhöhten Erwartungen” an den Staat warnt Heinze mit Nachdruck. Wie die von ihm geforderte „neue Balance” der verschiedenen Akteure konkret aussehen könnte, bleibt jedoch im Ungewissen. Werner Bührer
Rolf G. Heinze: Rückkehr des Staates? Politische Handlungsmöglichkeiten in unsicheren Zeiten. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2009. 245 Seiten.
24,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Nachdem viele Wirtschaftsdaten früher als erwartet wieder nach oben zeigen, mehren sich in der Bundesrepublik die Stimmen, die dazu aufrufen, das Ruder in der Wirtschaftspolitik erneut herumzureißen. Der Staat, so fordern erinnerungsschwache Banker, Politiker und Wirtschaftsjournalisten, möge sich aus der Arena der Wirtschaft und Finanzen schleunigst zurückziehen und mit seiner Rolle als „Schiedsrichter” vorlieb nehmen – so wie vor dem Finanzcrash des Jahres 2008. Auch auf internationaler Ebene ist zu beobachten, dass die Bereitschaft zu einschneidenden Maßnahmen zur Regulierung der Finanzmärkte schwindet. Da kommt ein Buch gerade zur rechten Zeit, das weder einem blauäugigen „Marktradikalismus” noch einem ebenso blauäugigen „Staatsinterventionismus” das Wort redet.
Der Autor, Soziologieprofessor an der Universität Bochum, bietet keine leichte Kost. Aber es lohnt sich, seinen Überlegungen zu folgen und seine Analysen nachzuvollziehen. Denn der Abschied von der „Markt(leicht)gläubigkeit” dürfe nicht dazu führen, stattdessen in eine Staatsgläubigkeit zu verfallen, so Heinzes These. Damit geriete nämlich in Vergessenheit, dass das – übertriebene – Vertrauen in die „Selbstregulierungskräfte” des Marktes eine Reaktion auf vermeintliches und tatsächliches „Staatsversagen” bei der Lösung der immer dramatischeren wirtschafts- und sozialpolitischen Probleme seit der Mitte der siebziger Jahre darstellte. Die Lehre aus der Krise könne also keine „naive Renaissance” des Staates als Allheilmittel sein.
Im einleitenden Kapitel erörtert Heinze, warum das Pendel von der „Markthörigkeit” wieder ins andere Extrem zurückschwang. Ausdrücklich warnt er vor der „Fiktion des starken Staates”, welche die schwindenden Handlungsoptionen verkenne. Stattdessen plädiert er für einen „neuen Staatsrealismus”, der die Leistungen staatlicher und nicht-staatlicher Akteure zu kombinieren vermag mit dem Ziel, „die Verantwortung auf mehrere Schultern” zu verteilen. In den folgenden Kapiteln skizziert Heinze verschiedene Politikfelder, die lange Zeit als Domänen öffentlicher Daseinsvorsorge galten, mittlerweile aber durch Privatisierungsbestrebungen unterschiedlicher Reichweite und Intensität gekennzeichnet seien: der Wohnungsmarkt, die „Wohlfahrtsproduktion” einschließlich solcher Modelle wie Nachbarschafts- und Selbsthilfegruppen, das Gesundheitswesen, der Arbeitsmarkt und der Hochschulsektor. Im Anschluss setzt er sich in einem interessanten Kapitel mit den Veränderungen im Bereich der Politikberatung auseinander – ein für die Frage der Steuerungskompetenzen des Staates enorm wichtiger Aspekt. Die weit verbreitete Kritik an der „Berliner Räterepublik”, also jenem insbesondere seit der rot-grünen Ära gepflegten und geförderten System aus Expertenkommissionen und Beratergremien, teilt er übrigens nicht.
Den Abschluss des insbesondere wegen seiner Materialfülle und seiner differenzierten Argumentation höchst lesenswerten Buches bildet ein Plädoyer für eine neue Balance zwischen Politik, Wirtschaft, „aktiver Bürgergesellschaft” und Eigenverantwortung. Zwar seien die großzügigen Konjunkturprogramme zur Überwindung der aktuellen Krise unvermeidlich gewesen, doch dürfe nicht übersehen werden, dass die daraus resultierenden „gigantischen Schuldenberge” die Handlungsmöglichkeiten des Staates weiter drastisch einengten. Vor „überhöhten Erwartungen” an den Staat warnt Heinze mit Nachdruck. Wie die von ihm geforderte „neue Balance” der verschiedenen Akteure konkret aussehen könnte, bleibt jedoch im Ungewissen. Werner Bührer
Rolf G. Heinze: Rückkehr des Staates? Politische Handlungsmöglichkeiten in unsicheren Zeiten. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2009. 245 Seiten.
24,90 Euro.
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"Ein durchaus lesenswertes Buch, da es den Stellenwert des Etatismus in unsicheren Zeiten realistischer einschätzt als vieles, was zuvor aus dem Elfenbeinturm der Soziologie geboten wurde." AKP Fachzeitschrift für Alternative Kommunal Politik, 5-2010