Mit diesem Genre verbindet man leider nur allzu oft Klischees, denn gerne haben die Bücher auf dem hiesigen Markt "Nackenbeißer"-Cover, die eine Geschichte andeuten, die vor Kitsch, Sex und Stereotypen nur so strotzt. Auch ich hatte diese Vorbehalte, wurde aber von Meredith Durans Roman schnell
eines besseren belehrt, denn ihre Geschichte hat wirklich sehr wenig mit all diesen Vorurteilen zu tun…mehrMit diesem Genre verbindet man leider nur allzu oft Klischees, denn gerne haben die Bücher auf dem hiesigen Markt "Nackenbeißer"-Cover, die eine Geschichte andeuten, die vor Kitsch, Sex und Stereotypen nur so strotzt. Auch ich hatte diese Vorbehalte, wurde aber von Meredith Durans Roman schnell eines besseren belehrt, denn ihre Geschichte hat wirklich sehr wenig mit all diesen Vorurteilen zu tun und dabei sehr viel Potential, zu einer meiner liebsten zu werden.
Zum einen sind die Figuren unglaublich interessant und mehrdimensional entworfen. Es geht natürlich hauptsächlich um Lydia und James, die in der Geschichte langsam zueinander finden. Lydia ist ein Blaustrumpf (so wurde eine gebildete Frau früher genannt), eine alte Jungfer, und was man ihr noch so alles unterstellen könnte, zumindest oberflächlich betrachtet. Doch unter der Oberfläche brodelt eine vor Lebenslust geradezu überschäumende Frau, die diese Lust mit allen Mitteln und unter dem Deckmantel der Schicklichkeit zu verbergen versucht. Zudem plagen sie viele Ängste und Selbstzweifel, die sie schwer ablegen kann, aber auch für sich behält. Dazu kommen eine unbändige Neugier, ein leichter Hang zur Überheblichkeit und Oberflächlichkeit, und schon haben wir einen sehr vielschichtigen Charakter, den man manchmal mag, aber manchmal eben auch nicht. James schafft es, all diese Gefühle und Charakterzüge ans Tageslicht zu bringen, indem er sie immer wieder aus der Reserve lockt. Die Streitgespräche, die die beiden führen, sind sehr amüsant, und führen langsam, aber sicher (vor allem von James' Seite aus) in eine eher schlüpfrige Richtung, was für einiges Knistern zwischen den beiden sorgt. Auch James verbirgt so einiges vor der Öffentlichkeit, und durch seinen Kreuzzug gegen seinen Vater macht er sich nicht immer nur Freunde. Trotz seiner sehr lebensbejahenden Art hat er auch einige düstere Ecken in seinem Herzen, die nur langsam aufgedeckt werden, und die ihn aber umso attraktiver wirken lassen. Ein tolles Gespann hat Meredith Duran da kreiert.
Der Plot an sich ist wahrscheinlich nichts Besonderes, die Hintergrundgeschichte hat etwas leicht Detektivisches, was mich aber nicht sooo sehr interessiert hat. Vielmehr hat mich die sich langsam entwickelnde Beziehung zwischen den beiden Hauptpersonen vor diesem Hintergrund gefesselt, so dass sich das Buch für mich zu einem wahren Pageturner entwickelt hat. Da stört es nicht weiter, dass die Auflösung des Plots relativ einfach war, zumindest mich nicht. Dass das Setting für mich als großer England- und Historienfan genau das richtige ist, muss ich wohl nicht noch näher erläutern, oder? London, 19. Jahrhundert, gehobene Gesellschaft - PERFEKT!
Das Buch ist abwechselnd aus James' und Lydias Perspektive geschrieben, und auch die erotischen Szenen, die darin vorkommen, werden mal aus männlicher und mal aus weiblicher Sicht geschildert, was ich sehr erfrischend fand, besonders die unterschiedlichen Wahrnehmungen der beiden ihres Gegenübers. Der Schreibstil ist blumig und üppig, so wie es sich auch für einen solchen Roman gehört, und lässt keine Klagen zu. Einzig der abrupte Perspektiv- und/oder Settingwechsel innerhalb mancher Kapitel, der nicht immer durch einen Absatz, der groß genug ist, angekündigt wurde, ließ mich manchmal stutzen. Allerdings bin ich mir nicht sicher, inwiefern es sich dabei um einen Fehler bei der Übersetzung, beim Druck oder wirklich beim Original handelt. Zudem war diese Verwirrung meist sehr schnell wieder verflogen, und ich konnte das Buch genussvoll weiterschmökern.
Für mich war dieser Ausflug in ein neues Genre äußerst erfolgreich. Die Geschichte um Lydia und James ist witzig, anrührend, spannend und so gar nicht das, was man gern mit diesem Genre in Verbindung bringt. Ein Buch, was durch Setting, Schreibstil und Charaktere auf ganzer Linie überzeugt!