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Einfach zu umschreiben, schwer zu definieren: Volker Leppin legt eine Geschichte der christlichen Mystik vor, sorgt dabei aber nicht für klare Konturen.
Ruhen" ist ein vieldeutiger Begriff. Vom "sich ausruhen" über das "sich nicht aus der Ruhe bringen lassen" bis hin zur "Grabesruhe" bezeichnet es ganz unterschiedliche Momente. Was also meint "Ruhen in Gott"? Und inwiefern handelt es sich dabei um einen passenden Titel für eine "Geschichte der christlichen Mystik"? Wer in Volker Leppins Ausführungen eine systematische Antwort auf diese Fragen sucht, wird keine finden - auch nicht im Anfangskapitel, das versucht, dem Begriff von Mystik näher auf die Spur zu kommen. Dort wird lediglich am Schluss behauptet, das Ruhen in Gott sei "das hohe, letzte Ziel christlicher Existenz".
Dabei hätte es zahlreiche Möglichkeiten gegeben, die Zusammenhänge zu entfalten, denn die Ruhe im Sinne von innerem Frieden, Stille, Schlaf/Traum, Entspannung und Gelassenheit spielt in der Tat in der Mystik eine gewichtige Rolle - allerdings nicht nur eine positive. Sie birgt nämlich stets auch die Gefahr in sich, zu völliger Passivität zu führen, was bereits innerhalb der Mystik kritisch gesehen wurde. Ein daraus hervorgehender Quietismus wurde folglich immer wieder zum Stein des Anstoßes. Erklärungsbedürftig ist der Begriff des Ruhens auch im Hinblick auf das Unruhepotential der Mystik, die immer wieder betont, dass Gott unbegreiflich bleibt und sich einer vorschnellen Vereinnahmung entzieht. Daraus resultiert für den Mystiker eine permanente Suchbewegung, zu deren Erfahrungen - gerade fern eines Ruhens in Gott - auch die der schmerzhaften Gottesferne zählt.
Der Mangel an Systematik ist wohl dem Umstand geschuldet, dass Leppin für seine Geschichte der christlichen Mystik eine streng historisch-chronologische Darstellungsweise wählt. Das ist angenehm zu lesen und bietet eine Fülle an Informationen, die durch die Zitationen einschlägiger Textpassagen, Bildtafeln sowie einen Anmerkungsteil samt Literaturverzeichnis und Personenregister ergänzt werden. Dennoch stellt sich beim Lesen eine gewisse Monotonie ein, weil sich im Grunde alles ständig wiederholt. So plätschert die weitgespannte Darstellung von den biblischen Anfängen bis heute ohne Tiefen und Spitzen vor sich hin und lässt den systematisch interessierten Leser ratlos zurück. Kurz gesagt: In Leppins Sicht ist irgendwie alles, was um die spirituelle Begegnung von Gott und Mensch kreist, Mystik. Damit bleibt das, worin sich Mystik von Frömmigkeit unterscheidet, jedoch völlig vage.
Dieser Umstand hat selbstverständlich mit dem schwer greifbaren Phänomen Mystik zu tun, von der zu Recht klargestellt wird, dass sie sich "eher umschreiben als hart definieren" lässt. Aber ein Anfänger auf diesem Gebiet ist Leppin nicht. 2007 legte er ein Bändchen zur christlichen Mystik vor, 2016 folgte "Die fremde Reformation: Luthers mystische Wurzeln". (Vieles aus diesen beiden Schriften findet sich übrigens in der nun vorgelegten Geschichte wieder.) Um dem Problem der Nichtdefinierbarkeit gerecht zu werden, formuliert die Einleitung acht Merkmale von Mystik und rüstet den Leser damit vorzüglich aus. Das Problem ist jedoch, dass die historische Darstellung der vielen konkreten Positionen zu wenig auf diese Merkmale zurückgreift beziehungsweise sie nicht als Kriterien von Mystik aufrechterhält. Dies führt dazu, dass das Profil und die Besonderheiten der Mystik mehr und mehr verschwimmen. Das Resultat ist eine Erzählung, in der das eine Modell sich kaum noch vom anderen unterscheidet und letztendlich überall "mystische Motive" und "Anklänge" ausfindig gemacht werden.
Dies gilt zum Beispiel für das erste Merkmal: In der Mystik wird vorausgesetzt, dass der geistigen Wirklichkeit Gottes der geistbegabte Mensch entspricht, das heißt, dass eine wesentliche und im Verhältnis von Urbild und Abbild gedachte Relation zwischen Gott und Mensch besteht, die die (teils auch wesentlich gedachte) Einung beider ermöglicht. Dies wiederum führt zu einer Betonung der Erfahrung des Göttlichen, die sich in Gestalt des Verstehens beziehungsweise Reflektierens ausdrückt und damit in einer gewissen Spannung zu rein affektiven Modellen der Gotteserfahrung und erst recht zu einer Entrückungs- oder Passionsmystik steht.
Diese Trennlinien werden in der Darstellung Leppins nivelliert. Dabei gibt es im sogenannten Mystikerstreit des fünfzehnten Jahrhunderts um die rechte Auslegung des Pseudo-Dionysius dafür sogar eine historische Begebenheit: Die damals diskutierte Streitfrage war, ob Gott eher intellektuell oder affektiv zu erfassen sei. Leppin behandelt diese Kontroverse nicht, und so entgeht ihm leider auch, dass der daran beteiligte Nikolaus von Kues 1453 mit "De visione Dei" ein Hauptwerk der mystischen Literatur geschaffen hat.
Auch das zweite Merkmal, die unio mystica, das heißt die Erfahrung der unmittelbaren Nähe Gottes in einer Einswerdung von Gott und Seele, wird nicht konstant weiterverfolgt und zur Unterscheidung mystischer Positionen herangezogen. Zwar ist es richtig, dass "eine Fixierung mystischer Konzepte auf eine solche unio, noch dazu im Sinne einer wesenhaften Einung", zu beschränkend wirken würde. Dennoch handelt es sich dabei um ein signifikantes Merkmal, das gebührend berücksichtigt werden sollte.
Leppins Darstellung der Gottesgeburt in der Seele bei Meister Eckhart versäumt es völlig, diese spekulativen Zusammenhänge darzulegen. Grund dafür mag auch eine gewisse Ablehnung der Philosophie sein, die bei Leppin immer wieder durchschimmert und sich darin äußert, dass er philosophische Einflüsse auf die Mystik von Seiten des Neuplatonismus zwar zugesteht, sie aber eher als Konkurrenz zur Theologie und nicht als deren eigenes Anliegen ansieht. Damit versperrt er sich jedoch den Zugang zu tieferen Dimensionen mystischen Denkens, in denen Theologie und Philosophie nicht einfach gegeneinander ausgespielt werden können.
Leppins Zurückhaltung in Bezug auf die unio mystica mag jedoch auch mit seinem Menschenbild zu tun haben. Er wird nicht müde, die Sündhaftigkeit des Menschen zu betonen. Das ist im Kontext der Mystik irritierend. Es mag mystische Modelle, insbesondere nachmittelalterliche, geben, die diese menschliche Verfassung in den Vordergrund stellen und damit den Weg der "Reinigung" begründen, den jeder Mensch vor der Begegnung mit Gott zu gehen hat. In den mittelalterlichen mystischen Modellen erklärt sich die Nichtigkeit des Menschen nur aus der ungeheuren Diskrepanz zwischen Schöpfer und Geschöpf - und dabei geht es nicht um moralische Kategorien. Am Anfang des Weges zu Gott steht demnach nicht die zu überwindende Sündhaftigkeit, sondern die Selbsterkenntnis in Gestalt der Einsicht in die eigene Kreatürlichkeit. Sie ist es freilich auch, die - wie oben angedeutet - die Einsicht in die Gottebenbildlichkeit des Menschen ermöglicht.
In Verkennung dieser Zusammenhänge gelingt es Leppin nicht, die Pointe einer wesenhaft gedachten unio mystica herauszuarbeiten. Das kulminiert in der verstörenden Bemerkung, die sexuell konnotierte liebevolle Vereinigung von Gott und Seele im Bett der minne, die Mechthild von Magdeburg im "Fließenden Licht der Gottheit" als Einswerdung beider Naturen beschreibt, wirke "wie eine Vergewaltigung durch den männlichen Part". Ein drastisches Missverständnis. Als Geschichte der christlichen Frömmigkeit oder Spiritualität bietet Leppins Darstellung zweifellos eine Fülle interessanter Einsichten. Aber als Geschichte der Mystik bleibt sie zu konturlos. ISABELLA MANDRELLA
Volker Leppin: "Ruhen in Gott". Eine Geschichte der christlichen Mystik.
Verlag C. H. Beck, München 2021. 476 S., Abb., geb., 32,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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