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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Ein Terroranschlag zerreißt das Leben eines jüdisch-orthodoxen Jungen
„Alles begann an Tu B’Av, an einem der etwas merkwürdigeren jüdischen Feiertage.“ Was genau da gefeiert wird, weiß nicht mal der Jeschiva-Schüler Hoodie Rosen. Ein Musterschüler ist er ohnehin nicht, dass er weit aus seinem bisherigen Leben ausscheren könnte, ahnt er allerdings nicht. Seine Familie ist orthodox, die Rosens sind streng praktizierende Juden, vor Kurzem sind sie mit ihrer Gemeinde in die US-amerikanische Kleinstadt Tregaron gezogen. Hoodie paukt den Talmud und schlägt sich zu Hause mit seinen vielen Schwestern herum. „Du hast dir meine Familie vielleicht im Geiste vorgestellt. Wenn du dich an stark übertriebenen orthodoxen Stereotypen orientierst, dann liegst du goldrichtig“, kommentiert er und erweist sich als überaus witziger, souveräner Erzähler, der Zuschreibungen, indem er sie stets überbietet, zugleich hinterfragt, und eigentlich nichts so richtig ernst nimmt. Bis es ernst wird.
Denn Tregaron lehnt die jüdische Gemeinde ab. Die Bürgermeisterin blockiert den Bau neuer Wohnungen, Protestschilder säumen artig getrimmte Vorgärten, schließlich werden auf dem Friedhof jüdische Grabsteine geschändet. „Geht nach Hause, Juden“ steht da. Darüber ist ein Hakenkreuz gepinselt. Es ist das erste Mal, dass Hoodie Antisemitismus mit eigenen Augen sieht. Und es wird der Augenblick, in dem er sich endgültig bis über beide Ohren verliebt. Bis dahin hat er bereits zahllose jüdische Gesetze gebrochen, hat Anna-Marie kennengelernt und sich mit ihr getroffen, obwohl sie nicht jüdisch ist. Dass Anna-Marie die Tochter der Bürgermeisterin ist, macht die Sache nicht besser. Die beiden werden zusammen die Schmierereien entfernen. Für Hoodie ist das eine gute Tat – für seine Familie, seine Gemeinde ist es Verrat. Aber was ist falsch daran, etwas Schlechtes zu beheben? Was ist falsch daran, sich zu verlieben?
Doch Hoodie ist nicht naiv. Er ist nur jung und lebendig. Dass es immer auch die „sitra achra“, die andere Seite gibt, weiß er. Dann trifft im harmlosen Fall Klapphandy (von Hoodie) auf Smartphone (von Anna-Marie), dann reden die beiden munter aneinander vorbei – mit Slapstick-Qualität. Wie komisch-komödiantisch es sein kann, wenn jüdisch-orthodoxes Leben auf moderne Welt trifft, hat zuletzt die Serie „Shtisel“ über eine Jerusalemer Familie vorgemacht. Das Memoir „Unorthodox“ von Deborah Feldman beschrieb einen Freiheitskampf. Isaac Blum hat mit seinem Debüt nun eigene Maßstäbe gesetzt.
Er lässt Extreme aufeinandertreffen und entwickelt daraus viel Situationskomik, reißt aber auch die Fenster zu einem neuen Bild seiner Gemeinschaft weit auf. Weil er einen Adoleszenzroman geschrieben hat, steht jugendlicher Freiheitsdrang grundsätzlich jeder Engstirnigkeit entgegen: der religiösen, der weltlichen, der zwischen den Generationen. Und weil der Autor „sitra achra“ als Ausgangspunkt allen Denkens beibehält, entsteht sogar so etwas wie Versöhnung.
Die behält der Autor auch dann im Blick, als sich der Konflikt zuspitzt, als Hoodie von der Gemeinde abgestraft wird und eine Katastrophe passiert. Isaac Blum verarbeitet den Anschlag auf einen Supermarkt in Jersey City im Jahr 2019. Vor allem meldet sich mit ihm und seinem Helden Hoodie Rosen eine eigenwillige Stimme zu Wort. Auf der Suche nach einer neuen Position, einem individuellen Lebensentwurf bricht sie, wenn nötig, Tabus, um die Vereinbarkeit vieler Gegensätze zu zeigen. Am Ende dieses beeindruckenden Romans ist das ein Anfang.
CHRISTINE KNÖDLER
Isaac Blum: Ruhm und Verbrechen des Hoodie Rosen. Beltz 2019. 224 S., 15 Euro. Ab 14 Jahren.
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