Krimibestenliste Juni 2018!Douglas E. Winters wahnwitziger Höllenritt RUN - SEIN LETZTER DEAL ist eine Verbeugung vor den Cop-Thrillern der 80er- und 90er Jahre und dem Actionkino eines John Woo.Ein illegaler Waffendeal.Ein Attentat.Und ein Bauernopfer, das zwischen alle Fronten gerät."RUN ist jeder Hinsicht originell und eine meisterhafte Neuinterpretation eines Krimi-Thrillers." [Peter Straub]Burdon Lane lebt den Amerikanischen Traum. Sein Job ist es, regelmäßig Waffen dorthin zu liefern, wo sie gebraucht werden – in jene amerikanischen Problemviertel, in denen sich die Bewohner mit besonderer Regelmäßigkeit gegenseitig erschießen und wo die Behörden gern eine Auge zudrücken. Ziel seiner jüngsten Lieferung ist es, zwei verfeindete Straßengangs in Harlem zu bewaffnen. Das System ist erprobt und todsicher. Was Burdon jedoch nicht weiß: Die Regierung hat bei diesem Deal ihre Hände im Spiel. Und was die Behörden nicht wissen: Der Deal ist nur ein Vorwand für einen weitaus perfideren Plan.Als der Deal platzt, bricht die Hölle los. Plötzlich erschießen die Waffenhändler ihre eigenen Leute, die Cops scheinen keine echten Cops zu sein, und als sich der Pulverdampf verzieht, ist Burdon Lane plötzlich auf der Flucht – vor seinen Auftraggebern, den Feds, und so ziemlich jedem Cop entlang der Ostküste. Mit zwei Millionen Dollar, einem ungewöhnlichen Verbündeten, und jeder Menge Waffen."Ein einzigartiger Roman, der das Hard-Boiled-Genre meilenweit hinter sich lässt … Winters gekonnter Erzählstil schafft ein unnachgiebiges Tempo, ergänzt von einem zielsicheren Gespür für Waffenfetischismus und Popkultur. Als das Debüt des Jahres hat dieses Buch alle Zutaten, ein künftiger Klassiker zu werden." [The Guardian]"Brillant ausgearbeitet … allein das schiere Tempo von Douglas E. Winters Roman RUN ist atemberaubend. Eine aussergewöhnliche Leistung." [Clive Barker]
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2018Rache ist doch eine einfache Sache
Douglas E. Winter zeigt in "Run", wie verlottert die Kriminalität heutzutage ist
Vielen Krimiautoren gelingt es, den immer gleichen Zinnober immer anders aufzuschreiben und enorm erfolgreich damit zu sein. Donna Leons Brunetti-Romane stehen genauso für diese spezielle Form der Könnerschaft wie Henning Mankells Wallander-Reihe. Das Gegenteil von derart atemlos produzierter Dutzendware ist Douglas E. Winters Thriller "Run". Zum einen handelt es sich um einen Erstling, dem bis heute kein zweiter Roman gefolgt ist, zum anderen kentert er nicht im Schlick ästhetischer Verspießerung. Außerdem sind Autor und Werk weitgehend unbekannt und, durchaus symptomatisch, erst mit der kleinen Verspätung von achtzehn Jahren auf dem deutschen Markt angekommen.
Winter, 1950 im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten geboren, hat sich einen Helden ausgedacht, der all das verkörpert, was den krähwinkligen Erfolgskrimi gerade nicht kennzeichnet. Denn dieser Held namens Burdon Lane handelt illegal mit Waffen, die er uns wie Fetischobjekte vorstellt und gehörig anpreist. Er ist ein Pragmatiker, der in dem Moment, da er die eigene Exekution für unvermeidlich hält, seinem Gegenspieler ins Gesicht gähnt. Und er sagt Dinge wie: "Wenn Sie es noch nicht selber herausgefunden haben, sollten Sie spätestens jetzt wissen, dass ich keiner von den Guten bin." Oder: "Die Leute sagen immer, dass Gewalt keine Probleme löst, aber da liegen sie falsch." Oder: "Im Grunde ist es einfach, und darum geht es bei Rache eigentlich immer. Um eine einfache Sache. Sich das zurückholen, was einem rechtmäßig zusteht."
Rache als Akt der Wiederherstellung einer verlorenen Ordnung: Das ist archaisch und unkompliziert gedacht. Folgerichtig versorgt uns Lane mit gediegener Unterweltfolklore und erörtert, warum die Zeit der großen New Yorker Mafia-Familien so übel nicht gewesen ist. Damals habe man Geschäftssinn bewiesen und sich an Ehren- und Schweigekodizes gehalten, heute verlottere sogar die Kriminalität - den Jamaikanern, Kubanern und Kolumbianern sei Dank. Hans Magnus Enzensbergers Beurteilung der Verbrecher um Al Capone gilt auch für Burdon Lane: Mit dem Gangster "wandert ins Allerneueste das barbarisch Alte ein".
Und barbarisch geht es in "Run" die meiste Zeit zu. Ausgangspunkt des Spektakels ist ein Waffendeal mit einer New Yorker Straßengang. Lane spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle, denn sein Boss führt Regie, während die Kollegen die Drecksarbeit erledigen. Als jedoch mittendrin ein afroamerikanischer Bürgerrechtler erschossen wird, entsteht ein von eskalierender Gewalt befeuerter Mahlstrom, der das ganze Personal mitreißt. Lane, so viel ist bald klar, wurde als Kollateralleiche eingeplant. Wer Näheres wissen will, halte sich an seine Mutter, die eine passionierte Leserin war: "Es gibt immer eine nächste Seite, ein weiteres Kapitel, eine weitere Geschichte." "Run" steckt voller Geschichten über Rassismus, Waffen, Verrat und Rache. Ihr gemeinsamer Fluchtpunkt ist die Ruchlosigkeit.
Der Autor öffnet den Blick auf eine Gewalt-Arena, in der die kämpfenden Figuren sich nicht mit dem notwendigen Maß an Aggression zufriedengeben, sondern immer den Überschuss anpeilen. Auf diese Weise wird der dargebotene Exzess zum rhythmisierenden Ornament, ohne dabei seine handlungsmotivierende Funktion einzubüßen. Das Finale etwa ist vordergründig ein einziges Gemetzel, tatsächlich jedoch eine zeremonielle Gewalt-Oper mit exakt komponierten Bewegungsabläufen und Schusswechseln. Der Philosoph Martin Seel sagt, die Kunst bestehe darin, "die gewohnten, geläufigen, eingeschliffenen und darum harmlosen Darstellungen von Gewalt zu durchkreuzen". Winter schafft das mühelos, Gewalt ist in "Run" stets zur Kenntlichkeit entstellt.
In dem ständig neu orchestrierten Tumult aus sich verschiebenden Frontlinien zwischen Freunden und Feinden, aus Verrohung und einem zuweilen aufblitzenden Quantum Menschlichkeit versäumt Lane es nicht, uns eines wissen zu lassen: "Ich lebe den amerikanischen Traum." Andauernd haut er solche bündigen Statements raus, die gut als Taktgeber funktionieren.
Im Original wohlgemerkt. Der Übersetzer Peter Mehler hat zwar sein Bestes gegeben, aber den lakonischen Sound des Romans nicht richtig zu fassen gekriegt. Aus "Success or six feet" wird "Entweder ich habe Glück oder sehe mir die Radieschen von unten an." Dennoch ist "Run" auch auf Deutsch immer noch so gut, wie es all die Konfektionsgeschichten um piefige Ermittler à la Brunetti nie sein könnten.
KAI SPANKE
Douglas E. Winter: "Run".
Thriller.
Aus dem Englischen von Peter Mehler.
Luzifer Verlag, Bochum 2018. 434 S., br., 13,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Douglas E. Winter zeigt in "Run", wie verlottert die Kriminalität heutzutage ist
Vielen Krimiautoren gelingt es, den immer gleichen Zinnober immer anders aufzuschreiben und enorm erfolgreich damit zu sein. Donna Leons Brunetti-Romane stehen genauso für diese spezielle Form der Könnerschaft wie Henning Mankells Wallander-Reihe. Das Gegenteil von derart atemlos produzierter Dutzendware ist Douglas E. Winters Thriller "Run". Zum einen handelt es sich um einen Erstling, dem bis heute kein zweiter Roman gefolgt ist, zum anderen kentert er nicht im Schlick ästhetischer Verspießerung. Außerdem sind Autor und Werk weitgehend unbekannt und, durchaus symptomatisch, erst mit der kleinen Verspätung von achtzehn Jahren auf dem deutschen Markt angekommen.
Winter, 1950 im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten geboren, hat sich einen Helden ausgedacht, der all das verkörpert, was den krähwinkligen Erfolgskrimi gerade nicht kennzeichnet. Denn dieser Held namens Burdon Lane handelt illegal mit Waffen, die er uns wie Fetischobjekte vorstellt und gehörig anpreist. Er ist ein Pragmatiker, der in dem Moment, da er die eigene Exekution für unvermeidlich hält, seinem Gegenspieler ins Gesicht gähnt. Und er sagt Dinge wie: "Wenn Sie es noch nicht selber herausgefunden haben, sollten Sie spätestens jetzt wissen, dass ich keiner von den Guten bin." Oder: "Die Leute sagen immer, dass Gewalt keine Probleme löst, aber da liegen sie falsch." Oder: "Im Grunde ist es einfach, und darum geht es bei Rache eigentlich immer. Um eine einfache Sache. Sich das zurückholen, was einem rechtmäßig zusteht."
Rache als Akt der Wiederherstellung einer verlorenen Ordnung: Das ist archaisch und unkompliziert gedacht. Folgerichtig versorgt uns Lane mit gediegener Unterweltfolklore und erörtert, warum die Zeit der großen New Yorker Mafia-Familien so übel nicht gewesen ist. Damals habe man Geschäftssinn bewiesen und sich an Ehren- und Schweigekodizes gehalten, heute verlottere sogar die Kriminalität - den Jamaikanern, Kubanern und Kolumbianern sei Dank. Hans Magnus Enzensbergers Beurteilung der Verbrecher um Al Capone gilt auch für Burdon Lane: Mit dem Gangster "wandert ins Allerneueste das barbarisch Alte ein".
Und barbarisch geht es in "Run" die meiste Zeit zu. Ausgangspunkt des Spektakels ist ein Waffendeal mit einer New Yorker Straßengang. Lane spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle, denn sein Boss führt Regie, während die Kollegen die Drecksarbeit erledigen. Als jedoch mittendrin ein afroamerikanischer Bürgerrechtler erschossen wird, entsteht ein von eskalierender Gewalt befeuerter Mahlstrom, der das ganze Personal mitreißt. Lane, so viel ist bald klar, wurde als Kollateralleiche eingeplant. Wer Näheres wissen will, halte sich an seine Mutter, die eine passionierte Leserin war: "Es gibt immer eine nächste Seite, ein weiteres Kapitel, eine weitere Geschichte." "Run" steckt voller Geschichten über Rassismus, Waffen, Verrat und Rache. Ihr gemeinsamer Fluchtpunkt ist die Ruchlosigkeit.
Der Autor öffnet den Blick auf eine Gewalt-Arena, in der die kämpfenden Figuren sich nicht mit dem notwendigen Maß an Aggression zufriedengeben, sondern immer den Überschuss anpeilen. Auf diese Weise wird der dargebotene Exzess zum rhythmisierenden Ornament, ohne dabei seine handlungsmotivierende Funktion einzubüßen. Das Finale etwa ist vordergründig ein einziges Gemetzel, tatsächlich jedoch eine zeremonielle Gewalt-Oper mit exakt komponierten Bewegungsabläufen und Schusswechseln. Der Philosoph Martin Seel sagt, die Kunst bestehe darin, "die gewohnten, geläufigen, eingeschliffenen und darum harmlosen Darstellungen von Gewalt zu durchkreuzen". Winter schafft das mühelos, Gewalt ist in "Run" stets zur Kenntlichkeit entstellt.
In dem ständig neu orchestrierten Tumult aus sich verschiebenden Frontlinien zwischen Freunden und Feinden, aus Verrohung und einem zuweilen aufblitzenden Quantum Menschlichkeit versäumt Lane es nicht, uns eines wissen zu lassen: "Ich lebe den amerikanischen Traum." Andauernd haut er solche bündigen Statements raus, die gut als Taktgeber funktionieren.
Im Original wohlgemerkt. Der Übersetzer Peter Mehler hat zwar sein Bestes gegeben, aber den lakonischen Sound des Romans nicht richtig zu fassen gekriegt. Aus "Success or six feet" wird "Entweder ich habe Glück oder sehe mir die Radieschen von unten an." Dennoch ist "Run" auch auf Deutsch immer noch so gut, wie es all die Konfektionsgeschichten um piefige Ermittler à la Brunetti nie sein könnten.
KAI SPANKE
Douglas E. Winter: "Run".
Thriller.
Aus dem Englischen von Peter Mehler.
Luzifer Verlag, Bochum 2018. 434 S., br., 13,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Kai Spanke lernt von Douglas E. Winter, dass ein Krimi auch anders funktionieren kann als die Konfektionsware von Donna Leon oder Henning Mankell. "Run" erzählt von einem Gangster, der nach einem verpatzten Waffendeal, bei dem ein schwarzer Bürgerrechtler erschossen wurde, um sein Leben bangen muss. Spanke muss zwar schwer schlucken, wenn ihm Winter den ungefilterten Blick auf die Gewalt eröffnet, auf Verrohung, Ruchlosigkeit und Rassismus. Doch er sieht bisweilen auch "ein Quantum Menschlichkeit" aufscheinen, so dass er der Unterwelt-Geschichte mit angehaltenem Atem folgt und auch gern verzeiht, dass die Übersetzung mit der Lakonie des Originals nicht mithalten kann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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