Er kam Anfang der neunziger Jahre von Moskau nach Berlin, als Teil einer Welle jüdischer Emigranten. Im ehemaligen Ostberlin besetzte er eine der vielen leerstehenden Wohnungen und machte erste Bekanntschaft mit Lebenskünstlern jeglicher Couleur, die in Scharen aus dem Westteil der Stadt herüberströmten und die Gegenden rund um den Alexanderplatz oder Prenzlauer Berg bald fest im Griff hatten.
Das Berlin, das Kaminer vorfand, faszinierte ihn von Anfang an: eine Stadt im Aufbruch, voller Energie, Bewegung und mit einer Atmosphäre, die zum Geschichtenerzählen anregt. Ob Griechen, die Italienisch sprechen müssen, weil sie eine Pizzeria besitzen, ob russischer Telefonsex oder die steile Karriere eines Studenten aus der Ukraine vom Tellerwäscher eines Krokodil-Steakhauses zum "Manager" eines Kürbiskern-Stands auf dem Winterfeldmarkt, Kaminer versteht es meisterhaft, seinen Figuren mit Charme und unverwechselbarem Humor ein kleines Denkmal zu errichten.
Das Berlin, das Kaminer vorfand, faszinierte ihn von Anfang an: eine Stadt im Aufbruch, voller Energie, Bewegung und mit einer Atmosphäre, die zum Geschichtenerzählen anregt. Ob Griechen, die Italienisch sprechen müssen, weil sie eine Pizzeria besitzen, ob russischer Telefonsex oder die steile Karriere eines Studenten aus der Ukraine vom Tellerwäscher eines Krokodil-Steakhauses zum "Manager" eines Kürbiskern-Stands auf dem Winterfeldmarkt, Kaminer versteht es meisterhaft, seinen Figuren mit Charme und unverwechselbarem Humor ein kleines Denkmal zu errichten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2000Verwegen kurvt ein Russe durch Berlin
Wladimir Kaminer tröstet / Von Alexander Honold
Satt und sinnlich prangt der Rote Stern vor nachtblauem Grund. Die Fingerkuppen ertasten seine Glätte und minimale Erhabenheit auf dem Einbandpapier. Ein schönes Buch. Mit schwarzer Lederjacke und dunklen, tiefernst heruntergezogenen Augenbrauen gewappnet, blickt Wladimir Kaminer seinen Lesern entgegen. Der Mann, der da frech und ungeniert den exportfähigen postsowjetischen Russen-Schick bedient, ist längst kein Szene-Geheimtip mehr. Seine an verschiedenen Orten erschienenen Geschichten und Glossen sind jetzt zu einem Buch geworden, das auch Orts- und Milieufremden, je ferner, desto glänzender, das neue Berlin und seine quirligen Lebenskünstler leuchten läßt.
Dieser Wladimir Kaminer muß ein glücklicher Mensch sein. Da gab es einmal eine winzige Lücke im Weltlauf der Regelungen und Besitzstandswahrungen, und er hat sie gefunden. In jener Zeit, als der DDR durch das rapide Dahinschwinden ihrer staatlichen Ordnungskräfte das Kunststück gelang, auf ihre letzten Tage fast noch beliebt zu werden, bot sich für russische Juden die Chance zur Übersiedlung nach Ost-Berlin. Das Häuflein der Kurzentschlossenen, unter denen sich Kaminer befand, absolvierte den Spießrutenlauf durch die Ausländerbehörden in rekordverdächtigem Slalomstil. Die deutsche Einheit im Oktober 1990, nach zehn langen Jahren ein Anlaß gequälter Feierlichkeit, war für manchen Zugereisten tatsächlich eine Sternstunde, der Beginn einer temporeichen, wunderbaren Gründerzeit. Für die Underdogs und Außenseiter der deutschen Hauptstadt ist es die Zeit halsbrecherischer Improvisationen, in denen niemand bleibt, was er war, und keiner macht, was er gelernt hat. Bulgaren eröffnen türkische Kebabstände, in der Sushibar auf der Oranienburger Straße bedient ein Mädchen aus Burjatien. Die Russen lassen sich beschneiden, nehmen Fahrstunden oder lernen ihren "ersten Franzosen" kennen. Folklore statt Integration.
Wer mit so gut wie nichts in Deutschland ankommt, fällt, wenn wir Kaminers Geschichten glauben, durchaus nicht ins Bodenlose. Er (erst recht aber "sie") muß seine Haut nur zu ungünstigerem Kurs verkaufen als andere. Nicht fehlen dürfen die Stichworte Russenmafia und Rotlicht, die uns bei Kaminer wie wehmütig begrüßte alte Bekannte erwarten. Einer auf dem Gebiet des russischen Telefonsex in Berlin tätigen Dame legt Kaminer die etwas konstruiert wirkende Stöhnfloskel in den Mund: "Mach deine Hose auf, wir nostalgieren zusammen." In der Geschichte "Nur die Liebe sprengt die Welt" erzählt er von einer Bekannten aus Weißrußland, die in einem Berliner Bordell arbeitet und voller Verzweiflung einen Freier aus Spandau heiratet. Nicht etwa, damit er sie aus dem finsteren Schuppen heraushole, wie wir romantischerweise vermuten könnten, sondern weil das Bordell leider bankrott geht.
In Kaminers Miniaturen setzt der knapp und trocken gehaltene Erzählton beim Lesen eine sofort lösliche Komik frei. Sie verdankt sich hauptsächlich den skurrilen Lebensbedingungen jener "displaced persons", von denen Berlin nur so zu wimmeln scheint. Auf wen auch immer Kaminers Blick trifft, stets sind es die Falschen am richtigen Platz oder umgekehrt. Der russische Archäologe, der sich als Schneider durchschlägt: nun ja, eben ein Emigrantenschicksal. Aber auch die smarte deutsche Anlageberaterin und der korrekte Mann vom Arbeitsamt sind nicht mehr dieselben, wenn ihnen Kaminer im Tanztheater und in der Schwulenbar wiederbegegnet.
Woraus keine anderen Schlüsse zu ziehen sind als der, es nicht so genau zu nehmen. Auch dann nicht, wenn der Protagonist die Chronik seiner Erfolge ausbreitet. Mühelos findet er eine Wohnung am Prenzlauer Berg, kann ohne Störfeuer der Bürokratie seine Eltern nachholen und lernt seine spätere Frau kennen. Das milde Klima und angenehme Leben seiner Wahlheimat lassen ihm Berlin als einen "Kurort" erscheinen. Sollte der Held der Russendisko es wagen, die Stadt, die ihn ans Herz drückt, am Ende zu verhöhnen? Er geht mit ihren deutschen Bewohnern nicht spöttischer um als mit seinen lieben Landsleuten. Auf der Insel Sachalin beispielsweise, von wo seine Frau stammt, gibt es nur zwei Jahreszeiten. Dort freuen sich die Menschen auf den Herbst, mit dem Ende Juli eine kurzzeitige Schneeschmelze einsetzt. Dieses schmale Fleckchen Sommer, mit dem die genügsamen Familien der Erdölarbeiter auskommen müssen, ausgerechnet "Herbst" zu nennen, mag zwar meteorologisch korrekt sein - psychologisch gesehen aber ist es schlechterdings infam.
Auf Beschönigungen zu verzichten, um noch die schlimmste Wendung der Dinge für die Komik einzuspannen: darin liegt das Betriebsgeheimnis von Kaminers Geschichten. Der Mann, von dem sie erzählen, hat wirklich Glück. Während seine russischen Freunde binnen kurzer Zeit die teuersten Autos fahren, mehrere Lebensmittelgeschäfte betreiben oder längst den Sprung nach Amerika geschafft haben, muß er sich weiterhin als Statist in Jean-Jacques Annauds Stalingrad-Film und mit anderen Gelegenheitsjobs durchschlagen. Sein Einbürgerungsantrag fällt mitsamt handgeschriebenem Lebenslauf und Auskünften des Antragstellers über sein Verhältnis zu Deutschland in eine schlammgefüllte Baugrube - so wird er jedenfalls nicht abgelehnt. Die weniger amtlichen Bekenntnisse des Autors haben das bessere Ende für sich.
Wladimir Kaminer: "Russendisko". Erzählungen. Goldmann Verlag, München 2000. 192 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wladimir Kaminer tröstet / Von Alexander Honold
Satt und sinnlich prangt der Rote Stern vor nachtblauem Grund. Die Fingerkuppen ertasten seine Glätte und minimale Erhabenheit auf dem Einbandpapier. Ein schönes Buch. Mit schwarzer Lederjacke und dunklen, tiefernst heruntergezogenen Augenbrauen gewappnet, blickt Wladimir Kaminer seinen Lesern entgegen. Der Mann, der da frech und ungeniert den exportfähigen postsowjetischen Russen-Schick bedient, ist längst kein Szene-Geheimtip mehr. Seine an verschiedenen Orten erschienenen Geschichten und Glossen sind jetzt zu einem Buch geworden, das auch Orts- und Milieufremden, je ferner, desto glänzender, das neue Berlin und seine quirligen Lebenskünstler leuchten läßt.
Dieser Wladimir Kaminer muß ein glücklicher Mensch sein. Da gab es einmal eine winzige Lücke im Weltlauf der Regelungen und Besitzstandswahrungen, und er hat sie gefunden. In jener Zeit, als der DDR durch das rapide Dahinschwinden ihrer staatlichen Ordnungskräfte das Kunststück gelang, auf ihre letzten Tage fast noch beliebt zu werden, bot sich für russische Juden die Chance zur Übersiedlung nach Ost-Berlin. Das Häuflein der Kurzentschlossenen, unter denen sich Kaminer befand, absolvierte den Spießrutenlauf durch die Ausländerbehörden in rekordverdächtigem Slalomstil. Die deutsche Einheit im Oktober 1990, nach zehn langen Jahren ein Anlaß gequälter Feierlichkeit, war für manchen Zugereisten tatsächlich eine Sternstunde, der Beginn einer temporeichen, wunderbaren Gründerzeit. Für die Underdogs und Außenseiter der deutschen Hauptstadt ist es die Zeit halsbrecherischer Improvisationen, in denen niemand bleibt, was er war, und keiner macht, was er gelernt hat. Bulgaren eröffnen türkische Kebabstände, in der Sushibar auf der Oranienburger Straße bedient ein Mädchen aus Burjatien. Die Russen lassen sich beschneiden, nehmen Fahrstunden oder lernen ihren "ersten Franzosen" kennen. Folklore statt Integration.
Wer mit so gut wie nichts in Deutschland ankommt, fällt, wenn wir Kaminers Geschichten glauben, durchaus nicht ins Bodenlose. Er (erst recht aber "sie") muß seine Haut nur zu ungünstigerem Kurs verkaufen als andere. Nicht fehlen dürfen die Stichworte Russenmafia und Rotlicht, die uns bei Kaminer wie wehmütig begrüßte alte Bekannte erwarten. Einer auf dem Gebiet des russischen Telefonsex in Berlin tätigen Dame legt Kaminer die etwas konstruiert wirkende Stöhnfloskel in den Mund: "Mach deine Hose auf, wir nostalgieren zusammen." In der Geschichte "Nur die Liebe sprengt die Welt" erzählt er von einer Bekannten aus Weißrußland, die in einem Berliner Bordell arbeitet und voller Verzweiflung einen Freier aus Spandau heiratet. Nicht etwa, damit er sie aus dem finsteren Schuppen heraushole, wie wir romantischerweise vermuten könnten, sondern weil das Bordell leider bankrott geht.
In Kaminers Miniaturen setzt der knapp und trocken gehaltene Erzählton beim Lesen eine sofort lösliche Komik frei. Sie verdankt sich hauptsächlich den skurrilen Lebensbedingungen jener "displaced persons", von denen Berlin nur so zu wimmeln scheint. Auf wen auch immer Kaminers Blick trifft, stets sind es die Falschen am richtigen Platz oder umgekehrt. Der russische Archäologe, der sich als Schneider durchschlägt: nun ja, eben ein Emigrantenschicksal. Aber auch die smarte deutsche Anlageberaterin und der korrekte Mann vom Arbeitsamt sind nicht mehr dieselben, wenn ihnen Kaminer im Tanztheater und in der Schwulenbar wiederbegegnet.
Woraus keine anderen Schlüsse zu ziehen sind als der, es nicht so genau zu nehmen. Auch dann nicht, wenn der Protagonist die Chronik seiner Erfolge ausbreitet. Mühelos findet er eine Wohnung am Prenzlauer Berg, kann ohne Störfeuer der Bürokratie seine Eltern nachholen und lernt seine spätere Frau kennen. Das milde Klima und angenehme Leben seiner Wahlheimat lassen ihm Berlin als einen "Kurort" erscheinen. Sollte der Held der Russendisko es wagen, die Stadt, die ihn ans Herz drückt, am Ende zu verhöhnen? Er geht mit ihren deutschen Bewohnern nicht spöttischer um als mit seinen lieben Landsleuten. Auf der Insel Sachalin beispielsweise, von wo seine Frau stammt, gibt es nur zwei Jahreszeiten. Dort freuen sich die Menschen auf den Herbst, mit dem Ende Juli eine kurzzeitige Schneeschmelze einsetzt. Dieses schmale Fleckchen Sommer, mit dem die genügsamen Familien der Erdölarbeiter auskommen müssen, ausgerechnet "Herbst" zu nennen, mag zwar meteorologisch korrekt sein - psychologisch gesehen aber ist es schlechterdings infam.
Auf Beschönigungen zu verzichten, um noch die schlimmste Wendung der Dinge für die Komik einzuspannen: darin liegt das Betriebsgeheimnis von Kaminers Geschichten. Der Mann, von dem sie erzählen, hat wirklich Glück. Während seine russischen Freunde binnen kurzer Zeit die teuersten Autos fahren, mehrere Lebensmittelgeschäfte betreiben oder längst den Sprung nach Amerika geschafft haben, muß er sich weiterhin als Statist in Jean-Jacques Annauds Stalingrad-Film und mit anderen Gelegenheitsjobs durchschlagen. Sein Einbürgerungsantrag fällt mitsamt handgeschriebenem Lebenslauf und Auskünften des Antragstellers über sein Verhältnis zu Deutschland in eine schlammgefüllte Baugrube - so wird er jedenfalls nicht abgelehnt. Die weniger amtlichen Bekenntnisse des Autors haben das bessere Ende für sich.
Wladimir Kaminer: "Russendisko". Erzählungen. Goldmann Verlag, München 2000. 192 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Einwanderer-Geschichten aus Berlin
Auf nach Berlin! Wohin sonst hätte es sich für einen jungen Russen gelohnt, im Jahr 1990 auszureisen? Damals machte in Moskau ein Gerücht die Runde: Honecker, so hieß es, nimmt Juden aus der Sowjetunion auf. Wladimir Kaminer, damals 23 Jahre alt und Jude, kaufte sich eine Fahrkahrte nach Ostberlin und blieb. Bis heute. Inzwischen sieht er sich als Teil der fünften Welle von Emigraten oder - besser gesagt - Einwanderern, die aus Russland nach Deutschland kamen. In Russendisko, einer Sammlung von 50 Kurzgeschichten, berichtet der Neu-Berliner von seinen Erlebnissen als russischer Einwanderer und den Menschen, wie sie ihm in der neuen Hauptstadt Deutschlands täglich begegnen.
Ich bin ein Berliner
Kennedys berühmter Ausspruch - er könnte auch von Kaminer stammen. Schnell hat sich der junge Mann eingelebt. Sein Sprach-Lehrbuch Deutsches Deutsch zum Selberlernen wird zur Eintrittskarte in eine neue Welt, zu der auch und vor allem die deutsche Sprache gehört. Deutsches Deutsch - Kaminer versteht es und schreibt es - inzwischen sogar für die Feuilletons großer Zeitungen!
Russen, Vietnamesen, Latinos, Türken und Deutsche...
... viele Nationalitäten bevölkern Kaminers kleine, bunte Welt im großen Berlin, wo sich alles auf die Szene rund um den Prenzlauer Berg dreht. "Dort, wo ich herkomme, ist das Leben zum Leben ungeeinget. (...) Ganz anders hier, wo man unter Umständen mehrere Leben gleichzeitig führen kann, sein eigenes und das eines anderen", so Kaminer in Doppelleben in Berlin. Der ehemalige Professor, der in einem Kindergarten für neun Mark die Stunde jobbt, der Archäologe, der zum Flohmarkt-Händler und Schneider wird, sein Freund Wladimir, der an einer hochkarätigen Bildungsmaßnahme teilnimmt und anschließend einen mickrigen Imbiss eröffnet... fast endlos scheint die Liste der skurrilen und liebenswert-ironisch beschriebenen Charaktere. Das Doppelleben wird zu ihrer Überlebensstrategie, was auch für Kaminer gilt, der in der Berliner Szene mit seiner "Russendisko" für Furore sorgt.
Mit dem Blick eines Fremden der Wahrheit auf der Spur
"Im Deutschen ist `das junge Mädchen` geschlechtslos, `die Kartoffel` dagegen nicht. `Der Busen` ist männlich und alle Substantive fangen mit einem großen Buchstaben an", warnt die Selbstlern-Fibel Deutsches Deutsch zum Selberlernen. Kaminer hat sich davon nicht abschrecken lassen, im Gegenteil. Seine Kurzgeschichten sind mit dem Blick eines Fremden geschrieben, der unsere scheinbar vertraute Welt nicht als banale Selbstverständlichkeit betrachtet. Vieles, was uns darin seltsam-verrückt erscheint, ist wahr, man muss nur eine Geschichte daraus machen. (Birgit Kuhn)
"Man würde diese Geschichten unterschätzen, nähme man an ihnen nur das Skurrile wahr. Was an Ihnen so frappiert, ist außer dem genauen Blick ein geradezu erschütterndes Wohlwollen des Autors gegenüber seinen Figuren."
(Frankfurter Allgemeine Zeitung)
Auf nach Berlin! Wohin sonst hätte es sich für einen jungen Russen gelohnt, im Jahr 1990 auszureisen? Damals machte in Moskau ein Gerücht die Runde: Honecker, so hieß es, nimmt Juden aus der Sowjetunion auf. Wladimir Kaminer, damals 23 Jahre alt und Jude, kaufte sich eine Fahrkahrte nach Ostberlin und blieb. Bis heute. Inzwischen sieht er sich als Teil der fünften Welle von Emigraten oder - besser gesagt - Einwanderern, die aus Russland nach Deutschland kamen. In Russendisko, einer Sammlung von 50 Kurzgeschichten, berichtet der Neu-Berliner von seinen Erlebnissen als russischer Einwanderer und den Menschen, wie sie ihm in der neuen Hauptstadt Deutschlands täglich begegnen.
Ich bin ein Berliner
Kennedys berühmter Ausspruch - er könnte auch von Kaminer stammen. Schnell hat sich der junge Mann eingelebt. Sein Sprach-Lehrbuch Deutsches Deutsch zum Selberlernen wird zur Eintrittskarte in eine neue Welt, zu der auch und vor allem die deutsche Sprache gehört. Deutsches Deutsch - Kaminer versteht es und schreibt es - inzwischen sogar für die Feuilletons großer Zeitungen!
Russen, Vietnamesen, Latinos, Türken und Deutsche...
... viele Nationalitäten bevölkern Kaminers kleine, bunte Welt im großen Berlin, wo sich alles auf die Szene rund um den Prenzlauer Berg dreht. "Dort, wo ich herkomme, ist das Leben zum Leben ungeeinget. (...) Ganz anders hier, wo man unter Umständen mehrere Leben gleichzeitig führen kann, sein eigenes und das eines anderen", so Kaminer in Doppelleben in Berlin. Der ehemalige Professor, der in einem Kindergarten für neun Mark die Stunde jobbt, der Archäologe, der zum Flohmarkt-Händler und Schneider wird, sein Freund Wladimir, der an einer hochkarätigen Bildungsmaßnahme teilnimmt und anschließend einen mickrigen Imbiss eröffnet... fast endlos scheint die Liste der skurrilen und liebenswert-ironisch beschriebenen Charaktere. Das Doppelleben wird zu ihrer Überlebensstrategie, was auch für Kaminer gilt, der in der Berliner Szene mit seiner "Russendisko" für Furore sorgt.
Mit dem Blick eines Fremden der Wahrheit auf der Spur
"Im Deutschen ist `das junge Mädchen` geschlechtslos, `die Kartoffel` dagegen nicht. `Der Busen` ist männlich und alle Substantive fangen mit einem großen Buchstaben an", warnt die Selbstlern-Fibel Deutsches Deutsch zum Selberlernen. Kaminer hat sich davon nicht abschrecken lassen, im Gegenteil. Seine Kurzgeschichten sind mit dem Blick eines Fremden geschrieben, der unsere scheinbar vertraute Welt nicht als banale Selbstverständlichkeit betrachtet. Vieles, was uns darin seltsam-verrückt erscheint, ist wahr, man muss nur eine Geschichte daraus machen. (Birgit Kuhn)
"Man würde diese Geschichten unterschätzen, nähme man an ihnen nur das Skurrile wahr. Was an Ihnen so frappiert, ist außer dem genauen Blick ein geradezu erschütterndes Wohlwollen des Autors gegenüber seinen Figuren."
(Frankfurter Allgemeine Zeitung)
"Kaminer ist ein Literat, der mit einfachen Worten Volltreffer setzt." Rolling Stone