»2014 kam Rüdiger von Fritsch als Botschafter nach Moskau, in einem für die russisch-europäischen Beziehungen höchst tragischen Jahr. Damals traten die verborgenen Absichten des Kremls, der von einem Wiederaufstieg zur Großmacht träumte, deutlich zutage. Im politischen Nebel zeichneten sich vage die Konturen des alten russischen Reiches als Zukunftsvision ab – endgültig untergegangen mit der Sowjetunion und wie diese angeblich Opfer westlicher Verschwörung. Moskau präsentierte den Zuschauern rund um den Globus eine Überraschung: eine geschickte Spezialoperation zur Angliederung der Krim an Russland. Und anschließend löste es einen ganz realen Krieg mitten in Europa aus, im Südosten der Ukraine.
›Russlands Weg‹ bietet eine ausführliche und fundierte Analyse dieser Geschehnisse, der Gründe und Ziele, und geht auch darauf ein, wie sich die Situation weiterhin entwickelt, denn die Tragödie ist noch nicht zu Ende.« Viktor Jerofejew
»Ein ebenso anschaulicher wie tiefenscharfer Bericht aus dem Russland Wladimir Putins. Das Buch des langjährigen deutschen Botschafters in Moskau sollte zur Pflichtlektüre für alle Politiker werden.« Heinrich-August Winkler
›Russlands Weg‹ bietet eine ausführliche und fundierte Analyse dieser Geschehnisse, der Gründe und Ziele, und geht auch darauf ein, wie sich die Situation weiterhin entwickelt, denn die Tragödie ist noch nicht zu Ende.« Viktor Jerofejew
»Ein ebenso anschaulicher wie tiefenscharfer Bericht aus dem Russland Wladimir Putins. Das Buch des langjährigen deutschen Botschafters in Moskau sollte zur Pflichtlektüre für alle Politiker werden.« Heinrich-August Winkler
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2020Moskaus Wahrheiten
Rüdiger von Fritsch, Botschafter in Russland von 2014 – 2019, ergründet Putins Denken und Handeln
Staatsterrorismus, Lügen, Verschwörungstheorien: Die Gräben zwischen Russland und Deutschland sind zum Abgrund geworden. Wie soll es weitergehen? Rüdiger von Fritsch, bis 2019 Deutschlands Botschafter in Moskau, folgert aus seiner hellsichtigen Analyse: Haltung bewahren und im Dialog bleiben.
„Sind Sie auch so ein Russland-Versteher?“ Kurz vor seiner Abreise nach Moskau, wo Rüdiger von Fritsch im März 2014 seinen Botschafterposten antreten sollte, stellte ein führender Berliner Regierungspolitiker dem Diplomaten diese Frage. Seit wenigen Wochen eskalierte damals, nach der Annexion der Krim, die Ukraine-Krise. Es war ein Start „zu Zeiten schwerster politischer Unwetter, Konfrontation pur, von Anfang an“, so von Fritsch: „Verstehen heißt nicht billigen, aber den anderen zu verstehen und seine Motive zu begreifen – das ist die Voraussetzung erfolgreichen Handelns.“
Dem Diplomaten, mütterlicherseits aus baltischer Familie, die zuhause die russische Kultur pflegte, ist beides offensichtlich gelungen. Er analysiert in seinem Buch „Russlands Weg“ aus fünfjähriger Erfahrung die Politik des größten Landes der Erde bis hin zum Giftanschlag auf den Oppositionellen Alexej Nawalnij (dass dieser nicht mit Billigung von höchster Stelle ausgeführt wurde, kann von Fritsch sich nicht vorstellen) – klar und kritisch. „Die Position meiner Regierung zu vertreten, fiel mir nicht schwer.“ Von Fritsch war „empört über das, was russische Politik mitten im Frieden anrichtet.“ Beiden Seiten der deutschen Russland-Fraktionen, den „alles Verzeihenden Verständnisvollen“ wie auch denjenigen, die der russischen Politik langfristig nur schlechte aggressive Absichten unterstellen, will von Fritsch mit seinem Buch über „Russlands Weg“ Erklärungen anbieten.
Unterschiedlichste Quellen geben der Analyse Farbe und Spannung. Entlang des historischen und gegenwärtigen Geschehens erzählt der Diplomat von vielfältigen Begegnungen: Mit Putin und seinem bärbeißigen Außenminister Sergej Lawrow, mit Alexej Miller, dem machtbewussten Chef von Gazprom, mit Studenten, einfachen Menschen, Wissenschaftlern, Ökonomen, Dissidenten, Journalisten.
Das stolze Land mache es einem nicht leicht, schreibt von Fritsch. Es sperre sich gegen den Fremden, ja wehre sich fast. Andere haben sich an ihm auszurichten. Mindestens 67 Mal in dessen Präsidentschaft habe Angela Merkel bei Putin angerufen – selbstverständlich rufe nicht etwa umgekehrt Putin an. Selbstverständlich war auch stundenlanges Warten deutscher Politiker auf vereinbarte Gespräche im Kreml oder in Putins Residenz, wo im schmuck- und geschmacklosen Raum weder Tee, Kaffee noch Wasser gereicht wurden. Ein Raum mit blauen Seidentapeten war hingegen der französischen rechtsextremen Marine Le Pen vergönnt.
Entscheidend für das Verständnis Russlands sei: „Wir haben unterschiedliche Vorstellungen von Wahrheit und deren Bedeutung“. Zum zentralen Herrschaftsinstrument zählte schon zu Sowjetzeiten die Lüge – aber auch die Anpassung an das Leben mit doppelten Wirklichkeiten. Russische Soziologen fanden bei regelmäßigen Untersuchungen heraus: Bald 30 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion reproduziert der autoritäre Staat alte Verhaltensmuster. Es sei kein Widerspruch, dass die Menschen Vertrauen hätten in einen starken Staat und zugleich überzeugt sind, von der Obrigkeit ständig betrogen und belogen zu werden. Und die offensichtliche Lüge werde schulterzuckend oder sogar billigend hingenommen: „Erst hat man mit den kleinen grünen Männchen auf der Krim nichts zu tun, dann aber ist man es doch gewesen“ (von Fritsch).
Die Gräben zum Westen taten sich mit der Annexion der Krim auf. Deutschland hatte sich zuvor beharrlich dafür eingesetzt, auf Russland Rücksicht zu nehmen. Der G-7-Gipfel wurde so zum G 8 erweitert, die Nato-Russland-Grundakte war die erste Vereinbarung mit einem einzelnen Land. Aber Russlands „Phantomschmerz“ (Henry Kissinger) war immens. „Fleisch vom Fleische“ war mit der Unabhängigkeit der Ukraine und Weißrusslands verloren gegangen. Der aus russischer Sicht kleine ukrainische Bruder sei stets überheblich angesehen worden, schreibt von Fritsch: „Unbeantwortet blieb die Frage, warum man dann über den kleinen Bruder so herfällt.“
Russland, das reichste Land der Erde, mit Öl und Gas üppig ausgestattet, aber ohne breiten Wohlstand, fühle sich „umstellt und bedrängt“, verbannt aus dem Kreis der Großen. Die geschrumpfte Weltmacht will zurück an den Tisch der Weltmächte – wie seinerzeit in Jalta. „Putin geht es erkennbar um einen Platz im Geschichtsbuch“, so von Fritsch. Die Beteiligung am Syrienkrieg ist ein Mittel hierzu. „Russland hat kein abstraktes Harmoniebedürfnis,“ weiß der nun pensionierte Botschafter, „es hat Interessen.“ Seine schwierige Arbeit habe er sehr gern gemacht, er ist dem Land selbst noch näher gekommen.
Was die unterschiedlichen Fraktionen der Putin-Versteher vereint, fordert auch von Fritsch: Den Dialog „ganz unbedingt aufrechterhalten“. Dazu gehöre zweierlei: Eine klare, an Prinzipien orientierte Haltung, die die Dinge beim Namen nennt und bereit ist, mithilfe entschlossener wie geschlossener westlicher Reaktion – mit Sanktionen – russischer Aggression Grenzen zu ziehen. Und zum anderen eine uneingeschränkte Bereitschaft, „im Dialog sicherzustellen, dass wir auf dieser großen eurasischen Landmasse gemeinsam in eine gedeihliche Zukunft gehen können“.
„Herr Präsident, wie sehen Sie die Zukunft der deutsch-russischen Beziehungen?“ fragte der Botschafter im Abschiedsgespräch. Putins Antwort: Helmut Kohl habe einst gesagt, in zwanzig oder dreißig Jahren würden China und Indien stark geworden sein und die USA ihren eigenen Weg gehen. Dann werde es gar keine andere Chance geben, als dass Russland und das übrige Europa zusammenarbeiten: „Und sehen Sie, Herr Botschafter, da stehen wir heute.“
RENATE NIMTZ-KÖSTER
„Erst hat man mit den
kleinen grünen Männchen
auf der Krim nichts zu tun,
dann aber ist man
es doch gewesen.“
Rüdiger von Fritsch:
Russlands Weg.
Als Botschafter in Moskau.
Aufbau-Verlag,
Berlin 2020.
349 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Rüdiger von Fritsch, Botschafter in Russland von 2014 – 2019, ergründet Putins Denken und Handeln
Staatsterrorismus, Lügen, Verschwörungstheorien: Die Gräben zwischen Russland und Deutschland sind zum Abgrund geworden. Wie soll es weitergehen? Rüdiger von Fritsch, bis 2019 Deutschlands Botschafter in Moskau, folgert aus seiner hellsichtigen Analyse: Haltung bewahren und im Dialog bleiben.
„Sind Sie auch so ein Russland-Versteher?“ Kurz vor seiner Abreise nach Moskau, wo Rüdiger von Fritsch im März 2014 seinen Botschafterposten antreten sollte, stellte ein führender Berliner Regierungspolitiker dem Diplomaten diese Frage. Seit wenigen Wochen eskalierte damals, nach der Annexion der Krim, die Ukraine-Krise. Es war ein Start „zu Zeiten schwerster politischer Unwetter, Konfrontation pur, von Anfang an“, so von Fritsch: „Verstehen heißt nicht billigen, aber den anderen zu verstehen und seine Motive zu begreifen – das ist die Voraussetzung erfolgreichen Handelns.“
Dem Diplomaten, mütterlicherseits aus baltischer Familie, die zuhause die russische Kultur pflegte, ist beides offensichtlich gelungen. Er analysiert in seinem Buch „Russlands Weg“ aus fünfjähriger Erfahrung die Politik des größten Landes der Erde bis hin zum Giftanschlag auf den Oppositionellen Alexej Nawalnij (dass dieser nicht mit Billigung von höchster Stelle ausgeführt wurde, kann von Fritsch sich nicht vorstellen) – klar und kritisch. „Die Position meiner Regierung zu vertreten, fiel mir nicht schwer.“ Von Fritsch war „empört über das, was russische Politik mitten im Frieden anrichtet.“ Beiden Seiten der deutschen Russland-Fraktionen, den „alles Verzeihenden Verständnisvollen“ wie auch denjenigen, die der russischen Politik langfristig nur schlechte aggressive Absichten unterstellen, will von Fritsch mit seinem Buch über „Russlands Weg“ Erklärungen anbieten.
Unterschiedlichste Quellen geben der Analyse Farbe und Spannung. Entlang des historischen und gegenwärtigen Geschehens erzählt der Diplomat von vielfältigen Begegnungen: Mit Putin und seinem bärbeißigen Außenminister Sergej Lawrow, mit Alexej Miller, dem machtbewussten Chef von Gazprom, mit Studenten, einfachen Menschen, Wissenschaftlern, Ökonomen, Dissidenten, Journalisten.
Das stolze Land mache es einem nicht leicht, schreibt von Fritsch. Es sperre sich gegen den Fremden, ja wehre sich fast. Andere haben sich an ihm auszurichten. Mindestens 67 Mal in dessen Präsidentschaft habe Angela Merkel bei Putin angerufen – selbstverständlich rufe nicht etwa umgekehrt Putin an. Selbstverständlich war auch stundenlanges Warten deutscher Politiker auf vereinbarte Gespräche im Kreml oder in Putins Residenz, wo im schmuck- und geschmacklosen Raum weder Tee, Kaffee noch Wasser gereicht wurden. Ein Raum mit blauen Seidentapeten war hingegen der französischen rechtsextremen Marine Le Pen vergönnt.
Entscheidend für das Verständnis Russlands sei: „Wir haben unterschiedliche Vorstellungen von Wahrheit und deren Bedeutung“. Zum zentralen Herrschaftsinstrument zählte schon zu Sowjetzeiten die Lüge – aber auch die Anpassung an das Leben mit doppelten Wirklichkeiten. Russische Soziologen fanden bei regelmäßigen Untersuchungen heraus: Bald 30 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion reproduziert der autoritäre Staat alte Verhaltensmuster. Es sei kein Widerspruch, dass die Menschen Vertrauen hätten in einen starken Staat und zugleich überzeugt sind, von der Obrigkeit ständig betrogen und belogen zu werden. Und die offensichtliche Lüge werde schulterzuckend oder sogar billigend hingenommen: „Erst hat man mit den kleinen grünen Männchen auf der Krim nichts zu tun, dann aber ist man es doch gewesen“ (von Fritsch).
Die Gräben zum Westen taten sich mit der Annexion der Krim auf. Deutschland hatte sich zuvor beharrlich dafür eingesetzt, auf Russland Rücksicht zu nehmen. Der G-7-Gipfel wurde so zum G 8 erweitert, die Nato-Russland-Grundakte war die erste Vereinbarung mit einem einzelnen Land. Aber Russlands „Phantomschmerz“ (Henry Kissinger) war immens. „Fleisch vom Fleische“ war mit der Unabhängigkeit der Ukraine und Weißrusslands verloren gegangen. Der aus russischer Sicht kleine ukrainische Bruder sei stets überheblich angesehen worden, schreibt von Fritsch: „Unbeantwortet blieb die Frage, warum man dann über den kleinen Bruder so herfällt.“
Russland, das reichste Land der Erde, mit Öl und Gas üppig ausgestattet, aber ohne breiten Wohlstand, fühle sich „umstellt und bedrängt“, verbannt aus dem Kreis der Großen. Die geschrumpfte Weltmacht will zurück an den Tisch der Weltmächte – wie seinerzeit in Jalta. „Putin geht es erkennbar um einen Platz im Geschichtsbuch“, so von Fritsch. Die Beteiligung am Syrienkrieg ist ein Mittel hierzu. „Russland hat kein abstraktes Harmoniebedürfnis,“ weiß der nun pensionierte Botschafter, „es hat Interessen.“ Seine schwierige Arbeit habe er sehr gern gemacht, er ist dem Land selbst noch näher gekommen.
Was die unterschiedlichen Fraktionen der Putin-Versteher vereint, fordert auch von Fritsch: Den Dialog „ganz unbedingt aufrechterhalten“. Dazu gehöre zweierlei: Eine klare, an Prinzipien orientierte Haltung, die die Dinge beim Namen nennt und bereit ist, mithilfe entschlossener wie geschlossener westlicher Reaktion – mit Sanktionen – russischer Aggression Grenzen zu ziehen. Und zum anderen eine uneingeschränkte Bereitschaft, „im Dialog sicherzustellen, dass wir auf dieser großen eurasischen Landmasse gemeinsam in eine gedeihliche Zukunft gehen können“.
„Herr Präsident, wie sehen Sie die Zukunft der deutsch-russischen Beziehungen?“ fragte der Botschafter im Abschiedsgespräch. Putins Antwort: Helmut Kohl habe einst gesagt, in zwanzig oder dreißig Jahren würden China und Indien stark geworden sein und die USA ihren eigenen Weg gehen. Dann werde es gar keine andere Chance geben, als dass Russland und das übrige Europa zusammenarbeiten: „Und sehen Sie, Herr Botschafter, da stehen wir heute.“
RENATE NIMTZ-KÖSTER
„Erst hat man mit den
kleinen grünen Männchen
auf der Krim nichts zu tun,
dann aber ist man
es doch gewesen.“
Rüdiger von Fritsch:
Russlands Weg.
Als Botschafter in Moskau.
Aufbau-Verlag,
Berlin 2020.
349 Seiten, 22 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Kerstin Holm lernt beim ehemaligen Moskauer Botschafter Rüdiger von Fritsch, Russland zu verstehen. Holm lobt den "kundig sympathischen" Ansatz und die Klarheit in der Analyse bei Fritsch. Über die Krim-Annexion, Putins Selbstverständnis und sein Verhältnis zu Merkel erfährt Holm Aufschlussreiches und entnimmt den Gesprächen, die der Autor mit Intellektuellen geführt hat, sowohl Wissenswertes über russisches "Doppeldenken" als auch über das kulturelle russische Kapital, das es laut Fritsch zu würdigen gilt. Dass der Autor russische Diplomaten trotz aller Meinungsverschiedenheiten als professionell und durchaus sympathisch zu zeichnen versteht, gefällt Holm vor allem vor dem Hintergrund der unnachgiebigen Sicht des Autors auf Hacker-Terror und Nowitschok-Einsätze.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.10.2020Aus panischer Angst vor eigener Schwäche
Harmonie braucht der Kreml nicht: Rüdiger von Fritsch ergründet die Prinzipien russischer Politik
Es passiert selten, dass das Buch eines Botschafters über das Land seiner Stationierung exemplarisch vorführen kann, wie strategische politische Konflikte dank streitbarer Prinzipienfestigkeit, die mit kultureller Kenntnis Hand in Hand geht, eingehegt werden können. Ein solches Buch ist Rüdiger von Fritsch gelungen, der ab 2014 fünf Jahre Deutschlands größte diplomatische Vertretung in Moskau leitete, wo er an der Beantwortung von Russlands Ukraine- und Syrien-Politik mitwirkte. Der Erfahrungsbericht ist in seinem kundig empathischen Zugang wie in seiner analytischen Klarheit ein Beispiel für Russland-Verstehertum im besten Sinn.
Von Fritsch trat in Moskau an, als Russland die seit 1954 zur Ukraine gehörige Schwarzmeerhalbinsel Krim annektiert hatte. Die länger vorbereitete Blitzoperation war eine Antwort auf den Europakurs des Nachbarlandes Ukraine, das Russland historisch, wirtschaftlich und kulturell verbunden ist und von Präsident Putin seiner Einflusssphäre zugerechnet wird. Der wegen seiner Absage des versprochenen EU-Abkommens von der Majdan-Revolution hinweggefegte ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch war zuvor vom EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso gedrängt worden, seine "europäische Wahl zu treffen", was der Kreml als Aufforderung an Kiew verstand, sich von Russland abzuwenden.
Der Autor schließt nicht aus, dass eine Mehrheit der Krim-Bewohner sich für einen "Anschluss" an Russland ausgesprochen hätte, weist aber darauf hin, dass der Kreml nie versuchte, die Krim-Frage gegenüber Kiew oder vor den Vereinten Nationen vorzubringen. Wie sein Lieblingsfeind, die Vereinigten Staaten, lässt Russland sich in wichtigen Fragen von internationalem Recht ungern fesseln. Auf skurrile Weise machte das ein russischer Parlamentarier deutlich, der den Botschafter daran erinnerte, dass er einst DDR-Bürgern durch falsche Pässe zur Flucht verhalf - mit dem Argument, unterlassene Hilfe wäre schuldhafter gewesen. Aus dem gleichen Grund habe sein Land, so der Abgeordnete, willigen Ukrainern die russische Staatsbürgerschaft verliehen. Das mutmaßliche Hauptmotiv für die Annexion der mittlerweile stark militarisierten Krim, die geostrategische Lage des Militärhafens von Sewastopol, mit dessen Sperrung für die russische Kriegsflotte der ukrainische Präsident Juschtschenko Putin schon 2008 während der Georgien-Krise gedroht hatte, erwähnt von Fritsch nicht.
Dabei betont er, die Machthaber dieses überdehnten, untervölkerten Landes hätten eine panische Furcht vor eigener Schwäche. Putin identifiziert sich mit Zar Alexander III., der die Geheimpolizei Ochrana gründete, liberale Ideen bekämpfte und Armee und Flotte für Russlands einzige Verbündete hielt. Umso mehr legt man im Kreml Wert darauf, mit Respekt behandelt zu werden - vielleicht mit größerem Respekt als verdient, wie ein kluger russischer Außenpolitiker gegenüber dem Autor einräumte.
Dieses Bedürfnis bedient China, indem es Russland in seinen internationalen Initiativen formell gleichrangig mitwirken lässt. Der imperiale Stolz hindert auch im gewöhnlichen Leben Russen oft daran, bei Konflikten auf andere zuzugehen. Wir lieben es, beleidigt zu sein, gestand von Fritsch ein ehemaliger Minister. Und als der Botschafter auf dem Höhepunkt der Ukraine-Krise Putins außenpolitischen Berater fragte, warum stets die Bundeskanzlerin im Kreml anrufen müsse und nie der russische Präsident sie, meinte der nur, er mache wohl Witze.
Die Demokratiebewegungen der postsowjetischen Länder, von denen Putin glaubt, sie seien von westlichen Geheimdiensten gesteuert, haben ihn davon überzeugt, dass er mit Russlands Drohpotential punkten muss. Auch die geschichtspolitischen Fronten sind verhärtet. Nachdem unter dem Ministerpräsidenten Tusk Polen und Russland sich einander angenähert hatten, rechtfertigt Putin inzwischen den Hitler-Stalin-Pakt als durch die Westmächte erzwungenen defensiven Schritt. Was der polnische Intellektuelle Jan Józef Lipski als Voraussetzung eines echten Dialogs bezeichnete, nämlich dass jeder auch von seiner Schuld spreche, gilt der russischen Führung in Bezug auf sich selbst heute als unzulässige Blöße.
Von Fritsch, der schon durch seine baltendeutsche Mutter eine Affinität zu Russland hat, erklärt im Dialog mit Intellektuellen wie dem Soziologen Lew Gudkow oder der Verlegerin Irina Prochorowa das seit der Sowjetzeit tiefverwurzelte "Doppeldenken". Er würdigt aber auch die Kulturleistungen und die Bildungsbeflissenheit selbst in der Provinz und mahnt, Wertevorstellungen, die nicht unseren neuesten Diversitätsstandards entsprechen, nicht geringzuschätzen. Und er schafft es immer wieder, Diplomaten, mit denen er hart aneinandergerät, zugleich als hochprofessionell und geradezu sympathisch zu charakterisieren.
Doch als roter Faden zieht sich durch das Buch die Erfahrung, dass Europa Russlands Rechtsverstößen entgegentreten muss, ob dem unerklärten Krieg in der Ostukraine, geheimdienstlichen Hackerangriffen, dem Vergewaltigungsmärchen der Russlanddeutschen Lisa oder dem Nowitschok-Anschlag auf den Oppositionspolitiker Alexej Nawalnyj. Russland verfechte keine Regeln oder Werte, sondern Interessen, zu denen auch ein zerrissenes, aber wirtschaftlich kooperierendes Europa gehört. Moskau ist nicht harmoniebedürftig, "Konzilianzpolitiker" werden instrumentalisiert und verachtet, weiß von Fritsch. Großen Respekt, zumal bei Putin, genießt hingegen die konsequente, aber gesprächsbereite Angela Merkel.
Mittelfristig wird Russland sich Europa, zu dessen Kultur es gehört, wieder annähern, ist von Fritsch überzeugt. Schon weil China zusehends in einer höheren Liga spielt und das russische Brennstoffwirtschaftsmodell ausläuft. Zivilgesellschaftliche Kontakte und Kooperationen, aber auch das Festhalten an europäischen Prinzipien sind dafür die beste Vorbereitung.
KERSTIN HOLM
Rüdiger von Fritsch:
"Russlands Weg".
Als Botschafter in Moskau.
Mit einem Vorwort von
Viktor Jerofejew.
Aufbau Verlag, Berlin 2020.
349 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Harmonie braucht der Kreml nicht: Rüdiger von Fritsch ergründet die Prinzipien russischer Politik
Es passiert selten, dass das Buch eines Botschafters über das Land seiner Stationierung exemplarisch vorführen kann, wie strategische politische Konflikte dank streitbarer Prinzipienfestigkeit, die mit kultureller Kenntnis Hand in Hand geht, eingehegt werden können. Ein solches Buch ist Rüdiger von Fritsch gelungen, der ab 2014 fünf Jahre Deutschlands größte diplomatische Vertretung in Moskau leitete, wo er an der Beantwortung von Russlands Ukraine- und Syrien-Politik mitwirkte. Der Erfahrungsbericht ist in seinem kundig empathischen Zugang wie in seiner analytischen Klarheit ein Beispiel für Russland-Verstehertum im besten Sinn.
Von Fritsch trat in Moskau an, als Russland die seit 1954 zur Ukraine gehörige Schwarzmeerhalbinsel Krim annektiert hatte. Die länger vorbereitete Blitzoperation war eine Antwort auf den Europakurs des Nachbarlandes Ukraine, das Russland historisch, wirtschaftlich und kulturell verbunden ist und von Präsident Putin seiner Einflusssphäre zugerechnet wird. Der wegen seiner Absage des versprochenen EU-Abkommens von der Majdan-Revolution hinweggefegte ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch war zuvor vom EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso gedrängt worden, seine "europäische Wahl zu treffen", was der Kreml als Aufforderung an Kiew verstand, sich von Russland abzuwenden.
Der Autor schließt nicht aus, dass eine Mehrheit der Krim-Bewohner sich für einen "Anschluss" an Russland ausgesprochen hätte, weist aber darauf hin, dass der Kreml nie versuchte, die Krim-Frage gegenüber Kiew oder vor den Vereinten Nationen vorzubringen. Wie sein Lieblingsfeind, die Vereinigten Staaten, lässt Russland sich in wichtigen Fragen von internationalem Recht ungern fesseln. Auf skurrile Weise machte das ein russischer Parlamentarier deutlich, der den Botschafter daran erinnerte, dass er einst DDR-Bürgern durch falsche Pässe zur Flucht verhalf - mit dem Argument, unterlassene Hilfe wäre schuldhafter gewesen. Aus dem gleichen Grund habe sein Land, so der Abgeordnete, willigen Ukrainern die russische Staatsbürgerschaft verliehen. Das mutmaßliche Hauptmotiv für die Annexion der mittlerweile stark militarisierten Krim, die geostrategische Lage des Militärhafens von Sewastopol, mit dessen Sperrung für die russische Kriegsflotte der ukrainische Präsident Juschtschenko Putin schon 2008 während der Georgien-Krise gedroht hatte, erwähnt von Fritsch nicht.
Dabei betont er, die Machthaber dieses überdehnten, untervölkerten Landes hätten eine panische Furcht vor eigener Schwäche. Putin identifiziert sich mit Zar Alexander III., der die Geheimpolizei Ochrana gründete, liberale Ideen bekämpfte und Armee und Flotte für Russlands einzige Verbündete hielt. Umso mehr legt man im Kreml Wert darauf, mit Respekt behandelt zu werden - vielleicht mit größerem Respekt als verdient, wie ein kluger russischer Außenpolitiker gegenüber dem Autor einräumte.
Dieses Bedürfnis bedient China, indem es Russland in seinen internationalen Initiativen formell gleichrangig mitwirken lässt. Der imperiale Stolz hindert auch im gewöhnlichen Leben Russen oft daran, bei Konflikten auf andere zuzugehen. Wir lieben es, beleidigt zu sein, gestand von Fritsch ein ehemaliger Minister. Und als der Botschafter auf dem Höhepunkt der Ukraine-Krise Putins außenpolitischen Berater fragte, warum stets die Bundeskanzlerin im Kreml anrufen müsse und nie der russische Präsident sie, meinte der nur, er mache wohl Witze.
Die Demokratiebewegungen der postsowjetischen Länder, von denen Putin glaubt, sie seien von westlichen Geheimdiensten gesteuert, haben ihn davon überzeugt, dass er mit Russlands Drohpotential punkten muss. Auch die geschichtspolitischen Fronten sind verhärtet. Nachdem unter dem Ministerpräsidenten Tusk Polen und Russland sich einander angenähert hatten, rechtfertigt Putin inzwischen den Hitler-Stalin-Pakt als durch die Westmächte erzwungenen defensiven Schritt. Was der polnische Intellektuelle Jan Józef Lipski als Voraussetzung eines echten Dialogs bezeichnete, nämlich dass jeder auch von seiner Schuld spreche, gilt der russischen Führung in Bezug auf sich selbst heute als unzulässige Blöße.
Von Fritsch, der schon durch seine baltendeutsche Mutter eine Affinität zu Russland hat, erklärt im Dialog mit Intellektuellen wie dem Soziologen Lew Gudkow oder der Verlegerin Irina Prochorowa das seit der Sowjetzeit tiefverwurzelte "Doppeldenken". Er würdigt aber auch die Kulturleistungen und die Bildungsbeflissenheit selbst in der Provinz und mahnt, Wertevorstellungen, die nicht unseren neuesten Diversitätsstandards entsprechen, nicht geringzuschätzen. Und er schafft es immer wieder, Diplomaten, mit denen er hart aneinandergerät, zugleich als hochprofessionell und geradezu sympathisch zu charakterisieren.
Doch als roter Faden zieht sich durch das Buch die Erfahrung, dass Europa Russlands Rechtsverstößen entgegentreten muss, ob dem unerklärten Krieg in der Ostukraine, geheimdienstlichen Hackerangriffen, dem Vergewaltigungsmärchen der Russlanddeutschen Lisa oder dem Nowitschok-Anschlag auf den Oppositionspolitiker Alexej Nawalnyj. Russland verfechte keine Regeln oder Werte, sondern Interessen, zu denen auch ein zerrissenes, aber wirtschaftlich kooperierendes Europa gehört. Moskau ist nicht harmoniebedürftig, "Konzilianzpolitiker" werden instrumentalisiert und verachtet, weiß von Fritsch. Großen Respekt, zumal bei Putin, genießt hingegen die konsequente, aber gesprächsbereite Angela Merkel.
Mittelfristig wird Russland sich Europa, zu dessen Kultur es gehört, wieder annähern, ist von Fritsch überzeugt. Schon weil China zusehends in einer höheren Liga spielt und das russische Brennstoffwirtschaftsmodell ausläuft. Zivilgesellschaftliche Kontakte und Kooperationen, aber auch das Festhalten an europäischen Prinzipien sind dafür die beste Vorbereitung.
KERSTIN HOLM
Rüdiger von Fritsch:
"Russlands Weg".
Als Botschafter in Moskau.
Mit einem Vorwort von
Viktor Jerofejew.
Aufbau Verlag, Berlin 2020.
349 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Derzeit gibt es wahrscheinlich keinen besseren Putin-Versteher im besten Sinne als Rüdiger von Fritsch.« Klaus Geiger Die WELT 20201215