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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Wenn aus zutreffenden Details kein stimmiges Gesamtbild wird: Ein misslungener Versuch einer Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen in der Ära Merkel-Putin
Manchmal stimmen politische Analysen in der Präsentation einzelner Details, aber nicht in den großen Linien. Das ist der Fall in Thomas Mayers Buch "Russlands Werk und Deutschlands Beitrag". Der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank zeichnet die jüngere wirtschaftliche und politische Entwicklung in beiden Ländern korrekt nach. Er vertritt dabei die kühne These, dass Putins Überfall auf die Ukraine eine Folge von "Merkels Beschwichtigungspolitik" gewesen sei. Beide hätten sich unabsichtlich ergänzt: Merkel bediente in Deutschland das "neurotische Verlangen nach moralischer Erhöhung und bedingungslosem Frieden", Putin versuchte in Russland, den postsowjetischen Phantomschmerz durch imperiale Expansion zu heilen. Merkel habe "ein fettes und träges Deutschland entstehen lassen, das in hohem Maße militärisch von Russland, wirtschaftlich von China und finanziell von der Europäischen Union erpressbar" geworden sei. Nun zeigt schon Mayers drastische Wortwahl, dass sein Blick von einer fast allergischen Reaktion auf Angela Merkel getrübt wird. Mayer versucht seine These durch eine Parallelführung der Biographien der "Pfarrerstochter aus der Uckermark" und des "Streetfighters aus Leningrad" zu stützen. In der Tat gibt es einige auffällige Übereinstimmungen: Merkel und Putin sind etwa gleich alt. Beide ergriffen die Chancen, die sich nach der Wende für ehrgeizige Politiker ergaben. Angela Merkel wurde nach einer steilen Karriere unter Helmut Kohl als junge Ministerin im Jahr 2000 CDU-Vorsitzende und 2005 Bundeskanzlerin, Wladimir Putin stieg unter Jelzin innerhalb von vier Jahren vom Leiter der Kreml-Liegenschaftsverwaltung zum Direktor des FSB, zum Ministerpräsidenten und schließlich zum russischen Präsidenten auf. Man darf allerdings aus dieser zeitlichen Koinzidenz keine strukturelle Komplizenschaft ableiten. Mayer tut dies in einer seltsamen Fabel: Er bezeichnet Putin als "Wolf" und Merkel als "Chamäleon". Beide seien als Untertanen des Sowjetimperiums geboren worden und hätten auf einer biographischen Lernkurve diese prekären Rollen übernommen: Putin genoss in Russland die Erfolge seiner Aggressionen, Merkel stieg als Opportunistin im wiedervereinigten Deutschland auf. Solch holzschnittartige Deutungen verfehlen allerdings die komplizierten politischen Strukturen in beiden Ländern.
Wenn es jemanden im Kanzleramt gibt, auf den man in der aktuellen Situation mit dem Finger zeigen kann, dann ist es Gerhard Schröder. Er hatte Nord Stream 1 tatkräftig vorangetrieben und wechselte kurz nach seinem Rückzug aus der Politik in den Aufsichtsrat von Nord Stream 1. 2017 wurde er zusätzlich Aufsichtsratsvorsitzender von Rosneft. Wie kein anderer steht Schröder in der Verantwortung für eine deutsche Energiepolitik, die sich nicht nur einseitig, sondern auch blind auf Russland verlassen hat. Natürlich führte Angela Merkel mit der Realisierung von Nord Stream 2 diesen Kurs fort. Ganz im Gegensatz zu Schröder wahrte Merkel allerdings von Anfang an Distanz zu Putin. Mayer richtet sein Trommelfeuer trotzdem fast ausschließlich auf Angela Merkel und liefert sich mit Schröder nur ein Scharmützel.
Mayers schriftstellerischer Duktus ist von einem unerschütterlichen Selbstbewusstsein getragen. So regt er sich darüber auf, dass die Regierung Merkel im Jahr 2017 das Fracking von Gas in Deutschland verboten habe und sich damit weiter in russische Abhängigkeit begeben habe. Er bringt dafür zwei Argumente vor, die beide unsinnig sind. Zum einen kritisiert er, dass die Bundeskanzlerin Merkel "ihr Fähnlein nach dem Wind einer von diffusen Ängsten beseelten öffentlichen Meinung" gehängt habe. Mayer empfiehlt hier für Deutschland jene selbstherrliche und abgehobene Regierungspolitik, die er zu Recht in Russland kritisiert. Zum anderen behauptet er, dass "kein ernst zu nehmender Experte" Fracking für umweltschädlich halte. Die Umweltrisiken von Fracking werden sehr wohl von Experten thematisiert. Ob Gas mittels Fracking gefördert werden soll, ist allerdings eine politische Entscheidung, die auf wissenschaftliche Erkenntnisse Rücksicht nehmen muss. Natürlich kann man unliebsame Forschungsergebnisse einfach beiseitewischen - eine verantwortungsvolle Politik sieht aber anders aus.
Mayer verfolgt mit seinem Merkel-Bashing ein klares Ziel. Es dient ihm als Kontrastfolie für die effekthascherische Präsentation seiner politischen Präferenzen: Er beklagt den Ausbau des Sozialstaates, die expansive Geldpolitik, die Übernahme von Haftungsrisiken in der EU, das Sparen bei der Verteidigung, die Energiewende, die Öffnung des Landes für Flüchtlinge. Mayers eigene Pläne zielen auf eine Abschottung Deutschlands von internationalen Entwicklungen: Um der Inflation im Euroraum entgegenzuwirken, empfiehlt er für Deutschland die Einführung einer harten Parallelwährung. Die Zuwanderung von "Menschen mit einem an der archaischen Stammesordnung orientierten Gesellschaftsverständnis" müsse gestoppt werden. Und schließlich will Mayer die Identitätspolitik von Minderheiten bekämpfen: Die "unsortierte Mehrheitsgesellschaft" soll sich auf ihre liberalen Grundlagen besinnen. Um keinen Zweifel an seiner Stoßrichtung zu lassen, fügt Mayer dem Impressum seines Buchs eine "Gendererklärung" bei: "Der besseren Lesbarkeit wegen verwendet der Autor im nachfolgenden Text zumeist die Sprachform des generischen Maskulinums." Recht hat Mayer allerdings mit seinem Aufruf, Putins militärischer Aggression mutig und entschlossen entgegenzutreten. Allerdings wird man bei der Lektüre des Buchs das Gefühl nicht los, dass sich Mayers eigentlicher Zorn auf Angela Merkel richte. ULRICH SCHMID
Thomas Mayer: Russlands Werk und Deutschlands Beitrag. Wie Putins und Merkels Politik uns zum Verhängnis wurden.
ecoWing Verlag, Wals bei Salzburg 2023. 208 S., 26,- Euro
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