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Über Marktkonzentration und Sortenverlust
Der Blick auf das Saatgut fokussiert einen Mikrokosmos der Landwirtschaft, aber er geht dem agrarindustriellen System damit analytisch an die Wurzel. Dabei muss es den Leser nicht ärgern, dass Anja Banzhaf weniger als Wissenschaftlerin, sondern vor allem als Aktivistin darauf schaut. Ziemlich akkurat und akribisch skizziert sie die Geschichte des Saatguts, das Jahrtausende im freien Tausch zirkulierte und in bäuerlichen Gesellschaften bewahrt und verbessert wurde. Dann kamen der Sortenschutz, das Patentrecht, die modernen Züchtungsmethoden von der Hybridzucht über die transgenen Veränderungen bis hin zur Genomanalyse. Diese Entwicklung ist mit Konzernen wie Monsanto, Bayer, Du Pont, KWS oder Limagrain verbunden, und auch der ungeheuerliche Konzentrationsprozess dieser Branche ist Gegenstand des Buches.
Ein spannender Aspekt ist die Arbeitsteilung in diesem Bereich: Kaum jemand wird wissen, dass die Zucht von Hybridsaatgut mit Handarbeit verbunden ist, die etwa in afrikanischen Ländern erledigt wird, mithin Saatkörner um die halbe Welt reisen, ehe der Bauer sie pflanzt. Der Weltmarkt für Saatgut entstand vergleichsweise spät, die Forschung wurde immer kapitalintensiver, der Saatgut plötzlich geistiges Eigentum, ein globaler Milliardenmarkt.
Die steigenden Erträge haben ihre Kehrseiten: Mehr Dünger ist nötig, die Landwirte bauen nur noch eine winzige Auswahl an Pflanzensorten an, und die alten Kulturpflanzen liegen in Archiven und Genbanken oder werden von wenigen Saatgutaktivisten herumgereicht und vermehrt, etwa von Anja Banzhaf. Begründet ist ihre Skepsis gegenüber den Versprechungen der Gentech-Industrie: Auch nach dreißig Jahren Forschung sei es der nicht gelungen, die Erträge der Pflanzen zu steigern.
Ihre Sorge um den Verlust bäuerlicher Landwirtschaft, die weltweit immer noch für mehr als zwei Drittel der Ernten verantwortlich ist, mischt sich mit einer kompromisslosen Liebe zu den Erscheinungsformen biologischer Vielfalt, die sich in schönen Skizzen etwa blauer Maissorten aus mexikanischen Bauerngärten widerspiegelt, aber auch mit Chiffren und Metaphern radikaler Kritik an Kapitalismus und Geldwirtschaft und albernen Gender-korrekten Sprachspielen ("Jägerinnen und Sammler").
Schwärmereien vom Glück angeblich vergleichsweise häufig tanzender Steinzeitmenschen und einseitig pessimistische Wahrnehmungen einer Wirtschaft, die auf weitreichender Arbeitsteilung, Geld und Kredit beruht, treibt das Buch in diesem Sinne weiter, als es nötig wäre, um ein Bewusstsein für die Verluste zu schärfen, die moderne Agrarindustrie auch bringt. Denn eigentlich wäre es schön, wenn auch Saatgutindustrielle sich von solchen Büchern inspirieren ließen, die nicht nur (vordergründige) Zuchterfolge, sondern auch Fragen nach Ästhetik, Diversität und Glück im Diskurs zuließen. Was die Wahrscheinlichkeit, dass das gelingt, nicht erhöht: Stellenweise entsteht bei Banzhaf hingegen der Eindruck, alte marxistische Mythen einer angeblich herrschaftsfreien Urgesellschaft der Jäger und Sammler schwämgen halb reflektiert mit und verzerrten den Blick auf die Wirklichkeit.
Doch dann verblasst dieser Eindruck wieder, wenn die Botanikerin engagierte Bürger interviewt und porträtiert, die sich verschiedenartig für die Bewahrung der Pflanzenvielfalt einsetzen. Das gilt auch für die Autorin selbst, deren politischer Missionierungsdrang meistens unaufdringlich bleibt und die in vielen Punkten reeller ist als die Agrar- und Saatgutindustrie selbst - etwa wenn sie begründet, warum die Input-intensive Landwirtschaft zwar hochproduktiv ist, aber nicht effizient. Schließlich mutet ihr begründeter Vorschlag für weniger Regulierung im Saatgutrecht geradezu liberal an.
JAN GROSSARTH
Anja Banzhaf: Wer die Saat hat, hat das Sagen. Oekom Verlag, 272 Seiten, 19,95 Euro
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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