Sieben Theaterstücke schrieb Albert Camus neben seiner Prosa, bis heute wird er auf deutschen Bühnen gespielt. Der Band enthält die Dramen «Caligula», «Das Missverständnis», «Der Belagerungszustand», «Die Gerechten» und «Die Besessenen» in Neuübersetzung. Zum ersten Mal auf Deutsch publiziert wird die Calderón-Bearbeitung «Die Liebe zum Kreuz», eine Familientragödie um Vater, Bruder und Schwester. Die größte Entdeckung ist das Kammerstück «Impromptu der Philosophen», unter Pseudonym veröffentlicht, in Frankreich erst 2006 erschienen. Camus nimmt darin Jean-Paul Sartre auf die Schippe: Ein Irrer erklärt einem ehrbaren Bürger die Absurdität des Lebens. Erstmals alle Dramen des großen französischen Autors in neuer Übersetzung vereint, mit einem Vorwort von Hinrich Schmidt-Henkel - ein wunderbares Geschenk für Leser und Theaterfreunde!
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Monsieur
Nichts
Albert Camus’ Dramen
in einer neuen Übersetzung
„Hier bringe ich Ihnen, was in Sachen Philosophie in Paris zurzeit im Schwange ist“, verspricht ein gewisser Monsieur Néant, der sich als „Handelsreisender in neuen Lehren“ vorstellt. Nichts Geringeres als „das neue Evangelium, dessen wahrer Apostel ich bin“ will Herr Nichts dem Hausherrn andrehen. Der Mann, ein Sektierer und Scharlatan, ist unschwer als Jean-Paul Sartre zu identifizieren – Zitate aus und Anspielungen auf dessen Werk sind wie Landminen im Text verscharrt. Sartre hat seinen Auftritt in dem Einakter „Das Impromptu des Philosophen“, den Camus unter Pseudonym schrieb und der erst 2006 posthum veröffentlicht wurde. Nun liegt die Trouvaille zum ersten Mal auf Deutsch vor und vervollständigt die „Sämtlichen Dramen“. Von Hinrich Schmidt-Henkel und Uli Aumüller zum 100. Geburtstag neu übersetzt, löst der Band die klassische feuerrote Rowohlt-Ausgabe ab.
Die legendäre Rivalität zwischen Sartre und Camus hatte nicht nur ideologische Gründe – hier die marxistisch-totalitäre Variante der Existenzphilosophie, dort das mediterran moderierte Menschenmaß. Vielmehr spielte Sartre, wohl auch von Sexualneid befeuert, die Karte der Sozialdistinktion aus. Als „kleinen Schurken aus Algier“ tat er Camus ab und sprach ihm aufgrund seiner einfachen Herkunft die Voraussetzungen ab, sein Hauptwerk „Das Sein und das Nichts“ überhaupt verstehen zu können. Camus wiederum wählte für seine Retourkutsche die Form der Molièreschen Typenkomödie: Der große Sartre als windiger Klinkerputzer mit einem Musterkoffer voller Modephilosophien – dieses Setting hat schon was.
Im Stück infiziert der falsche Prophet den bon père de famille mit seinen nihilistischen Phrasen und sophistischen Zirkelschlüssen – und entfesselt die kruden Ermächtigungsphantasien, die in der Bourgeoisie schlummern, lockt man sie nur in den Treibsand des Relativismus. So viel zum diagnostischen Mehrwert dieser Petitesse, einem etwas tapsigen Revanchefoul. Sartre wird als Amok laufenden Meisterdemagoge vorgeführt, den man am Ende wieder in die Irrenanstalt verbringt, der er entsprungen ist. Ein großer Satiriker ist eher nicht an Camus verloren gegangen, aus gutem Grund schrieb er, Psychologie, kunstreiche Intrigen und prickelnde Situationen könnten ihn „vielleicht als Zuschauer belustigen, als Autor aber lassen sie mich völlig kalt.“
Camus’ Stücke sind Ideendramen, ein Genre, dessen Kursverfall erklärt, weshalb sie nicht mehr allzu häufig gespielt werden – obwohl die Berlusconisierung der Politik nur das grellste Schlaglicht auf die Aktualität eines Stücks wie „Caligula“ wirft. Und sein Drama „Die Gerechten“, in dem eine Terrorzelle die Gewaltfrage im politischen Kampf diskutiert, hat an Brisanz ohnehin nichts eingebüßt. Anders als der Prosa-Autor wirkt der Dramatiker Camus heute pathetisch und deklamatorisch – darin steht er in der Tradition der französischen Klassik. Um so verdienstvoller ist es, dass die neue Übersetzung die „Entrücktheit“, so Camus, seiner Kunstsprache nicht kassiert, aber wortgenauer und schlichter ist als der Vorläufer. Statt den Text zeitgemäß abzumischen, filtert sie heraus, was an Existentialismus-Folklore einst in ihn eingegangen war. Camus ohne Rollkragen sozusagen. Im Sound der Fünfziger klang er doch etwas onkelhaft. Und, nein, onkelhaft passt gar nicht zum Bogart der Philosophie.
CHRISTOPHER SCHMIDT
Albert Camus: Sämtliche Dramen. Aus dem Französischen von Uli Aumüller und Hinrich Schmidt-Henkel. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013. 592 Seiten, 26,95 Euro, E-Book 23,99 Euro.
Jean-Paul Sartre in der Rolle
des philosophischen Hausierers
– das Setting hat schon was
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Nichts
Albert Camus’ Dramen
in einer neuen Übersetzung
„Hier bringe ich Ihnen, was in Sachen Philosophie in Paris zurzeit im Schwange ist“, verspricht ein gewisser Monsieur Néant, der sich als „Handelsreisender in neuen Lehren“ vorstellt. Nichts Geringeres als „das neue Evangelium, dessen wahrer Apostel ich bin“ will Herr Nichts dem Hausherrn andrehen. Der Mann, ein Sektierer und Scharlatan, ist unschwer als Jean-Paul Sartre zu identifizieren – Zitate aus und Anspielungen auf dessen Werk sind wie Landminen im Text verscharrt. Sartre hat seinen Auftritt in dem Einakter „Das Impromptu des Philosophen“, den Camus unter Pseudonym schrieb und der erst 2006 posthum veröffentlicht wurde. Nun liegt die Trouvaille zum ersten Mal auf Deutsch vor und vervollständigt die „Sämtlichen Dramen“. Von Hinrich Schmidt-Henkel und Uli Aumüller zum 100. Geburtstag neu übersetzt, löst der Band die klassische feuerrote Rowohlt-Ausgabe ab.
Die legendäre Rivalität zwischen Sartre und Camus hatte nicht nur ideologische Gründe – hier die marxistisch-totalitäre Variante der Existenzphilosophie, dort das mediterran moderierte Menschenmaß. Vielmehr spielte Sartre, wohl auch von Sexualneid befeuert, die Karte der Sozialdistinktion aus. Als „kleinen Schurken aus Algier“ tat er Camus ab und sprach ihm aufgrund seiner einfachen Herkunft die Voraussetzungen ab, sein Hauptwerk „Das Sein und das Nichts“ überhaupt verstehen zu können. Camus wiederum wählte für seine Retourkutsche die Form der Molièreschen Typenkomödie: Der große Sartre als windiger Klinkerputzer mit einem Musterkoffer voller Modephilosophien – dieses Setting hat schon was.
Im Stück infiziert der falsche Prophet den bon père de famille mit seinen nihilistischen Phrasen und sophistischen Zirkelschlüssen – und entfesselt die kruden Ermächtigungsphantasien, die in der Bourgeoisie schlummern, lockt man sie nur in den Treibsand des Relativismus. So viel zum diagnostischen Mehrwert dieser Petitesse, einem etwas tapsigen Revanchefoul. Sartre wird als Amok laufenden Meisterdemagoge vorgeführt, den man am Ende wieder in die Irrenanstalt verbringt, der er entsprungen ist. Ein großer Satiriker ist eher nicht an Camus verloren gegangen, aus gutem Grund schrieb er, Psychologie, kunstreiche Intrigen und prickelnde Situationen könnten ihn „vielleicht als Zuschauer belustigen, als Autor aber lassen sie mich völlig kalt.“
Camus’ Stücke sind Ideendramen, ein Genre, dessen Kursverfall erklärt, weshalb sie nicht mehr allzu häufig gespielt werden – obwohl die Berlusconisierung der Politik nur das grellste Schlaglicht auf die Aktualität eines Stücks wie „Caligula“ wirft. Und sein Drama „Die Gerechten“, in dem eine Terrorzelle die Gewaltfrage im politischen Kampf diskutiert, hat an Brisanz ohnehin nichts eingebüßt. Anders als der Prosa-Autor wirkt der Dramatiker Camus heute pathetisch und deklamatorisch – darin steht er in der Tradition der französischen Klassik. Um so verdienstvoller ist es, dass die neue Übersetzung die „Entrücktheit“, so Camus, seiner Kunstsprache nicht kassiert, aber wortgenauer und schlichter ist als der Vorläufer. Statt den Text zeitgemäß abzumischen, filtert sie heraus, was an Existentialismus-Folklore einst in ihn eingegangen war. Camus ohne Rollkragen sozusagen. Im Sound der Fünfziger klang er doch etwas onkelhaft. Und, nein, onkelhaft passt gar nicht zum Bogart der Philosophie.
CHRISTOPHER SCHMIDT
Albert Camus: Sämtliche Dramen. Aus dem Französischen von Uli Aumüller und Hinrich Schmidt-Henkel. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013. 592 Seiten, 26,95 Euro, E-Book 23,99 Euro.
Jean-Paul Sartre in der Rolle
des philosophischen Hausierers
– das Setting hat schon was
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Jean-Paul Sartre in der Rolle des philosophischen Hausierers -- das Setting hat schon was. Süddeutsche Zeitung