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Volha Hapeyevas Roman "Samota"
"Samota" bedeutet in vielen slawischen Sprachen Einsamkeit, auch in der Muttersprache von Volha Hapeyeva. Die belarussische Schriftstellerin, Lyrikerin, Essayistin und Übersetzerin erzählt in ihrem neuen Roman "Samota" von zwei einsamen Frauen, zudem von Empathie auch für Tiere und deren ruchloser ökonomischer Verwertung, also vom Guten und Bösen. Die Icherzählerin, Vulkanologin mit "wissenschaftlichen Meriten und emotionaler Arktis", bleibt namenlos, ihre Bekannte, eine zupackende Universitätsdozentin, heißt Helga-Maria. Gegensätzlicher könnten die Frauen nicht sein, und doch sind beide Verlassene. Die eine hat einen geliebten Hund, die andere einen Menschen verloren.
Sie halten sich in einem japanischen Hotel am Meer auf. Die Vulkanologin leidet an Müdigkeit und Stillstand. Ihr versagt die Sprache wie einst Lord Chandos: In ihrem Mund wuchert Gras. Sie denkt über die Standardisierung von Hotelzimmern nach, die Beliebigkeit von Geburtstagen, das Hotelfrühstück als "Miniaturbild der Gesellschaft". Der Roman beginnt mit kurzen Szenen einer existenziellen Verstörung.
Volha Hapeyeva, von der auf Belarussisch vierzehn Bücher mit Lyrik, Prosa und Essays vorliegen, nahm Stipendien in Graz und München wahr, als die Proteste gegen Präsident Lukaschenko die Straßen in ihrer Geburtsstadt Minsk beherrschten. Sie blieb im Ausland und musste die blutige Niederschlagung des Aufstands mitansehen. Im Schatten des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wirft der Diktator die Oppositionellen inzwischen ungestört in Haft- und Folterzellen. Die 1982 geborene und nun in Deutschland lebende Exilantin hat allen Anlass zu lähmenden Gefühlen der Hilf- und Sinnlosigkeit.
Ihre Vulkanologin wird von Helga-Maria reanimiert. Die Tatkräftige taucht wie eine Dea ex machina auf, um zu Gesprächen und einem Ausflug zu motivieren, einmal auch, um überraschend bei ihrer Bekannten zu duschen. Beide erfahren, dass Haustiere in Japan häufig ihre Besitzer verlassen und sich Rudeln anschließen. Pferde stehen reglos auf Feldern, und Schweizer Kühe, so liest die Vulkanologin, wählen den Freitod. Hapeyeva bezeichnet sich als "Nomadin", nicht - in Abhängigkeit vom Staat - als Emigrantin; ihren Roman lässt sie thematisch umherschweifen.
Erst verdrängen Tiere die depressiven Selbstbeobachtungen, dann verdrängt ein allwissender Erzähler das Ich der Vulkanologin. Er schildert einen Jüngling, der zarte Liebesbriefe "voll süßer Vorfreude" schreibt und auch sonst aus der Zeit gefallen ist: Diesem Sebastian wird in der Apotheke Heroin als Medikament angeboten, er kauft jedoch Aspirin, um nach einigen empfindsamen Gesprächen sein vielversprechendes Leben bei der edlen Rettung eines Wolfswelpen auszuhauchen. Ein Mordgeselle bringt ihn um, der das hilflose Tier wie Vieh aufziehen und verkaufen wollte. Unterbrochen ist die finstere Mär von Ereignissen in Japan. So belauscht die Vulkanologin eine Gruppe, deren Anführerin erläutert, wie entlaufene, also ungehorsame Hunde zu bestrafen sind: indem sie gehäutet werden.
Das Grauen freilich hat Hapeyeva den Elementen des Schauerromans ausgetrieben. Der zartfühlende Jüngling, dessen innige Briefe übrigens an Helga-Maria gerichtet sind, entstammt dem Reich der Poesie. Eine politische, auf Belarus bezogene Lesart des Konflikts zwischen denen, die Tiere achten, und denen, die sie verwerten, wirkt daher roh. Immerhin formuliert die Universitätsdozentin in einer tierethischen Vorlesung Gedanken zur schöpfungsumfassenden Empathie und fordert die Vulkanologin auf, endlich zu sich zu kommen. Die Chancen dafür stehen nicht allzu gut: Der Schleier der Entrückung und Unwirklichkeit über dem Buch ist dicht, was auch an der mindestens erstaunlichen, teilweise abenteuerlichen Verbindung von Hapeyevas Themen Heimat, Sprache, Zeit, Empathie und Identität liegt. Das Buch scheint eher die Bestandsaufnahme eines traurigen Zustands zu sein als seine künstlerische Bewältigung. JÖRG PLATH
Volha Hapeyeva: "Samota - Die Einsamkeit wohnte im Zimmer gegenüber". Roman.
Aus dem Belarussischen von Tina Wünschmann & Matthias Göritz. Verlag Droschl, Wien 2024. 194 S., geb., 25,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
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