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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Jana Karsaiovás Debüt "Samtene Scheidung"
Es ist nicht alles weich, was Samt ist. Zwar hat die Tschechoslowakei in einer Samtenen Revolution den Kommunismus 1989 als politisches System abgestreift und aussortiert, doch gestaltete sich das Zusammenleben fortan derart bitter und hart, dass nur drei Jahre später die damaligen Regierungschefs Václav Klaus und Vladimir Meciar die samtene Scheidung einreichten. Die beiden "hatten über das Schicksal des Landes entschieden, ohne das Volk zu befragen", im Grunde in guter alter Tradition, denn früher hatten "die Kommunisten für sie entschieden und jetzt eben die anderen, da sei man wirklich noch weit von der Demokratie entfernt".
Übergangen worden zu sein stößt vor allem der Mutter Katarínas auf, einer der beiden Hauptfiguren in Jana Karsaiovás Roman "Samtene Scheidung". Sie hat freilich an allem etwas auszusetzen: an ihrer ältesten Tochter Dora, die schließlich in die USA geht, und natürlich an Katarínas Mann Eugen, einem "eingebildeten Schnösel", obendrein ein Tscheche aus Prag. Doch als Katarína an Weihnachten ohne ihn nach Bratislava kommt, ist auch das nicht richtig: Die migränegeplagte Mutter kocht "mit einem Geschirrtuch um den Kopf" Mittagessen, "eine Mischung aus Hausfrau und Terrorist" - die moralische Erpressung aus dem Effeff beherrscht.
Es sind vor allem zwei Momente, die Karsaiová hoch anzurechnen sind und ihr Debüt lesenswert machen: Sie schneidet die Loslösung aus dem Elternhaus und die Trennung Katarínas von ihrem Mann nicht platt gegen die Auflösung der Tschechoslowakei, und sie zeichnet die Mutter nicht als toxisch, weshalb Katarína nicht darauf wartet, von irgendjemandem ein Antidot verabreicht zu bekommen, sondern die Stärke in sich wachsen lässt, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Nach der Pubertät und der überstürzten, sehr früh geschlossenen Ehe macht sie als junge Erwachsene eine weitere Reifephase durch, die von Karsaiová in wenigen Strichen geschickt nachgezeichnet wird.
Dass Katarína den innerlichen Aufbruch äußerlich umsetzen kann, ist auch ihrer Ausbildung erst an einem italienischen Gymnasium und später im Romanistikstudium zu verdanken. So folgt sie ihrer alten Freundin Viera nach Bologna, die zuvor einer lesbischen Liebe nach Verona gefolgt war. Beide waren längst "daran gewöhnt, Italienisch zu sprechen, aber nicht von morgens bis abends", fühlen sich "trotz nahezu perfekter Sprachkenntnisse" mitunter wie ein Eindringling, eine Fremde aus einem Land, das niemand kennt: Als bei der Registrierung an der Uni der Computer die Slowakei nicht ausspuckt, wird Viera gefragt, "ob Slowenien auch okay wäre", worauf sie, die Mensa vor Augen, nur antwortet, sie fände die Idee grandios, ihre "nationale Identität für ein warmes Essen zu verscherbeln".
Diesen Kulturschock greift Karsaiová ebenso auf wie Frauenfreundschaft und Frauenliebe. Wie die Schwierigkeiten im Elternhaus und in "Eugens Wohnung", die nie Katarínas Zuhause wird. Wenn die Themenvielfalt den eher schmalen Roman nicht erdrückt, dann weil Karsaiová ganz nonchalant davon erzählt, souverän und nie oberflächlich. Nur gegen Ende greift sie zu einigen altklugen Bemerkungen: "Manchmal muss man, wenn man vorankommen will, etwas anderes und auch sich selbst verlassen - das war Katarína jetzt klar." Dieser Satz hätte eher zu der pubertierenden Figur gepasst, doch da ging auf samtene Weise alles so schnell, dass für solche Sentenzen kein Platz blieb. Und der Schluss schmälert nichts. "Samtene Scheidung" ist ein unaufgeregt erzählter Roman, der vielfach anregt. CHRISTIANE PÖHLMANN
Jana Karsaiová:
"Samtene Scheidung". Roman.
Aus dem Italienischen von Ruth Mader-Koltay.
Nonsolo Verlag,
Freiburg 2024. 184 S., br., 21,- Euro.
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