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Es gibt großartige Bücher von Schauspielerinnen und Schauspielern, in denen sie schildern, wie sie wurden, was sie sind, wie sie ihren Beruf begreifen und ihre Kunst verstehen, von Alexander Granachs "Da geht ein Mensch" über Fritz Kortners "Aller Tage Abend" und Elisabeth Bergners "Bewundert viel und viel gescholten" bis zu Angela Winklers "Mein blaues Zimmer". Nun hat sich auch Samuel Finzi in eigener Sache zu Wort gemeldet und einen "autobiografischen Roman" vorgelegt. Das scheint ein neues Genre zu sein, aber was soll es bedeuten?
Hat sich Finzi diesen Begriff ausgedacht, oder steckt die "Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin" dahinter, bei der das Werk erschienen ist - eventuell, um Kosten zu sparen und keine Recherchen anstellen zu müssen? Was nicht stimmt, wäre demnach also Fiktion, und was stimmt, ist autobiographisch? Nicht dass Samuel Finzi, geboren 1966 in Bulgarien, seit 1989 in Deutschland daheim und von diversen Theaterbühnen sowie aus unzähligen Filmen in Kino und Fernsehen bekannt und beliebt, hier massenhaft zweifelhafte Dinge auftischen würde. Doch manches von dem, was er gemütvoll und plastisch erinnert, wirkt ein bisschen aufpoliert - wie es vielleicht zu später Stunde in der Kantine klingt, wenn die Kolleginnen und Kollegen Genaueres über den Star an ihrer Seite wissen wollen. Auch das Publikum respektive die Leserschaft möchte mehr über den wunderbaren Schauspieler erfahren und geht ihm gern ins charmant vorgetragene - eventuelle - Seemannsgarn.
Samuel Finzi ist ein guter, ruhiger Erzähler, der klug und klar durch seine Kindheit und Jugend führt. Zugleich beschreibt er mit seinem Geburtsland einen Staat, dessen sozialistisch beengte Verhältnisse ihm bereits früh schwer erträglich waren und den er, wie im Volksmund einst üblich, "Land der unendlichen Unmöglichkeiten" nennt. Er ist nicht nachtragend (bis auf die zwei für ihn verlorenen Jahre beim bulgarischen Militär), aber er hat ein burleskes Gedächtnis, in dem die Freuden und schönen Zeiten ebenso wie die häufig bedrückenden Farben, Gerüche, Stimmungen, Ängste lebendig geblieben sind. Was freilich ist davon wahr, was nicht, was nicht ganz? Wie war das mit dem spontanen Organisieren der Flugreisen in den Urlaub, wie bei der Armee? Wie ging es wirklich zu in diesem Teil des Ostblocks, den Finzi irgendwie auf die literarische Landkarte hieven will? Da wäre doch manche hieb- und stichfeste Erläuterung hilfreich gewesen und auch sprachliche Sorgfalt, denn damals nahm noch niemand "den Flieger von Sofia nach Burgas", höchstens das Flugzeug.
Dieser locker fabulierte und fröhlich ausgeschmückte Rückblick in die persönliche Vergangenheit liest sich vergnüglich, sieht man vom stets moderaten Ton ohne besondere Spannungsbögen ab. Aber ergibt das alles zusammen schon einen Roman? Ist Samuel Finzi als Erzähler, um Thomas Mann zu zitieren, "der raunende Beschwörer des Imperfekts"? Natürlich nicht, und man müsste eigentlich sämtliche Romanautoren der Welt um Pardon bitten. Und das, obwohl Finzis Spitzname Sancho lautet, von den Eltern seit seiner Geburt gebraucht und bis heute in Verwendung. Wer würde hier nicht direkt an Don Quixote, dessen wohlbeleibten Begleiter und beider Phantastereien denken? Vielleicht sogar an Franz Kafka, der in "Die Wahrheit über Sancho Pansa" den Roman von Cervantes von den Windmühlenflügeln auf den Boden holte, die Verhältnisse umkehrte und in zwei Schachtelsätzen verpackte? Also, welcher Logik ist es geschuldet, Finzis schriftstellerisches Debüt gleich so hoch zu hängen?
Die Verlage müssen, versteht sich, die Werbetrommel rühren, um ihre Waren an die Käferinnen und Käufer zu bringen. Doch hätten die nicht auch eine "normale Autobiographie" erworben? Und noch lieber, wenn es darin ein paar Fotos gegeben hätte? Betrüblich dabei ist, dass derlei Verlagspolitik dem Endprodukt nicht gerade nützt. Man merkt die Absicht und ist verstimmt. Klar, es ist interessant, was der Sohn eines bekannten Schauspielers und einer erfolgreichen Pianistin und Pädagogin berichtet, der in der Atmosphäre eines liberalen Künstlerhaushalts aufwuchs, zu dem ein entsprechend westlich aufgeschlossener Freundeskreis gehörte. Festgesetzt hinter dem Eisernen Vorhang, war der Schüler sich bald seiner Lage bewusst: "Als ich sieben oder acht Jahre war, antwortete ich auf die Frage, was ich einmal werden möchte: Dirigent. Oder Diplomat. Und warum? Weil Dirigenten und Diplomaten sich auf der ganzen Welt frei bewegen dürfen. Erstaunlich. Ich hatte, verdammt noch mal, schon damals die richtige Intuition."
Für Samuel Finzi ist sein erstes Buch selbstredend etwas Besonderes - und Neues. Wäre es nicht die Aufgabe von Profis aus der Verlagsbranche gewesen, ihm zum Beispiel beim Titel zu helfen? Man stelle sich die Ankündigungen und Rezensionen vor: "Und jetzt zu Samuel Finzis Buch 'Samuels Buch'" . . . Soll das etwa witzig sein? Es wirkt leider nur schlecht überlegt. IRENE BAZINGER
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
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