- Verlag: Carlsen Verlag GmbH
- Seitenzahl: 128
- Altersempfehlung: ab 14 Jahre
- Erscheinungstermin: 30. Juli 2020
- Deutsch
- ISBN-13: 9783646933406
- Artikelnr.: 59277715
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Der Geschichtslehrer und seine Feinde: Tamara Bachs Roman "Sankt Irgendwas" erzählt die Geschichte einer ungewöhnlichen Abschlussfahrt.
Von Anna Vollmer
Hast du was gehört von der b?" "Wieso gehört? Was ist denn passiert, ist was passiert?" "Auf der Klassenfahrt." "Ich hab gehört, dass die jetzt alle verwarnt sind."
Auf den ersten Seiten von Tamara Bachs "Sankt Irgendwas" ist der Ton schon gesetzt - der Sound des Schulhofs. Gruppen in der Pause, vielleicht kurz vor Schulschluss, sie quasseln und fallen sich ins Wort. Denn in der Parallelklasse ist irgendetwas passiert. Das ist aufregend, alle wollen mehr wissen, mutmaßen, wollen irgendwen finden, der dabei war, den man ausquetschen kann. Die Gerüchte überschlagen sich: Drogen, Brandstiftung, ein Anschlag? Was könnte eine ganze Klasse verbrochen haben, woran könnte jeder Einzelne mitschuldig sein, was so schlimm ist, dass gleich alle Eltern zum Elternabend einberufen werden?
Es ist ein Rätsel, das über lange Zeit auch die Leser begleiten wird, die all ihr Wissen allein von den Schülern beziehen. Vom Geplapper der Parallelklassen und vom Klassenfahrtprotokoll der 10b, das die Schüler über ihre Reise nach "Sankt Irgendwas" führen - einer Stadt irgendwo im Süden, vielleicht in Italien, vielleicht in Kroatien, "irgendwas mit Ruinen" jedenfalls.
Es wäre unklug, nun allzu viel von dem zu verraten, was auf dieser Fahrt passiert. Denn natürlich lebt Bachs Buch auch von der Spannung, das herausfinden zu wollen, und von der Überraschung am Ende. Eins soll hier vorweggenommen werden: In die Luft fliegt nichts. Das würde gar nicht zu Bachs Erzählweise passen, die subtil die Gräben aufzeigt, die sich zwischen der Klasse und ihrem Lehrer, "dem Utz", aufgetan haben.
Schon im Getuschel auf dem Schulhof wird verraten, was der Utz für einer ist: ein angestaubter Geschichtslehrer, der bevorzugt lange, dröge Monologe hält und der schon vor Beginn der Fahrt ein paar seiner Schüler auf dem Kieker hat. Ein Lehrer, der in seinen Schülern offensichtlich Feinde sieht, weil er ihre Welt nicht versteht. Sogar "die Kaiserin", die andere Lehrerin mit auf Klassenfahrt, weiß, "dass jemand wie der Utz nicht mehr aus seiner Haut kann, dass der nicht mehr umlernt". Wenn das im Unterricht schon ein Problem war, so wird es auf Klassenfahrt ein noch größeres.
Schon in ihren vorherigen Büchern hatte Tamara Bach, Jahrgang 1976, ein Gespür für Zeitgeist. Ihr erstes Buch "Marsmädchen" aus dem Jahr 2003, für das sie unter anderem den Deutschen Jugendliteraturpreis bekam, beschrieb die Liebesgeschichte zwischen zwei Mädchen, lange bevor Homosexualität in der Jugendliteratur zu dem Thema wurde, das es inzwischen ist. Auch "Sankt Irgendwas" merkt man beim Lesen an, dass dieses Buch genau jetzt geschrieben werden musste, denn es geht, ganz nebenbei und wie dahingetupft, um viele Debatten, die wir gerade führen. Um Schüler, die ihren Lehrer zurechtweisen, wenn der, wie sie finden, sexistische, rassistische oder homophobe Witze macht, die keiner von ihnen lustig findet. Und für die psychische Probleme ernst zu nehmen und keine "neumodischen Psychowehwehchen" sind.
Doch wäre dieser Roman nicht der, der er ist, wenn "Sankt Irgendwas" trotz aktueller Bezüge nicht auch eine universelle Geschichte erzählte. Denn das Gefühl der letzten Klassenfahrt wird immer dasselbe sein. Bach braucht wenige Worte, um das zu beschreiben: "Jetzt sind wir eine Klasse. In zwei Wochen sind wir das nicht mehr." Keine banale Feststellung von Tatsachen: Die beiden Sätze enthalten zwischen den Zeilen all die Gefühle, die man mit dem Ende eines Lebensabschnitts, mit einem Abschied, eben verbindet - egal wie sie aussehen mögen.
Die Schönheit der Geschichte, die hier erzählt wird, liegt in dem Gefühl, eine Klasse zu sein, zumindest jetzt noch, in der Zugehörigkeit und Solidarität zwischen allen - und in einer plötzlichen Allianz, mit der niemand gerechnet hätte. Das ganze Buch hindurch ist man berührt von diesen Jugendlichen, die so bedingungslos zueinander halten. Als in der Klasse jemand droht wegen einer Regelwidrigkeit aufzufliegen und der Utz tobt, sind die anderen an seiner Seite. Bei Bach klingt das so: "Und hinter ihm war jemand aufgeregt, aber jemandem wurden auch Hände auf die Schulter gelegt. Nein, melde dich nicht."
Es ist das Gegenteil der nicht selten getroffenen Aussage, echte Freundschaften litten, weil Jugendliche ständig am Handy hingen. Bach weiß nur zu gut: Auch dort kommunizieren sie mit Menschen, die sie gern haben, für die sie da sein wollen. Etwas, das der Utz in "Sankt Irgendwas" wiederum absolut nicht verstehen kann.
In diesem Buch, das vor allem von Zusammenhalt und Gemeinschaft erzählt, sticht keine einzige Figur hervor. Selbst wer das Protokoll führt, wer also spricht, weiß man irgendwann nicht mehr genau. Denn die Schüler haben entschieden, nichts zu verraten, nichts zu teilen. Und da Bachs Stimme gänzlich hinter den Stimmen der Schüler verschwindet, teilen sie auch uns nicht alles mit. Doch das ist nicht schlimm, im Gegenteil, denn in ihrer Vagheit, in ihren kurzen Sätzen, die der Vorstellung viel Raum lassen, liegt die ganze Stärke der Erzählung. Niemanden in den Fokus zu stellen, keine Orte zu nennen ist auch deshalb eine sehr treffende stilistische Entscheidung, weil sich diese Konflikte gerade an vielen Schulen abspielen. Und auch schon immer abgespielt haben.
Tamara Bach: "Sankt Irgendwas". Roman.
Carlsen Verlag, Hamburg 2020. 128 S., geb., 13,- [Euro]. Ab 14 J.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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