Saturn is a fictionalised version of the personal life of the great Spanish Painter Goya. The story is narrated by Goya, his son Javier and his grandson Mariano. The deeply flawed relationship between the three generations produce an atmosphere of psychological tension.The story is built around the theory that Goya's horrific series of Black Paintings were in fact the work of his son Javier, and were Javier's way of expressing his feelings about his father. Each of the paintings features as an illustration within the book. Saturn will appeal to readers of historical novels and anyone interested in Goya, his work and art in general.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.08.2013Der Ast, an dem
Saturn hängt
Wer malte die „Schwarzen Bilder“ im Landhaus des Tauben?
Jacek Dehnel, ein Star der jungen polnischen Literatur, verrät es in seinem
virtuosen Künstlerroman über die Männer der Familie Goya
VON JENS BISKY
Einem Kind, das in der „Straße der Enttäuschung“ zur Welt kommt, scheint der Weg vorgezeichnet. Es wird nicht leisten, was von ihm erwartet wird. Je höher die Ansprüche, desto größer sein Versagen. Am Tag der Geburt rennt der Vater durch die Straßen von Madrid und schreit, dass es in der Stadt keinen schöneren Anblick gebe als diesen, seinen Jungen. Die Vaterliebe freilich gilt weniger dem Wurm in der Wiege, dem Kind, das da heranwächst, viel mehr dem verjüngten Abbild des eigenen Ich, der Hoffnung, der Sohn möge werden wie sein Erzeuger: Francisco de Goya, gesegnet mit Genie und Geld, bald Hofmaler Karls III. und später weiterer Könige. Gut zwanzig Mal wird seine Frau schwanger, dann hört er auf zu zählen. Nur ein Kind, ein Sohn, überlebt, Javier aus der „Straße der Enttäuschung“. Er wird Maler wie Francisco, doch er malt nicht, wie er soll, er zeichnet „wie ein Weibsbild“, wird auch durch den Stimmbruch nicht männlicher, setzt früh Fett an, hockt sich träge den Hintern breit. Bald glauben auch seine Frau und sein Sohn, dass Javier eine „Trantüte“ ist, ein „impotenter Lahmarsch“, ein Schwächling, das Werk, das Francisco de Goya missglückte.
Mit Javiers Geburt beginnt Jacek Dehnels Roman „Saturn“, das Buch des jungen polnischen Schriftstellers endet mit dem Tod des so viele Enttäuschenden. Da über den Sohn des von Jahr zu Jahr größer, moderner, genialer scheinenden Francisco de Goya nur wenig bekannt ist, taugt er zum Helden eines literarischen Spiels, eines Künstlerromans über das Gesetz des Vaters, die Zwänge der Familie und über das Malen. Drei Männer der Familie Goya lässt Dehnel sprechen, in einer Folge von Monologen die Psychodramen der Familie enthüllen: Vater, Sohn und Enkel, Francisco, Javier, Mariano. Unterbrochen wird die Kette der Männermonologe von Bildbeschreibungen, drastischen Vergegenwärtigungen der „schwarzen Bilder“ aus Goyas Landhaus „Quinta del Sordo“ („Landhaus des Tauben“). Die vierzehn Gemälde – darunter der berühmte, seinen Sohn verschlingende Saturn, die Parzen und ein Duell mit Stöcken – sind heute im Prado zu bewundern. Wer immer sie für einen Höhepunkt, gar für die Quintessenz des Goyaschen Werks hält, muss sich nun von Jacek Dehnel sagen lassen, dass sie nicht Francisco, sondern der lahmarschige Sohn Javier gemalt hat. Von ihm stammen auch die Bildbeschreibungen im Roman, sie sind Teil seines Versuchs, mit dem übermächtigen Vater fertig zu werden. Die düsteren, rätselhaften Visionen, die zu immer neuen Deutungen herausfordern, weil so wenig Sicheres über sie zu wissen ist, werden zur Familienaufstellung in kriegerischen Zeiten.
Jacek Dehnel beruft sich auf eine Studie, in der Juan José Junquera nachzuweisen versuchte, das die Fresken aus dem „Landhaus des Tauben“ nicht von Francisco de Goya stammen können. Ein Inventarverzeichnis, auf das man sich oft beruft, hält Junquera für eine Fälschung. Möglicherweise wurde es vom Enkel Mariano verfasst, um die Villa besser verkaufen zu können. Der Teil des Hause, in dem sich die Fresken befanden, sei wahrscheinlich erst nach Franciscos Tod erbaut worden. Wer also könnte der Maler der „schwarzen Bilder“ sein? Nun, Javier, sagt Junquera. Kenner haben ihm widersprochen, seine Thesen brüsk zurückgewiesen.
Der Leser kann den Streit getrost den Gelehrten überlassen. Dehnel nimmt sich die Freiheit des Dichters, seine eigene Geschichte der Familie Goya zu erzählen. Und literarisch ist sie allemal plausibel und bleibt es, was auch immer Kunsthistoriker demnächst herausfinden, behaupten oder entdecken werden.
Dass der Prado im Jahr 2009 zugab, der „Koloss“, bis dahin ein kanonisches Werk Francisco de Goyas, sei mit Sicherheit von einem anderen gemalt worden, fordert die Phantasie geradezu heraus. In dem Roman „Saturn“ wird der Koloss zum ersten eigenständigen Werk Javiers, des Malers ohne Gemälde. Ein patriotisches Gedicht entzündet seine Einbildungskraft: „Und sofort sah ich es, das ganze Bild, mit allen Einzelheiten, als wäre es auf den Seiten des Büchleins erschienen: von den Rauchwolken, die den erhabenen Koloss umhüllen, über seine muskulösen Arme und den breiten Rücken bis zur panischen Flucht der französischen Armee – mit ihren Pferden, Maultieren, Wagen, Zinnsoldaten.“ Seit Jahren hatte ihn nichts begeistert, nun überwältigt ihn die Vision, er beginnt zu malen. Der Vater, durch eine schwere Krankheit taub geworden, glaubt der Nachricht kaum, dass der Faulpelz Javier, „der den ganzen Tag auf dem Bauch lag wie ein Weib“ begonnen habe zu malen. Nachts schleicht er sich vor das Bild, korrigiert einen Rappen. Und das obwohl er, wie im Roman mehrfach versichert wird, für Pferde kein Talent besitzt, sie einfach nicht hinbekommt.
Wer nun glaubt, dieser Familiengeschichte mit etwas Küchenpsychologie beizukommen, der tappt in Fallen, die der Autor ihm hingestellt hat. Gewiss: Da ist der dominante, egomanische Vater, dem jede junge Frau, auch die des eigenen Sohnes, für Wild gilt, das man jagen muss; da ist der Sohn, dem gar nichts bleibt, als vor all der Virilität ins tranig Träge zu flüchten. Aber das ist nur die Oberfläche: Briefe, die nach dem Tod des Vaters auftauchen, enthüllen – derb und zärtlich in einem – eine lebenslange Liebe des Vaters zu seinem Freund, seinem Bettgenossen Zapater. Auch hier hat Dehnel seine Fiktion eng an das historische Material gebunden, immer wieder nutzt er Formulierungen aus Briefen und fügt sie in seine erfundene, erschriebene Welt.
Dehnel gilt als Jungstar der polnischen Literatur. Hochgebildet, Sohn einer Malerin und selber Maler, hat er mehrere Gedichtbände veröffentlicht, bevor er, Jahrgang 1980, dreißig wurde. Der Nobelpreisträger Czeslaw Milosz hat ihn angepriesen. In Deutschland erschien 2008 der Roman „Lala“, der auf Erzählungen der Großmutter beruht. Es ist vor allem Dehnels bilderreiche, anschauliche Sprache, die seine Fiktionen beglaubigt. Dank der erfahrenen, hier manchmal vielleicht zu gediegenen Übersetzerin Renate Schmidgall ist auch im Deutschen die Verschiedenheit der drei Goyas zu spüren: zupackend, Sentimentalitäten scheuend, grob und verschwenderisch in seiner Liebe der Vater; ausweichend, in sich gekehrt, aus der Kränkung heraus lebend der Sohn; ein eitler Geck der Enkel. Ihm, dem Verhätschelten, bloß Ehrgeizigen, fehlt die Erfahrung der Maler: wie sich im Akt des Erfindens, des Schaffens das Ich und die Welt verwandeln.
Anfangs scheint es, als lege Dehnel seine Goyas auf die Couch, verordne ihnen eine Redekur. Von der Psychoanalyse hat er das literarisch Fruchtbare übernommen: den Glauben an die therapeutische, heilsame Wirkung des Erzählens. Erinnerungen müssen ausgegraben, Gefühle heraufgerufen, Worte gefunden werden. So feiert der Roman das Erschaffen eigener Welten aus dem Ich. Der Vater macht dabei Dreck, dem Sohn graust vor dem Schmutz des Ateliers. Der Saturn, der seine Kinder verschlingt, gab auch der Bleivergiftung den Namen, die Maler heimsucht, weil sie Bleiweiß nutzen: Saturnismo. Im Zeichen des Saturn zu erzählen, heißt aber auch, nicht vom Ödipuskomplex zu reden. Dieser Sohn will nicht verschlungen, nicht der Vater werden, will dessen Rolle nicht einnehmen – und malt gleichsam in Notwehr in dessen Stil.
„Sag mir, wer den Vater erfunden hat, und zeig mir den Ast, an dem sie ihn aufgehängt haben“, lautet ein Motto des Romans, in dem jeder lesen und leben kann wie in einem klug konstruierten Spiegelkabinett. Die meisten Motive kehren mehrfach variiert wieder. So scheint etwa eine Tochter die von seinem „verweiblichten“ Sohn enttäuschten Hoffnungen des alten Goya auf ein von ihm gezeugtes Genie, doch noch zu erfüllen.
Die „Straße der Enttäuschung“ hat ihren Namen nicht von ungefähr. In ihr jagten einst vier Burschen ein hübsches Mädchen, rissen ihr die Kleider vom Leib und erblickten einen stinkenden Körper, der zu Staub zerfiel. Ist das Gesetz des Vaters das der Gewalt? Jacek Dehnels „Saturn“ entzieht sich jeder einsinnigen Deutung. Über diesem wunderbaren europäischen Künstlerroman könnte stehen: Du musst Dir ein Bild machen, aber sieh zweimal hin!
Jacek Dehnel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya. Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall. Carl Hanser Verlag, München 2013. 272 Seiten, 19,90 Euro, E-Book 15,99 Euro .
Dehnel hat seine Fiktion eng
ans historische Material gebunden
und geht doch frei damit um
Der Autor, selbst Maler und Sohn
einer Malerin, hat bereits
mehrere Lyrikbände veröffentlicht
„Ach, der Teufelskerl. Er hatte sich die ganze Zeit versteckt“: Lange Zeit galt dieses
Gemälde als Werk Francisco de Goyas (1746-1828), aber ein anderer muss es gemalt haben. Wer?
Javier Goya, der Sohn, heißt es in Jacek Dehnels Roman „Saturn“. FOTO: REUTERS
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Saturn hängt
Wer malte die „Schwarzen Bilder“ im Landhaus des Tauben?
Jacek Dehnel, ein Star der jungen polnischen Literatur, verrät es in seinem
virtuosen Künstlerroman über die Männer der Familie Goya
VON JENS BISKY
Einem Kind, das in der „Straße der Enttäuschung“ zur Welt kommt, scheint der Weg vorgezeichnet. Es wird nicht leisten, was von ihm erwartet wird. Je höher die Ansprüche, desto größer sein Versagen. Am Tag der Geburt rennt der Vater durch die Straßen von Madrid und schreit, dass es in der Stadt keinen schöneren Anblick gebe als diesen, seinen Jungen. Die Vaterliebe freilich gilt weniger dem Wurm in der Wiege, dem Kind, das da heranwächst, viel mehr dem verjüngten Abbild des eigenen Ich, der Hoffnung, der Sohn möge werden wie sein Erzeuger: Francisco de Goya, gesegnet mit Genie und Geld, bald Hofmaler Karls III. und später weiterer Könige. Gut zwanzig Mal wird seine Frau schwanger, dann hört er auf zu zählen. Nur ein Kind, ein Sohn, überlebt, Javier aus der „Straße der Enttäuschung“. Er wird Maler wie Francisco, doch er malt nicht, wie er soll, er zeichnet „wie ein Weibsbild“, wird auch durch den Stimmbruch nicht männlicher, setzt früh Fett an, hockt sich träge den Hintern breit. Bald glauben auch seine Frau und sein Sohn, dass Javier eine „Trantüte“ ist, ein „impotenter Lahmarsch“, ein Schwächling, das Werk, das Francisco de Goya missglückte.
Mit Javiers Geburt beginnt Jacek Dehnels Roman „Saturn“, das Buch des jungen polnischen Schriftstellers endet mit dem Tod des so viele Enttäuschenden. Da über den Sohn des von Jahr zu Jahr größer, moderner, genialer scheinenden Francisco de Goya nur wenig bekannt ist, taugt er zum Helden eines literarischen Spiels, eines Künstlerromans über das Gesetz des Vaters, die Zwänge der Familie und über das Malen. Drei Männer der Familie Goya lässt Dehnel sprechen, in einer Folge von Monologen die Psychodramen der Familie enthüllen: Vater, Sohn und Enkel, Francisco, Javier, Mariano. Unterbrochen wird die Kette der Männermonologe von Bildbeschreibungen, drastischen Vergegenwärtigungen der „schwarzen Bilder“ aus Goyas Landhaus „Quinta del Sordo“ („Landhaus des Tauben“). Die vierzehn Gemälde – darunter der berühmte, seinen Sohn verschlingende Saturn, die Parzen und ein Duell mit Stöcken – sind heute im Prado zu bewundern. Wer immer sie für einen Höhepunkt, gar für die Quintessenz des Goyaschen Werks hält, muss sich nun von Jacek Dehnel sagen lassen, dass sie nicht Francisco, sondern der lahmarschige Sohn Javier gemalt hat. Von ihm stammen auch die Bildbeschreibungen im Roman, sie sind Teil seines Versuchs, mit dem übermächtigen Vater fertig zu werden. Die düsteren, rätselhaften Visionen, die zu immer neuen Deutungen herausfordern, weil so wenig Sicheres über sie zu wissen ist, werden zur Familienaufstellung in kriegerischen Zeiten.
Jacek Dehnel beruft sich auf eine Studie, in der Juan José Junquera nachzuweisen versuchte, das die Fresken aus dem „Landhaus des Tauben“ nicht von Francisco de Goya stammen können. Ein Inventarverzeichnis, auf das man sich oft beruft, hält Junquera für eine Fälschung. Möglicherweise wurde es vom Enkel Mariano verfasst, um die Villa besser verkaufen zu können. Der Teil des Hause, in dem sich die Fresken befanden, sei wahrscheinlich erst nach Franciscos Tod erbaut worden. Wer also könnte der Maler der „schwarzen Bilder“ sein? Nun, Javier, sagt Junquera. Kenner haben ihm widersprochen, seine Thesen brüsk zurückgewiesen.
Der Leser kann den Streit getrost den Gelehrten überlassen. Dehnel nimmt sich die Freiheit des Dichters, seine eigene Geschichte der Familie Goya zu erzählen. Und literarisch ist sie allemal plausibel und bleibt es, was auch immer Kunsthistoriker demnächst herausfinden, behaupten oder entdecken werden.
Dass der Prado im Jahr 2009 zugab, der „Koloss“, bis dahin ein kanonisches Werk Francisco de Goyas, sei mit Sicherheit von einem anderen gemalt worden, fordert die Phantasie geradezu heraus. In dem Roman „Saturn“ wird der Koloss zum ersten eigenständigen Werk Javiers, des Malers ohne Gemälde. Ein patriotisches Gedicht entzündet seine Einbildungskraft: „Und sofort sah ich es, das ganze Bild, mit allen Einzelheiten, als wäre es auf den Seiten des Büchleins erschienen: von den Rauchwolken, die den erhabenen Koloss umhüllen, über seine muskulösen Arme und den breiten Rücken bis zur panischen Flucht der französischen Armee – mit ihren Pferden, Maultieren, Wagen, Zinnsoldaten.“ Seit Jahren hatte ihn nichts begeistert, nun überwältigt ihn die Vision, er beginnt zu malen. Der Vater, durch eine schwere Krankheit taub geworden, glaubt der Nachricht kaum, dass der Faulpelz Javier, „der den ganzen Tag auf dem Bauch lag wie ein Weib“ begonnen habe zu malen. Nachts schleicht er sich vor das Bild, korrigiert einen Rappen. Und das obwohl er, wie im Roman mehrfach versichert wird, für Pferde kein Talent besitzt, sie einfach nicht hinbekommt.
Wer nun glaubt, dieser Familiengeschichte mit etwas Küchenpsychologie beizukommen, der tappt in Fallen, die der Autor ihm hingestellt hat. Gewiss: Da ist der dominante, egomanische Vater, dem jede junge Frau, auch die des eigenen Sohnes, für Wild gilt, das man jagen muss; da ist der Sohn, dem gar nichts bleibt, als vor all der Virilität ins tranig Träge zu flüchten. Aber das ist nur die Oberfläche: Briefe, die nach dem Tod des Vaters auftauchen, enthüllen – derb und zärtlich in einem – eine lebenslange Liebe des Vaters zu seinem Freund, seinem Bettgenossen Zapater. Auch hier hat Dehnel seine Fiktion eng an das historische Material gebunden, immer wieder nutzt er Formulierungen aus Briefen und fügt sie in seine erfundene, erschriebene Welt.
Dehnel gilt als Jungstar der polnischen Literatur. Hochgebildet, Sohn einer Malerin und selber Maler, hat er mehrere Gedichtbände veröffentlicht, bevor er, Jahrgang 1980, dreißig wurde. Der Nobelpreisträger Czeslaw Milosz hat ihn angepriesen. In Deutschland erschien 2008 der Roman „Lala“, der auf Erzählungen der Großmutter beruht. Es ist vor allem Dehnels bilderreiche, anschauliche Sprache, die seine Fiktionen beglaubigt. Dank der erfahrenen, hier manchmal vielleicht zu gediegenen Übersetzerin Renate Schmidgall ist auch im Deutschen die Verschiedenheit der drei Goyas zu spüren: zupackend, Sentimentalitäten scheuend, grob und verschwenderisch in seiner Liebe der Vater; ausweichend, in sich gekehrt, aus der Kränkung heraus lebend der Sohn; ein eitler Geck der Enkel. Ihm, dem Verhätschelten, bloß Ehrgeizigen, fehlt die Erfahrung der Maler: wie sich im Akt des Erfindens, des Schaffens das Ich und die Welt verwandeln.
Anfangs scheint es, als lege Dehnel seine Goyas auf die Couch, verordne ihnen eine Redekur. Von der Psychoanalyse hat er das literarisch Fruchtbare übernommen: den Glauben an die therapeutische, heilsame Wirkung des Erzählens. Erinnerungen müssen ausgegraben, Gefühle heraufgerufen, Worte gefunden werden. So feiert der Roman das Erschaffen eigener Welten aus dem Ich. Der Vater macht dabei Dreck, dem Sohn graust vor dem Schmutz des Ateliers. Der Saturn, der seine Kinder verschlingt, gab auch der Bleivergiftung den Namen, die Maler heimsucht, weil sie Bleiweiß nutzen: Saturnismo. Im Zeichen des Saturn zu erzählen, heißt aber auch, nicht vom Ödipuskomplex zu reden. Dieser Sohn will nicht verschlungen, nicht der Vater werden, will dessen Rolle nicht einnehmen – und malt gleichsam in Notwehr in dessen Stil.
„Sag mir, wer den Vater erfunden hat, und zeig mir den Ast, an dem sie ihn aufgehängt haben“, lautet ein Motto des Romans, in dem jeder lesen und leben kann wie in einem klug konstruierten Spiegelkabinett. Die meisten Motive kehren mehrfach variiert wieder. So scheint etwa eine Tochter die von seinem „verweiblichten“ Sohn enttäuschten Hoffnungen des alten Goya auf ein von ihm gezeugtes Genie, doch noch zu erfüllen.
Die „Straße der Enttäuschung“ hat ihren Namen nicht von ungefähr. In ihr jagten einst vier Burschen ein hübsches Mädchen, rissen ihr die Kleider vom Leib und erblickten einen stinkenden Körper, der zu Staub zerfiel. Ist das Gesetz des Vaters das der Gewalt? Jacek Dehnels „Saturn“ entzieht sich jeder einsinnigen Deutung. Über diesem wunderbaren europäischen Künstlerroman könnte stehen: Du musst Dir ein Bild machen, aber sieh zweimal hin!
Jacek Dehnel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya. Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall. Carl Hanser Verlag, München 2013. 272 Seiten, 19,90 Euro, E-Book 15,99 Euro .
Dehnel hat seine Fiktion eng
ans historische Material gebunden
und geht doch frei damit um
Der Autor, selbst Maler und Sohn
einer Malerin, hat bereits
mehrere Lyrikbände veröffentlicht
„Ach, der Teufelskerl. Er hatte sich die ganze Zeit versteckt“: Lange Zeit galt dieses
Gemälde als Werk Francisco de Goyas (1746-1828), aber ein anderer muss es gemalt haben. Wer?
Javier Goya, der Sohn, heißt es in Jacek Dehnels Roman „Saturn“. FOTO: REUTERS
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