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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Jakub Maleckis Roman "Saturnin"
Der dreißig Jahre alte Saturnin Markiewicz ist kein Mann der Saturnalien, vielmehr ein Trauerkloß. Einsam und eintönig lebt der Handelsvertreter in Warschau, erwehrt sich bohrender Minderwertigkeitsgefühle, indem er haufenweise Süßigkeiten in sich hineinschaufelt, und tut sich auch aus diesem Grund mit allem schwer. Selbst einen einmal gefundenen Parkplatz gibt er ungern auf, ist die Suche nach einem neuen doch recht langwierig. Als seine Mutter anruft, weil Opa spurlos verschwunden ist, bricht Saturnin schlecht gelaunt auf in die Provinz. Es ist eine Reise in seine Vergangenheit, in die der Familie und nicht zuletzt die Polens. Jakub Malecki hat mit "Saturnin" einen Matrjoschka-Roman geschrieben.
In Kwilno ist Saturnin mit einem Mal wieder das schweigsame Kind. Seine sechzigjährige Mutter schwatzt fortwährend über alles Mögliche. Sie dichtet, weiß der Sohn, mit Worten jede Ritze zur Außenwelt ab. Miteinander sprechen die beiden nur das Nötigste. Sie sind wie zwei "Planeten, die zu weit voneinander entfernt sind, als dass ihre Bewohner einander hören könnten". Saturnins Eltern sind geschieden, sein depressiver Vater zeigte nie Interesse am Sohn. Dass Saturnin um seine Liebe warb, indem er durch massives Doping und die in Kauf genommene Zerstörung seines Ellbogens die polnische Meisterschaft im Gewichtheben errang, schien der Vater gar nicht zu bemerken. Auch der Großvater schwieg aus unbekannten Gründen und hielt den Enkel auf Distanz. Saturnin wurde zum gefügigen Niemand. Um die ihm, wie er glaubt, nicht zukommende Zuneigung anderer zu erringen, versucht er jeden Wunsch seines Gegenübers zu erraten und zu erfüllen. Die eigenen Wünsche aber kennt er nicht und geht sich verloren. Mit seinem ungewöhnlichen Vornamen ehrte der Großvater einen Kriegsfreund, reichte an den Enkel aber zugleich das Unglück, die Sorgen, die Melancholie weiter.
Würde Jakub Malecki diese fatale Familiendisposition nicht in kleinen Portionen und formal abwechslungsreich erzählen, die Leser liefen ihm wohl in Scharen davon. Doch der Roman zerfällt unterhaltsam in sieben Teile, deren Kapitel wiederum in kurze Szenen, geschildert von Saturnin und dem Großvater aus der Ich-Perspektive sowie einem allwissenden Erzähler. Die Mutter ist mit Briefen vertreten, und selbst eine Tote erhebt ihre Stimme in kursiver Schrift. Es ist die geliebte Schwester des Großvaters, die im Zweiten Weltkrieg durch die Hand eines deutschen Besatzers ums Leben kam. Als ihr Bruder davon erfuhr, rächte er sie vielfach. Zahllose Morde lasten auf seiner Seele, und das Schweigen über sie vergiftet das Leben der Familie Markiewicz bis in die zweite Generation. "Saturnin" ist ein Roman über die transgenerationelle Weitergabe traumatischer Erfahrungen.
Der 1982 geborene Schriftsteller Jakub Malecki hat bereits elf Romane vorgelegt, und "Saturnin" wurde in Polen für die Schilderung "komplexer Emotionen" gelobt. Doch die Depressionen, die Sohn, Mutter und Großvater niederdrücken, ähneln sich sehr und wirken nicht allzu komplex. Überraschenderweise fehlt jegliche Reflexion von Verantwortung, Schuld oder Reue. Auch religiöse Überlegungen bemüht Malecki nicht. Das Geschehene ist geschehen und wird begraben in den Figuren. Es ist, als ob auch der Autor den eisernen Ring der Depressionen nicht sprengen möchte. Er lässt selbst angeheiratete Mitglieder der Familie wie Saturnins Vater an ihnen leiden. Die formale Vielfalt des in kurze Szenen fragmentierten Geschehens kreist also beständig um denselben Kern. Das verleiht "Saturnin" eine statuarische Note, auch eine Schalheit. Denn alles scheint, so grausam es auch sein mag, schon bekannt. Das Geschehen im Zweiten Weltkrieg wird bei Jakub Malecki zum Ursprung eines schicksalhaften Fluchs, der auf den Polen liegt. JÖRG PLATH
Jakub Malecki: "Saturnin". Roman.
Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall. Secession Verlag, Berlin 2022. 268 S., geb., 25,- Euro.
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