Kurzbeschreibung
Die Pipinsburg, die einzige vorgeschichtliche Befestigung im südwestlichen Harzvorland, liegt etwa 4 km nördlich von Osterode auf einem sich 60 m über das Sösetal erhebenden Sporn der Osteroder Kalkberge. Drei große hintereinander gestaffelte Abschnittswälle sicherten die Anlage gegen Angriffe von Süden her, d.h. von der einzigen nicht natürlich geschützten Seite aus. Während eines Zeitraums von rund 4500 Jahren ist dieser Platz immer wieder von Menschen aufgesucht worden. Die beiden ältesten Nutzungsphasen, das Jung- und Endneolithikum (3. und frühes 2. Jahrtausend) sowie die späte Bronzezeit (1000 – 800 v.Chr.), kannten noch keine Befestigung des Sporns. Erst die beiden eisenzeitlichen Siedlungen, die in die Späthallstatt-/Frühlatènezeit (525 – 375 v.Chr.) bzw. Mittellatènezeit (325/300 – 150 v.Chr.) fallen, wiesen Mauern aus Holz, Erde und Steinen auf. Aus der nachchristlichen Zeit sind wenige Siedlungsspuren des 4./5. Jahrhunderts sowie umfangreiche aus dem gesamten Mittelalter überliefert. Die Schutzanlagen wurden während des 7./8. bis 15. Jahrhunderts zweimal erneuert und auch erweitert. Aufgrund des geologisch bedingten äußerst unregelmäßigen Oberflächenreliefs schwankt die Stärke der Kulturschicht zwischen 10 cm und mehr als 3 m. Bei den Ablagerungen in den Vertiefungen lassen sich in der Regel drei Horizonte unterscheiden. Die unterste Schicht (III) enthält Funde der frühen Eisenzeit, gelegentlich auch der späten Bronzezeit, die mittlere Strate (II) entstand während der Mittellatènezeit und der oberste Horizont (I) geht auf die mittelalterliche Besiedlung zurück.
Von dem Fundmaterial werden außer den Überresten der materiellen Kultur der Pipinsburgbewohner der vorchristlichen Zeit auch die während der Eisenzeit angefallenen organischen Reste vorgestellt. Hierzu zählen beispielsweise verkohlte Samen und Früchte von Kultur- und Wildpflanzen sowie Tierknochen. Die Skelettreste der Haustiere – insbesondere von Rind, Schwein, Pferd und Schaf/Ziege – belegen u.a., dass die Tiere auf der Pipinsburg geschlachtet und zerlegt und auch die Abfälle hier entsorgt wurden. Erstmals wird in dieser Arbeit auch eine wissenschaftliche Untersuchung der menschlichen Skelettreste von der Pipinsburg vorgelegt. Soweit eine zeitliche Zuordnung der Knochen überhaupt möglich ist, gehören sie zum ganz überwiegenden Teil der mittleren Latènezeit an. Einige wenige könnten aus der älteren eisenzeitlichen Schicht stammen. Die Fundsituation der Knochen – sie lagen vermischt mit anderem archäologischen Material in Abfallgruben – sowie ihre Zusammensetzung – zu etwa einem Drittel handelt es sich um Schädelbruchstücke und zu annähernd 50 Prozent um Langknochen – ermöglichen einen Vergleich dieses mittellatènezeitlichen Materials mit den Funden von Menschenknochen in Siedlungen der Spätlatènezeit Süddeutschlands und der Schweiz. Diskutiert wird, ob die Deutung der menschlichen Skelettreste aus Siedlungsgruben im Bereich der Oppidazivilisation – die Schädelbruchstücke gelten nach allgemeiner Forschungsmeinung (bislang) als Überreste von Schädeltrophäen und die Längsknochen als Belege für einen Ahnenkult – auf die Funde von der Pipinsburg übertragen werden kann.
Das vorgestellte ossuäre Material entstammt 67 Fundkomplexen, deren überwiegender Teil aus einzelnen menschlichen Knochenstücken besteht. Die anatomische Zusammensetzung ist eher vom Zufall gesteuert oder folgt allenfalls eher taphonomisch-biologischen Gesichtspunkten denn sozialen Siebungsfaktoren. Die anhand von 70 geschlechtsbestimmbaren Fundstücken ermittelte Sexualrelation von 26 Männern versa sieben Frauen weicht signifikant von der biologisch determinierten Erwartung ab, wenngleich bei entsprechender Einbeziehung der 28 geschlechtsunbestimmten Erwachsenen fast jedwede Geschlechtsrelation zu erreichen wäre. Die altersmäßige Zusammensetzung der Stichprobe von der Pipinsburg entspricht am ehesten jener einer „normalen“ Bevölkerung. Die jeweils ermittelten demographischen Befunde werden ins Umfeld zeitähnlicher Serien gestellt und gewertet, womit zugleich eine Forschungslücke für die Latènezeit ansatzweise geschlossen wird. Traumatische Veränderungen am Skelett wurden nicht beobachtet. Jedoch führt der Fund eines Schädelrondells zur Diskussion eines vermeintlichen Schädelkultes, wie ihn Lehrmeinung und antike Quellen suggerieren. Dies wird in osteoarchäologischer Diskussion für das vorliegende Fundgut eindeutig zurückgewiesen. Aus welchen Gründen die menschlichen Skelettreste in den Siedlungsschichten eingelagert wurden, ist nicht eindeutig zu ermitteln. Mutmaßlich überlagern sich verschiedene Gründe und Faktoren, wobei ein Wechsel der Bestattungssitte eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben mag.
Description
Pipinsburg is the only prehistoric fortified settlement in the Harz, the highest mountain range in northern Germany. The hillfort is situated 4 km northward of the town of Osterode on a 60 m high terrace. The settlement was fortified by nature on three sides. The only accessible side was protected by three staggered ramparts against attacks from the south. The place was used over a period of around 4500 years. In both of the oldest phases, namely the earlier/later Neolithic period (3rd and early 2nd millennium) and the late Bronze Age (1000 – 800 BC), no fortifications were built. Both Iron Age settlements – late Hallstatt/early Latène period (525 – 375 BC) and middle Latène period (325/300 – 150 BC) – had ramparts of wood, earth, and stone. Only a few traces of settlement date to 4th – 5th centuries, whereas many date from medieval times. The fortifications were renewed and enlarged twice during a period from the 7th/8th to the 15th centuries AD. The thickness of the archaeological layer varies from 10 cm to more than three meters; this is caused by the geologically highly irregular relief. The contents of the depressions can be distinguished into three strata. The lowest level shows finds from the early Iron Age, sometimes also from the late Bronze Age. The middle level dates to the middle Latène period, whereas the upper level belongs to the medieval settlement phase.
A summary is given concerning archaeological finds as well as the botanical material and animal bones from the Iron Age. The skeletal remains of domesticated animals – especially of cattle, pigs, horses and sheep/goats – show that the animals were slaughtered at Pipinsburg before being dismembered and disposed of here. The results of the analysis of the human bones found at Pipinsburg are presented here for the first time. This material is mostly from the middle Latène period. A few finds may be linked to the older Iron Age level.
The human bones come from 67 archaeological units. The bones were found mixed with other archaeological materials in waste pits. All bones are broken. The majority are single pieces. Half of the human bones consist of pieces of long bone whereas nearly a third has been identified as skull fragments. No standard inhumations were observable in the material analyzed here. The anatomical composition of the bones is likely to be random or, at most, determined by taphonomic-biological aspects and not by socially determined selection criteria. The sex distribution is based on 70 finds for which the sex could be determined, 26 being male and 7 female. This ratio differs significantly from the distribution which would be projected using biologically determinant factors, although any male/female ratio is possible if the 28 adults whose sex could not be determined are included in the calculation. The age composition of the Pipinsburg sample most closely matches that of a “normal” population. The demographic findings are placed into the context of similar time series and evaluated. This approach can be used to begin to close a gap in research on the Latène period.
The skeletons did not show evidence of trauma. The discovery of a round section of a skull calotte (rondell) is discussed in relation to the skull cult as posited by current academic doctrine and by Classical sources. However, the osteoarchaeological evaluation presented here clearly refutes this hypothesis. It is not possible to determine why (or how) the human skeletal remains found their way into the levels of settlement. Several causes may have interacted to produce the observed results; a change in burial customs may have played a significant role here.
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