Zwei Jahre nach dem Attentat auf Charlie Hebdo erinnert sich Maryse Wolinski an ihren Mann Georges, den ermordeten Starkarikaturisten "Schatz, ich geh zu Charlie!" Mit diesen Worten verabschiedet sich Georges Wolinski, Comiczeichner und Starkarikaturist der Satirezeitschrift Charlie Hebdo, wie jeden Morgen von seiner Frau Maryse. Ein ganz alltäglicher Satz, und doch sollte er der letzte einer 47 Jahre dauernden, glücklichen Ehe sein. Als Maryse einige Stunden später an diesem 7.Januar 2015 ihr Handy einschaltet, hat eines der furchtbarsten Attentate des islamistischen Terrors bereits stattgefunden, zwölf Personen sind ermordet worden, Georges ist tot, mitten in Paris herrscht Krieg. Doch die Journalistin Maryse Wolinski lässt sich nicht zum Schweigen bringen: Voller Zorn, Trauer und Fassungslosigkeit schreibt sie ein erschütterndes, zärtliches und doch kämpferisches Erinnerungsbuch. Sie rekonstruiert die Ereignisse des 7. Jänner, befragt Zeugen, spricht mit den Familien, Sie klagt an: den Staat, die Polizei, die die Redaktion nicht ausreichend beschützt haben, und die islamischen Terroristen, die die Freiheit des Worts mit einem Blutbad beantwortet haben. Und sie erinnert sich: an fünf Jahrzehnte Heiterkeit, Begehren, politisches Engagement und gemeinsames Leben.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.01.2017Requiem auf den Zeichner
Maryse Wolinski erinnert an ihren ermordeten Mann
Wäre das doch nur ein Roman, wie der Residenz-Verlag auf dem Vorsatzpapier des Buchs behauptet! Aber natürlich ist es keiner: Der Zeichner Georges Wolinski wurde heute vor zwei Jahren in der Redaktion von "Charlie Hebdo" erschossen, zusammen mit elf weiteren Menschen, die beim Attentat auf das Pariser Satiremagazin starben. Seitdem haben wir Zeugenberichte darüber zu sehen bekommen. Die zeichnenden "Charlie"-Redakteure Luz und Catherine Meurisse, die am 7. Januar 2015 jeweils nicht anwesend waren und deshalb überlebten, haben ihre Erinnerungen an den Tag und die Zeit danach zu zwei eindrucksvollen Comics gemacht: "Katharsis" von Luz ist auf Deutsch 2015 bei S. Fischer erschienen, "Die Leichtigkeit" von Catherine Meurisse jetzt gerade bei Carlsen. Doch nun schreibt eine Überlebende: Maryse Wolinski, die Witwe von Georges.
Die Journalistin arbeitete nicht für "Charlie", aber nach den Morden fand sie sich am Schauplatz ein, wurde jedoch, anders als etwa Luz, nicht mehr in die Räume mit den Leichen gelassen. Stattdessen kam sie beim Warten mit den Nachbarn ins Gespräch, und so erfährt man, dass die Polizei früher vom Überfall informiert wurde als bisher bekannt. Die Rekonstruktion des Geschehens durch die abwesende Maryse Wolinski ist ebenso aufsehenerregend wie desillusionierend.
Das schmale Buch lässt die Brutalität jenes Tages spürbar werden. Eigentlich hatte Maryse Wolinski sich mit ihrem Mann, mit dem sie mehr als vierzig Jahre verheiratet war, nach der Redaktionssitzung bei "Charlie" verabredet. Wie sie dann im Taxi hörte, was passiert war, und davon benachrichtigt wurde, dass ihr Mann unter den Toten sei, das erzählt sie ruhig, ohne Zweifel an ihrer tiefen Trauer zuzulassen. Gespenstisch die Erinnerung ans Leichenschauhaus, wo sie Georges als lebendiger empfindet als in den letzten Tagen. Ihn hatte der drohende Konkurs von "Charlie Hebdo" schwer bedrückt; dass die von ihm geliebte Zeitschrift heute finanziell so gut dasteht wie nie zuvor, ist Folge seines und des Todes der Kollegen. Maryse Wolinski verschweigt nicht die Streitigkeiten um die Verteilung der Geldströme nach dem Attentat. Vorwürfe erhebt sie keine.
An Eindringlichkeit ist ihr Buch gerade wegen seiner Ruhe und des berufsbedingt gekonnten Schreibens der Autorin kaum zu überbieten. Es heißt so, wie Georges Wolinski sich verabschiedet hat: "Schatz, ich geh zu Charlie!" Und es ist schonungslos offen, was das eigene Leben angeht, und das wird nicht immer einfach gewesen sein mit einem Zeichner der berühmt war - auch für die Faszination für Frauen, die sich in seinen Cartoons zeigt. Doch sie erstreckte sich auch auf die eigene Frau, und so schreibt Maryse Wolinski über die Zeit ein halbes Jahr nach seinem Tod: "In diesem Sommer, den ich allein in Paris verbringe, kommt es oft vor, dass ich eines der Post-its wieder lese, die Georges mir hinterlassen hat. Ich gehe den Flur entlang, an dem ich sie angeheftet habe, und schaue sie an. Ich denke wieder und wieder an die Hand von Georges, die diese Nachrichten gekritzelt hat. Ich erinnere mich an die Zärtlichkeit, die in diesen Worten, in seinen Gesten steckte. Diese Zärtlichkeit, die ihm so sehr Angst machte, als er auf die Fünfzig zuging." Georges Wolinski war achtzig, als er ermordet wurde. Den schönsten Nachruf bekommt er zwei Jahre danach.
ANDREAS PLATTHAUS.
Maryse Wolinski: "Schatz, ich geh zu Charlie!".
Aus dem Französischen von Dieter Hornig und Katrin Thomaneck. Residenz Verlag, Salzburg 2017. 137 S., geb., 19,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Maryse Wolinski erinnert an ihren ermordeten Mann
Wäre das doch nur ein Roman, wie der Residenz-Verlag auf dem Vorsatzpapier des Buchs behauptet! Aber natürlich ist es keiner: Der Zeichner Georges Wolinski wurde heute vor zwei Jahren in der Redaktion von "Charlie Hebdo" erschossen, zusammen mit elf weiteren Menschen, die beim Attentat auf das Pariser Satiremagazin starben. Seitdem haben wir Zeugenberichte darüber zu sehen bekommen. Die zeichnenden "Charlie"-Redakteure Luz und Catherine Meurisse, die am 7. Januar 2015 jeweils nicht anwesend waren und deshalb überlebten, haben ihre Erinnerungen an den Tag und die Zeit danach zu zwei eindrucksvollen Comics gemacht: "Katharsis" von Luz ist auf Deutsch 2015 bei S. Fischer erschienen, "Die Leichtigkeit" von Catherine Meurisse jetzt gerade bei Carlsen. Doch nun schreibt eine Überlebende: Maryse Wolinski, die Witwe von Georges.
Die Journalistin arbeitete nicht für "Charlie", aber nach den Morden fand sie sich am Schauplatz ein, wurde jedoch, anders als etwa Luz, nicht mehr in die Räume mit den Leichen gelassen. Stattdessen kam sie beim Warten mit den Nachbarn ins Gespräch, und so erfährt man, dass die Polizei früher vom Überfall informiert wurde als bisher bekannt. Die Rekonstruktion des Geschehens durch die abwesende Maryse Wolinski ist ebenso aufsehenerregend wie desillusionierend.
Das schmale Buch lässt die Brutalität jenes Tages spürbar werden. Eigentlich hatte Maryse Wolinski sich mit ihrem Mann, mit dem sie mehr als vierzig Jahre verheiratet war, nach der Redaktionssitzung bei "Charlie" verabredet. Wie sie dann im Taxi hörte, was passiert war, und davon benachrichtigt wurde, dass ihr Mann unter den Toten sei, das erzählt sie ruhig, ohne Zweifel an ihrer tiefen Trauer zuzulassen. Gespenstisch die Erinnerung ans Leichenschauhaus, wo sie Georges als lebendiger empfindet als in den letzten Tagen. Ihn hatte der drohende Konkurs von "Charlie Hebdo" schwer bedrückt; dass die von ihm geliebte Zeitschrift heute finanziell so gut dasteht wie nie zuvor, ist Folge seines und des Todes der Kollegen. Maryse Wolinski verschweigt nicht die Streitigkeiten um die Verteilung der Geldströme nach dem Attentat. Vorwürfe erhebt sie keine.
An Eindringlichkeit ist ihr Buch gerade wegen seiner Ruhe und des berufsbedingt gekonnten Schreibens der Autorin kaum zu überbieten. Es heißt so, wie Georges Wolinski sich verabschiedet hat: "Schatz, ich geh zu Charlie!" Und es ist schonungslos offen, was das eigene Leben angeht, und das wird nicht immer einfach gewesen sein mit einem Zeichner der berühmt war - auch für die Faszination für Frauen, die sich in seinen Cartoons zeigt. Doch sie erstreckte sich auch auf die eigene Frau, und so schreibt Maryse Wolinski über die Zeit ein halbes Jahr nach seinem Tod: "In diesem Sommer, den ich allein in Paris verbringe, kommt es oft vor, dass ich eines der Post-its wieder lese, die Georges mir hinterlassen hat. Ich gehe den Flur entlang, an dem ich sie angeheftet habe, und schaue sie an. Ich denke wieder und wieder an die Hand von Georges, die diese Nachrichten gekritzelt hat. Ich erinnere mich an die Zärtlichkeit, die in diesen Worten, in seinen Gesten steckte. Diese Zärtlichkeit, die ihm so sehr Angst machte, als er auf die Fünfzig zuging." Georges Wolinski war achtzig, als er ermordet wurde. Den schönsten Nachruf bekommt er zwei Jahre danach.
ANDREAS PLATTHAUS.
Maryse Wolinski: "Schatz, ich geh zu Charlie!".
Aus dem Französischen von Dieter Hornig und Katrin Thomaneck. Residenz Verlag, Salzburg 2017. 137 S., geb., 19,- [Euro].
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