Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Bekenntnisse eines Bonvivants: Denis Scheck öffnet die Schatztruhe seiner kulinarischen Erfahrungen
Wie wäre es, fragt man sich nach der Lektüre dieses Buches, wenn man von Denis Scheck zum Abendessen eingeladen würde? Es wäre ganz ohne Zweifel eine ausgesprochen vergnügliche Veranstaltung mit einem bestens aufgelegten, pausenlos parlierenden Gastgeber, der uns eine Anekdote nach der anderen aus seiner prall gefüllten kulinarischen Erfahrungsschatztruhe auftischte - scharfe Beobachtungen, kluge Erkenntnisse, apodiktische Urteile, gnadenlose Verdammungen, alles dabei, was Herz und Magen begehren.
Es ginge wohl ein bisschen wild durcheinander, denn Scheck hielte sich an keine klassische Menüfolge. Auch wäre wohl der eine oder andere Gang ein wenig verspielt, vielleicht sogar hart an der Grenze zum Manierismus, und mitunter wäre es uns der vielen Häppchen dann doch zu viel. Doch eines würde er uns ganz gewiss nicht servieren: Schnitzel mit Pommes oder ähnliche Belanglosigkeiten, die Geist und Gaumen jedes kultivierten Genießers beleidigen.
Der Literaturkritiker Denis Scheck ist ein Bonvivant im besten Wortsinn. Genauso leidenschaftlich wie gute Bücher liebt er das gute Leben, das für ihn hauptsächlich aus gutem Essen, guten Weinen, guten Restaurants besteht. Er scheint genauso viel Zeit mit dem Kochen wie mit dem Lesen zu verbringen und beschäftigt sich genauso ausführlich mit der Zubereitung der idealtypischen Entenbrühe wie Proust mit der Suche nach der verlorenen Zeit. Scheck kommt aber auch viel in der Welt herum, ist pausenlos auf der Suche nach dem großen und kleinen kulinarischen Glück, kann sich fürchterlich aufregen, wenn es ihm verwehrt wird, und lässt seine Leser an alldem so offenherzig teilhaben, als säßen sie wie gute Bekannte an seinem Esstisch - und schert sich nicht im Geringsten darum, dass ihnen angesichts der Sprunghaftigkeit der Unterhaltung mitunter der Kopf schwirrt.
Scheck erzählt in fast atemlosem Tempo von seinem Erweckungserlebnis mit Calvados, breitet in aller Kürze die Kulturgeschichte des Pfeffers aus, beklagt den Niedergang der Lebkuchenherzen zum überzuckerten Industrieprodukt, wiegt mithilfe von Hirnforschern den Geruchssinn gegen den Geschmackssinn ab, rätselt über den Welterfolg der Pizza, lässt sich von einem Adrià-Schüler unvergesslich in Roses bekochen, leidet unter dem Fluch gefälschter Trüffel, überwindet sein kindliches Pastinaken-Trauma und preist den Vin Jaune als wahres Juwel des Jura. Dann singt er ein enthusiastisches Loblied auf den Kochutensilienhändler Dehillerin im ersten Pariser Arrondissement, der schon die Küchen der Titanic ausstattete, heute den Elysée-Palast versorgt und noch immer Insignien der französischen Grande Cuisine wie Entenpressen oder Backformen in Gestalt gallischer Hähne im Sortiment hat. Oder er schildert wunderbar witzig eine Szene aus dem Sternerestaurant "Jules Verne" im Eiffelturm, in dem die Damen zum Abschied an der Garderobe immer eine Madeleine im Seidenstofftuch bekommen. Ein schwules amerikanisches Ehepaar bestand gleichfalls so energisch wie vergeblich auf einem Gebäck, denn die Garderobiere blieb standhaft und schmetterte das Begehr mit diesem politisch herrlich inkorrekten Satz ab: "Seulement pour les dames."
Sehr oft ist man mit Denis Scheck völlig einer Meinung, etwa wenn er sich weigert, ein "Verbraucher" zu sein, oder wenn er das Kochen und gemeinsame Essen als Grundlage der modernen Menschwerdung betrachtet. Und man teilt gerne seinen Humor, denn er hat ein waches Auge für die schönen Details des Lebens und trägt sie triumphierend in sein Notizbuch ein. So hat er seinen Lieblingsspruch in Berlin-Kreuzberg gefunden: "Hab heute coffee to go im Sitzen getrunken - fuck the system." Nicht schlecht ist auch diese literarisch genial verkürzte Paraphrase einer durchzechten Nacht aus dem Hamburger Stadtteil St. Georg: "Heute wegen gestern geschlossen." Und den Literaturkritiker muss natürlich der Sprachwitz einer Kölner Metzgerei freuen, die ihr Mettbrötchen als "German Sushi" anpreist.
Manchmal aber macht er es sich ein wenig zu leicht, lässt sich täuschen oder begnügt sich mit einem flüchtigen Blick, sodass ihm Entscheidendes entgeht. Er besucht den phantastischen deutschen Drei-Sterne-Koch Heinz Beck in Rom und nennt ihn schlicht den "besten Pastakoch Italiens", obwohl er so viel mehr als nur das ist und wie kaum ein zweiter Chef Hochgenuss und Wissenschaft miteinander verbindet - ein Abend in Becks "Pergola" mit Blick auf den Petersdom ist eine der erstaunlichsten, sensationellsten Erfahrungen, die ein Feinschmecker machen kann und die viel mehr verdient als nur wenige Zeilen. Oder er schwärmt von der berühmten Markthalle La Boqueria in Barcelona, obwohl es angebrachter wäre, ihren Niedergang vom Delikatessenhimmel zur Imbisshölle für die touristische Laufkundschaft zu beklagen, ein Verlust kulinarischer Hochkultur, der jedem Gourmet das Herz brechen muss. Aber so ist das eben mit den rettungslosen Bonvivants: Sie sehen lieber die schönen Seiten des guten Lebens. Und auch deswegen sitzt man so gerne an ihrem Tisch. JAKOB STROBEL Y SERRA
Denis Scheck: "Schecks kulinarischer Kompass". Köstliches und Kurioses aus meiner Küche und aller Welt.
Piper Verlag, München 2022. 295 S., geb., 26, - Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH