Der Spieler Schiller im interdisziplinären Zusammenhang. Als Dramatiker und Erzähler, als Balladenautor und Kulturtheoretiker verband Schiller höchsten intellektuellen Einsatz mit unbändiger Lust an den Spielen der Theaterfantasie, der Sprache und des Denkens. Der Begriff des Spiels ist von entscheidender Bedeutung für sein Werk, für seine Bühnenkunst ebenso wie für seine Rhetorik, für seine lyrische Produktion, seine erzählerischen Texte, seine historischen und ästhetischen Schriften. Den Spieler Schiller in den Blick zu nehmen, erlaubt daher eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit seinem Werk, die unterschiedliche Fachperspektiven aus Literaturwissenschaft, Theaterwissenschaft, Musikwissenschaft, Philosophie, Historiographie und Soziologie zusammenführt.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Burkhard Müller hat diesen von Peter-André Alt, Marcel Lepper und Ulrich Raulff herausgegebenen Band über die Bedeutung des Spiels bei Schiller freundlich aufgenommen. Die recht verschiedenen Beiträge schätzt er insgesamt als sehr verdienstvoll. Er lobt Daniel Fuldas und Alexander Honolds Dramenanalysen unter dem Gesichtspunkt des Spiels sowie Peter Utz' Untersuchung des bei Schiller so häufig vorkommenden Motivs des "Alles oder Nichts". Bei aller Anerkennung für die einzelnen Beiträge gewinnt Müller gleichwohl den Eindruck, dass sich diese letztlich nicht wirklich zu einem Ganzen fügen. Dies führt er darauf zurück, dass sich keiner der Autoren Schillers viel zitierte Schrift "Über die ästhetische Erziehung des Menschen" (1795) vornimmt. Zudem vermisst er in dem Band einen Beitrag, der auch die Möglichkeit des Scheiterns von Schiller als Spieler in Erwägung zieht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.03.2014Ist Alles am Ende
so viel wie Nichts?
Ein Band zu Schiller, dem Spieler,
in seinen Dramen, seiner Ästhetik
Was ist ein Spiel? Was haben Glücksspiel, Schauspiel, Fußballspiel, Kinderspiel, Geigenspiel miteinander gemein? Es besteht zwischen ihnen eine „Familienähnlichkeit“, wie Wittgenstein das ausdrückt, eine unverkennbare Nähe zueinander, die sich aber nur schlecht auf den Begriff bringen lässt. Im Englischen zum Beispiel tritt das deutsche Wort in play , game und gamble auseinander. Ein Buch, das sich mit dem Spieler Schiller beschäftigt, hat sich darum ein mehrdeutiges Projekt vorgenommen, ein schillerndes sozusagen, wenn man das Wortspiel nicht scheut.
Jedenfalls ist das Thema weit genug gefächert, dass eine ganze Reihe recht verschiedenartiger Beiträge in diesem von Peter-André Alt, Marcel Lepper und Ulrich Raulff herausgegebenen Band Raum haben. „Spiel“ ist bei Schiller eins der am häufigsten verwendeten Substantive. Komplette Dramen lassen sich als Spiel analysieren, am meisten wohl, neben dem „Fiesco“, der „Wallenstein“. Daniel Fulda und Alexander Honold steuern scharfsinnige Analysen dieses Stücks bei. Peter Utz geht dem Motiv des „Alles oder Nichts“ nach, das sich bei Schiller in so auffallender Häufung findet, und arbeitet den totalitären Zug an dieser Alternative heraus, die das Partikulare, die Ansprüche des Einzelnen verneint. So steht das Alles zuletzt dichter beim Nichts, als es meint, und verfehlt jedenfalls das Ganze.
Wo kommt diese Besessenheit mit dem Spiel her? In Goethes Dramen wird weit weniger gespielt. Peter-André Alt erkennt die Spur des sich zersetzenden höfischen Zeremoniells darin, Teresa R. Cadete die paradoxe Situation der Sattelzeit um 1800, die sie einprägsam in die Formulierung fasst, der Öffnung des Erwartungshorizonts habe keine Ausweitung des Erfahrungsraums korrespondiert. Man könnte es auch etwas gröber ausdrücken und sagen, die Französische Revolution habe Appetit gemacht, aber in Deutschland sei nicht serviert worden. Das Spiel mag den Ernst übersteigen; aber es setzt sich auch an dessen Stelle und begnügt sich mit einem Ersatz.
Wenn man trotz aller beträchtlicher Verdienste der Beiträger im Einzelnen dennoch das Gefühl behält, die Teile schlössen sich nicht restlos zu einem Ganzen zusammen, so liegt das daran, dass keiner von ihnen an das Zentrum heranwollte, an die Nabe aller dieser Speichen: Schillers Schrift „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ (1795). Hier entwickelt Schiller seinen Begriff des Spiels und Spieltriebs als dem dialektischen Dritten aus Formtrieb und Stofftrieb. So ziemlich jeder der Beiträger gibt zu verstehen, dass er diesen Text kennt und voraussetzt, und bestimmt ein halbes Dutzend Mal wird der denkwürdige Satz daraus zitiert, der Mensch solle mit der Schönheit nur s p i e l e n, und er solle n u r mit der Schönheit spielen. An den 27 Briefen dieses Textes ist, wenn man sie scharf ins Auge fasst, so ziemlich alles fragwürdig, am meisten aber die Anspannung, mit der Schiller ein System erzwingt, wo er vom Spontanen spricht.
Von Alice Stašková stammt ein bemerkenswerter Text, der den Chiasmus in Schillers Werk betrachtet. Diese Stilfigur, die Überkreuzstellung einander entsprechender Strukturen, macht sie in bis zu einem Drittel der Sätze in seinen theoretischen Schriften aus: eine doch verblüffende Rate. (Auch der oben zitierte Satz liefert einen Chiasmus des Musters Schönheit / nur – nur / Schönheit.) Wäre die Verfasserin nur einen Schritt weitergegangen, so hätte sie hier die Schranke von Schillers Denken erkannt, das sich ganz der Suggestion der Sprache anvertraut. Schiller verführt den Leser in dem Maß, wie er sich selbst hat verführen lassen, ein Spiel nicht weniger bedenklich als das, worauf sich zum Beispiel der Marquis Posa einlässt (dem es schließlich den Hals bricht). Wie Fiesco seinem Florett, so saust Schillers Gedanke seinem Wort hinterdrein und merkt sozusagen erst hinterher, was er angerichtet hat.
So handelt Schiller nicht nur in seinen Stücken vom Spiel, er spielt auch selbst, und mit hohem Einsatz. Man hätte sich dann doch in dem Band einen Beitrag gewünscht, der ernsthaft die Möglichkeit ins Auge fasst, dass Schiller der Spieler vielleicht auch gescheitert sein könnte.
BURKHARD MÜLLER
Peter-André Alt, Marcel Lepper und Ulrich Raulff (Hrsg.): Schiller, der Spieler. Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 308 Seiten, 29,90 Euro.
In seiner Schrift zur „Ästhetischen
Erziehung des Menschen“
skizziert Schiller den Spieltrieb
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
so viel wie Nichts?
Ein Band zu Schiller, dem Spieler,
in seinen Dramen, seiner Ästhetik
Was ist ein Spiel? Was haben Glücksspiel, Schauspiel, Fußballspiel, Kinderspiel, Geigenspiel miteinander gemein? Es besteht zwischen ihnen eine „Familienähnlichkeit“, wie Wittgenstein das ausdrückt, eine unverkennbare Nähe zueinander, die sich aber nur schlecht auf den Begriff bringen lässt. Im Englischen zum Beispiel tritt das deutsche Wort in play , game und gamble auseinander. Ein Buch, das sich mit dem Spieler Schiller beschäftigt, hat sich darum ein mehrdeutiges Projekt vorgenommen, ein schillerndes sozusagen, wenn man das Wortspiel nicht scheut.
Jedenfalls ist das Thema weit genug gefächert, dass eine ganze Reihe recht verschiedenartiger Beiträge in diesem von Peter-André Alt, Marcel Lepper und Ulrich Raulff herausgegebenen Band Raum haben. „Spiel“ ist bei Schiller eins der am häufigsten verwendeten Substantive. Komplette Dramen lassen sich als Spiel analysieren, am meisten wohl, neben dem „Fiesco“, der „Wallenstein“. Daniel Fulda und Alexander Honold steuern scharfsinnige Analysen dieses Stücks bei. Peter Utz geht dem Motiv des „Alles oder Nichts“ nach, das sich bei Schiller in so auffallender Häufung findet, und arbeitet den totalitären Zug an dieser Alternative heraus, die das Partikulare, die Ansprüche des Einzelnen verneint. So steht das Alles zuletzt dichter beim Nichts, als es meint, und verfehlt jedenfalls das Ganze.
Wo kommt diese Besessenheit mit dem Spiel her? In Goethes Dramen wird weit weniger gespielt. Peter-André Alt erkennt die Spur des sich zersetzenden höfischen Zeremoniells darin, Teresa R. Cadete die paradoxe Situation der Sattelzeit um 1800, die sie einprägsam in die Formulierung fasst, der Öffnung des Erwartungshorizonts habe keine Ausweitung des Erfahrungsraums korrespondiert. Man könnte es auch etwas gröber ausdrücken und sagen, die Französische Revolution habe Appetit gemacht, aber in Deutschland sei nicht serviert worden. Das Spiel mag den Ernst übersteigen; aber es setzt sich auch an dessen Stelle und begnügt sich mit einem Ersatz.
Wenn man trotz aller beträchtlicher Verdienste der Beiträger im Einzelnen dennoch das Gefühl behält, die Teile schlössen sich nicht restlos zu einem Ganzen zusammen, so liegt das daran, dass keiner von ihnen an das Zentrum heranwollte, an die Nabe aller dieser Speichen: Schillers Schrift „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ (1795). Hier entwickelt Schiller seinen Begriff des Spiels und Spieltriebs als dem dialektischen Dritten aus Formtrieb und Stofftrieb. So ziemlich jeder der Beiträger gibt zu verstehen, dass er diesen Text kennt und voraussetzt, und bestimmt ein halbes Dutzend Mal wird der denkwürdige Satz daraus zitiert, der Mensch solle mit der Schönheit nur s p i e l e n, und er solle n u r mit der Schönheit spielen. An den 27 Briefen dieses Textes ist, wenn man sie scharf ins Auge fasst, so ziemlich alles fragwürdig, am meisten aber die Anspannung, mit der Schiller ein System erzwingt, wo er vom Spontanen spricht.
Von Alice Stašková stammt ein bemerkenswerter Text, der den Chiasmus in Schillers Werk betrachtet. Diese Stilfigur, die Überkreuzstellung einander entsprechender Strukturen, macht sie in bis zu einem Drittel der Sätze in seinen theoretischen Schriften aus: eine doch verblüffende Rate. (Auch der oben zitierte Satz liefert einen Chiasmus des Musters Schönheit / nur – nur / Schönheit.) Wäre die Verfasserin nur einen Schritt weitergegangen, so hätte sie hier die Schranke von Schillers Denken erkannt, das sich ganz der Suggestion der Sprache anvertraut. Schiller verführt den Leser in dem Maß, wie er sich selbst hat verführen lassen, ein Spiel nicht weniger bedenklich als das, worauf sich zum Beispiel der Marquis Posa einlässt (dem es schließlich den Hals bricht). Wie Fiesco seinem Florett, so saust Schillers Gedanke seinem Wort hinterdrein und merkt sozusagen erst hinterher, was er angerichtet hat.
So handelt Schiller nicht nur in seinen Stücken vom Spiel, er spielt auch selbst, und mit hohem Einsatz. Man hätte sich dann doch in dem Band einen Beitrag gewünscht, der ernsthaft die Möglichkeit ins Auge fasst, dass Schiller der Spieler vielleicht auch gescheitert sein könnte.
BURKHARD MÜLLER
Peter-André Alt, Marcel Lepper und Ulrich Raulff (Hrsg.): Schiller, der Spieler. Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 308 Seiten, 29,90 Euro.
In seiner Schrift zur „Ästhetischen
Erziehung des Menschen“
skizziert Schiller den Spieltrieb
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