Die 16-jährige Aza Holmes hatte ganz sicher nicht vor, sich an der Suche nach dem verschwundenen Milliardär Russell Pickett zu beteiligen. Sie hat genug mit ihren eigenen Sorgen und Ängsten zu kämpfen, die ihre Gedankenwelt zwanghaft beherrschen. Doch als eine Hunderttausend-Dollar-Belohnung auf dem Spiel steht und ihre furchtlose beste Freundin Daisy es kaum erwarten kann, das Geheimnis um Pickett aufzuklären, macht Aza mit. Sie versucht Mut zu beweisen und überwindet durch Daisy nicht nur kleine Hindernisse, sondern auch große Gegensätze, die sie von anderen Menschen trennen. Für Aza wird es ein großes Abenteuer und eine Reise ins Zentrum ihrer Gedankenspirale, der sie zu entkommen versucht.
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buecher-magazin.deJeder Mensch trägt etwa 33000 verschiedene Arten von Bakterien im Mund - 7947 davon bevölkern die Zunge, 4254 den Rachen, rund 7000 schwimmen im Speichel, und in den Zahnfleischtaschen leben über 14000 Arten. Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie könnten nicht aufhören, an diese Tatsache zu denken, und an die Möglichkeit einer Infektion, und an den Tod. Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie möchten jemanden küssen. So ungefähr geht es Aza Holmes. Sie hat eine Angststörung und eine Wunde am Finger, die sie nie ausheilen lässt. Außerdem versucht sie zusammen mit ihrer besten Freundin Daisy, den millionenschweren Vater von Davis ausfindig zu machen, auf den wegen Steuerhinterziehung eine Belohnung von 100000 Dollar ausgesetzt ist. Dann verliebt sie sich in Davis. Und entdeckt, dass Daisy sie seit Jahren in ihre "Star Wars"-Fanfiction-Reihe einbaut - als neurotische Nebenfigur, die allen auf die Nerven geht. Aza muss ihren Platz in der Welt überdenken. Birte Schnöink, die 2016 den Hörspielpreis der ARD erhielt, spielt auch Aza perfekt - sehr jung, alles hinterfragend, immer in Gefahr, in eine "Gedankenspirale" zu geraten. Es geht um Armut, Liebe, Angst und Identität.
© BÜCHERmagazin, Elisabeth Dietz (ed)
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Cornelia Geissler erfährt, dass der Mensch seine Abgründe hat in John Greens Jugendbuch. Wie der Autor Ängste und Zwänge benennt und für jugendliche Leser erfahrbar macht, findet sie stark und höchst aktuell. Für sie ist Green damit der neue Salinger, weil er die richtigen Fragen stellt, die Gedanken- und Gefühlswelt Jugendlicher durchdringt, ihre Sprache und Kommunikationsmittel kennt und so ihre Lebenswelt erfasst.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Ein großartiges Jugendbuch, das gleich mehrere Dinge anpackt, mit denen sich Teenager auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden konfrontiert sehen. Ulrike Volkmann Kieler Express 20191218
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.12.2017Es geht weiter
Der amerikanische Präsident will die Verletzlichkeit aus der Realität hinausstreichen, der neue Roman von John Green schreibt sie wieder hinein: Über "Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken" - und darüber, warum es auch für Erwachsene gut sein kann, Bücher für Jugendliche zu lesen
Die Eltern sind nicht da. Und die Kinder deswegen sich selbst überlassen: Vieles, was in den vergangenen Jahren bewegend war in der Literatur oder im Film und vom Wunder und Komplex des Erwachsenwerdens erzählte, ging aus von dieser Lage. Die Eltern also nicht da. Und die Kinder müssen selbst zusehen, wo sie bleiben. Müssen sich selbst retten. Müssen ihre eigenen Regeln schreiben. Müssen raus. Ein befreiender Moment.
Egal, ob in einer amerikanischen Serie wie "Stranger Things", wo die Eltern selbstabsorbiert auf einem anderen Planeten fern ihrer Kinder leben; oder in einem deutschen Bestseller wie Bov Bjergs "Auerhaus", wo sechs Abiturienten eine WG gründen: Die Abwesenheit der Eltern ermöglicht es den Figuren dieser Geschichten, eine Utopie auszuleben. Mit zwölf, dreizehn oder siebzehn, achtzehn die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Ohne Vorschriften der Eltern, mit den Mitteln eigener Weisheit junger Jahre. Und selbst wenn es dann schiefging, war es gut, weil es diesen eigenen Vorschriften folgte. Zum ersten Mal im Leben und vielleicht zum letzten Mal, je nach Leben.
John Green, der Prediger, Youtuber und Star der amerikanischen Jugendliteratur, lässt in seinem neuen Roman auch Kinder allein ohne ihre Eltern. Nur ist daran überhaupt nichts gut oder befreiend. Es wird auch nichts gut daran - denn hier ist ein Vater ohne ein Wort verschwunden. Keine Erklärung, kein Abschied, einfach weg. Und seine Söhne, Davis und Noah, siebzehn und dreizehn, sitzen jetzt da mit der Haushälterin und dem Gärtner in einem riesigen Anwesen in Indianapolis, direkt am White River, und wissen nicht, was wird, wissen gar nichts. Die Mutter der beiden ist schon vor Jahren gestorben. Der Vater ist ein reicher Bauunternehmer und steht unter Korruptionsverdacht. Jedenfalls ist er weg, vielleicht deswegen. Aber der Polizei gehen die Spuren aus. Eine Belohnung wird ausgesetzt. Hunderttausend Dollar. Davis, der ältere Sohn, hält sich irgendwie aufrecht, der jüngere verwahrlost in seiner Einsamkeit, videospielend, ungewaschen, stumm.
"Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken" heißt Greens neuer Jugendroman. Er ist fünf Jahre nach Greens letztem erschienen, "Das Schicksal ist ein mieser Verräter", der ein Bestseller wurde und seinen Autor weltberühmt machte, auch dank der Verfilmung. Green ist im August vierzig Jahre alt geworden. Er hat bis heute fünfzig Millionen Bücher in sechsundfünfzig Sprachen verkauft. Ein paar Millionen werden jetzt wohl dazukommen. Vollkommen verrückt, diese Zahlen. Man kann sich den Druck kaum ausmalen, unter dem ein derartig erfolgreicher Autor stehen muss, wenn er weiterschreibt. Greens letztes Buch erzählte die Lovestory von zwei Teenagern gegen eine Uhr, die viel zu früh abläuft: Beide sind unheilbar krebskrank, nur einer wird es am Ende schaffen, jedenfalls bis zum Ende dieses Buchs. In den vier Büchern davor war der Tod auch schon vorgekommen, jedes Mal eigentlich, und Sex, und Literatur, lauter letzte Dinge, aber der Ton war freier, unbeschwerter. Das neue Buch ist das traurigste, das Green bislang geschrieben hat.
Denn die beiden Jungs in ihrem großen, vaterlosen Haus sind gar nicht die Hauptdarsteller der Geschichte. Das ist Aza. Sie hat ihren Vater auch verloren, er starb im Garten von der einen Sekunde auf die andere, die kleine Aza war dabei - und außer ihren Erinnerungen hat sie nur das Handy des Vaters behalten, mit Fotos "von kahlen Ästen, die den Himmel zerteilen", sie kann nicht aufhören sich zu fragen, "was er darin sah, in dem zersplitterten Himmel", aber er wird ihr das nicht mehr erklären, sie muss die Antwort selbst suchen.
Aza geht es überhaupt nicht gut. Da ist eine Wunde in der Kuppe ihres rechten Mittelfingers, die sie mit dem Daumennagel immer wieder öffnet, um sie danach zu desinfizieren - und dann wieder zu öffnen, wenn sie es braucht. Sie braucht diesen Aderlass oft. Sie macht das, seit sie klein ist. Sie macht es die ganze Zeit, während sie ihre Geschichte erzählt. Davis kennt sie aus dem Ferienlager, die beiden haben sich aber aus den Augen verloren. Damals waren sie noch zu klein, um ein Paar zu sein, jetzt werden sie es. Durch einen herbeigeführten Zufall: Daisy, Azas beste Freundin, hat nämlich von der Belohnung gelesen und eine Idee bekommen und Aza bequatscht, also stranden die beiden Mädchen in einer komplett beknackten Aktion mit Azas Kanu am Anwesen. Davis weiß natürlich sofort, warum sie da sind, aber er lässt sich darauf ein, weil er einsamer nicht werden kann. Er lässt sie ein, ins Haus, in sein beschädigtes Leben. Die Mädchen finden tatsächlich bald einen Hinweis auf den verschwundenen Vater, eine Überwachungskamera hat seine Flucht aufgezeichnet, er ist also nicht entführt worden, sondern abgehauen. Die Mädchen bekommen die Belohnung. Daisy kauft sich ein Auto davon. Aza und Davis werden ein Paar. Der Vater bleibt unauffindbar.
Aber um all das geht es überhaupt nicht in diesem Buch. Man könnte fast sagen, dass dieser eigenartige Plot allein dazu da ist, einen Hintergrund zu bilden, vor den John Green seine Figuren stellt, um sie dann auszuleuchten. Ihn interessiert, mehr als je zuvor, das Innen, nicht das Außen.
Alles, was John Green ausmacht, ist trotzdem noch da in "Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken": der Humor, der Nerdismus (Daisy schreibt Fan-Fiction über das Liebesleben des haarigen Chewbacca aus "Krieg der Sterne"), die Selbstverständlichkeit, mit der seine Figuren einerseits im Internet leben, andererseits aber Schriftsteller aus dem Kopf zitieren. "Kennst du die Stelle in dem Gedicht ,Die Wiederkunft' von Yeats", fragt Davis Aza einmal, "wo es heißt: ,Den Besten fehlt der Glaube, und die Schlimmsten erfüllt hingebungsvolle Leidenschaft'?" Und alle so: yeah. Kennen wir. Aber Aza kennt es tatsächlich, aus der Schule, und sie kennt auch noch jede Menge andere Gedichte. Davis schreibt einen Blog voll mit Zitaten, von Toni Morrison, Salinger, Demokrit. Aza liest ihn, um Davis nah zu sein, weil Küssen nicht geht, wegen Bakterien.
Und warum sollten diese Siebzehnjährigen diese Dichter nicht kennen? Man hat Green in den letzten Jahren oft vorgehalten, keine richtigen Jugendlichen in seine Bücher zu schreiben, sondern frühreife Avatare, die Erwachsenenprosa von sich geben - er selbst sagt, das Geheimnis der Jugendliteratur sei, Jugendliche ernst zu nehmen. Man kann das auf vielfältige Weise tun, eine davon wäre, ihnen zum Beispiel zuzutrauen, Keats auswendig zu kennen. Oder Robert Frosts berühmte sechzehn Worte: "Ich kann mit drei Worten zusammenfassen, was ich über das Leben gelernt habe: Es geht weiter."
Green nimmt seine Teenager in diesem Buch jedenfalls ernster als je zuvor. Als denkende, leidende Bewohner der Gegenwart. Aza ringt mit fürchterlichen Zwängen, weil Jugendlichen so etwas nun mal auch widerfährt. Davis traut kaum jemandem mehr, weil er als Kind reicher Eltern so oft verraten wurde, dass ihm das schmerzhaft früh einen Einblick in menschliche Schwächen gegeben hat. Daisy manipuliert Aza, um an das Geld aus der Belohnung zu kommen, weil ihre Familie so wenig davon hat, dass sich Daisy die moralische Erhabenheit ihrer Freundin nicht leisten kann, die Verbindung zu Davis eben gerade nicht auszunutzen. All diese Teenager leben unter einem zersplitterten Himmel, so wie Aza ihn von den Handyfotos ihres Vaters kennt. Und sie versuchen, diesen Himmel wieder zusammenzusetzen, weil ihnen ja gar nichts anderes übrigbleibt, und der Kitt ist Freundschaft und Liebe, und nicht nur, weil Weihnachten ist, fragt man sich, was es sonst sein könnte.
Alles, was in den anderen Büchern von John Green auch geschieht, das geschieht jetzt in diesem, nur dunkler. Wieder finden die Figuren zum Beispiel im Auto erst wirklich zueinander, das Auto, hat Green einmal gesagt, zwingt Menschen zusammen, unterwegs in Raum und Zeit, und diese Unausweichlichkeit bringt die Wahrheit hervor. Aza fährt einen Toyota Corolla, der fast genauso alt ist wie sie, sechzehn Jahre, und den sie zärtlich Harold nennt. Aber Daisy und Aza bauen einen Unfall mit Harold, ausgerechnet in dem Moment, als sich die beiden endlich gestehen, was sie aneinander nervt, und vermutlich genau deswegen: Ihre Freundschaft überlebt diesen Unfall zwar, aber nicht das Handy von Azas Vater, das im Kofferraum gelegen hat und dessen Display nun ein Geäst zersprungenen Glases ist. Aza zerspringt selbst.
John Green hat vor einiger Zeit öffentlich gemacht (und wiederholt es hier im Nachwort), an psychischen Problemen zu leiden - sein Buch erscheint in einem Augenblick, in dem der amerikanische Präsident Trump sein Gesundheitsministerium anweisen lässt, in öffentlichen Dokumenten künftig Worte wie "verletzlich" (oder "Fötus" und "Diversity", also Vielfalt) nicht mehr zu verwenden. Was Trump aus der Realität herausstreichen will, schreibt Greens neuer Roman hinein, gibt ihm die Form einer Geschichte von Schmerz und Abschied und Unzulänglichkeit. Die Form des Romans selbst bleibt schwebend, vorläufig, ungefähr, erst auf den letzten Seiten wird klar, dass uns Aza hier ihre Geschichte rückblickend erzählt, und auch sich selbst, dem Mädchen von damals, das nicht ahnt, dass es heilen wird, dem sie das aber zuruft, zurück in der Zeit, unter einem zersplitterten Himmel.
TOBIAS RÜTHER.
John Green: "Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken". Übersetzt von Sophie Zeitz. Hanser, 288 Seiten, 20 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der amerikanische Präsident will die Verletzlichkeit aus der Realität hinausstreichen, der neue Roman von John Green schreibt sie wieder hinein: Über "Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken" - und darüber, warum es auch für Erwachsene gut sein kann, Bücher für Jugendliche zu lesen
Die Eltern sind nicht da. Und die Kinder deswegen sich selbst überlassen: Vieles, was in den vergangenen Jahren bewegend war in der Literatur oder im Film und vom Wunder und Komplex des Erwachsenwerdens erzählte, ging aus von dieser Lage. Die Eltern also nicht da. Und die Kinder müssen selbst zusehen, wo sie bleiben. Müssen sich selbst retten. Müssen ihre eigenen Regeln schreiben. Müssen raus. Ein befreiender Moment.
Egal, ob in einer amerikanischen Serie wie "Stranger Things", wo die Eltern selbstabsorbiert auf einem anderen Planeten fern ihrer Kinder leben; oder in einem deutschen Bestseller wie Bov Bjergs "Auerhaus", wo sechs Abiturienten eine WG gründen: Die Abwesenheit der Eltern ermöglicht es den Figuren dieser Geschichten, eine Utopie auszuleben. Mit zwölf, dreizehn oder siebzehn, achtzehn die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Ohne Vorschriften der Eltern, mit den Mitteln eigener Weisheit junger Jahre. Und selbst wenn es dann schiefging, war es gut, weil es diesen eigenen Vorschriften folgte. Zum ersten Mal im Leben und vielleicht zum letzten Mal, je nach Leben.
John Green, der Prediger, Youtuber und Star der amerikanischen Jugendliteratur, lässt in seinem neuen Roman auch Kinder allein ohne ihre Eltern. Nur ist daran überhaupt nichts gut oder befreiend. Es wird auch nichts gut daran - denn hier ist ein Vater ohne ein Wort verschwunden. Keine Erklärung, kein Abschied, einfach weg. Und seine Söhne, Davis und Noah, siebzehn und dreizehn, sitzen jetzt da mit der Haushälterin und dem Gärtner in einem riesigen Anwesen in Indianapolis, direkt am White River, und wissen nicht, was wird, wissen gar nichts. Die Mutter der beiden ist schon vor Jahren gestorben. Der Vater ist ein reicher Bauunternehmer und steht unter Korruptionsverdacht. Jedenfalls ist er weg, vielleicht deswegen. Aber der Polizei gehen die Spuren aus. Eine Belohnung wird ausgesetzt. Hunderttausend Dollar. Davis, der ältere Sohn, hält sich irgendwie aufrecht, der jüngere verwahrlost in seiner Einsamkeit, videospielend, ungewaschen, stumm.
"Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken" heißt Greens neuer Jugendroman. Er ist fünf Jahre nach Greens letztem erschienen, "Das Schicksal ist ein mieser Verräter", der ein Bestseller wurde und seinen Autor weltberühmt machte, auch dank der Verfilmung. Green ist im August vierzig Jahre alt geworden. Er hat bis heute fünfzig Millionen Bücher in sechsundfünfzig Sprachen verkauft. Ein paar Millionen werden jetzt wohl dazukommen. Vollkommen verrückt, diese Zahlen. Man kann sich den Druck kaum ausmalen, unter dem ein derartig erfolgreicher Autor stehen muss, wenn er weiterschreibt. Greens letztes Buch erzählte die Lovestory von zwei Teenagern gegen eine Uhr, die viel zu früh abläuft: Beide sind unheilbar krebskrank, nur einer wird es am Ende schaffen, jedenfalls bis zum Ende dieses Buchs. In den vier Büchern davor war der Tod auch schon vorgekommen, jedes Mal eigentlich, und Sex, und Literatur, lauter letzte Dinge, aber der Ton war freier, unbeschwerter. Das neue Buch ist das traurigste, das Green bislang geschrieben hat.
Denn die beiden Jungs in ihrem großen, vaterlosen Haus sind gar nicht die Hauptdarsteller der Geschichte. Das ist Aza. Sie hat ihren Vater auch verloren, er starb im Garten von der einen Sekunde auf die andere, die kleine Aza war dabei - und außer ihren Erinnerungen hat sie nur das Handy des Vaters behalten, mit Fotos "von kahlen Ästen, die den Himmel zerteilen", sie kann nicht aufhören sich zu fragen, "was er darin sah, in dem zersplitterten Himmel", aber er wird ihr das nicht mehr erklären, sie muss die Antwort selbst suchen.
Aza geht es überhaupt nicht gut. Da ist eine Wunde in der Kuppe ihres rechten Mittelfingers, die sie mit dem Daumennagel immer wieder öffnet, um sie danach zu desinfizieren - und dann wieder zu öffnen, wenn sie es braucht. Sie braucht diesen Aderlass oft. Sie macht das, seit sie klein ist. Sie macht es die ganze Zeit, während sie ihre Geschichte erzählt. Davis kennt sie aus dem Ferienlager, die beiden haben sich aber aus den Augen verloren. Damals waren sie noch zu klein, um ein Paar zu sein, jetzt werden sie es. Durch einen herbeigeführten Zufall: Daisy, Azas beste Freundin, hat nämlich von der Belohnung gelesen und eine Idee bekommen und Aza bequatscht, also stranden die beiden Mädchen in einer komplett beknackten Aktion mit Azas Kanu am Anwesen. Davis weiß natürlich sofort, warum sie da sind, aber er lässt sich darauf ein, weil er einsamer nicht werden kann. Er lässt sie ein, ins Haus, in sein beschädigtes Leben. Die Mädchen finden tatsächlich bald einen Hinweis auf den verschwundenen Vater, eine Überwachungskamera hat seine Flucht aufgezeichnet, er ist also nicht entführt worden, sondern abgehauen. Die Mädchen bekommen die Belohnung. Daisy kauft sich ein Auto davon. Aza und Davis werden ein Paar. Der Vater bleibt unauffindbar.
Aber um all das geht es überhaupt nicht in diesem Buch. Man könnte fast sagen, dass dieser eigenartige Plot allein dazu da ist, einen Hintergrund zu bilden, vor den John Green seine Figuren stellt, um sie dann auszuleuchten. Ihn interessiert, mehr als je zuvor, das Innen, nicht das Außen.
Alles, was John Green ausmacht, ist trotzdem noch da in "Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken": der Humor, der Nerdismus (Daisy schreibt Fan-Fiction über das Liebesleben des haarigen Chewbacca aus "Krieg der Sterne"), die Selbstverständlichkeit, mit der seine Figuren einerseits im Internet leben, andererseits aber Schriftsteller aus dem Kopf zitieren. "Kennst du die Stelle in dem Gedicht ,Die Wiederkunft' von Yeats", fragt Davis Aza einmal, "wo es heißt: ,Den Besten fehlt der Glaube, und die Schlimmsten erfüllt hingebungsvolle Leidenschaft'?" Und alle so: yeah. Kennen wir. Aber Aza kennt es tatsächlich, aus der Schule, und sie kennt auch noch jede Menge andere Gedichte. Davis schreibt einen Blog voll mit Zitaten, von Toni Morrison, Salinger, Demokrit. Aza liest ihn, um Davis nah zu sein, weil Küssen nicht geht, wegen Bakterien.
Und warum sollten diese Siebzehnjährigen diese Dichter nicht kennen? Man hat Green in den letzten Jahren oft vorgehalten, keine richtigen Jugendlichen in seine Bücher zu schreiben, sondern frühreife Avatare, die Erwachsenenprosa von sich geben - er selbst sagt, das Geheimnis der Jugendliteratur sei, Jugendliche ernst zu nehmen. Man kann das auf vielfältige Weise tun, eine davon wäre, ihnen zum Beispiel zuzutrauen, Keats auswendig zu kennen. Oder Robert Frosts berühmte sechzehn Worte: "Ich kann mit drei Worten zusammenfassen, was ich über das Leben gelernt habe: Es geht weiter."
Green nimmt seine Teenager in diesem Buch jedenfalls ernster als je zuvor. Als denkende, leidende Bewohner der Gegenwart. Aza ringt mit fürchterlichen Zwängen, weil Jugendlichen so etwas nun mal auch widerfährt. Davis traut kaum jemandem mehr, weil er als Kind reicher Eltern so oft verraten wurde, dass ihm das schmerzhaft früh einen Einblick in menschliche Schwächen gegeben hat. Daisy manipuliert Aza, um an das Geld aus der Belohnung zu kommen, weil ihre Familie so wenig davon hat, dass sich Daisy die moralische Erhabenheit ihrer Freundin nicht leisten kann, die Verbindung zu Davis eben gerade nicht auszunutzen. All diese Teenager leben unter einem zersplitterten Himmel, so wie Aza ihn von den Handyfotos ihres Vaters kennt. Und sie versuchen, diesen Himmel wieder zusammenzusetzen, weil ihnen ja gar nichts anderes übrigbleibt, und der Kitt ist Freundschaft und Liebe, und nicht nur, weil Weihnachten ist, fragt man sich, was es sonst sein könnte.
Alles, was in den anderen Büchern von John Green auch geschieht, das geschieht jetzt in diesem, nur dunkler. Wieder finden die Figuren zum Beispiel im Auto erst wirklich zueinander, das Auto, hat Green einmal gesagt, zwingt Menschen zusammen, unterwegs in Raum und Zeit, und diese Unausweichlichkeit bringt die Wahrheit hervor. Aza fährt einen Toyota Corolla, der fast genauso alt ist wie sie, sechzehn Jahre, und den sie zärtlich Harold nennt. Aber Daisy und Aza bauen einen Unfall mit Harold, ausgerechnet in dem Moment, als sich die beiden endlich gestehen, was sie aneinander nervt, und vermutlich genau deswegen: Ihre Freundschaft überlebt diesen Unfall zwar, aber nicht das Handy von Azas Vater, das im Kofferraum gelegen hat und dessen Display nun ein Geäst zersprungenen Glases ist. Aza zerspringt selbst.
John Green hat vor einiger Zeit öffentlich gemacht (und wiederholt es hier im Nachwort), an psychischen Problemen zu leiden - sein Buch erscheint in einem Augenblick, in dem der amerikanische Präsident Trump sein Gesundheitsministerium anweisen lässt, in öffentlichen Dokumenten künftig Worte wie "verletzlich" (oder "Fötus" und "Diversity", also Vielfalt) nicht mehr zu verwenden. Was Trump aus der Realität herausstreichen will, schreibt Greens neuer Roman hinein, gibt ihm die Form einer Geschichte von Schmerz und Abschied und Unzulänglichkeit. Die Form des Romans selbst bleibt schwebend, vorläufig, ungefähr, erst auf den letzten Seiten wird klar, dass uns Aza hier ihre Geschichte rückblickend erzählt, und auch sich selbst, dem Mädchen von damals, das nicht ahnt, dass es heilen wird, dem sie das aber zuruft, zurück in der Zeit, unter einem zersplitterten Himmel.
TOBIAS RÜTHER.
John Green: "Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken". Übersetzt von Sophie Zeitz. Hanser, 288 Seiten, 20 Euro
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