»Michael Kopatz hat mich begeistert mit der Idee: Menschen ändern sich nicht durch Einsicht, sondern durch neue äußere Umstände, wenn die richtige Entscheidung die leichtere wird. Mehr gute Politik – weniger schlechtes Gewissen!« Eckart Von Hirschhausen »Politisches Engagement ist wichtiger als privater Konsumverzicht«, meint Michael Kopatz. Moralische Appelle machen nur schlechte Stimmung, ändern aber nicht unsere Routine. Wie erfolgreich Protest sein kann, zeigt aktuell die Fridays for Future-Bewegung, die für neue, der Situation angemessene Strukturen kämpft, statt für persönliche Verhaltensänderungen. Kopatz fordert die Politik auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und intelligente Standards und Limits zu setzen – damit ›Öko‹ zur Routine wird und die erhobenen Zeigefinger verschwinden.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.10.2019Grenzen statt Moral
Michael Kopatz' Vorschläge für eine gute Ökopolitik
Das Jahr 2019 wird als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem umweltpolitische Themen die öffentlichen Diskurse beherrscht haben. Natürlich gab es seit den siebziger Jahren immer wieder wichtige Ereignisse, die breit wahrgenommen wurden. Aber derart dominant wie die Diskussion über Stickoxide und Fahrverbote, die Berichterstattung über den Klimawandel und die Fridays-for-Future-Bewegung und die Plastikmülldeponien in den Weltmeeren waren sie bislang noch nicht. Die Schwedin Greta Thunberg ist zu einer Ikone der Umweltbewegung geworden, zu der jeder eine Meinung entwickelt hat.
Je mehr Menschen sich an der Debatte beteiligen, die nur rudimentär damit zu tun haben, desto wichtiger ist es, wenn anerkannte Fachleute ihr Wissen gut verständlich und mit einer überzeugenden These verbreiten. Michael Kopatz ist seit zwei Jahrzehnten wissenschaftlicher Projektleiter am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie und hat federführend an der Fortsetzung des Ökoklassikers "Zukunftsfähiges Deutschland" mitgewirkt. Die Stärken des Instituts sind seit jeher, dass es den Menschen nimmt, wie er ist, und nicht, wie er (vermeintlich) sein sollte. Deshalb hat es oft mit realistischen Vorschlägen die umweltpolitische Debatte bereichert und nie die unter Ökologen verbreitete antikapitalistische Sichtweise eingenommen.
Schon der Titel seines neuen Buchs "Schluss mit der Ökomoral - Wie wir die Welt retten, ohne ständig daran zu denken" macht auf ein zentrales Problem des Diskurses aufmerksam. In persönlichen Diskussionen und auf öffentlichen Foren vertreten viele Menschen die Position, man müsse durch individuelle Verhaltensänderungen das Klima und die Artenvielfalt retten. Solange es aber keine verbindlichen Standards gibt, überfordert das den Einzelnen. Gleichwohl muss dieser sich dann aber in seinem Umfeld rechtfertigen, wenn er sich (vermeintlich) falsch verhalten hat.
Kopatz will das nicht. Menschen sollen sich gemäß ihren Vorstellungen verhalten, sich dabei aber vehement für eine zielgerichtete Umweltpolitik einsetzen, und die Politik solle dann Grenzen setzen, die sich an den ökologischen Erfordernissen orientieren. "Ökoroutinen" sollen bislang tradierte, umweltschädliche Verhaltensweisen ersetzen. Den Begriff der Grenzen (im Diskurs bekannt seit dem Club-of-Rome-Bericht "Grenzen des Wachstums") etabliert er als politisches Steuerungsinstrument. "Wir leben ohne Limit. Es ist offensichtlich, dass den Menschen die Gabe zur Selbstbegrenzung fehlt. Sicher, es gibt Ausnahmen. Doch die breite Masse will haben, was der andere oder die andere hat", schreibt er. "Deswegen benötigen wir Obergrenzen, ein Leben mit Limit. Für Straßen, Häfen, Landebahnen, Pkw, Häuser und Ackergifte."
Was Kopatz fordert, ist nichts anderes, als die Logik des Emissionshandels auf alle umweltschädlichen Sphären des Konsums, der Mobilität und des Wohnens zu übertragen - mit einer harten Obergrenze, die den künftigen Verbrauch, Ausstoß oder Ausbau limitiert. Und diese Systematik beschreibt der Diplom-Sozialwissenschaftler dann anhand zahlloser Anekdoten: wie der Stadtstaat Singapur eine Obergrenze für Autos eingeführt hat, wie in den Niederlanden Fahrradfahrern deutlich mehr Platz auf den Straßen eingeräumt wird - oder als Zukunftsimagination, wie sich der ländliche Raum mit Hilfe von Carsharing-Autos vernetzen ließe, so dass auch dort ein emissionssparender Verkehrsfluss gesichert wäre. So könnten auch Menschen ihre Gewohnheiten ändern, die bislang beim ersten Regentropfen das Auto nutzten. "Diese Menschen werden ihre Routine nicht für ein abstraktes Ziel wie den Klimaschutz ändern. Sie werden ihr Verhalten nur in Frage stellen, wenn sich die Verhältnisse ändern", schreibt er - und wenn es bequemer ist, ökologisch zu handeln.
Kopatz' Buch bringt einen angenehmen Ton in die Debatte und entlastet den Leser vom Gefühl, ständig etwas falsch zu machen. Gleichzeitig formuliert er in zehn ironisch "Gebote" genannten Punkten auch Forderungen an den Einzelnen, was er tun kann: öffentliche Verkehrsmittel und das Fahrrad benutzen, weniger Wohnfläche bewohnen - und vor allem, sich engagieren, an Demonstrationen teilnehmen, im politischen Feld aktiv werden. Kopatz argumentiert, dass ein gelenkter Markt gut geeignet sein kann, die beschriebenen Systeme klima- und enkelgerecht zu machen. Das unterscheidet seine Thesen angenehm von den in der Debatte recht dominant vertretenen Grünen.
Doch hier hat sein Buch auch einige Mankos: Manchmal ist es parteipolitisch zu nah an den Grünen - auch da, wo ihre Positionen im Widerspruch zum Anspruch stehen, die Moral aus dem Spiel zu lassen. Das wird zum Beispiel sichtbar, wenn er die afrikanische Entwicklungsdiktatur Ruanda als leuchtendes Vorbild für den Umgang mit Plastiktüten feiert. Dass völlig unklar ist, wie viele Menschen im Regime Paul Kagames in unbekannten Gefängnissen verschwunden sind, bleibt unerwähnt. Auch eine annähernde Gleichsetzung der Restbestände durch das Verbrennen von Plastik mit Atommüll greift gedanklich kurz. An anderer Stelle prangert er den Lobbyismus in Berlin als Problem an und klammert aus, dass nur durch Lobbys und ihre Gegenlobbys eine demokratische Legitimation möglich wird. Schließlich nervt ein bisschen, dass er umweltpolitische Herausforderungen nicht hierarchisiert und der Eindruck entsteht, schadstoffarmer Verkehr sei nicht wichtiger als Strohhalme und Plastiktüten oder der Holzverbrauch. Dann aber gibt es immer wieder so interessante Beobachtungen wie diese: 1,1 Milliarden Euro hätten deutsche Verbraucher im Jahr 2014 in luxuriöse Grills investiert, für Biofleisch hätten sie nur 244 Millionen Euro ausgegeben.
Über Kopatz' Buch kann man sich aufregen und im nächsten Moment wieder begeistern. Das ist besser, als ein langweiliges Umweltbuch zu schreiben. Entscheidend ist, dass er eine gute These hat. Grenzen müssen eingehalten werden, gutes Verhalten muss durch Standards zur Routine werden, und eine Selbstgeißelung und Verzichtslogik bringt der Umwelt weniger als politische Vorgaben. Er möge die Debatte mit dieser These bereichern.
PHILIPP KROHN
Michael Kopatz: Schluss mit der Ökomoral. Oekom Verlag. München 2019. 240 Seiten. 20 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Michael Kopatz' Vorschläge für eine gute Ökopolitik
Das Jahr 2019 wird als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem umweltpolitische Themen die öffentlichen Diskurse beherrscht haben. Natürlich gab es seit den siebziger Jahren immer wieder wichtige Ereignisse, die breit wahrgenommen wurden. Aber derart dominant wie die Diskussion über Stickoxide und Fahrverbote, die Berichterstattung über den Klimawandel und die Fridays-for-Future-Bewegung und die Plastikmülldeponien in den Weltmeeren waren sie bislang noch nicht. Die Schwedin Greta Thunberg ist zu einer Ikone der Umweltbewegung geworden, zu der jeder eine Meinung entwickelt hat.
Je mehr Menschen sich an der Debatte beteiligen, die nur rudimentär damit zu tun haben, desto wichtiger ist es, wenn anerkannte Fachleute ihr Wissen gut verständlich und mit einer überzeugenden These verbreiten. Michael Kopatz ist seit zwei Jahrzehnten wissenschaftlicher Projektleiter am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie und hat federführend an der Fortsetzung des Ökoklassikers "Zukunftsfähiges Deutschland" mitgewirkt. Die Stärken des Instituts sind seit jeher, dass es den Menschen nimmt, wie er ist, und nicht, wie er (vermeintlich) sein sollte. Deshalb hat es oft mit realistischen Vorschlägen die umweltpolitische Debatte bereichert und nie die unter Ökologen verbreitete antikapitalistische Sichtweise eingenommen.
Schon der Titel seines neuen Buchs "Schluss mit der Ökomoral - Wie wir die Welt retten, ohne ständig daran zu denken" macht auf ein zentrales Problem des Diskurses aufmerksam. In persönlichen Diskussionen und auf öffentlichen Foren vertreten viele Menschen die Position, man müsse durch individuelle Verhaltensänderungen das Klima und die Artenvielfalt retten. Solange es aber keine verbindlichen Standards gibt, überfordert das den Einzelnen. Gleichwohl muss dieser sich dann aber in seinem Umfeld rechtfertigen, wenn er sich (vermeintlich) falsch verhalten hat.
Kopatz will das nicht. Menschen sollen sich gemäß ihren Vorstellungen verhalten, sich dabei aber vehement für eine zielgerichtete Umweltpolitik einsetzen, und die Politik solle dann Grenzen setzen, die sich an den ökologischen Erfordernissen orientieren. "Ökoroutinen" sollen bislang tradierte, umweltschädliche Verhaltensweisen ersetzen. Den Begriff der Grenzen (im Diskurs bekannt seit dem Club-of-Rome-Bericht "Grenzen des Wachstums") etabliert er als politisches Steuerungsinstrument. "Wir leben ohne Limit. Es ist offensichtlich, dass den Menschen die Gabe zur Selbstbegrenzung fehlt. Sicher, es gibt Ausnahmen. Doch die breite Masse will haben, was der andere oder die andere hat", schreibt er. "Deswegen benötigen wir Obergrenzen, ein Leben mit Limit. Für Straßen, Häfen, Landebahnen, Pkw, Häuser und Ackergifte."
Was Kopatz fordert, ist nichts anderes, als die Logik des Emissionshandels auf alle umweltschädlichen Sphären des Konsums, der Mobilität und des Wohnens zu übertragen - mit einer harten Obergrenze, die den künftigen Verbrauch, Ausstoß oder Ausbau limitiert. Und diese Systematik beschreibt der Diplom-Sozialwissenschaftler dann anhand zahlloser Anekdoten: wie der Stadtstaat Singapur eine Obergrenze für Autos eingeführt hat, wie in den Niederlanden Fahrradfahrern deutlich mehr Platz auf den Straßen eingeräumt wird - oder als Zukunftsimagination, wie sich der ländliche Raum mit Hilfe von Carsharing-Autos vernetzen ließe, so dass auch dort ein emissionssparender Verkehrsfluss gesichert wäre. So könnten auch Menschen ihre Gewohnheiten ändern, die bislang beim ersten Regentropfen das Auto nutzten. "Diese Menschen werden ihre Routine nicht für ein abstraktes Ziel wie den Klimaschutz ändern. Sie werden ihr Verhalten nur in Frage stellen, wenn sich die Verhältnisse ändern", schreibt er - und wenn es bequemer ist, ökologisch zu handeln.
Kopatz' Buch bringt einen angenehmen Ton in die Debatte und entlastet den Leser vom Gefühl, ständig etwas falsch zu machen. Gleichzeitig formuliert er in zehn ironisch "Gebote" genannten Punkten auch Forderungen an den Einzelnen, was er tun kann: öffentliche Verkehrsmittel und das Fahrrad benutzen, weniger Wohnfläche bewohnen - und vor allem, sich engagieren, an Demonstrationen teilnehmen, im politischen Feld aktiv werden. Kopatz argumentiert, dass ein gelenkter Markt gut geeignet sein kann, die beschriebenen Systeme klima- und enkelgerecht zu machen. Das unterscheidet seine Thesen angenehm von den in der Debatte recht dominant vertretenen Grünen.
Doch hier hat sein Buch auch einige Mankos: Manchmal ist es parteipolitisch zu nah an den Grünen - auch da, wo ihre Positionen im Widerspruch zum Anspruch stehen, die Moral aus dem Spiel zu lassen. Das wird zum Beispiel sichtbar, wenn er die afrikanische Entwicklungsdiktatur Ruanda als leuchtendes Vorbild für den Umgang mit Plastiktüten feiert. Dass völlig unklar ist, wie viele Menschen im Regime Paul Kagames in unbekannten Gefängnissen verschwunden sind, bleibt unerwähnt. Auch eine annähernde Gleichsetzung der Restbestände durch das Verbrennen von Plastik mit Atommüll greift gedanklich kurz. An anderer Stelle prangert er den Lobbyismus in Berlin als Problem an und klammert aus, dass nur durch Lobbys und ihre Gegenlobbys eine demokratische Legitimation möglich wird. Schließlich nervt ein bisschen, dass er umweltpolitische Herausforderungen nicht hierarchisiert und der Eindruck entsteht, schadstoffarmer Verkehr sei nicht wichtiger als Strohhalme und Plastiktüten oder der Holzverbrauch. Dann aber gibt es immer wieder so interessante Beobachtungen wie diese: 1,1 Milliarden Euro hätten deutsche Verbraucher im Jahr 2014 in luxuriöse Grills investiert, für Biofleisch hätten sie nur 244 Millionen Euro ausgegeben.
Über Kopatz' Buch kann man sich aufregen und im nächsten Moment wieder begeistern. Das ist besser, als ein langweiliges Umweltbuch zu schreiben. Entscheidend ist, dass er eine gute These hat. Grenzen müssen eingehalten werden, gutes Verhalten muss durch Standards zur Routine werden, und eine Selbstgeißelung und Verzichtslogik bringt der Umwelt weniger als politische Vorgaben. Er möge die Debatte mit dieser These bereichern.
PHILIPP KROHN
Michael Kopatz: Schluss mit der Ökomoral. Oekom Verlag. München 2019. 240 Seiten. 20 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Der Autor (...) hat ein beeindruckendes Plädoyer für mehr Bürgerengagement vorgelegt. Nicht Konsumverhalten, Politik kann und wird die Welt verändern. Wir brauchen strengere Regeln, neue Standards, mehr politischen Mut.« Frank Hertweck, SWR2 Lesenswert »Michael Kopatz` Vorschläge sind idealistisch. Aber gerade deshalb stimmt die Lektüre nicht nur optimistisch, sie befreit auch von Flug- und anderer Scham.« Florian Oegerli, NZZ am Sonntag