Ilse Helbichs unsentimentale Notate aus dem gefährdeten und umso kostbareren Leben im hohen Alter Noch einmal hat Ilse Helbich die Notizen der letzten beiden Jahre, ihre Kommentare zum Altern, ihre Selbstbeobachtungen und Aufzeichnungen zu einem neuen Band zusammengestellt. Im Mittelpunkt steht dabei ein bestimmtes Phänomen, das die Autorin in vielen Formen und an unterschiedlichen Orten wahrnimmt und das der Titel "Schmelzungen" widerspiegelt: In ihrem hohen Alter nimmt sie den Charakter des Übergangs zwischen unterschiedlichen Lebensphasen, zwischen Erinnerungen und Träumen ganz intensiv wahr, eins geht ins andere über und verwandelt sich wie unter großer Hitze. Und ein Besuch in Dresden führt ihr noch eine andere Dimension des Schmelzens unter großer Hitze vor Augen: Die wiederaufgebaute Frauenkirche ruft ihr den ganzen unbewältigten, unbewältigbaren Komplex des Handelns ihrer Generation vor Augen, der Schuld, der Mitwisserschaft, des Mitläufertums, des Verschweigens und Verdrängens. Wie in allen ihren so unvergleichlichen Aufzeichnungs- und Erinnerungsbüchern beweist Ilse Helbich auch in diesem Band ihre nüchterne, auf das Wesentliche gerichtete Eleganz des Schreibens. Dass diese Luzidität auch auf die Wahrheit abzielt, wird in dem Abschnitt über die verdrängten, verschwiegenen und entstellten Erinnerungen an die Kriegs- und Nachkriegszeit keinen Leser unberührt lassen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.10.2015Dresdner Erinnerung
Ilse Helbichs "Schmelzungen"
Eingebettet zwischen Traumsequenzen, Gedanken an "Anderswelten" und Alltagserlebnissen sticht der Mittelteil unter dem Titel "Zwei: Dresden" hervor. Ein Ausflug in die Elbmetropole ruft die Fliegerbomben des Weltkrieges ins Gedächtnis der Erzählerin. Zurück in Wien, bleiben die Eindrücke, vermengen sich mit anderen Bildern aus Vernichtungslagern. Und provozieren dann Erinnerungen an die erste Generation nach dem Krieg, die Fragen der damals Halbwüchsigen. Die eindrückliche Dresden-Episode steht im Zentrum des neuen Prosabandes von Ilse Helbich, Jahrgang 1923. Das Drumherum wirkt bisweilen erratisch: Wenig zusammenhängende Notate beschäftigen sich etwa mit dem hohen Alter und möglichen Anzeichen von Demenz. Am ehesten liegt mit "Schmelzungen" eine lose Fortsetzung zu Helbichs Erinnerungsbuch "Vineta" (2013) vor. Freilich beklagt sich die Autorin nicht, nimmt alles gelassen, bisweilen gar mit amüsiertem Staunen zur Kenntnis. Wenn man im Alter von achtzig Jahren seinen Debütroman ("Schwalbenschrift", 2003), noch dazu einen Überraschungserfolg, verfasst und erst zehn Jahre später einige Erinnerungslücken bemerkt, darf man sich vermutlich ohnehin zu den Gesegneten zählen.
lhotz.
Ilse Helbich: "Schmelzungen".
Literaturverlag Droschl, Graz 2015.
135 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ilse Helbichs "Schmelzungen"
Eingebettet zwischen Traumsequenzen, Gedanken an "Anderswelten" und Alltagserlebnissen sticht der Mittelteil unter dem Titel "Zwei: Dresden" hervor. Ein Ausflug in die Elbmetropole ruft die Fliegerbomben des Weltkrieges ins Gedächtnis der Erzählerin. Zurück in Wien, bleiben die Eindrücke, vermengen sich mit anderen Bildern aus Vernichtungslagern. Und provozieren dann Erinnerungen an die erste Generation nach dem Krieg, die Fragen der damals Halbwüchsigen. Die eindrückliche Dresden-Episode steht im Zentrum des neuen Prosabandes von Ilse Helbich, Jahrgang 1923. Das Drumherum wirkt bisweilen erratisch: Wenig zusammenhängende Notate beschäftigen sich etwa mit dem hohen Alter und möglichen Anzeichen von Demenz. Am ehesten liegt mit "Schmelzungen" eine lose Fortsetzung zu Helbichs Erinnerungsbuch "Vineta" (2013) vor. Freilich beklagt sich die Autorin nicht, nimmt alles gelassen, bisweilen gar mit amüsiertem Staunen zur Kenntnis. Wenn man im Alter von achtzig Jahren seinen Debütroman ("Schwalbenschrift", 2003), noch dazu einen Überraschungserfolg, verfasst und erst zehn Jahre später einige Erinnerungslücken bemerkt, darf man sich vermutlich ohnehin zu den Gesegneten zählen.
lhotz.
Ilse Helbich: "Schmelzungen".
Literaturverlag Droschl, Graz 2015.
135 S., geb., 18,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Gerhard Melzer nimmt mit Respekt an Ilse Helbichs Erkundungen der eigenen Eigenwilligkeit teil. Wie die Autorin aus der Entfernung des Alters auf frühe Irritationen zurückblickt, Vergangenes und Gegenwärtiges, Traum und Fantasie sich miteinander vermischen lässt und schließlich feststellt, dass das Alter die früh erfahrene Fremdheit in der Welt eher verstärkt als klärt, findet Melzer bemerkenswert. Die von Helbich gezogenen Parallelen ihrer Erkundungen zu Entdeckungs- und Forschungsreisen, scheinen Melzer plausibel. Ebenso der Umstand, dass die Autorin auf eine Gattungsbezeichnung für ihren Text und erzählerische Stringenz verzichtet und sich ihren laut Melzer durchaus nachdrücklichen Meditationen staunend und zugleich eine "präzise Phänomenologie" entwickelnd hingibt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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