Ai Qings Gedichte sind ein wesentlicher Schlüssel zum Werk seines Sohnes Ai Weiwei. In dessen zeitgleich erscheinender Autobiografie »1000 Jahre Freud und Leid« (ISBN 978-3-328-60231-6) erzählt dieser eindrucksvoll, wie die Geschichte seines Vaters ihn und sein künstlerisches Schaffen geprägt haben.
Wertige Ausstattung, bibliophile Ausgabe. Das Covermotiv wurde von Ai Weiweis Sohn Ai Lao gestaltet.
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Vorbild für Autoren und Vater von Ai Weiwei: Eine Gedichtauswahl des Lyrikers
Eine Rezension provoziert manchmal Tränen. Das ist nicht unbedingt erwünscht, doch Weinen bei einer Lektüre wird mitunter der Realität gerecht und ist daher als solches notwendig.
Als ich im Mai 1980 anlässlich einer Konferenz zu Chinas antijapanischem Krieg der Jahre 1937 bis 1945 in Paris den chinesischen Dichter Ai Qing (er lebte von 1910 bis 1996) traf, war ich erschüttert. Er wich mir aus. Warum? Ich hatte auf der Konferenz gewagt, das Jahr 1956 anzusprechen. Und Ai hatte in jener Zeit für den großen Poeten und Übersetzer Dai Wangshu (1905 bis 1950) ein wichtiges Vorwort geschrieben. Dafür geriet er, wie man sich erzählte, in seiner Heimat für gut zwanzig Jahre in Verbannung.
Bei Ai Qing muss man somit zwei Vergangenheiten unterscheiden: die große in der Republik-Zeit (1912 bis 1949) und die kleine nach den zwanzig Jahren Verbannung, also seit 1979 in der dann von ihm besungenen Volksrepublik. Diese beiden Vergangenheiten spiegeln sich auch in der nun erschienenen deutschen Auswahl seiner Gedichte (die wohl einer amerikanischen Ausgabe folgt) literarisch gelungen wider: die eine stärker, die andere schwächer. Wir scheiden hier zwischen den Jahren vor 1949 und nach 1979, zwischen einem großen und einem weniger großen Poeten. Wir lesen zwei Dichter: den rebellischen im Gefängnis der Guomindang und den angepassten im von ihm gerühmten Neuen China.
Ich hatte Ai Qing in Paris missachtet. Er spürte das. Und ließ mich spüren, dass er nicht mit mir reden wollte. Nun stehe ich nach mehr als vierzig Jahren vor dieser neuen Übersetzung, die ihn als Meister der chinesischen Poesie ankündigt. Ich hatte seine Lyrik selbst vor Jahrzehnten übertragen, aber ihn damals nicht als hohen Vertreter einer einfachen, aber eindringlichen Sprache erkannt. Nun muss ich meinen Irrtum bekennen. Die begnadete Übersetzerin Susanne Hornfeck führt mir einen anderen als den mir bislang vertrauten Ai Qing vor. Und der lohnt die Lektüre und provoziert die eine oder andere Träne. Denn da offenbart sich nicht nur das typische Schicksal eines chinesischen Menschen, sondern ebenfalls das ungeheure Los einer Nation.
Eigentlich hätte ich um die Verdienste des frühen Ai Qing besser wissen müssen, denn der geistig umnachtete Dichter Guo Lusheng (Pseudonym Shi Zhi), der von großem Einfluss auf den von mir bewunderten Schriftsteller Bei Dao war, hatte mir in den Achtzigern gestanden, ohne die Gedichte Ai Qings und des von diesem verehrten Majakowski wäre er, Guo, nie zum Lyriker geworden. Ai Qings Sohn Ai Weiwei hat also recht, wenn er in seinem Vorwort zu dem Auswahlband schreibt, dass sein Vater eine neue Schriftstellergeneration, die der Jahre nach 1979, beeinflusst habe. Darunter solche hermetischen Autoren wie Bei Dao oder Gu Cheng.
Ai war eigentlich ein Mann des Südens, weil dort geboren, der dann aber den Norden pries, eine harte Landschaft, die nur wenige Dichter, und das zuletzt vor tausend Jahren, besungen haben. Das Herz der chinesischen Dichtung scheint eigentlich erst hinter dem Jangtse zu schlagen. Doch siehe da: Ai, kaum in den Norden verpflanzt, rühmte die dortige Erde wie ein Rilke: Liebes karges Land, ich will.
Intermezzo: In der NS-Zeit wurde keine neue deutschsprachige Weltliteratur publiziert; wenn welche entstand, lagerte sie in der Schublade oder erschien im Ausland. China dagegen brachte von 1919 bis 1949 absolute Weltliteratur hervor. Die Namen dazu muss ich hier nicht aufzählen; sie sind durch Übersetzungen ins Deutsche seit fast fünfzig Jahren bekannt. Doch neben all diesen inzwischen verehrten Meistern scheint Ai Qing im hiesigen Gedächtnis leider zu fehlen, obwohl auch er in beiden deutschen Staaten veröffentlicht worden war.
Susanne Hornfecks Übersetzung öffnet nun ein neues Fenster, das beglückt. Da sind plötzlich die Trinker, die Bettler, die Spieler, da ist die Amme, da ist der Vater, ja selbst die Kohle. Wer hat darüber sonst zu Ai Qings Lebzeiten geschrieben? Ich bin versunken in seinen Versen, welch sprachliches Glück! Wir danken Ai Qing und seiner Übersetzerin für einen derart genialen Vers wie "Was mein stilles Kommen begrüßt hat, / drängt mich nun, still zu gehen".
Dass hie und da kleine Fehler im Faktischen, bisweilen auch in der deutschen Grammatik auftreten, wird nur Besserwissern auffallen. Aber auch die werden Freude haben an diesem gelungenen Buch. Wir haben wieder weinen gelernt. Um Chinas willen. So ist nun alles im schönsten Lot. WOLFGANG KUBIN
Ai Qing: "Schnee fällt auf Chinas Erde". Gedichte. Mit einem Vorwort von Ai Weiwei. Aus dem Chinesischen von Susanne Hornfeck. Penguin Verlag, München 2021. 144 S., geb., 20,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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