Getrennte Zwillingskinder auf gefährlichen Reisen durch Schnee und Eis – ein Fantasy-Abenteuerroman ab 11 Jahren von beeindruckender literarischer Qualität Die Zwillinge Elin und Kjell leben in Jorland, einem Land der Vulkane und Geysire, in dem die Winter lang und hart sind. Es herrscht Krieg, und in ihrem Dorf wohnen nur noch Kinder und Alte. Auch Kjell wird mit anderen Jungen zum Arbeiten fortgeschickt. Doch dabei öffnet sich eine Felsspalte - und ein namenloser Schrecken erwacht. Im Glauben, dass ihr Bruder das Unglück nicht überlebt hat, muss Elin mit den übrigen Dorfbewohnern fliehen. Auf dem bedrohlichen Weg durch Schnee und Eis wird sie ungewollt zur Anführerin. Aber nicht nur von außen, auch aus den eigenen Reihen droht Gefahr … Atmosphärisch, feinsinnig, spannend – dieser Text geht unter die Haut
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Andreas Langer hat sich für die kindgerechte Ver- bzw. Bearbeitung der Katastrophen des letzten Jahrhunderts eine ganz eigene Art des Magischen Realismus erschrieben, erklärt Rezensent Fritz Göttler beeindruckt. Erbarmungslos und frei von Pathos schildert Langer den fortwährenden Kampf einer kleinen Gruppe von Menschen gegen den Winter - Flucht, Kälte, Hunger und wilde Tiere, marschierende Steinriesen, giftiger Rauch, und immer lauernd im Hintergrund: der Krieg. Die Grundstimmung und die Motive erinnern mal an die großen Flüchtlingszüge, mal an die Atomkatastrophe in Tschernobyl, lesen wir. Langer befasst sich nicht nur mit den direkten, praktischen Folgen solcher Katastrophen für die Menschen, sondern auch mit den "psychosozialen Effekten". Nicht zuletzt geht es auch immer wieder darum, wie die Menschen sich und einander Schutz geben, kurz: um Hoffnung, so der berührte Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2023In einer kalten Welt
Magischer Realismus des Nordens: In Andreas Langers Roman „Schneekinder“
bahnen sich ein paar Kinder ihren Weg durch eine eisige Landschaft.
VON FRITZ GÖTTLER
Schwarze Schwaden, wirbelnd und wogend, „als führten sie ein Eigenleben“. Sie quellen aus einer Spalte im engen Stollen des Bergwerks hervor, heiß und giftig. Drei der Jungen, die sie entdeckten, sterben beim Kontakt mit ihnen, mit rot verbrannten Gesichtern, die anderen können rechtzeitig weglaufen. Die Jungen wurden zwangsverpflichtet zum „Hilfsdienst“, müssen Kohle abbauen am Vallan Paik, für den König Larus von Jorland, der Krieg führt mit dem Nachbarreich Fjerig. Einige der Jungen kommen aus dem Dorf Kyrfjall, dorthin fliehen sie nun. Nur noch wenige Jugendliche und Kinder leben im Dorf, außerdem zwei Alte, Solveig und Einar, dem Winter trotzend. Die Erwachsenen wurden alle zum Kriegsdienst verpflichtet.
Der Krieg ist unsichtbar, aber immer präsent im Buch von Andreas Langer, er deformiert die Gesellschaft, zwingt seine Figuren in eine ungewollte Unabhängigkeit. Die Spalte im Bergwerk wird zur Kluft, die Schwaden finden ihren Weg ins Freie, immer mehr, eine tödliche Wolke, die sich Richtung Westen bewegt, die Sonne verdunkelnd, bedrohlich und zerstörerisch. Eine zweite Gefahr kommt hinzu, „die knirschende Melodie von Stein, der auf Stein traf, immer im selben Takt, lauter und lauter“: eine stumm marschierende Reihe großer Steinfiguren mit violetten Augen. Den Menschen im Dorf bleibt nur die Flucht vor diesen Gefahren, sie packen Pelze und Zelte und so viele Vorräte wie verfügbar auf ihre Schlitten und machen sich auf den Weg mit dem jungen Ochsen Ture als Zugtier. Es wird eine strapaziöse Wanderung, nicht alle werden überleben.
Die schwarzen Schwaden haben den Namen Svasundr, sie werden freigesetzt, wenn zwei Erdplatten im Untergrund von Jorland auseinandergehen, was auch die Tätigkeit der Vulkane und Geysire verursacht. Für die fantastische Topografie seines Buches hat sich Andreas Langer an Island und anderen nördlichen Regionen orientiert, in seinem Innern, in der Geschichte, die er erzählt, wird es bestimmt von Katastrophen des vorigen Jahrhunderts, den Flüchtlingstrecks (nach verlorenen Kriegen), den diffusen Schrecken des Atomunfalls von Tschernobyl im Jahr 1986, der Europas Böden kontaminierte.
Mit behutsamer Unerbittlichkeit und ohne Pathos entwickelt das Buch einen eigenen magischen Realismus, wenn es den täglichen Kampf beschreibt gegen den Winter – eisige Kälte, Wölfe, Lawinen, ein schrecklicher Sturm auf einem zugefrorenen See, und die Sorge um die abnehmenden Vorräte, um Brot zu backen und Gemüseeintopf zu machen.
Aber auch: psychosoziale Effekte in der kleinen Gruppe, Neid, Bosheit, verweigerte Gastfreundschaft, Verachtung der Alten, die nur „Ballast“ bedeuten. Wie soll der älteste der Jungen es verkraften, dass eine Vierzehnjährige mit natürlicher Autorität den Zug führt? Und wie kann man vermeiden, dass man mit seinen Aktionen die Nymphen und Trolle des Landes aufschreckt und frustriert!
Immer wieder werden auf der langen Wanderung Inseln der Sicherheit gebaut gegen die wilde Außenwelt. Die Zelte, in denen die Kinder schlafen müssen, immer mehr Kinder in immer weniger Zelten. Später haben sie nur noch ein Iglu, das notdürftig vor dem schlimmsten Sturm schützen soll.
Besonders schön ist, was die beiden Fremden, zwei Kinder namens Anouk und Fleinn machen, die sich als Trylkar bezeichnen – sie befassen sich mit den Elementen und zeichnen sich aus durch ihre „Kenntnis der Reinstoffe und Beherrschung der Wurzelkräfte“. Sie haben aus der Ferne das Vordringen der schwarzen Schwaden gesehen und sich zum Vallan Paik aufgemacht, um diese auszulöschen. Mit ihren Händen können sie „Wände aus Wind“ bauen, kleine kraftvolle Kegel, die wie ein Mantel sie und ein paar andere schützen gegen die Schwaden.
Was auch eine Situation des jugendlichen Lesens reflektieren mag: sich vor der ganzen Unbill der Welt zur Lektüre unter die Bettdecke zurückzuziehen in die rettende Geborgenheit eines Buches.
Andreas Langer:
Schneekinder.
Ueberreuter Verlag, Berlin 2023.
343 Seiten,
16 Euro.
Ab elf Jahren.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Magischer Realismus des Nordens: In Andreas Langers Roman „Schneekinder“
bahnen sich ein paar Kinder ihren Weg durch eine eisige Landschaft.
VON FRITZ GÖTTLER
Schwarze Schwaden, wirbelnd und wogend, „als führten sie ein Eigenleben“. Sie quellen aus einer Spalte im engen Stollen des Bergwerks hervor, heiß und giftig. Drei der Jungen, die sie entdeckten, sterben beim Kontakt mit ihnen, mit rot verbrannten Gesichtern, die anderen können rechtzeitig weglaufen. Die Jungen wurden zwangsverpflichtet zum „Hilfsdienst“, müssen Kohle abbauen am Vallan Paik, für den König Larus von Jorland, der Krieg führt mit dem Nachbarreich Fjerig. Einige der Jungen kommen aus dem Dorf Kyrfjall, dorthin fliehen sie nun. Nur noch wenige Jugendliche und Kinder leben im Dorf, außerdem zwei Alte, Solveig und Einar, dem Winter trotzend. Die Erwachsenen wurden alle zum Kriegsdienst verpflichtet.
Der Krieg ist unsichtbar, aber immer präsent im Buch von Andreas Langer, er deformiert die Gesellschaft, zwingt seine Figuren in eine ungewollte Unabhängigkeit. Die Spalte im Bergwerk wird zur Kluft, die Schwaden finden ihren Weg ins Freie, immer mehr, eine tödliche Wolke, die sich Richtung Westen bewegt, die Sonne verdunkelnd, bedrohlich und zerstörerisch. Eine zweite Gefahr kommt hinzu, „die knirschende Melodie von Stein, der auf Stein traf, immer im selben Takt, lauter und lauter“: eine stumm marschierende Reihe großer Steinfiguren mit violetten Augen. Den Menschen im Dorf bleibt nur die Flucht vor diesen Gefahren, sie packen Pelze und Zelte und so viele Vorräte wie verfügbar auf ihre Schlitten und machen sich auf den Weg mit dem jungen Ochsen Ture als Zugtier. Es wird eine strapaziöse Wanderung, nicht alle werden überleben.
Die schwarzen Schwaden haben den Namen Svasundr, sie werden freigesetzt, wenn zwei Erdplatten im Untergrund von Jorland auseinandergehen, was auch die Tätigkeit der Vulkane und Geysire verursacht. Für die fantastische Topografie seines Buches hat sich Andreas Langer an Island und anderen nördlichen Regionen orientiert, in seinem Innern, in der Geschichte, die er erzählt, wird es bestimmt von Katastrophen des vorigen Jahrhunderts, den Flüchtlingstrecks (nach verlorenen Kriegen), den diffusen Schrecken des Atomunfalls von Tschernobyl im Jahr 1986, der Europas Böden kontaminierte.
Mit behutsamer Unerbittlichkeit und ohne Pathos entwickelt das Buch einen eigenen magischen Realismus, wenn es den täglichen Kampf beschreibt gegen den Winter – eisige Kälte, Wölfe, Lawinen, ein schrecklicher Sturm auf einem zugefrorenen See, und die Sorge um die abnehmenden Vorräte, um Brot zu backen und Gemüseeintopf zu machen.
Aber auch: psychosoziale Effekte in der kleinen Gruppe, Neid, Bosheit, verweigerte Gastfreundschaft, Verachtung der Alten, die nur „Ballast“ bedeuten. Wie soll der älteste der Jungen es verkraften, dass eine Vierzehnjährige mit natürlicher Autorität den Zug führt? Und wie kann man vermeiden, dass man mit seinen Aktionen die Nymphen und Trolle des Landes aufschreckt und frustriert!
Immer wieder werden auf der langen Wanderung Inseln der Sicherheit gebaut gegen die wilde Außenwelt. Die Zelte, in denen die Kinder schlafen müssen, immer mehr Kinder in immer weniger Zelten. Später haben sie nur noch ein Iglu, das notdürftig vor dem schlimmsten Sturm schützen soll.
Besonders schön ist, was die beiden Fremden, zwei Kinder namens Anouk und Fleinn machen, die sich als Trylkar bezeichnen – sie befassen sich mit den Elementen und zeichnen sich aus durch ihre „Kenntnis der Reinstoffe und Beherrschung der Wurzelkräfte“. Sie haben aus der Ferne das Vordringen der schwarzen Schwaden gesehen und sich zum Vallan Paik aufgemacht, um diese auszulöschen. Mit ihren Händen können sie „Wände aus Wind“ bauen, kleine kraftvolle Kegel, die wie ein Mantel sie und ein paar andere schützen gegen die Schwaden.
Was auch eine Situation des jugendlichen Lesens reflektieren mag: sich vor der ganzen Unbill der Welt zur Lektüre unter die Bettdecke zurückzuziehen in die rettende Geborgenheit eines Buches.
Andreas Langer:
Schneekinder.
Ueberreuter Verlag, Berlin 2023.
343 Seiten,
16 Euro.
Ab elf Jahren.
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