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Harold James' neues Buch ist eine Geschichte der modernen Weltwirtschaft, die die großen wirtschaftlichen (und im Gefolge politischen) Krisen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute miteinander in Beziehung setzt. Von den Hungersnöten ab 1840 über die Hyperinflation 1923, die Ölkrise der 1970er-Jahre, die Finanzkrise 2008/09 bis zur Coronakrise lässt sich, so James, beobachten, wie Versorgungsengpässe und steigende Preise politische Systeme wie Unternehmen zum Besseren verändern oder hinwegfegen. Daraus ergeben sich Mechanismen, die all diese Krisen prägen und in Zukunft zur…mehr

Produktbeschreibung
Harold James' neues Buch ist eine Geschichte der modernen Weltwirtschaft, die die großen wirtschaftlichen (und im Gefolge politischen) Krisen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute miteinander in Beziehung setzt. Von den Hungersnöten ab 1840 über die Hyperinflation 1923, die Ölkrise der 1970er-Jahre, die Finanzkrise 2008/09 bis zur Coronakrise lässt sich, so James, beobachten, wie Versorgungsengpässe und steigende Preise politische Systeme wie Unternehmen zum Besseren verändern oder hinwegfegen. Daraus ergeben sich Mechanismen, die all diese Krisen prägen und in Zukunft zur Überwindung neuer Rückschläge beitragen können. So entsteht eine fulminante Darstellung der Beziehungen von modernem Staat und Wirtschaft und den sich wandelnden Vorstellungen ihres Miteinanders. Und eine Einbettung der aufgrund von Corona zu beobachtenden globalen Umwälzungen in eine sehr viel längere Geschichte der Globalisierung.
Autorenporträt
Harold James, Prof. Dr. Dr. h.c., geboren 1956, ist Professor für Geschichte an der Princeton University und Professor für Internationale Politik an der dortigen School of Public and International Affairs. Harold James hat bahnbrechende Forschungen zur deutschen Geschichte und zur Wirtschafts- und Finanzgeschichte der Zwischenkriegszeit geliefert und beschäftigt sich insbesondere mit der Geschichte der Globalisierung seit dem 19. Jahrhundert.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eine Geschichte der großen Wirtschaftskrisen von 1840 bis heute, die optimistisch endet? Rezensent Nikolaus Piper ist hoch erfreut, zumal er eine Menge gelernt hat aus diesem Buch, das sieben große Krisen und ihre Folgen beschreibt. Globalisierung oder Deglobalisierung war danach immer die Frage. Gut aus ging das immer nur für die Nationen, die auf Globalisierung setzten, was dem Rezensenten besonders der Erste und Zweite Weltkrieg zeigt. Piper lernt auch, das Krisen immer große Umbrüche nach sich ziehen, Schockmomente eben, wie 2022, als die Deutschen lernten, dass Gas teuer wird. Das Gute: gerade in solchen Momente entstehen Innovationen. James' Buch ist hochaktuell, aber nicht ganz einfach zu lesen und setzt ein gewisses Grundwissen voraus, doch "die Mühe lohnt sich", versichert der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.12.2022

Wann wir am meisten lernen
Selten war ein Buch zur Wirtschaftsgeschichte so aktuell wie dieses: Harold James hat 170 Jahre Globalisierung untersucht
Was wird aus Deutschlands Wirtschaft, wenn die jetzige Krise einmal vorbei sein wird? Der Erfolg des Modells Bundesrepublik beruht auf offenen Grenzen, auf verlässlichen Handelspartnern rund um den Globus und – was der breiten Öffentlichkeit bis zum Februar 2022 kaum bewusst war – auf billigem Erdgas aus Russland. Jetzt, da das Gas ausbleibt, sind die Deutschen schlagartig ärmer geworden. Für Energie zahlen Verbraucher heute 43 Prozent mehr als vor einem Jahr, für Lebensmittel beträgt das Plus 20,3 Prozent. Russland ist kein Handelspartner mehr, und was die Volksrepublik China betrifft, nehmen die Zweifel zu. Setzt jetzt die von einigen befürchtete und von anderen erhoffte Deglobalisierung ein?
Nein, so wird es nicht kommen, sagt der britische Historiker Harold James. Eher das Gegenteil: Krisenzeiten können Globalisierungsschübe auslösen, wie die Geschichte zeigt. Deutschland und Europa haben in der Sprache der Ökonomen einen negativen „Angebotsschock“ erlebt. Ein wichtiger Produktionsfaktor ist plötzlich knapp und sehr teuer geworden. „Schockmoment“ nennt James so etwas. „Schockmomente“ ist auch der Titel seines neuen Buches, einer „Weltgeschichte von Inflation und Globalisierung von 1850 bis heute“.
James, Jahrgang 1956, lehrt an der Universität Princeton und ist einer der besten Kenner der deutschen und europäischen Wirtschaftsgeschichte. Er schrieb über die Weltwirtschaftskrise der Dreißigerjahre und die Lehren, die man aus ihr ziehen sollte, über europäische Wirtschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert und über die Deutsche Bank während der Naziherrschaft. „Schockmomente“ ist nun der Versuch, die großen Angebotsschocks der vergangenen 170 Jahre in einen Kontext zu stellen mit ihren Folgen für Globalisierung und Deglobalisierung. Selten war ein Buch über Geschichte so aktuell wie dieses.
Insgesamt sieben dieser Schockmomente definiert James: die Hungersnot in Europa am Ende der 1840er, die Finanzkrise des Jahres 1873 (in Deutschland als „Gründerkrach“ bekannt), die Katastrophe des Ersten Weltkriegs mit Inflation und anschließender Deglobalisierung, die Weltwirtschaftskrise der Jahre 1929 bis 1933, der Ölschock von 1973 mit der Inflation der 1970er-Jahre, die Finanzkrise von 2008 und der Ausbruch der Corona-Pandemie 2020. Der achte Schockmoment folgte am 24. Februar 2022, als Russland die Ukraine überfiel. Das war kurz ehe James die „Schockmomente“ fertiggestellt hatte, er erwähnt den Krieg daher nur am Rande.
Das Schlüsselereignis in James’ Erzählung ist die Hungersnot der Jahre 1845 bis 1846. Es folgte in Europa das Revolutionsjahr 1848: Februarrevolution in Paris, die Märzunruhen in Berlin, Aufstände in Wien, Budapest und in Italien. Zwar erreichten die Revolutionäre ihre Ziele nicht, wirtschaftlich jedoch setzte sich das Bürgertum nach und nach durch. Vor allem aber löste das Jahr 1848 eine Globalisierungswelle aus. James beschreibt deren Logik so: „Durch mehr Bewegung konnte die Welt gerettet werden – mehr Bewegung von Waren, von Menschen (im Falle der verarmten ländlichen Gegenden Europas: Auswanderung), aber auch von Geld. Durch verbesserte Transportmittel konnte man die Güter effizienter herbeischaffen, mit der Bahn an Land, mit dem Dampfschiff über die Meere.“
Spannend ist auch, wie James die wirtschaftlichen und wirtschaftstheoretischen Hintergründe des Ersten Weltkriegs schildert. Dieser Krieg brachte den bisher schlimmsten Rückschlag für die Globalisierung mit sich. Die Deglobalisierung war Ursache politischer und wirtschaftlicher Katastrophen und führte direkt in den nächsten Krieg. In Deutschland begann bereits bei Kriegsausbruch 1914 der Marsch in die Geldentwertung, der 1923 in einer beispiellosen Hyperinflation enden sollte. James befasst sich mit den Denkern, die diese Inflationierung geistig vorbereitet hatten. Zum Beispiel Georg Friedrich Knapp (1842-1925), Wirtschaftsprofessor an der Universität Straßburg.
Knapp vertrat eine Lehre, die er „Staatliche Theorie des Geldes“ nannte. Nach dieser Theorie sind es nicht Gold und Silber, die den Wert des Geldes bestimmen. Es ist der Staat, der die uneingeschränkte Souveränität über den Geldwert haben sollte. Eine Regierung kann praktisch unbegrenzt Geld ausgeben, jedenfalls so lange, bis das Produktionspotenzial der Volkswirtschaft erreicht ist. Nach Knapps Theorie sind Geld und Staatsschulden keine Verbindlichkeit des Staates, sondern Vermögenswerte, die es den Bürgern erlauben, ihre Träume zu verwirklichen. Damit dürfte Knapp die deutsche Inflation während und nach dem Krieg geistig vorbereitet haben, weil er die Regierungen zum bedenkenlosen Geldausgeben ermutigte.
Ironie der Geschichte: Knapps Souveränitätstheorie feiert heute wieder eine kleine Renaissance, und zwar bei der amerikanischen Linken. Ihre Anhänger nennen sie jetzt Modern Monetary Theory und postulieren, dass die amerikanische Regierung sich keine Grenzen beim Geldausgeben setzen sollte. Ob die Theorie die jüngste Welle der Preissteigerungen überleben wird, ist offen. „Angebotsschocks erschaffen die Globalisierung erst und gestalten sie dann neu“, schreibt James zum Abschluss seines Buches. Es ist nicht immer leicht zu lesen. Aber die Mühe lohnt sich. James hat ein ungewöhnliches Geschichtsbuch geschrieben – und es ist ein optimistisches Buch. Er beschließt es mit dem Satz: „Aber wir lernen am meisten, wenn die Gegenwart am düstersten ist.“
NIKOLAUS PIPER
Das Schlüsselereignis
ist die Hungersnot
von 1845 bis 1846
Harold James:
Schockmomente –
Eine Weltgeschichte
von Inflation und
Globalisierung.
Herder Verlag,
Freiburg 2022.
540 Seiten, 36 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.12.2022

Kreative Krisen
Wie sich die Globalisierung ständig neu erfindet

Der in Princeton lehrende Harold James, einer der großen Wirtschaftshistoriker unserer Zeit, hat ein optimistisches Buch über die Geschichte und Gegenwart der Globalisierung geschrieben. Das an sich ist schon eine Meldung wert, denn Liberale wir er sind in den vergangenen Jahren oft in einen Pessimismus oder gar Fatalismus verfallen, was die Gegenwart und Zukunft der globalen Wirtschaftsordnung angeht. Das Buch zeigt eindrücklich auf, dass die Geschichte der letzten 180 Jahre zahlreiche Impulse hin zu einem nicht naiven Optimismus für heute enthält.

Im Mittelpunkt des Buches stehen sieben große Krisen der globalen Wirtschaftsordnung seit den 1840er-Jahren, die James "transformativ" nennt. Das bedeutet, dass die Prozesse und Akteure der Globalisierung gerade bei großen Krisen erstaunliche Fähigkeiten gezeigt haben, sich anzupassen. Um den Begriff von James' Princeton-Kollegen Markus Brunnermeier zu verwenden, hat sich die Globalisierung beim Einschlagen vieler Schocks als resilient erwiesen.

Die große Ausnahme war die Zwischenkriegszeit, als Kriegszerstörung, Hyperinflation und Weltwirtschaftskrise dazu führten, dass die nationalen und internationalen Ordnungen von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft implodierten. Aber diese Ausnahme und vor allem der negative Nachfrageschock der Weltwirtschaftskrise, so James, haben durch ihr traumatisches Ausmaß zu stark den Blick auf die großen Schocks geprägt. Im Mittelpunkt des Buches stehen stattdessen negative Angebotsschocks, von der großen Hungersnot der 1840er-Jahre bis zum "großen Lockdown", wie die Pandemie und deren Folge genannt werden.

Die zentrale Kluft zwischen Nachfrage- und Angebotsschocks verortet James in den sehr unterschiedlichen Analysemethoden, die sie jeweils erfordern. Nachfrageschocks wie die Weltwirtschaftskrise sind Kontexte, in denen ein Denken in Mengen dominiert. So war es in der Diagnose von John Maynard Keynes hinsichtlich der unzureichenden aggregierten Nachfragemenge nach Gütern, aber auch in der Diagnose von Milton Friedman und Anna Schwartz hinsichtlich des unzureichenden Geldmengenangebots der Federal Reserve in den frühen 1930er-Jahren.

Bei Angebotsschocks hingegen dominiert ein Denken in Preisen. Ob beim Gründerkrach der 1870er-Jahre oder der "großen Inflation" der 1970er-Jahre: Es sind Veränderungen der relativen Preise zwischen den verschiedenen Konsum- und Kapitalgütern, die hierbei laut James im analytischen Fokus stehen. Das erkennt man in den theoriehistorischen Debatten, die mit der wirtschaftshistorischen Erzählung verwoben werden. Sowohl die marginalistische Revolution von Carl Menger, William Stanley Jevons und Léon Walras der 1870er-Jahre als auch die Revolution der rationalen Erwartungen von Robert Lucas und Thomas Sargent der 1970er-Jahre, die zur mikroökonomischen Fundierung der Makroökonomik führte und sich dabei gelegentlich auf die früheren Erkenntnisse von Friedrich August von Hayek berief, deutet James als wirkungsmächtige Antworten auf die Angebotsschocks der Zeit.

Eine Meisterleistung des Buches ist ebendiese Verknüpfung von Wirtschafts- und Theoriegeschichte. James zeigt auf, dass bei wirtschaftshistorischen Verwerfungen neue Ideen - ob von Marx, Jevons, Keynes, Schumpeter, Friedman oder Hayek - auf besonders viel Anklang stoßen. Dabei spart James auch weniger prominente, dafür umso problematischere Figuren wie Karl Helfferich nicht aus, deren biographische Kippmomente als Barometer für die ideologischen Holzwege inmitten der Schockmomente dienen.

Schockmomente sind aber auch Lernmomente, die die Resilienz für die nächste Krise stärken. Viele Akteure sind angesichts großer Krisen besonders lernwillig. Politiker und Bürger sind hierbei besonders offen für neue polit-ökonomische Ideen. Unternehmer wiederum lernen gerade dann, länger erfundene Technologien marktfähig zu machen. Dampfmaschine, Motorflugzeug, Container und mRNA-Technologie lagen als Erfindungen jahrzehntelang vor, bevor sie in Dampfschiffen, Eisenbahnen, Düsenflugzeugen, Containerschiffen und Corona-Impfstoffen für Innovationen genutzt wurden, die die Flaschenhälse des Angebotsschocks auflockerten. Wenn dieses Lernen gelingt, bringen die Schockmomente vor allem eins: tiefer greifende globale Integration. Viele staatliche und private Akteure lernen gerade unter Anpassungsschmerzen und beim Begehen schwerwiegender Fehler.

James betont, dass die großen Gefahren für die Resilienz der Ordnung durch die Machtkonzentration in den Händen weniger Akteure, ob staatlich oder privat, im Zeitverlauf immer deutlicher geworden sind. Nimmt man diese zentrale Integrationsthese ernst, so ist Integration so etwas wie die DNA der modernen globalen Wirtschaftsordnung. Protektionismus, ob in der Zwischenkriegszeit oder in der aktuellen Chinadiskussion, sieht James als Irrweg, der gegen den Wesenskern der sich ständig intensivierenden Arbeits- und Wissensteilung verstößt. Dies gilt auch, wenn die Abschottung im Gewand des Begriffes "Geopolitik" kommt, dessen problematische Geschichte er in anderen Publikationen nachgezeichnet hat.

Harold James hat ein für Laien wie Fachleute höchst empfehlenswertes Buch geschrieben. Er weist überzeugend nach, dass trotz aller Sorgen die Globalisierung weiterhin unsere Zeit prägen wird. STEFAN KOLEV

Harold James: Schockmomente. Eine Weltgeschichte von Inflation und Globalisierung 1850 bis heute, Verlag Herder, Freiburg 2022, 544 Seiten, 35 Euro.

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[...] ein für Laien wie Fachleute höchst empfehlenswertes Buch [...]. Stefan Kolev FAZ 20221219