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Deutschmenschen und Mathemenschen: Nikola Huppertz erzählt von Logik, Gefühlen und Lügen
Von Eva-Maria Magel
Als die Welt noch ganz in Ordnung war, kannte Malte nichts als natürliche Zahlen. Die Drei, wie Mama, Papa und Malte. Die Fünf wie die Finger an seiner Hand. Dann hat er begriffen, dass es auch negative Zahlen gibt, irrationale Zahlen, Brüche, nicht enden wollende Nachkommastellen. Erst hat Malte geweint, weil nichts mehr so war wie zuvor. Ein zersplittertes Universum. Dann aber ist aus Malte ein Mathe-Champion geworden.
Nikola Huppertz beschreibt diesen Augenblick, in dem in Maltes heile Kinderwelt die der großen Mathematik hereinbricht, wie einen Schockmoment. Allerdings einen, der seine ganz eigene Poesie noch jenseits der Sprache hat. In ihrem Roman "Schön wie die Acht" wird die Entdeckung der irrationalen Zahlen zu einem Schlüssel. Sie ist, im Kleinen, Vorherigen, das, was Malte, mittlerweile zwölf, fast 13 Jahre alt, im Lauf der Erzählung noch einmal und größer erlebt. Und wenn Malte in einem kursiv gedruckten Vorwort die Schönheit der Acht beschwört, seiner Lieblingszahl, die, umgelegt, Unendlichkeit bedeutet, muss man ihm einfach zustimmen: "Keiner kann sagen, das wär nicht schön."
Huppertz, Jahrgang 1976, die sowohl Violine als auch Psychologie studierte, hat mittlerweile beinahe drei Dutzend Titel für Kinder und Jugendliche veröffentlicht. Auf den ersten Blick könnte man die Kombination aus ersten Pubertätsphänomenen, Patchworkfamilie und einem Hauch Verliebtheit für eine ziemlich beliebige Mischung halten. Aber Huppertz hat mit der Mathematik und der Lyrik nicht nur zwei weitere Themen, sie bedient sich im Grunde der jeweiligen Verfahren dieser beiden Disziplinen, um ihre Geschichte zu erzählen.
In Maltes bislang geordnetes und behütetes Leben bricht ein neues irrationales herein, Gefühle von einer solchen Heftigkeit, dass es bald nichts mehr hilft, sich hinter die Zahlen zurückzuziehen. Seit Jahren ist er der Jüngste und Beste in der Mathe-AG, jetzt trainiert er auf den Landeswettbewerb. Dann taucht in der AG Lale auf, keine Gymnasiastin, sondern "nur" von einer Gesamtschule. Genauso alt wie Malte - und sie kann noch vieles besser rechnen als er.
Dass sie außerdem Maltes Liebe für die Acht versteht und mit ihrer eigenen Zuneigung zur Elf perfekt ergänzt, würde bei manchem Jungen womöglich zu plötzlichen Ausbrüchen von Lyrik führen. Nicht bei Malte. Der kämpft mit seiner Eifersucht und seiner Zuneigung. Und außerdem hat er in seinem schönen Zuhause zu dritt neuerdings noch eine siebzehn Jahre alte Halbschwester namens Josefine, die gepierct und gegen alles ist und außerdem düstere Gedichte schreibt. An Josefines Lyrik manifestiert sich nicht nur der Unterschied zwischen "Deutschmenschen" und Mathemenschen wie ihm, den Malte macht. Hinter Josefines Trauer und Wut steckt ein Geheimnis.
Huppertz zeigt nicht nur den Versuch, mit der fremden Tochter eine Patchworkidylle zu spielen, sondern auch ein Elternpaar, dessen jahrelange Lüge sich selbst und anderen gegenüber zutage tritt. Geschildert aus Maltes Perspektive, im Ton eines Jungen auf dem Weg zum Jugendlichen, ist nichts mehr eindeutig, weder das Verhalten des Vaters noch das Ausweichen der Mutter, auch Josefine hat sich festgelebt in ihrem Hass auf den Vater, der ihre eigene Mutter verlassen hat. Peinliches Schweigen und dicke Luft sind regelrecht greifbar - und auch die Mühe und der Mut, die es kostet, endlich zu reden, zwischen Geschwistern, Eltern und Kind und auch mit Lale. Malte muss ein weiteres Mal ein neues System lernen, seinen Frieden machen mit einer neuen Dimension des Uneindeutigen. Dass da sogar ein bisschen Lyrik helfen kann, schlägt sich im Titel des Buches nieder.
Nikola Huppertz: "Schön wie die Acht". Roman.
Tulipan Verlag, München 2021. 224 S., geb., 14,- [Euro]. Ab 12 J.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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