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Mit unverwechselbar trockenem Humor lässt Hans-Ulrich Treichel seinen sehnsüchtig zaudernden Helden durch das ummauerte Westberlin streifen – einen Melancholiker, der wenig später das tut, wovon er eben noch behauptet hat, es besser bleiben zu lassen. Und man kann sich sicher sein: Am Ende hat alles eine Bedeutung.
Einmal so wie Erik sein! Das hatte sich Andreas immer gewünscht und sich von Jugend an um eine Freundschaft mit dem beneidenswert gelassenen, aber unnahbaren Erik bemüht. Erik, der immer besser war, was die Schulnoten, die Beliebtheit bei den Mädchen oder den Sport betraf. Auch
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Produktbeschreibung
Mit unverwechselbar trockenem Humor lässt Hans-Ulrich Treichel seinen sehnsüchtig zaudernden Helden durch das ummauerte Westberlin streifen – einen Melancholiker, der wenig später das tut, wovon er eben noch behauptet hat, es besser bleiben zu lassen. Und man kann sich sicher sein: Am Ende hat alles eine Bedeutung.

Einmal so wie Erik sein! Das hatte sich Andreas immer gewünscht und sich von Jugend an um eine Freundschaft mit dem beneidenswert gelassenen, aber unnahbaren Erik bemüht. Erik, der immer besser war, was die Schulnoten, die Beliebtheit bei den Mädchen oder den Sport betraf. Auch als sie sich zwanzig Jahre später in Berlin zufällig begegnen, hat sich nichts geändert: Aus Andreas ist gerade mal ein Romanist in der Lehrerfortbildung geworden, während Erik es als Filmarchitekt in die glamouröse Welt Hollywoods und in die Nähe bekannter Filmstars geschafft hat – zum Beispiel Hélènes, einer weltberühmten Schauspielerin. Doch wer hätte gedacht, dass ausgerechnet diese Hélène, für die Andreas sein Leben lang geschwärmt hat, von der Leinwand herabsteigen und für einige Tage leibhaftig in sein Leben treten würde? Dank Erik zwar, aber ohne ihn.


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Autorenporträt
Hans-Ulrich Treichel, am 12.8.1952 in Versmold/Westfalen geboren, lebt in Berlin und Leipzig. Er studierte Germanistik an der Freien Universität Berlin und promovierte 1984 mit einer Arbeit über Wolfgang Koeppen. Er war Lektor für deutsche Sprache an der Universität Salerno und an der Scuola Normale Superiore Pisa. Von 1985-1991 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Neuere Deutsche Literatur an der FU Berlin und habilitierte sich 1993. Von1995 bis 2018 warHans-Ulrich Treichel Professor am Deutschen Literaturinstitut der Universität Leipzig. Seine Werke sind in 28 Sprachen übersetzt.

Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In den höchsten Tönen schwärmt Rezensent Wolfgang Schneider vom neuen Roman von Hans-Ulrich Treichel, der ihn ins Westberlin der Achtziger führt. Im typischen Treichel-Ton erzählt ihm der Autor von Andreas, der schon seit Schulbeginn neidisch auf seinen Freund Erik ist und diesem Jahre später in einem Bistro begegnet, resümiert Schneider: Erik, einst Tischler, ist inzwischen ein von Stars umworbener Filmarchitekt, während Andreas, geschieden und kurzzeitig wohnungslos an seiner "Durchschnittlichkeit" als Akademiker krankt. Erik bietet Andreas in seiner Abwesenheit für den Übergang seine Achtzimmerwohnung an, in der täglich die von Andreas bewunderte und mit Erik befreundete französische Filmschauspielerin Helene anruft. Allein wie Treichel die Dialoge zwischen Andreas und Helene gestaltet, nicht als französische Liebesromanze, sondern mit feinem Gespür für Zwischentöne als "sublime Komödie" gefällt dem Rezensenten. Und Treichels so treffende wie "vertrauliche" Betrachtungen über Freundschaft, Neid und das Gefühl "guter Fremdheit" ziehen ihn ohnehin sofort in den Bann.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.07.2021

Ironie und mittleres Elend
Hans-Ulrich Treichel perfektioniert in seinem Roman „Schöner denn je“ den Plot des Intellektuellen, dessen Leben nicht so glänzend verläuft wie erträumt
Hans-Ulrich Treichel gehört zu jenen glücklichen Schriftstellern, die früh ihr Lebensthema gefunden haben. Bei Treichel ist es der eigene Weg aus dem Kleine-Leute-Milieu in den akademischen Mittelbau, den er in immer wieder überraschend neuen Auffächerungen erzählt. Selbstironische und poetisch eindrucksvolle Romane sind auf diesem autobiografischen Humus entstanden.
„Anatolin“ (2008) zum Beispiel, worin Treichel anhand einer Reise ins polnische Wartheland, von dort stammen seine Eltern, die eigene Zerrissenheit beschreibt, die auf einem dunklen Identitätszauber gründet: Die Eltern hatten Treichels Bruder 1945 bei ihrer Flucht nach Westen zurückgelassen und nach dem Krieg vergeblich nach dem Verlorenen suchen lassen – „Der Verlorene“ ist der Titel von Treichels erfolgreichstem Buch von 1998. Im Schatten dieses Bruders oder besser: in der Leerstelle, die der Bruder hinterlassen hatte, wuchs Treichel auf.
Nach und nach hat sich Treichel vom Recherchedruck seiner früheren Erzählungen befreit und ein neues Subjektmodell konzipiert: den aus dem kleinmiefigen ostwestfälischen Kaff entkommenen Intellektuellen, der im alten Westberlin eine passable Stellung gefunden hat, aber nicht den großen Lebensentwurf vorweisen kann, der ihn zum Sieger über die allzu geringe Herkunft hätte werden lassen können.
Jetzt fügt Treichel diesem Sujet eine leichten und doch auch geheimnisvollen kleinen Roman hinzu: In „Schöner denn je“ erzählt der Fachdidakt der Romanistik Andreas Reiss, wie er schon als Kind den Freund und Schulkollegen Erik bewundert hat, weil diesen eine schwer zu fassende „Fremdheit umwehte“. Augenscheinlich wird diese Fremdheit in einem Mercedes, den schon der Heranwachsende fährt, im ferner gelegenen Landkreis, wo Erik wohnt, und in einer, so vermutet Reiss, besonderen Erlebnisfähigkeit, die es Erik ermöglicht, die Enge der Heimat nicht als so bedrückend zu empfinden wie Andreas: „Es kommt eben nicht darauf an, was man tut, sondern wie man sich dabei fühlt.“ Sowohl Erik als auch Andreas ziehen nach der Schule ins eingemauerte Westberlin, aber hier endet auch das vermeintlich Verbindende. Erik wohnt in einer schönen Wohnung und macht eine Tischlerlehre, die ihm – so lautet sein am Reißbrett des Lebens gefertigter Plan – den Weg zu den Filmstudios ebnen würde, wo er dann als Filmarchitekt zu Erfolg und Wohlstand käme. Andreas versucht, dem nun scheinbar nahen, in Wahrheit weiterhin fernen Freund nachzueifern, und schreibt sich ebenfalls für Architektur ein.
Aber man kann eben nicht sein Leben an den Plänen eines anderen ausrichten, nur weil man glaubt, das andere Leben habe bessere Veranlagungen zum Gelingen. Das ist die bemerkenswerte Grundierung dieses Romans: Die eigene, in weniger großem Stil angelegte Existenz ist so etwas wie die klägliche Variante eines vermeintlich gelungenen Lebens, dessen Nachteile sich nach und nach erweisen.
Andreas besinnt sich seiner Frankophilie, die sich vor allem auf seiner Liebe zum französischen Kino gründet. Er studiert Romanistik und verlagert seine Verehrung von Erik auf die Schauspielerin Hélène Grossmann, deren „mädchenhafte Befangenheit“ seinem Temperament offenbar entgegenkommt. Treichel ist ein Spezialist für jene Verstiegenheiten, mit denen seine männlichen Figuren vor jeder falschen Siegerpose gefeit sind.
Ein bisschen sind sie den Erzähler-Ichs von Wilhelm Genazino verwandt, allerdings fehlt ihnen die pathologische Lust an der seelischen Selbstverstümmelung. Treichels Witz fügt sich dabei in die selbstironische Grundstimmung des Erzählten. Seine lakonischen Zustandsbeschreibungen erinnern an beste amerikanische Erzählkunst: „Wir lernten das Küssen auch ohne Bonbons, heirateten irgendwann und führten eine … harmonische, allerdings kinderlose Ehe, die letztlich scheiterte.“
Es geht in „Schöner denn je“ – wie schon in „Menschenflug“ (2005) – um die jahrelang gereiften Enttäuschungen und unverrechnet gebliebenen Verletzungen in lang dauernden Partnerschaften. Treichel versteht sich fabelhaft auf die Beschreibung dieser feinen Risse, die in ihrer Summe das Gebäude zum Bröckeln bringen. „Mit Selbstironie kann man keine Kinder zeugen“ ist so ein bitter-komischer Treichel-Satz, den Andreas von seiner Ex-Frau Susanne zu hören bekommt.
Fast nebenbei erfährt man übrigens, dass Andreas durchaus Kinder zeugen kann, eine frühere Freundin hat die Schwangerschaft abgebrochen. Der verehrte Erik ist sogar bereits als Schüler Vater geworden. In diesen kleinen Nebendramen steckt schon der Stoff für das ganze mittelgroße Elend.
Nach der Trennung von Susanne nimmt Andreas Eriks Angebot, in seiner großen Charlottenburger Wohnung zu leben, an. Der einstige Mitschüler ist inzwischen wirklich ein anerkannter Filmarchitekt geworden und geht für drei Monate in die USA, sein Lebensplan scheint vollständig aufgegangen zu sein. Andreas durchforscht Schubladen und Schränke, um Erik zu „suchen“, und er findet – da lässt sich Treichel die Cliffhangertechnik nicht entgehen – Röntgenbilder von Eriks Hirn, die auf nichts Gutes schließen lassen. Schnell rückt das Festnetz-Telefon – es ist Vorhandy-Zeit –in den Mittelpunkt und irgendwann ruft tatsächlich Hélène Grossmann durch, Andreas’ verehrte Filmdiva , die natürlich auch mit Erik recht eng ist, und bietet Andreas an, sie einen Tag lang durch Berlin zu fahren.
Hans-Ulrich Treichel setzt diesmal, mehr als in seinen vorangegangen Büchern, auf eine perfekte Dramaturgie. Sorgfältig legt er von Anfang an seine Fährten, deutet Verbindungen an, die sich im Lauf der Geschichte als gut geölte Plot-Maschinen herausstellen, und baut seinen Roman nach klassischen Erzählprinzipien auf. So sehr, dass selbst dem armen Andreas Reiss irgendwann auffällt: „Dass jetzt auch noch das Telefon klingelte, war eine Szene wie aus dem Drehbuch.“ Vielleicht ist es auch kein Zufall, dass Treichel, der viele Jahre Professor am Leipziger Literaturinstitut war, ausgerechnet diesen exemplarischen Könner-Roman als erstes Buch nach seiner Pensionierung vor drei Jahren vorlegt. Immerhin ist es so auch eine Geschichte für Plot-Liebhaber geworden.
„Doch ich war nicht ihr Liebhaber. Das sollte ich nicht einmal denken. Ich sollte nicht einmal denken, dass ich nicht ihr Liebhaber war.“ Das sagt Andreas über die plötzlich so nahe Filmdiva Hélène. Und genau wegen solcher Sätze hat der kluge und störrisch witzige Erzähler Hans-Ulrich Treichel seine Verehrer.
HILMAR KLUTE
„Dass jetzt auch noch das
Telefon klingelte, war eine Szene
wie aus dem Drehbuch.“
Hans-Ulrich Treichel:
Schöner denn je, Roman. Suhrkamp, Berlin 2021.
175 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.09.2021

Wo ein Fachdidaktiker ist, ist immer auch eine Unterrichtseinheit
Ein Buch, wie man es von Hans-Ulrich Treichel liebt: "Schöner denn je" erzählt von der Obsession eines mit seiner Durchschnittlichkeit hadernden Akademikers

Historische Romane - das waren einmal Geschichten, in denen die Leute zu Pferd unterwegs waren. Heute sind es Bücher, in denen Menschen noch aufs Festnetztelefon angewiesen sind. Beides beschränkt die Möglichkeiten der Handlung. Wer reiten muss, kann nicht am Vormittag in Berlin und am Nachmittag in London sein. Und die heute so selbstverständliche Erreichbarkeit entfällt, wenn die Figuren erstens kein Handy haben und zweitens nicht zu Hause sind. So geschieht es in Hans-Ulrich Treichels neuem Roman "Schöner denn je", der in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts spielt und dessen Plot heute aus medientechnischen Gründen kaum noch denkbar wäre.

Historisch wirkt auch der Schauplatz: West-Berlin, die ummauerte Stadt, diesmal allerdings nicht am östlichen Kreuzberger Lebenskünstler-und-Rebellen-Ende, sondern im Charlottenburger Milieu der Etablierten. Die Haupt- und Erzählerfigur Andreas Reiss ist einer jener Treichel'schen Kopfmenschen aus dem existenziellen Mittelbau, die ihre provinziellen Wurzeln lebenslang hinter sich herschleppen. Zu seinem Herkunftskomplex gehört auch die "Freundschaft" mit einem überlegenen Mitschüler. Seit je konnte Andreas den Neid auf Erik nur schwer im Zaum halten - auf dessen Lässigkeit, dessen gutes Aussehen, die Beliebtheit bei den Mädchen und vor allem dieses bevorzugte Lebensgefühl: "Erik schien eigentlich von allem, was er trieb, beglückt zu sein." Solche Übereinstimmung mit sich selbst ist den von Selbstzweifeln geplagten Treichel-Antihelden verwehrt.

"Gegen große Vorzüge eines anderen gibt es kein Rettungsmittel als die Liebe", lautet eine Goethe-Sentenz, die zwar nicht zitiert wird, die aber das Verhalten von Andreas Reiss charakterisiert. "Ich idolisierte Erik. Er war der Star und ich war der Fan." Weil er weiß, dass solch einseitige Bewunderung der erhofften Freundschaft nicht förderlich ist, bemüht er sich um Souveränität und gespielte Distanz. Zur feinen Komik des Romans gehört es jedoch, dass Andreas bei jedem späteren Wiedersehen mit Erik abermals die Contenance verliert und verblüfft ist von dessen Schachzügen im Spiel des Lebens. Zum Beispiel, als er ihm während des Studiums in Berlin begegnet und ihm ein bisschen zu angeberisch von den wohlklingenden Geistesgrößen vorschwärmt, mit denen er selbst sich im Romanistikstudium befasst: Sartre, Camus, de Beauvoir, Foucault, Lacan, Derrida ... Und was macht Erik? Eine Tischlerlehre. Andreas klappt der Kiefer herunter. Sogleich fühlt er sich wieder unterlegen, weil Erik wie gewohnt den Eindruck vermittelt, hundertprozentig das Richtige zu tun. Und weil er das intellektuelle Gehabe von Andreas überhört und nur entgegnet: "Auf Lehramt? Und dann zurück an die Schule?" Das kleine Wort "zurück" wurmt Andreas enorm.

Eineinhalb Jahrzehnte später arbeitet Andreas als Didaktiker in der Lehrerfortbildung. Erik hat auf die Tischlerlehre ein Architekturstudium folgen lassen und ist Filmarchitekt geworden, mit Aufträgen aus Hollywood. Er hat vertrauten Umgang mit internationalen Filmstars wie dem "Klaus", also mit Klaus Kinski, der das Kurfürstendamm-Bistro, in dem sich die beiden nun zufällig wiedertreffen, einmal als "Pissbude" bezeichnet habe. Andreas hält sich oft in der "Pissbude" auf, weil seine Ehe gerade gescheitert ist und er bis auf Weiteres keine Wohnung hat. Erik bietet überraschend seine Hilfe an: Andreas könne für eine Weile seine Acht-Zimmer-Altbau-Eigentumswohnung hüten, weil er selbst gerade wieder in den Staaten zu tun habe. Unverhofft findet sich Andreas in Eriks Räumen wieder und erkundet mehr oder weniger diskret dessen Lebensspuren. Dankbarkeit mischt sich mit Groll, weil Erik ihm "diese Nähe nur erlaubt hatte unter der Bedingung seiner Abwesenheit".

Nun kommt das Telefon ins Spiel. Immer wieder ruft eine Frau an und möchte Erik sprechen. Wieder ist Andreas von den Socken: Es handelt sich, er erkennt ihre wunderbare Stimme sofort, um die berühmte französische Schauspielerin Hélène Grossman, die er seit vielen Jahren zutiefst verehrt - psychoanalytisch gesprochen als Ersatzobjekt für Erik. Der ist mit ihr offenbar eng befreundet. Als Eriks Stellvertreter am Ort kommt Andreas nun in den Genuss einer traumhaften Bekanntschaft, die nur dann eine Chance hat, wenn es ihm gelingt, endlich sein notorisches Fan-Verhalten (den "Anhimmelungsmodus") zu zügeln. Denn von Fans hat Helene genug, da geht sie sofort auf Distanz.

Die eigenwillige Begegnung zwischen dem Didaktiker und der Diva wird zur sublimen Komödie. Um sich zur Gelassenheit zu zwingen, versucht Andreas seine berufliche Routine auf das Zwischenmenschliche zu übertragen, nach der Devise: "Wo ein Fachdidaktiker ist, ist immer auch eine Unterrichtseinheit." Pädagogische Methodenbausteine lassen sich auch beim Gespräch mit Hélène nutzen, etwa: "Fragen nicht beantworten, sondern zurückgeben!" Natürlich ist dies kein Roman nach Art der französischen Filme, die Andreas so gerne sieht. Eine Liebesgeschichte bleibt aus. Und doch erlebt Andreas ein paar epochemachende Stunden, in denen er endlich mal aus der Lebensdefensive herauskommt. Ganz nebenbei zeigt sich, dass auch bei dem bewunderten Erik längst nicht alles rundläuft.

Menschen begegnen sich zwar gern "auf Augenhöhe", wie die Floskel lautet. In Wahrheit besteht jedoch oft ein Gefälle, das zur Belastung werden kann, manchmal für ein halbes Leben, wie es dieser Roman mit feinem Sensorium für Zwischentöne erzählt. Auch Martin Walser hat dieses Motiv oft in Szene gesetzt, etwa in seiner Novelle "Ein fliehendes Pferd", in der es ebenfalls um das Psychodrama zwischen zwei ehemaligen "Schulfreunden" geht, einem in die melancholische Introversion abgerutschten Lehrer und einem scheinbar brillanten Erfolgsmenschen. Der Ton ist jedoch verschieden: Was bei Walser zu einer etwas schwitzigen Männerkonkurrenz gerät, bleibt bei Treichel die innere Obsession eines mit seiner Durchschnittlichkeit hadernden Akademikers, der sich in jeder Situation ein paar Gedanken zu viel macht, gerade deshalb aber auch zum gewitzten Beobachter und Kommentator seines Alltags wird.

Man genießt bei der Lektüre die filmische Präzision der Szenen und Dialoge, genießt vor allem den bewährten Treichel-Sound, der der Schüchternheit den Charme abgewinnt und mit vielen pointierten Einsichten aufwartet, über Freundschaftsschieflagen, Ehekonflikte, den Sinn und Unsinn des Reisens, die Kapriolen der Erinnerung oder das Gefühl der "guten Fremdheit" im Leben, die von der "schlechten" genau zu unterscheiden sei. Mit der "guten Fremdheit" ist schon viel erreicht, und sie ist umso besser zu ertragen, wenn man vertrauliche Romane wie diesen lesen kann. WOLFGANG SCHNEIDER

Hans-Ulrich Treichel: "Schöner denn je". Roman

Suhrkamp Verlag, Berlin 2021, 176 S., geb., 22 ,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Wie Treichel seine Hauptfigur um den Triumph im Lebenswettbewerb herumführt und dabei alle psychologischen Möglichkeiten ausreizt, das macht diesen kleinen Roman ... zu einem Lesevergnügen.« Michael Hametner der Freitag 20211014