Lutz Seiler kehrt nach zwei Romanen zurück in den Heimathafen der Gedichte. Zurück in die Stimmen der Kindheit, ins Waldstadion, in den »Knochenpark« und zur Frage, wo unser »eignes schmales erdreich ankern kann«. Er entdeckt den »Ahnenapparat« seines vom Uranbergbau geschleiften Heimatdorfes, um dort »seinen Toten« zu lauschen. Er durchstreift die Klangwelt des märkischen Kieferngewölbes und ist unterwegs: ob in den Legenden von Trouville oder in Stockholm, seiner zweiten Heimat, immer auf der Suche nach einer »schrift für blinde riesen« und ihrem Blick dorthin, »wo die welt vermutet werden könnte«.
Mit seiner suggestiven Stimme und einer gehärteten Sprache jenseits aller Moden eröffnet Lutz Seiler einen ureigenen poetischen Raum. Vor allem ist es die Materialität der Dinge, das Sprechen nah an den Substanzen – verwandelt in Rhythmus und Klang, bilden sie den Erzählton seiner neuen Gedichte: »Der Hallraum eines Gedichts sollte nicht kleiner sein als der eines Romans«, schreibt Seiler. »Jedes gute Gedicht kann der gestische Kern eines Romans sein und die Verbindung herstellen zum Ursprung des Genres: zum Epos und seinem Gesang.«
Mit seiner suggestiven Stimme und einer gehärteten Sprache jenseits aller Moden eröffnet Lutz Seiler einen ureigenen poetischen Raum. Vor allem ist es die Materialität der Dinge, das Sprechen nah an den Substanzen – verwandelt in Rhythmus und Klang, bilden sie den Erzählton seiner neuen Gedichte: »Der Hallraum eines Gedichts sollte nicht kleiner sein als der eines Romans«, schreibt Seiler. »Jedes gute Gedicht kann der gestische Kern eines Romans sein und die Verbindung herstellen zum Ursprung des Genres: zum Epos und seinem Gesang.«
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Es sind immer die gleichen Motive, aus denen Lutz Seiler seine literarischen Welten baut, stellt Rezensent Helmut Böttiger fest. Doch Seiler bearbeitet sie jedes Mal so gründlich und mit immer neuen Ansätzen, Mitteln, in neuen Kontexten und Konstellationen, dass sie schließlich "vieldeutig zu irisieren beginnen", so der beeindruckte Rezensent, und etwas ganz Überraschendes daraus entsteht - so auch in seiner Lyrik, zu der der Autor nun nach zwei Romanen zurückgekehrt ist. So zieht sich beispielsweise das Schreiben selbst als Motiv durch seine Texte und wird zusammengebracht mit der Landschaft, in der Seiler sich bewegt, aber auch dem Handwerk, auf das er immer wieder zurückkommt, die konkreten Werkzeuge - der Kolben, die Tinte, der Bogen. Durch solche Verbindungen etwa entsteht jener zugleich präzise und doch rätselhafte Ton, der Seilers Gedichte ausmacht, lesen wir. Spannend findet der Rezensent auch das ganz eigene Bezugssystem, das der Autor mit dem Motiv des blinden Riesen aufbaut. Dieser, erklärt der hingerissene Kritiker, verweist hier auf die untergegangene Titanic, dort auf den Autor und anderswo auf die Menschheit selbst, die "schon länger den Blick blinder Riesen" hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.08.2021Verse aus dem Keller
In seinem Gedichtband „schrift für blinde riesen“
steigt Lutz Seiler hinab in die Archive seiner Notizbücher
VON TOBIAS LEHMKUHL
In seiner Rede zur Verleihung des Bremer Literaturpreises 2004 beschreibt Lutz Seiler, wie er, als das Schreiben einmal stockte, seine Manuskripte sorgfältig zerschnitt und die Schnipsel mit einzelnen Wörtern, Wortgruppen und Versen auf einige Anker-Einmachgläser verteilte, um sie im Keller des von ihm bewohnten Peter-Huchel-Hauses in Wilhelmshorst zur späteren Verwendung einzulagern.
Lutz Seiler ist ein sehr skrupulöser Dichter, seine lyrische Produktion äußerst überschaubar. Dass es elf Jahre gedauert hat, bis er nach „im felderlatein“ nun seinen vierten Gedichtband „schrift für blinden riesen“ vorlegt, mag zwar auch daran liegen, dass in der Zwischenzeit seine beiden preisgekrönten Romane „Kruso“ und „Stern 111“ entstanden sind.
Grundsätzlich aber lässt Seiler die Dinge gerne reifen. Eins der Gedichte im neuen Band ist mit dem Datum „9. März 1992“ versehen. Ein anderes hat er der Dichterin Elke Erb gewidmet, unter deren eigenen Gedichten in den letzten Jahren häufig der Vermerk „aus dem Notizbuch geholt“ zu lesen steht, ergänzt durch ein teils Jahrzehnte zurückliegendes Datum.
Nimmt man es genau, gibt es von Seiler einen nullten Gedichtband, „berührt/geführt“ aus dem Jahr 1995. Aus dem sind allerdings einige Gedichte in seinen ersten bei Suhrkamp erschienen Band „pech & blende“ hinübergewandert, wie auch so manche Verse aus dem Keller irgendwann wieder auf dem Küchentisch in Wilhelmshorst landen, und sei es als Erinnerung an die Lesern von „Stern 111“ vertraute Küche in der Rykestraße im Prenzlauer Berg von vor 29 Jahren: „jetzt hat die sonne eine ecke/ über die sie in die küche kommt -/ zwei tassen, gestapelt, das wache/ bild der ordnung tritt hervor, doch nur// wenn ich ganz ruhig bin/ & ausgeschlafen.“
Die Wörter und Verse abhängen und reifen lassen, diese Verfahrensweise verlangt viel Geduld. Sie steht vielleicht auch der Arbeit an größeren Zyklen entgegen, weiten Bögen, die einen gewissen Fluss erfordern und aus einer mit höherer Geschwindigkeit ausgeführten Bewegung heraus entstehen. In Seilers letztem Band „im felderlatein“ gab es einen solchen Zyklus, in zweiten Band „vierzig kilometer nacht“ gleich mehrere.
In „schrift für blinde riesen“ finden sich dagegen nur Solitäre. Zwar kann man immer wieder Querverbindungen zwischen den Gedichten entdecken - so endet eines mit dem Reim „gegeben/ leben“ und gleich das nächste mit dem Wörtchen „beben“, so verwandeln „planken im sand“ sich im folgenden Gedicht in „plattenwege“ - aber jedes wirkt doch, als sei es erst einmal als Einzelkind in einem Ankerglas großgeworden.
Gruppiert sind die Gedichte gleichwohl thematisch, und es sind dem Seiler-Leser sehr vertraute Themen. Gleich das erste Kapitel widmet sich der Kindheit in Gera, in der Gegend des Uranbergbaus. „kindheit & weiter“ heißt eins der Gedichte, was sicher auch ein guter Titel für den gesamten Band gewesen wäre. Ersten Zigaretten begegnet man hier, erster Liebe und dem ersten Schreibgerät: „HEIKO, deinen kolbenfüller/ aus dem schmiergerätewerk: aufstrich, abstrich, kleiner bogen/ großer bogen, in tinte ertrunken/ & immer das löschblatt gerade verschwunden.“ Anders als in „pech & blende“ von 2000, jenem Band, der Seiler in Lyrikkreisen berühmt gemacht hat, lässt er sich „schrift für blinde riesen“ gar zum Kalauer hinreißen: „mit uran im urin & zerschlagenen knien“.
„im kieferngewölbe“ heißt das zweite Kapitel, und mit „Im Kieferngewölbe“ war schon der erste Aufsatz in Seilers Essayband „Sonntags dachte ich an Gott“ von 2004 überschrieben. Mehr noch als das Thüringen der Kindheit und das Berlin des jungen Erwachsenseins, ist der Hubertusweg in Wilhelmshorst Seiler Heimat, ist das Huchel-Haus und seine Umgebung für ihn unerschöpflicher, nadelsatter Inspirationsquell. Am „rostboden der lichtung“ wird ihm die eigene „fein-verwurzelung der augen“ offenbar, hier lauscht er mit diesen zuweilen „todmüden augen“ ein ums andere Mal „ins finstere“. Es tauchen in „schrift für blinde riesen“ aber auch für sein Werk neue Landschaften und Orte auf: Peter Weiss’ Stockholm, die „signalstation arholma“ an der schwedischen Ostseeküste. Ein „irisches tagebuch“ zeugt nicht von Heinrich Böll-Lektüre, sondern vom eigenen Familienurlaub. Italien und Frankreich werden evoziert und führen den Dichter zu kühnen, fast Bennsch’en Reimen: „über mir begann das große fressen/ der ambivalenzen in den zypressen“ heißt es im Menaggio-Gedicht, und in „le havre“ erblickt er „schafe“. Einmal heißt es sogar „wolfenbüttel, ja!“
Am Ende aber kehrt Seiler wieder ins Kindheitsgelände und in die Mark zurück, etwa wenn er seiner frühen Faszination für radioaktive Strahlung folgend jene „Zifferblattmalerinnen in New Jersey“ grüßt, die einst von Hand und mit schlimmen gesundheitlichen Folgen die Zifferblätter von Armbanduhren fürs Militär mir Radiumfarbe bemalten, damit amerikanische Soldaten auch in der Dunkelheit die Uhrzeit lesen konnten. Oder wenn er mal wieder aus dem Fenster ins nasse Astwerk der Kiefern blickt, „das knochensteif & übertrieben/ unlesbare zeichen sendet.“ Lutz Seiler hat übrigens die wohl schönste Internetseite der deutschen Gegenwartsliteratur. Hier kann man unter der Rubrik „Werkstatt“ Texte über Bleistifte, Schreibräume und Schlafanzüge lesen. Auch der unter dem offenbar unausweichlichen Titel „Im Kieferngewölbe“ am 12. 11. 2020 in der Süddeutschen Zeitung erschienene Text aus der Corona-Isolation findet sich hier.
Und nicht zuletzt ein Einblick in Seilers Notizbücher. Es sind nämlich neben den Ankergläsern vor allem Kladden und Moleskine-Bände, aus denen der Dichter sein Material schöpft: „In den Notizbüchern blättern und lesen … Auf der Suche nach Material oder irgendeinem Anfang ist es gut, wenn die Notizen schon ein paar Jahre alt und dem konkreten Geschehen im Moment der Notiz weitgehend entrückt sind. Jedenfalls gilt das für die Arbeit am Gedicht. Es ist gut, den alten Lebenstext weitestgehend vergessen zu haben und die Notiz wie etwas beinah Fremdes zu lesen, etwas, das einem auf diese Weise neu begegnet.“
So ist es auch mit den Gedichten in „schrift für blinde riesen“: Sie wirken vertraut, aber wie in der Musik ist auch in der Lyrik die Variation manchmal interessanter als das nächste, vermeintlich neue Stück.
Auf der Suche nach einem Anfang
sei es gut, wenn die Notizen
schon ein paar Jahre alt sind
Zwischen seinen beiden jüngsten Gedichtbänden liegen elf Jahre und zwei prämierte Romane: Lutz Seiler in der Berliner Akademie der Künste.
Foto: imago images/gezett
Lutz Seiler: schrift für blinde riesen. Gedichte. Suhrkamp, Berlin 2021.
112 Seiten, 24 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In seinem Gedichtband „schrift für blinde riesen“
steigt Lutz Seiler hinab in die Archive seiner Notizbücher
VON TOBIAS LEHMKUHL
In seiner Rede zur Verleihung des Bremer Literaturpreises 2004 beschreibt Lutz Seiler, wie er, als das Schreiben einmal stockte, seine Manuskripte sorgfältig zerschnitt und die Schnipsel mit einzelnen Wörtern, Wortgruppen und Versen auf einige Anker-Einmachgläser verteilte, um sie im Keller des von ihm bewohnten Peter-Huchel-Hauses in Wilhelmshorst zur späteren Verwendung einzulagern.
Lutz Seiler ist ein sehr skrupulöser Dichter, seine lyrische Produktion äußerst überschaubar. Dass es elf Jahre gedauert hat, bis er nach „im felderlatein“ nun seinen vierten Gedichtband „schrift für blinden riesen“ vorlegt, mag zwar auch daran liegen, dass in der Zwischenzeit seine beiden preisgekrönten Romane „Kruso“ und „Stern 111“ entstanden sind.
Grundsätzlich aber lässt Seiler die Dinge gerne reifen. Eins der Gedichte im neuen Band ist mit dem Datum „9. März 1992“ versehen. Ein anderes hat er der Dichterin Elke Erb gewidmet, unter deren eigenen Gedichten in den letzten Jahren häufig der Vermerk „aus dem Notizbuch geholt“ zu lesen steht, ergänzt durch ein teils Jahrzehnte zurückliegendes Datum.
Nimmt man es genau, gibt es von Seiler einen nullten Gedichtband, „berührt/geführt“ aus dem Jahr 1995. Aus dem sind allerdings einige Gedichte in seinen ersten bei Suhrkamp erschienen Band „pech & blende“ hinübergewandert, wie auch so manche Verse aus dem Keller irgendwann wieder auf dem Küchentisch in Wilhelmshorst landen, und sei es als Erinnerung an die Lesern von „Stern 111“ vertraute Küche in der Rykestraße im Prenzlauer Berg von vor 29 Jahren: „jetzt hat die sonne eine ecke/ über die sie in die küche kommt -/ zwei tassen, gestapelt, das wache/ bild der ordnung tritt hervor, doch nur// wenn ich ganz ruhig bin/ & ausgeschlafen.“
Die Wörter und Verse abhängen und reifen lassen, diese Verfahrensweise verlangt viel Geduld. Sie steht vielleicht auch der Arbeit an größeren Zyklen entgegen, weiten Bögen, die einen gewissen Fluss erfordern und aus einer mit höherer Geschwindigkeit ausgeführten Bewegung heraus entstehen. In Seilers letztem Band „im felderlatein“ gab es einen solchen Zyklus, in zweiten Band „vierzig kilometer nacht“ gleich mehrere.
In „schrift für blinde riesen“ finden sich dagegen nur Solitäre. Zwar kann man immer wieder Querverbindungen zwischen den Gedichten entdecken - so endet eines mit dem Reim „gegeben/ leben“ und gleich das nächste mit dem Wörtchen „beben“, so verwandeln „planken im sand“ sich im folgenden Gedicht in „plattenwege“ - aber jedes wirkt doch, als sei es erst einmal als Einzelkind in einem Ankerglas großgeworden.
Gruppiert sind die Gedichte gleichwohl thematisch, und es sind dem Seiler-Leser sehr vertraute Themen. Gleich das erste Kapitel widmet sich der Kindheit in Gera, in der Gegend des Uranbergbaus. „kindheit & weiter“ heißt eins der Gedichte, was sicher auch ein guter Titel für den gesamten Band gewesen wäre. Ersten Zigaretten begegnet man hier, erster Liebe und dem ersten Schreibgerät: „HEIKO, deinen kolbenfüller/ aus dem schmiergerätewerk: aufstrich, abstrich, kleiner bogen/ großer bogen, in tinte ertrunken/ & immer das löschblatt gerade verschwunden.“ Anders als in „pech & blende“ von 2000, jenem Band, der Seiler in Lyrikkreisen berühmt gemacht hat, lässt er sich „schrift für blinde riesen“ gar zum Kalauer hinreißen: „mit uran im urin & zerschlagenen knien“.
„im kieferngewölbe“ heißt das zweite Kapitel, und mit „Im Kieferngewölbe“ war schon der erste Aufsatz in Seilers Essayband „Sonntags dachte ich an Gott“ von 2004 überschrieben. Mehr noch als das Thüringen der Kindheit und das Berlin des jungen Erwachsenseins, ist der Hubertusweg in Wilhelmshorst Seiler Heimat, ist das Huchel-Haus und seine Umgebung für ihn unerschöpflicher, nadelsatter Inspirationsquell. Am „rostboden der lichtung“ wird ihm die eigene „fein-verwurzelung der augen“ offenbar, hier lauscht er mit diesen zuweilen „todmüden augen“ ein ums andere Mal „ins finstere“. Es tauchen in „schrift für blinde riesen“ aber auch für sein Werk neue Landschaften und Orte auf: Peter Weiss’ Stockholm, die „signalstation arholma“ an der schwedischen Ostseeküste. Ein „irisches tagebuch“ zeugt nicht von Heinrich Böll-Lektüre, sondern vom eigenen Familienurlaub. Italien und Frankreich werden evoziert und führen den Dichter zu kühnen, fast Bennsch’en Reimen: „über mir begann das große fressen/ der ambivalenzen in den zypressen“ heißt es im Menaggio-Gedicht, und in „le havre“ erblickt er „schafe“. Einmal heißt es sogar „wolfenbüttel, ja!“
Am Ende aber kehrt Seiler wieder ins Kindheitsgelände und in die Mark zurück, etwa wenn er seiner frühen Faszination für radioaktive Strahlung folgend jene „Zifferblattmalerinnen in New Jersey“ grüßt, die einst von Hand und mit schlimmen gesundheitlichen Folgen die Zifferblätter von Armbanduhren fürs Militär mir Radiumfarbe bemalten, damit amerikanische Soldaten auch in der Dunkelheit die Uhrzeit lesen konnten. Oder wenn er mal wieder aus dem Fenster ins nasse Astwerk der Kiefern blickt, „das knochensteif & übertrieben/ unlesbare zeichen sendet.“ Lutz Seiler hat übrigens die wohl schönste Internetseite der deutschen Gegenwartsliteratur. Hier kann man unter der Rubrik „Werkstatt“ Texte über Bleistifte, Schreibräume und Schlafanzüge lesen. Auch der unter dem offenbar unausweichlichen Titel „Im Kieferngewölbe“ am 12. 11. 2020 in der Süddeutschen Zeitung erschienene Text aus der Corona-Isolation findet sich hier.
Und nicht zuletzt ein Einblick in Seilers Notizbücher. Es sind nämlich neben den Ankergläsern vor allem Kladden und Moleskine-Bände, aus denen der Dichter sein Material schöpft: „In den Notizbüchern blättern und lesen … Auf der Suche nach Material oder irgendeinem Anfang ist es gut, wenn die Notizen schon ein paar Jahre alt und dem konkreten Geschehen im Moment der Notiz weitgehend entrückt sind. Jedenfalls gilt das für die Arbeit am Gedicht. Es ist gut, den alten Lebenstext weitestgehend vergessen zu haben und die Notiz wie etwas beinah Fremdes zu lesen, etwas, das einem auf diese Weise neu begegnet.“
So ist es auch mit den Gedichten in „schrift für blinde riesen“: Sie wirken vertraut, aber wie in der Musik ist auch in der Lyrik die Variation manchmal interessanter als das nächste, vermeintlich neue Stück.
Auf der Suche nach einem Anfang
sei es gut, wenn die Notizen
schon ein paar Jahre alt sind
Zwischen seinen beiden jüngsten Gedichtbänden liegen elf Jahre und zwei prämierte Romane: Lutz Seiler in der Berliner Akademie der Künste.
Foto: imago images/gezett
Lutz Seiler: schrift für blinde riesen. Gedichte. Suhrkamp, Berlin 2021.
112 Seiten, 24 Euro.
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»Das poem, das unersättliche, behält aber recht, die Mühe lohnt, dem Lesenden, Reisenden, Schauenden rutscht keine Abgedroschenheit in die Zeilen.« ith Frankfurter Rundschau 20211019