Hans Blumenberg schwebte in den 1950er und 1960er Jahren eine Verbindung von Technik- und Zeitphilosophie vor, auf die bis heute nur selten Bezug genommen wird. Das mag daran liegen, dass er nie eine »Philosophie der Technik« geschrieben hat – allerdings findet sich in seinem Nachlass eine Reihe von kleineren Schriften, in denen er seine Überlegungen zu diesem Thema pointiert entfaltet. Standen diese zunächst noch unter dem Eindruck einer klaren Differenz von Natur und Technik, distanziert er sich im Umfeld der Legitimität der Neuzeit zunehmend von ihr, und die Konzepte der Selbsterhaltung und Selbstbehauptung treten in den Vordergrund. Der Band stellt erstmals sämtliche Beiträge Blumenbergs aus diesem Kontext zusammen und macht seine Philosophie der Technik greifbar.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Oliver Müller wärmt sich an Hans Blumenbergs Utopie eines technischen Fortschritts ohne Verunsicherungen. Das ist allerdings längst nicht alles, was ihm der von Alexander Schmitz und Bernd Stiegler zusammengestellte Band mit Schriften Blumenbergs zur Technik zu bieten hat. Welches Potenzial und auch welche Gefahr die Technik für den Menschen bedeutet, kann ihm Blumenberg in seinen Überlegungen vorstellen. Dass sich der Autor dabei, anders als Heidegger oder Hannah Arendt, nicht apokalyptisch äußert und nicht moralisierend, sondern nüchtern analytisch und damit fast subversiv, rechnet der Rezensent ihm hoch an. Auch wenn viele der enthaltenen Texte schon bekannt sind, zusammen mit weiteren Schriften aus dem Nachlass ergibt sich für den Rezensenten die kompakte Technikphilosophie Blumenbergs, die der Autor erkennbar aus essayistischer Kulturkritik entwickelt hat, wie Müller feststellt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.11.2015Die Schlagzahl unserer Kompensationen
Ein Sammelband liefert kompakt die Technikphilosophie von Hans Blumenberg
Am Anfang war der Löffel: Wir befinden uns am Ende des Mittelalters, mitten in einer der Diskussionen über Gott und die Welt, als ein beherzter Mann verkündet, dass die Schöpfung zwar beeindruckend sei, dass aber auch wir Menschen stolz auf uns sein könnten, weil selbst ein simpler Löffel allein aus menschlicher Einbildungskraft und Fertigungskompetenz entstanden sei. Dieses neue technische Selbstbewusstsein formuliert ein „idiota“, ein Laie gegenüber seinen scholastischen Gesprächspartnern in einem Dialog von Nikolaus von Kues.
Für Hans Blumenberg ist dies eine Schlüsselszene der Geistesgeschichte der Technik. Technik mag zwar in unserer Natur als „tool making animal“ angelegt sein, doch kann sich die moderne Technik erst entwickeln, seit der Mensch „seine Technizität wahrnimmt und ergreift als Thema und Signatur seiner Selbstdeutung und Selbstverwirklichung“. Genau dies passiert mit der beginnenden Neuzeit: Menschen fangen an, einen Möglichkeitssinn zu entwickeln, ein Bewusstsein davon, dass die Welt auch anders sein könnte. Wir sind nicht mehr nur eingepasst in eine vorgegebene Ordnung, sondern können uns eigene Verfügungsräume schaffen, indem wir die alte Ordnung infrage stellen, technische Alternativen imaginieren.
Blumenberg hat sich das Verstehen der Technisierung der Welt in einer Zeit zur Aufgabe gemacht, als erregt über die Technik diskutiert wurde: zwei Weltkriege und ihre Vernichtungsmaschinerien sowie die schockierende Zerstörungskraft der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki forderten das philosophische Denken heraus: Günther Anders, Martin Heidegger, Hannah Arendt nahmen sich wortmächtig der Technik an, unterstrichen ihr gewalttätiges Potenzial, schrieben über sie mit apokalyptischer Verve und dystopischer Entschlossenheit. Wir waren entweder gar nicht mehr oder nur noch durch einen Gott zu retten.
Da hat Blumenbergs nüchtern-analytischer Blick auf die Technik etwas erfrischend Subversives. Daher ist es sehr zu begrüßen, dass nun ein Band seiner „Schriften zur Technik“ erschienen ist, in dem die wichtigsten seiner Texte versammelt sind. Die meisten konnte man schon kennen, sie erschienen seit den 1950er-Jahren in verschiedenen Zeitschriften, einige wurden vor ein paar Jahren im Nachlass entdeckt und veröffentlicht (im Buch „Geistesgeschichte der Technik“ bei Suhrkamp). Alexander Schmitz und Bernd Stiegler haben für dieses Buch zudem weitere Schriften aus dem Nachlass und frühe Zeitungsbeiträge von Blumenberg zusammengestellt, sodass wir nun „die“ Technikphilosophie Blumenbergs kompakt vorliegen haben.
Dabei wird deutlich, wie sich seine Technikphilosophie aus essayistischer Zeit- und Kulturkritik entwickelt. Blumenberg hat seit den 1950er-Jahren in den Düsseldorfer Nachrichten unter dem Pseudonym Axel Colly eine Reihe von Texten geschrieben, in denen er die Unbilden der modernen Welt mit leichter Ironie aufs Korn nimmt, wie etwa die Touristikindustrie („Reisen durch die präparierte Welt“) oder die Absurditäten statistischer Methoden, wie er sie genüsslich am Kinsey-Report und seiner wissenschaftsoptimistischen Quantifizierung des Sexuallebens durchspielt.
In seinen größeren Untersuchungen zeigt Blumenberg, dass die Technik nicht losgelöst von Rationalitätsformen, Logiken und Haltungen zu denken ist – und umgekehrt. Wir denken im Horizont von technischen Möglichkeiten und wir entwickeln Technik aus einem bestimmen Selbst- und Weltverständnis heraus, wie es etwa der eingangs zitierte „idiota“ verkörpert. Ein Thema, das sich dabei zunehmend herausschält, ist die Zeit. Die knappe Zeit endlicher Wesen ist ihm der Motor für technische Entwicklungen. Nachdem im 18. Jahrhundert die Versuche gescheitert waren, die Lebenszeit des Menschen selbst zu verlängern, ergab sich im 19. Jahrhundert „die Alternative, die konstante Lebenszeit durch Beschleunigung der sie erfüllenden Prozesse mit Ereignissen, Erfahrungen, Produkten, Bildern, Eindrücken anzureichern“. Die moderne Technik dynamisiert sich aus dieser Steigerungslogik und erhöht die Schlagzahl unserer Kompensationsleistungen.
Dass wir dabei nicht wissen, wie es ausgeht, ist für Blumenberg kein Grund für pauschale Technikkritik. Seit seinem allerersten Text von 1946 über die Atombomben lässt er sich niemals zu wohlfeiler Moralisierung hinreißen. Auch wenn man gegenüber der „Selbstkorrekturkraft des technischen Fortschritts“ eine deutlich größere Skepsis hegt, wünschte man sich, Blumenbergs bescheidene Utopie mitträumen zu können: „daß der Fortschritt an einen Punkt führen könnte, an dem Bestimmtes unmöglich wird, was vorher an Zumutungen, Gefährdungen, Belastungen, Verunsicherungen möglich gewesen war. Also nicht eine Welt erkennbar gesteigerten Glücks, aber eine Welt, in der einige Gestalten des Unglücks nicht auftreten können.“
OLIVER MÜLLER
Hans Blumenberg: Schriften zur Technik. Herausgegeben von Alexander Schmitz und Bernd Stiegler. Suhrkamp, Berlin 2015, 301 Seiten, 17 Euro.
Die Technik ist nicht losgelöst
von Rationalitätsformen und
Logiken zu denken
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Ein Sammelband liefert kompakt die Technikphilosophie von Hans Blumenberg
Am Anfang war der Löffel: Wir befinden uns am Ende des Mittelalters, mitten in einer der Diskussionen über Gott und die Welt, als ein beherzter Mann verkündet, dass die Schöpfung zwar beeindruckend sei, dass aber auch wir Menschen stolz auf uns sein könnten, weil selbst ein simpler Löffel allein aus menschlicher Einbildungskraft und Fertigungskompetenz entstanden sei. Dieses neue technische Selbstbewusstsein formuliert ein „idiota“, ein Laie gegenüber seinen scholastischen Gesprächspartnern in einem Dialog von Nikolaus von Kues.
Für Hans Blumenberg ist dies eine Schlüsselszene der Geistesgeschichte der Technik. Technik mag zwar in unserer Natur als „tool making animal“ angelegt sein, doch kann sich die moderne Technik erst entwickeln, seit der Mensch „seine Technizität wahrnimmt und ergreift als Thema und Signatur seiner Selbstdeutung und Selbstverwirklichung“. Genau dies passiert mit der beginnenden Neuzeit: Menschen fangen an, einen Möglichkeitssinn zu entwickeln, ein Bewusstsein davon, dass die Welt auch anders sein könnte. Wir sind nicht mehr nur eingepasst in eine vorgegebene Ordnung, sondern können uns eigene Verfügungsräume schaffen, indem wir die alte Ordnung infrage stellen, technische Alternativen imaginieren.
Blumenberg hat sich das Verstehen der Technisierung der Welt in einer Zeit zur Aufgabe gemacht, als erregt über die Technik diskutiert wurde: zwei Weltkriege und ihre Vernichtungsmaschinerien sowie die schockierende Zerstörungskraft der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki forderten das philosophische Denken heraus: Günther Anders, Martin Heidegger, Hannah Arendt nahmen sich wortmächtig der Technik an, unterstrichen ihr gewalttätiges Potenzial, schrieben über sie mit apokalyptischer Verve und dystopischer Entschlossenheit. Wir waren entweder gar nicht mehr oder nur noch durch einen Gott zu retten.
Da hat Blumenbergs nüchtern-analytischer Blick auf die Technik etwas erfrischend Subversives. Daher ist es sehr zu begrüßen, dass nun ein Band seiner „Schriften zur Technik“ erschienen ist, in dem die wichtigsten seiner Texte versammelt sind. Die meisten konnte man schon kennen, sie erschienen seit den 1950er-Jahren in verschiedenen Zeitschriften, einige wurden vor ein paar Jahren im Nachlass entdeckt und veröffentlicht (im Buch „Geistesgeschichte der Technik“ bei Suhrkamp). Alexander Schmitz und Bernd Stiegler haben für dieses Buch zudem weitere Schriften aus dem Nachlass und frühe Zeitungsbeiträge von Blumenberg zusammengestellt, sodass wir nun „die“ Technikphilosophie Blumenbergs kompakt vorliegen haben.
Dabei wird deutlich, wie sich seine Technikphilosophie aus essayistischer Zeit- und Kulturkritik entwickelt. Blumenberg hat seit den 1950er-Jahren in den Düsseldorfer Nachrichten unter dem Pseudonym Axel Colly eine Reihe von Texten geschrieben, in denen er die Unbilden der modernen Welt mit leichter Ironie aufs Korn nimmt, wie etwa die Touristikindustrie („Reisen durch die präparierte Welt“) oder die Absurditäten statistischer Methoden, wie er sie genüsslich am Kinsey-Report und seiner wissenschaftsoptimistischen Quantifizierung des Sexuallebens durchspielt.
In seinen größeren Untersuchungen zeigt Blumenberg, dass die Technik nicht losgelöst von Rationalitätsformen, Logiken und Haltungen zu denken ist – und umgekehrt. Wir denken im Horizont von technischen Möglichkeiten und wir entwickeln Technik aus einem bestimmen Selbst- und Weltverständnis heraus, wie es etwa der eingangs zitierte „idiota“ verkörpert. Ein Thema, das sich dabei zunehmend herausschält, ist die Zeit. Die knappe Zeit endlicher Wesen ist ihm der Motor für technische Entwicklungen. Nachdem im 18. Jahrhundert die Versuche gescheitert waren, die Lebenszeit des Menschen selbst zu verlängern, ergab sich im 19. Jahrhundert „die Alternative, die konstante Lebenszeit durch Beschleunigung der sie erfüllenden Prozesse mit Ereignissen, Erfahrungen, Produkten, Bildern, Eindrücken anzureichern“. Die moderne Technik dynamisiert sich aus dieser Steigerungslogik und erhöht die Schlagzahl unserer Kompensationsleistungen.
Dass wir dabei nicht wissen, wie es ausgeht, ist für Blumenberg kein Grund für pauschale Technikkritik. Seit seinem allerersten Text von 1946 über die Atombomben lässt er sich niemals zu wohlfeiler Moralisierung hinreißen. Auch wenn man gegenüber der „Selbstkorrekturkraft des technischen Fortschritts“ eine deutlich größere Skepsis hegt, wünschte man sich, Blumenbergs bescheidene Utopie mitträumen zu können: „daß der Fortschritt an einen Punkt führen könnte, an dem Bestimmtes unmöglich wird, was vorher an Zumutungen, Gefährdungen, Belastungen, Verunsicherungen möglich gewesen war. Also nicht eine Welt erkennbar gesteigerten Glücks, aber eine Welt, in der einige Gestalten des Unglücks nicht auftreten können.“
OLIVER MÜLLER
Hans Blumenberg: Schriften zur Technik. Herausgegeben von Alexander Schmitz und Bernd Stiegler. Suhrkamp, Berlin 2015, 301 Seiten, 17 Euro.
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