Martin Warnke bietet kunsthistorische Profile von Vasari bis zur Gegenwart. Seine Gespräche und Essays pointieren die subversive Kraft der Kunst. Martin Warnke skizziert in sublimer Eleganz kunsthistorische Profile, die von Vasari über Jacob Burckhardt bis zu Klassikern des 20. Jahrhunderts reichen. Die Schule um Aby Warburg bildet mit Essays zu Erwin Panofsky und Ernst Gombrich ein Zentrum seiner Porträts. Zudem wirft Warnke seinen genauen Blick auf Kunsthistoriker, die nach 1933 ins Exil gezwungen wurden. In biographischen Gesprächen mit Matthias Bormuth gibt er Auskunft, wie er als Vertreter der Kritischen Kunstgeschichte trotz einiger Widerstände in Marburg und Hamburg wirken konnte. Die Überlegungen zum "Hofkünstler", der die subversive Kraft der Kunst in aller Abhängigkeit zu nutzen weiß, zeigen an, wie sehr Warnke die implizite Darstellung als Medium kultureller und politischer Kritik schätzt. Horst Bredekamps enthusiastischer "Versuch über Warnke" zeichnet ein Bild von "Marburg als geistiger Lebensform", in der die Begegnung mit dem Lehrer zum entscheidenden sokratischen Erlebnis wird.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.01.2018Lektion der Mitte
Als in der Kunst noch etwas auf dem Spiel stand: Essays von Martin Warnke
Als der Kunsthistoriker Martin Warnke Ende der siebziger Jahre von Jürgen Habermas um eine Stellungnahme "zur geistigen Situation der Zeit" gebeten wurde, antworte er mit seinem später legendär gewordenen Aufsatz "Zur Situation der Couchecke". In wenigen pointierten Beobachtungen zur Veränderung des bürgerlichen Wohnraums gelang Warnke eine Gesellschaftsanalyse, die präziser und anschaulicher war als jede Grundsatzerklärung zur Lage der Nation.
Die Verbindung aus gedanklicher Prägnanz, Ironie und Bescheidenheit kennzeichnet auch Warnkes Beiträge über verschiedene Vertreter seines Fachs, die Matthias Bormuth nun zu einem lesenswerten Band versammelt hat. Klassiker wie Vasari, Jacob Burckhardt und Aby Warburg sind darunter, aber die Aufmerksamkeit des Autors gilt auch Positionen, mit denen man längst fertig zu sein glaubte. Das gilt vor allem für den konservativsten Vertreter des Fachs, Hans Sedlmayr, der 1949 in seiner Streitschrift "Verlust der Mitte" der modernen Kunst einen radikalen Werteverfall vorgehalten hatte. Sedlmayrs Diktion erinnert Warnke an die "Not von Parteikatechismen", ihrer Heilsbotschaft hält er entgegen, dass der vermeintliche Verlust ganz im Gegenteil einen Gewinn darstelle: die Barbarei habe schließlich immer dann begonnen, wenn jemand glaubte, im Namen aller eine verbindliche Mitte gefunden zu haben.
Trotz aller Kritik wahrt Warnke aber auch im Fall Sedlmayr den "Grundzug seiner Impulse", wie Horst Bredekamp im Vorwort des Bandes schreibt: "unfähig zu sein, gesicherte Wahrheiten deklamatorisch zu wiederholen". Auch wenn er Sedlmayrs Weltbild nicht teilt, beeindruckt Warnke der kritische Einsatz eines Autors, der nicht für Leser schreibt, die von der Kunst Zerstreuung erwarten. Im Gegenbild des Antimodernisten hat Warnke hier wohl auch etwas von seinem eigenen Selbstverständnis als Autor erkannt, für den das Nachdenken über Kunst nicht zuletzt Kritik der Gesellschaft bedeutet, die diese Kunst hervorbringt. Als Warnke vor einigen Jahren nach einem Buch gefragt wurde, das sein Leben verändert habe, fiel die Wahl auf "Verlust der Mitte". Ein Leben lang habe ihm eine Inversion des Buches vorgeschwebt: "Es gibt noch keine Rechtfertigung der modernen Kunst auf dem Niveau, auf dem sie angegriffen worden ist."
Erhellend ist auch Warnkes Lesart der "Kunsthistorischen Grundbegriffe" Heinrich Wölfflins. In den Lehrbüchern der Kunstgeschichte gilt das Buch als Gründungswerk der Stilgeschichte, wiederholt wurde die Fokussierung seines Autors auf die künstlerische Form als Kennzeichen eines weltabgewandten Ästhetizismus gedeutet. Warnke hingegen erinnert an die zeithistorischen Umstände, unter denen Wölfflin das Buch am Beginn des Ersten Weltkriegs schrieb. Während viele seiner Kollegen an der Münchener Universität die Mobilmachung begeistert begrüßten, widmete Wölfflin sich den Unterschieden zwischen malerischer und linearer Bildauffassung. "Man muss jetzt entweder populär-aktuell reden oder ganz schwer für wenige Auserwählte", notierte er und entschied sich für letztere Variante.
Zu Recht erteilt Warnke allen ideologischen Engführungen eine Absage, die im Beharren auf der Form einen Ausdruck von politischer Indifferenz erkennen wollen. Wölfflins Insistieren auf der Eigengesetzlichkeit der Kunst, für die keine Macht sich verantwortlich erklären könne, sei 1914 ganz im Gegenteil eine Form des Widerstands gegen die Parolen des Tages gewesen. In den Beiträgen des Bandes findet man immer wieder solche Perspektivwechsel: etwa wenn Warnke in der Begriffswahl Richard Hamanns die Erfahrung des sozial Deklassierten vernimmt und sein Verdienst hervorhebt, gegen den bildungsbürgerlichen Impetus "die Hemdsärmeligkeit in die Kunstgeschichte eingeführt zu haben". Bemerkenswert sind auch Warnkes "Schwierigkeiten mit der Gegenwartskunst", die den Gesetzen des Marktes so sehr unterworfen sei, dass ein kritisches Potential hier nicht mehr zu erwarten sei.
In ihrer Summe verdichten sich die kunsthistorischen Porträts zu einem Selbstbildnis des Autors. Man muss dieses Buch wohl auch als geglückten Ausdruck einer universitären Existenz lesen, die vom Jargon der Effizienz und den Exzellenz-Olympias der Gegenwart noch weitgehend unberührt verlief. "Aus dem akademischen Sprachgebrauch verschwindet allmählich das Wort ,Lebenswerk'", schrieb Martin Warnke 1978 in einem Beitrag für diese Zeitung. Dass seine eigenen Schriften sich zu einem Lebenswerk zusammenfügen, demonstriert hingegen der vorliegende Band.
PETER GEIMER
Martin Warnke: "Schütteln Sie den Vasari . . .". Kunsthistorische Profile.
Hrsg. von Matthias Bormuth. Mit einem Essay von Horst Bredekamp. Wallstein Verlag, Göttingen 2017. 228 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Als in der Kunst noch etwas auf dem Spiel stand: Essays von Martin Warnke
Als der Kunsthistoriker Martin Warnke Ende der siebziger Jahre von Jürgen Habermas um eine Stellungnahme "zur geistigen Situation der Zeit" gebeten wurde, antworte er mit seinem später legendär gewordenen Aufsatz "Zur Situation der Couchecke". In wenigen pointierten Beobachtungen zur Veränderung des bürgerlichen Wohnraums gelang Warnke eine Gesellschaftsanalyse, die präziser und anschaulicher war als jede Grundsatzerklärung zur Lage der Nation.
Die Verbindung aus gedanklicher Prägnanz, Ironie und Bescheidenheit kennzeichnet auch Warnkes Beiträge über verschiedene Vertreter seines Fachs, die Matthias Bormuth nun zu einem lesenswerten Band versammelt hat. Klassiker wie Vasari, Jacob Burckhardt und Aby Warburg sind darunter, aber die Aufmerksamkeit des Autors gilt auch Positionen, mit denen man längst fertig zu sein glaubte. Das gilt vor allem für den konservativsten Vertreter des Fachs, Hans Sedlmayr, der 1949 in seiner Streitschrift "Verlust der Mitte" der modernen Kunst einen radikalen Werteverfall vorgehalten hatte. Sedlmayrs Diktion erinnert Warnke an die "Not von Parteikatechismen", ihrer Heilsbotschaft hält er entgegen, dass der vermeintliche Verlust ganz im Gegenteil einen Gewinn darstelle: die Barbarei habe schließlich immer dann begonnen, wenn jemand glaubte, im Namen aller eine verbindliche Mitte gefunden zu haben.
Trotz aller Kritik wahrt Warnke aber auch im Fall Sedlmayr den "Grundzug seiner Impulse", wie Horst Bredekamp im Vorwort des Bandes schreibt: "unfähig zu sein, gesicherte Wahrheiten deklamatorisch zu wiederholen". Auch wenn er Sedlmayrs Weltbild nicht teilt, beeindruckt Warnke der kritische Einsatz eines Autors, der nicht für Leser schreibt, die von der Kunst Zerstreuung erwarten. Im Gegenbild des Antimodernisten hat Warnke hier wohl auch etwas von seinem eigenen Selbstverständnis als Autor erkannt, für den das Nachdenken über Kunst nicht zuletzt Kritik der Gesellschaft bedeutet, die diese Kunst hervorbringt. Als Warnke vor einigen Jahren nach einem Buch gefragt wurde, das sein Leben verändert habe, fiel die Wahl auf "Verlust der Mitte". Ein Leben lang habe ihm eine Inversion des Buches vorgeschwebt: "Es gibt noch keine Rechtfertigung der modernen Kunst auf dem Niveau, auf dem sie angegriffen worden ist."
Erhellend ist auch Warnkes Lesart der "Kunsthistorischen Grundbegriffe" Heinrich Wölfflins. In den Lehrbüchern der Kunstgeschichte gilt das Buch als Gründungswerk der Stilgeschichte, wiederholt wurde die Fokussierung seines Autors auf die künstlerische Form als Kennzeichen eines weltabgewandten Ästhetizismus gedeutet. Warnke hingegen erinnert an die zeithistorischen Umstände, unter denen Wölfflin das Buch am Beginn des Ersten Weltkriegs schrieb. Während viele seiner Kollegen an der Münchener Universität die Mobilmachung begeistert begrüßten, widmete Wölfflin sich den Unterschieden zwischen malerischer und linearer Bildauffassung. "Man muss jetzt entweder populär-aktuell reden oder ganz schwer für wenige Auserwählte", notierte er und entschied sich für letztere Variante.
Zu Recht erteilt Warnke allen ideologischen Engführungen eine Absage, die im Beharren auf der Form einen Ausdruck von politischer Indifferenz erkennen wollen. Wölfflins Insistieren auf der Eigengesetzlichkeit der Kunst, für die keine Macht sich verantwortlich erklären könne, sei 1914 ganz im Gegenteil eine Form des Widerstands gegen die Parolen des Tages gewesen. In den Beiträgen des Bandes findet man immer wieder solche Perspektivwechsel: etwa wenn Warnke in der Begriffswahl Richard Hamanns die Erfahrung des sozial Deklassierten vernimmt und sein Verdienst hervorhebt, gegen den bildungsbürgerlichen Impetus "die Hemdsärmeligkeit in die Kunstgeschichte eingeführt zu haben". Bemerkenswert sind auch Warnkes "Schwierigkeiten mit der Gegenwartskunst", die den Gesetzen des Marktes so sehr unterworfen sei, dass ein kritisches Potential hier nicht mehr zu erwarten sei.
In ihrer Summe verdichten sich die kunsthistorischen Porträts zu einem Selbstbildnis des Autors. Man muss dieses Buch wohl auch als geglückten Ausdruck einer universitären Existenz lesen, die vom Jargon der Effizienz und den Exzellenz-Olympias der Gegenwart noch weitgehend unberührt verlief. "Aus dem akademischen Sprachgebrauch verschwindet allmählich das Wort ,Lebenswerk'", schrieb Martin Warnke 1978 in einem Beitrag für diese Zeitung. Dass seine eigenen Schriften sich zu einem Lebenswerk zusammenfügen, demonstriert hingegen der vorliegende Band.
PETER GEIMER
Martin Warnke: "Schütteln Sie den Vasari . . .". Kunsthistorische Profile.
Hrsg. von Matthias Bormuth. Mit einem Essay von Horst Bredekamp. Wallstein Verlag, Göttingen 2017. 228 S., geb., 18,90 [Euro].
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»ein lesenswerter Band« (Peter Geimer, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.01.2018)