»Karen wich Taxis aus, schenkte einem Weihnachtsmann einen Vierteldollar und machte lächelnd den aufgescheuchten Gruppen beschwipster Sekretärinnen Platz. Als die Kreuzung hinter ihr lag, ging sie Richtung Norden, zum Central Park West. Das war am 21. Dezember 1962. Karen war jung, strotzte vor
Gesundheit und Lebendigkeit, und sie war so glücklich wie nie zuvor in ihrem Leben.«
Einige Stunden…mehr»Karen wich Taxis aus, schenkte einem Weihnachtsmann einen Vierteldollar und machte lächelnd den aufgescheuchten Gruppen beschwipster Sekretärinnen Platz. Als die Kreuzung hinter ihr lag, ging sie Richtung Norden, zum Central Park West. Das war am 21. Dezember 1962. Karen war jung, strotzte vor Gesundheit und Lebendigkeit, und sie war so glücklich wie nie zuvor in ihrem Leben.«
Einige Stunden später entdeckt eine Passantin zufällig und buchstäblich im letzten Moment in einem Gebüsch im Central Park den blutigen, misshandelten und fast erfrorenen Körper einer jungen Frau. Karen überlebt nur knapp.
Der Mann, dem sie zum Opfer fiel, hatte sie vergewaltigt, fast zu Tode geprügelt und dann in der Eiseskälte liegenlassen. Unter den schweren Verletzungen wird sie ihr Leben lang leiden, vor allem seelisch.
Vor der Tat bestand ihr Lebenstraum darin, den Mann, den sie liebte, zu heiraten und viele Kinder zu bekommen. Nun muss sie erkennen, dass nichts davon mehr realisierbar erscheint, ihr Leben in Trümmern liegt. Erst 30 Jahre später findet sie die Kraft zur Abrechnung…
Dieses Buch geht streckenweise ordentlich an die Nieren. Ist die Vergewaltigung schon heftig, so fand ich einiges von dem, was Karen anschließend erlebte, beinahe noch schlimmer. Insbesondere die Reaktion ihrer stets nur auf den guten Ruf bedachten Mutter machte mich wütend!
Fassungslos las ich, wie Eltern, Polizei und Karens Verlobter ihr mit Unverständnis, Zweifeln und Vorwürfen begegnen. Der Täter, ein angehender Jurist aus Harvard, ein Musterstudent aus einer prominenten Familie, würde »so etwas« nicht einfach tun, schon gar nicht ohne Grund. Irgendwie muss Karen ihn provoziert, gereizt haben – und damit Schande über sich und ihre Familie gebracht haben.
Die Schuldfrage wird grausam verdreht, das Verbrechen kurzerhand zum »Unfall« umbenannt und kollektiv verdrängt. Karen kommt damit allerdings (verständlicherweise) nicht klar, Schuldgefühle quälen sie und beeinflussen ihr gesamtes Leben. An manchen Stellen tat das Lesen regelrecht weh! Umso schöner fand ich es, als sie endlich nach 30 Jahren Hilfe findet und dadurch die Kraft erlangt, sich zu wehren und abzurechnen.
Ich empfand das Buch als absolut fesselnd und berührend, es machte mich wütend, traurig und nachdenklich. Seit den 60er Jahren hat sich zum Glück schon einiges getan, Opfer von Vergewaltigungen finden besser Hilfe, können leichter auf Verständnis hoffen. Doch noch längst ist nicht alles in Ordnung. Immer noch halten sich in manchen Köpfen irrige Ansichten wie »Frauen sagen nein, wenn sie ja meinen«, immer noch gibt es reichlich (vermutlich sogar) gutgemeinte Tipps an Frauen, wie sie sich schützen können. Welche Gegenden sie meiden sollten, wo und wann sie nicht allein unterwegs sein sollten, wie sie sich kleiden sollten usw. All das, damit kein »Unfall« geschieht.
Verbrechen wird es immer geben, immer wird es Menschen geben, die sich auf Kosten anderer einfach das nehmen, was sie gerade wollen. Weil sie es können, weil sie oft genug davonkommen. Und weil es immer noch Menschen gibt, die dem Opfer eine Mitschuld zusprechen. Dabei sollte ein »Nein« doch ausreichen…
Ein weiteres wichtiges Thema ist das der Gerechtigkeit. Sind in der öffentlichen Meinung und vor dem Gesetz wirklich alle Menschen gleich? Werden Urteile wirklich unabhängig davon gefällt, wie einflussreich jemand ist? Welche Herkunft er hat, wie viel Geld? Aus welchem Land er kommt, welche Religion er hat und welche Hautfarbe? Ich sehe da noch erheblichen Verbesserungsbedarf!
Fazit: Intensiv, berührend, spannend. Die Geschichte einer Frau, die Jahrzehnte braucht, um von ihren eigenen unnötigen Schuldgefühlen loszukommen, fesselt und macht nachdenklich.
»Warum hat der junge Mann sich so benommen? Was hast du getan?«