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1913. In der abgeschiedenen Festung Benesi in der deutsch-afrikanischen Kolonie Tola hat das Schicksal eine bunte Schar glücksuchender Auswanderer zusammengewürfelt: Den Holzhändler Gerber, den die Hoffnung auf neue Reichtümer in diese gottverlassene Gegend geführt hat. Seine Schwester, die schöne und geheimnisvolle Käthe, der nach einer Scheidung die Rückkehr nach Deutschland unmöglich ist. Schirach, den strammen Offizier, der aus seiner kleinen schwarzen Schutztruppe ein preußisches Heer machen will. Den drogensüchtigen Arzt Dr. Brückner sowie den Forscher Lautenschlager, der mit Tropenhelm…mehr

Produktbeschreibung
1913. In der abgeschiedenen Festung Benesi in der deutsch-afrikanischen Kolonie Tola hat das Schicksal eine bunte Schar glücksuchender Auswanderer zusammengewürfelt: Den Holzhändler Gerber, den die Hoffnung auf neue Reichtümer in diese gottverlassene Gegend geführt hat. Seine Schwester, die schöne und geheimnisvolle Käthe, der nach einer Scheidung die Rückkehr nach Deutschland unmöglich ist. Schirach, den strammen Offizier, der aus seiner kleinen schwarzen Schutztruppe ein preußisches Heer machen will. Den drogensüchtigen Arzt Dr. Brückner sowie den Forscher Lautenschlager, der mit Tropenhelm und Plattenkamera nach unbekannten Eingeborenenstämmen sucht. Inmitten dieses Ensembles steht Henry, ein Schiffbrüchiger. Ein Sohn reicher Eltern ist er, doch öffnet ihm das hier, so fern der Heimat, keine Türen. Er muss seinem Schicksal auf die Sprünge helfen, und nimmt die Identität seines Chefs an, der bei dem Schiffsunglück ums Leben kommt. Unter fremdem Namen plant er als Architekt die Stadt, die in der Steppe entstehen soll, ein wahrlich chaotisches Unterfangen...
Autorenporträt
Nach den vielbeachteten Romanen "Wallner beginnt zu fliegen" (aspekte-Preis/ Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2007) und "Geister" legt Thomas von Steinaecker mit Schutzgebiet einen großen Abenteuerroman vor, der sich intelligent und humoresk den Irrlichtern der Moderne nähert. Mit großem psychologischem Gespür lässt Thomas von Steinaecker eine Zeit wieder auferstehen, in der altes und Neues mit großer Wucht aufeinanderprallen und gerade in deutschen Köpfen eine gefährliche Mischung entsteht aus technischem Fortschritt und dem Drang, der Welt einen Stempel aufzudrücken. Thomas von Steinaecker, geboren 1977 in Traunstein, lebt heute in Augsburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.10.2009

Getriebene Gäste auf der dunklen Erde

Cola in Tola: Thomas von Steinaecker versammelt eine deutsche Kolonie von Glückssuchern in Westafrika.

Von Andreas Platthaus

Wir springen mitten hinein in eine Schlacht. Oder das, was man so Schlacht nennt, wenn das Ganze sich auf afrikanischem Boden unter europäischen Kolonialmächten abspielt: Eine Handvoll weißer Offiziere befehligt schlecht ausgebildete eingeborene Truppen, die wenig Lust verspüren, sich für die Fremden zu schlagen, und nur wenn man Glück hat, sind noch ein paar wehrhafte Siedler mit von der Partie. Die Deutschen indes haben kein Glück.

Am Beginn von Thomas von Steinaeckers neuem Roman "Schutzgebiet" ist der Erste Weltkrieg ausgebrochen, und aus den angrenzenden französischen Territorien ist ein Colonel in die deutsche Kolonie Tola und dort im Hinterland vor die Festung Benesi gezogen, um in Afrika zu leisten, was seinen Landsleuten an der europäischen Front verwehrt bleibt: die Initiative zu ergreifen. In Tola sind es die Deutschen, die auf eigenem Terrain einen Abwehrkrieg führen müssen, und nach zwei Seiten ist auch dem, der nichts über deutsche Kolonialgeschichte weiß, klar, wie das ausgehen wird: Das kleine wehrhafte deutsche Dorf geht unter, und dessen Insassen werden vom französischen Colonel ob ihres sinnlosen Widerstandes mit einem Wort bedacht, das direkt aus "Asterix" stammt: die Verrückten.

Der Verweis auf einen Comic liegt bei dem zweiunddreißigjährigen Thomas von Steinaecker nicht fern. Er schätzt diese Erzählform, betätigt sich mittlerweile auch als Comic-Kritiker und -Herausgeber und hat sowohl in seinem preisgekrönten Debütroman "Wallner beginnt zu fliegen" als auch in dessen 2008 erschienenem Nachfolger "Geister" Comicelemente in die Handlung integriert. Davon ist er bei "Schutzgebiet" wieder abgewichen, aber der am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts angesiedelte Roman ist nicht weniger modern konzipiert als seine Vorgänger. Das ist kein Versuch, eine historische Epoche zu rekonstruieren, und auch kein weiterer großangelegter deutscher Kolonialroman à la Gerhard Seyfrieds "Herero" und "Gelber Wind - Der Aufstand der Boxer". Was "Schutzgebiet" leistet, das kann man mit einer Formulierung des Buchs beschreiben: Der Roman erzählt eine Geschichte, die, "mit einem Schlag und jedermann beglückend einleuchtend, aus den lose zusammenhängenden Episoden etwas Zusammenhängendes, Logisches formt. Etwas Sinnvolles."

Worin liegt dieser Sinn? Nicht in dem, was Nery Peters, der Protagonist von "Schutzgebiet", erwartet, jener Träumer mit schlichtem Gemüt, der zwar denselben Nachnamen wie der historische deutsche Kolonialpropagandist Carl Peters trägt, sich aber für den auf der Überfahrt nach Tola ertrunkenen Architekten Gustav Selwin ausgibt. In Benesi soll das eigene Leben unter falschem Namen endlich einen Sinn bekommen. Wie sinnlos! Denn das Dasein von Peters ist bereits ebenso verpfuscht wie die Biographien all der anderen deutschen Glückssucher, die sich in Benesi eingefunden haben, an diesem letzten Zufluchtsort der in der Heimat Gescheiterten. Arbeiterfamilien, Prediger, ehedem reiche Erben - die Festung am Ende der Welt verspricht ihnen einen neuen Anfang. Aber natürlich landen sie alle im Herz der Finsternis.

Das bezeichnet nicht nur einen literarischen Topos, der für von Steinaecker wie für jeden Romancier, der sich Kolonialafrika widmet, unausgesprochener Bezugspunkt ist, sondern auch das ganz reale Leben in Tola. Wie Blinde agieren die deutschen Siedler, hoffen auf die ferne Kolonialverwaltung an der Küste, die aber niemals etwas für Benesi tut, setzen auf die Fruchtbarkeit der afrikanischen Natur, ohne deren Extreme in Betracht zu ziehen, und rechnen vor allem mit ihrem gemeinsamen Willen zur Zivilisierung des fremden Landes. Doch mit dieser Gruppe ist kein Staat zu machen, auch wenn sich Henry von den Siedlern an Ameisen erinnert fühlt.

Im Zentrum des von Beginn an zum Scheitern verurteilten Plantagenprojekts steht Ludwig Gerber, der das väterliche Holz-Imperium in Bayern ruiniert hat und nun in Afrika als Verwalter seine letzte Chance bekommt. Doch aus seiner Perspektive steht viel mehr auf dem Spiel als nur die eigene Selbstachtung, und darin gleicht Gerber auf verblüffende Weise dem Protagonisten eines anderen Romans, der zu nahezu gleicher Zeit spielt: Theodor Lerner aus "Der Nebelfürst" von Martin Mosebach. Darin erzählt Mosebach vom Schicksal eines selbsternannten Arktis-Eroberers, der seine eigene traurige Existenz durch die angebliche Glorie, die seine Expeditionen an den Polarkreis dem Deutschen Reich verschaffen sollen, kaschiert. Gerber ist Lerners Zwillingsbruder am Äquator, und beider Schicksale sind wortgewordene Allegorien auf das kaiserzeitliche Dilemma der deutschen Großmannssucht.

Und doch ist diese politische Lesart nur eine Facette in von Steinaeckers Erzählkaleidoskop. "Schutzgebiet" hat eine solche Fülle an burlesken Szenen, fotorealistischen Berichten aus dem fiktiven Tola und lakonischen Psychogramm seiner deutschen Welt- und Selbstverbesserer zu bieten, dass zwischendurch fast die Übersicht verlorengeht, ehe dann aber in einer großen Kreisbewegung, die sich über ganze Jahrzehnte hinweg in die Vergangenheit zurückerstreckt, am Schluss der Beginn wieder eingeholt wird. Und was bis dahin so splitterartig gewirkt hat, das setzt sich beim Finale zu einem großen Spiegelbild zusammen, in dem wir plötzlich nicht mehr unsere Vorfahren erkennen, sondern deren Erbteil in uns. Und sind deshalb wirklich selbst mittendrin in der Schlacht.

Thomas von Steinaecker: "Schutzgebiet". Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2009. 381 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

In Burkhard Müllers Augen hat sich Thomas von Steinaecker "selbst ein Bein gestellt". Denn die an sich originelle und reizvolle Idee, einen deutschen Kolonialroman zu schreiben, hat er nach Müllers Meinung aufgrund zweier schriftstellerischer Fehlgriffe doch nicht ganz gelungen umgesetzt. Das sind auf der einen Seite die häufigen Exkurse, beispielsweise nach New York oder in den Bayerischen Wald, die für Müller nebensächlich sind und die Handlung unnötig aufbrechen. Zum anderen ist das die fehlende historische Erdung von Steinaeckers Geschichte. Schließlich imaginiert sich dieser seine deutsche Kolonie samt Tieren nur selbstmächtig zusammen und das müsse, wie Müller ausführt, "notwendig hinter dem zurückbleiben, was tatsächlich passiert ist". Dass Steinaecker ein ausgezeichneter Erzähler ist, will er am Ende aber auch gesagt wissen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.11.2009

Ein bayerischer Wald in der Savanne
Thomas von Steinaecker erfindet die deutsche Kolonialgeschichte neu
Na bitte, es geht doch! Man sage nicht, die zivilisierende Mission des Weißen Mannes in Afrika komme nicht voran. Zwar manchmal muss man die Einheimischen bei Widersetzlichkeit leider zu 35 Peitschenhieben verdonnern, von denen schon der erste dem Delinquenten die Haut abschält und spätestens der zwölfte dem anordnenden Offizier so die Nerven angreift, dass er die Prozedur gereizt abbricht. Aber dem Ideal des „Hosennegers” kommt man in Einzelfällen doch schon ziemlich nahe.
„,Dédu, die Herrschaften wollen mal hören, was du so kannst. Jetzt komm doch mal her.-
Dédu tritt zum Tisch und verbeugt sich.
,So, jetzt erzähl ihnen erstmal den Witz, du weißt schon, erzähl den Herrschaften mal den Witz, damit sie was zum Lachen haben.‘
Mit unbewegter Miene und monotoner Stimme schnarrt Dédu: ,Sagt der eine Rabbi zum anderen, warum beantworten alle Rabbis eine Frage immer mit einer weiteren Frage, sagt der andere: Warum nicht?‘
Lautenschlager schlägt sich lachend aufs Knie. ,Als wäre er einer von denen, nicht wahr? Als-ob-er-einer-wäre!‘ Er schaut erwartungsvoll in die Runde, in der höflich geschmunzelt wird.”
So geht es zu in der deutschen Kolonie Tola im Jahr 1913, wie sie Thomas von Steinaecker in seinem Roman „Schutzgebiet” erstehen lässt. Dort, in der Buschfestung Benêsi, hat sich ein rechter Mischmasch deutscher Auswanderer zusammengefunden, die alle hier die Chance erhoffen, welche ihnen in der alten Heimat verwehrt bliebe. Da gibt es den rundlichen Bayern Gerber, enterbter Sohn eines Holzfabrikanten, der nun endlich seinen eigenen Wald haben will und sich aus Deutschland in großem Stil Tannen-, Eichen- und Birkensetzlinge kommen lässt, die bei diesem Klima ja so viel schneller wachsen als daheim. Da gibt es Käthe, seine klavierspielende Schwester, die nach einer gescheiterten Ehe beim besten Willen nicht weiß, wo sie sonst hin soll. Da gibt es den ehrgeizigen jungen Halbamerikaner Henry, der dank eines Schiffbruchs, den er als einziger überlebt, sich die Identität eines ertrunkenen Architekten anmaßt und als solcher zu Werk geht. Da gibt es besagten Lautenschlager, der mit seiner Plattenkamera ins Hinterland zieht, um die Tattoos unerforschter Stämme zu dokumentieren, wovon er sich rauschende Erfolge daheim als Vortragsreisender verspricht.
Alles, was diese Leute vorhaben, trägt die Züge wolkenkuckuckshafter Vergeblichkeit. Das Klima, die Indolenz der Eingeborenen und die Intrigen der Verwaltung im nahen Bismarckburg machen es zunichte. Lautenschlager wird samt seinem treuen Dédu im Busch massakriert, Henry darf auch als Architekt nur Sägemühlen entwerfen, die sich anbahnende Liebesgeschichte zwischen ihm und Käthe kommt nicht vom Fleck, und Gerbers Wald fällt einem Großfeuer zum Opfer. Und dann sagt ja schon die Jahreszahl 1913 genug über die Zukunftsfähigkeit dieses Projekts aus; der Erste Weltkrieg wird Deutschland seine Kolonien kosten. Das Buch öffnet und schließt mit der unsinnigen Verteidigung Benêsis gegen die überlegenen Franzosen.
Es ist ein Buch, dessen Schicksal davon abhängt, ob es ihm gelingt, die Atmosphäre seines in Raum und Zeit weit entfernten Schauplatzes so zu verdichten, dass der Leser meint, die Dürre und den erlösenden Regen riechen zu können. Deutschlands noch immer unterbelichtete koloniale Vergangenheit bot gewiss ein reizvolles Sujet. Leider hat von Steinaecker zwei Entscheidungen getroffen, die die Wirkung seines originellen Buchs erheblich beeinträchtigen. Zum einen wahrt er nicht die Einheit des Ortes, dessen geografische Abgeschiedenheit und klimatische Situation doch den stärksten einzelnen Faktor für Handlung und Personal bilden müssen. Der Plot wird durchlöchert durch mehr als beiläufige Exkurse nach New York, Paris, Bremerhaven und in den Bayerischen Wald.
Zum anderen trägt der Autor seiner schriftstellerischen Imagination allzu viel auf, indem er sich nicht an eine der realen deutschen Kolonien hält, sondern sein Tola erfindet. Er schlägt den ungeheuren stofflichen Reichtum der Geschichte aus und glaubt, alles selbst machen zu können, sogar die Tiere des Buschs, das nilpferdähnliche Estrello, die Steppensau Meschmesch, den Dschungelwolf Sork.
Schon die beziehungsreichen Namen, die er einigen seiner Akteure verleiht, ohne sie dadurch festzulegen, Schirach, Lüderitz, von Maysenbug, geben eine Ahnung davon, wie ihm die Historie unter die Arme hätte greifen können, wenn er sie nur gelassen hätte. Alles, was sich Steinaecker ausdenken kann, muss notwendig hinter dem zurückbleiben, was tatsächlich passiert ist, dem Herero-Aufstand in Deutsch-Südwest beispielsweise, als die Aufständischen, über die Truppen des Kommandeurs von Trotta hinweg, ihren nächtlichen Wechselgesang von Berg zu Berg anstimmten: „Wem gehört Hereroland? Uns gehört Hereroland!”, in deutscher Sprache, ehe sie in die Wüste getrieben wurden und zu tausenden verdursteten.
Auch das Irrsinnsprojekt eines deutschen Tannenforsts in der Savanne hätte, um als solches fühlbar zu werden, einen dokumentarisch verbürgten Hintergrund gut brauchen können. Es ist schade, dass sich von Steinäcker, der wirklich gut erzählen kann, auf diese Weise selbst ein Bein gestellt hat. BURKHARD MÜLLER
THOMAS VON STEINAECKER: Schutzgebiet. Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2009, 381 Seiten, 19,90 Euro.
Der Autor schlägt den Reichtum der Historie aus, er will alles selbst machen
Wanderdünen von Swakopmund in der Kolonie Deutsch-Südwestaftika, 1908 Foto: Scherl
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