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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Natasha A. Kelly legt eine Kulturgeschichte schwarzer Frauen in Deutschland vor
Kennen Sie May Ayim, Autorin und Aktivistin, 1960 in Hamburg geboren, im Kinderheim, dann bei einer Pflegefamilie aufgewachsen, Suizid im Jahr 1996? Oder Marie Nejar, 1930 in Mühlheim an der Ruhr geboren, wollte zum BDM, wurde aber abgewiesen, spielte während des Nationalsozialismus in rassistischen Filmen der UFA mit. Kennen Sie eine gewisse Sista Mimi, die mit siebzehn aus Kenia nach Deutschland kam, für Frauenrechte kämpfte und nach der Scheidung ihrer Ehe ausgewiesen werden sollte? Deren Wohnung zwangsgeräumt wurde, die 2014 mit Flüchtlingen eine Schule in Kreuzberg besetzte und an den Folgen einer Lungenentzündung starb?
Vielen sind diese Frauen unbekannt. Sie eint, dass sie schwarz und deutsch sind. Und dass ihre Biografien in der Geschichtswissenschaft kaum eine Rolle spielen. Es ist schade, dass diesem Buch seine Rechercheleistung so wenig anzusehen ist. Zunächst meint man, "Schwarz. Deutsch. Weiblich" sei womöglich eine weitere Autobiografie zum Thema Rassismus, wogegen ja nichts spricht. Dennoch steckt viel mehr drin. Natasha A. Kelly, Wissenschaftlerin mit politischer Erfahrung, hat nicht bloß ein feministisches Buch vorgelegt, sondern eine von persönlichen Erlebnissen angeregte, aufwendig recherchierte Kulturgeschichte schwarzer Frauen in Deutschland vom siebzehnten Jahrhundert bis heute.
Zu Beginn fragt sich Kelly, die karibische Wurzeln hat und in Deutschland aufwuchs, warum sie so wenig von weißen Feministinnen gelernt hat - und was in ihrer Jugend an ihre Stelle trat. Die Schwarzer-Anhängerinnen der Achtzigerjahre erscheinen ihr als Mädchen betont unfehlbar und aufgesetzt, ganz anders als der Feminismus der Frauen ihrer Heimat, die hart arbeiteten, zusammenhielten, sich gegen Rassismus wehrten und sich nie Feministinnen nannten.
Natasha A. Kelly befasst sich in der Hauptsache zwar mit schwarzen Aktivistinnen, Autorinnen, Schauspielerinnen in Deutschland, aber auch geläufigere, die schwarze Identität prägende Fälle hat sie im Blick. So etwa den der 1789 in Südafrika geborenen Sarah Baartman, die mit zwanzig Jahren von einem Arzt nach Großbritannien geholt und öffentlich nackt vorgeführt wurde. Ihr Skelett blieb bis 1974 in einem Pariser Museum ausgestellt. Wenig verwunderlich, schreibt Kelly, dass schwarze weibliche Sexualität noch lange als pathologisch und promiskuitiv galt und pornografisch verzerrt wurde, als weiße Feministinnen längst für neue Blickwinkel gesorgt hatten.
Oder nehmen wir die Professorin Kimberlé Williams Crenshaw, die mit ihrer Forschung großen Einfluss auf die Selbstbehauptung schwarzer Frauen hatte. Sie hat analysiert, wie sehr das amerikanische Rechtssystem auf Rassismus aufgebaut ist, und anhand von konkreten Fällen Mehrfachdiskriminierung sichtbar gemacht. Bis heute ist der Begriff "Intersektionalität" Streitpunkt feministischer Theorien. Die Critical Race Theory fordert, den intersektionalen Einfluss von Klasse und "race" in den Blick zu nehmen, ihre Anhängerinnen fühlen sich vom deutschen Feminismus nicht repräsentiert. Die amerikanische Frauenrechtlerin Sojourner Truth bemerkte Mitte des neunzehnten Jahrhunderts nach der Flucht aus der Versklavung: "Der Mann sagt, dass Frauen beim Einsteigen in eine Kutsche geholfen werden müsse und auch beim Überqueren von Gräben und dass ihnen überall der beste Platz zustehe. Mir hat noch nie jemand in einen Wagen geholfen oder über eine Schlammpfütze oder den besten Platz überlassen. Bin ich etwa keine Frau?"
Als schwarzem Mädchen in Deutschland, schreibt Kelly, habe es ihr an Repräsentation gefehlt. Es begann schon mit dem Leben in der Kleinstadt, wo ihre Mutter abends in einer Bar arbeitete und die Kinder allein ließ, während die Eltern ihrer Freunde zu Hause saßen. Ihr Vater war abwesend - wie übrigens oft in karibischen Familien, in denen Frauen ihre Kinder allein großziehen. Auch Kelly blieb als junge Frau schwanger zurück und wurde alleinerziehende Mutter. In den Achtzigern, als sie jugendlich war, fehlten schwarze Frauen in der deutschen Öffentlichkeit. Arabella Kiesbauer und die Band Tic Tac Toe kamen erst im nächsten Jahrzehnt und blieben Ausnahmen. Erst May Ayim, die sich für die Rechte schwarzer Frauen einsetzte, zeigte Kelly, was Repräsentation vermochte.
Einen etwas lexikonhaften Eindruck vermittelt "Schwarz. Deutsch. Weiblich" immer dann, wenn die Lebensläufe der vorgestellten Frauen abgehandelt werden. Dafür wird es dort besonders lebendig, wo Kelly von den Traditionen und Vorbildern ihrer karibischen Heimat berichtet, von Frauen, die einander den Rat geben, sich mit Bildung aus der Armut zu befreien: "Eine andere Anleitung gegen den Kapitalismus gibt es nicht; auch keinen Wegweiser in den Feminismus." Natasha A. Kelly hat mit ihrer Aufarbeitung der afrodeutschen Geschichte einen wichtigen Schritt gemacht. Wenn es so weitergeht, kann die nächste Generation schwarzer Deutscher, statt wieder von vorne anfangen zu müssen, die schwarze Geschichte in Deutschland einfach weitererzählen. ELENA WITZECK
Natasha A. Kelly: "Schwarz. Deutsch. Weiblich". Warum Feminismus mehr als Geschlechtergerechtigkeit fordern muss.
Piper Verlag,
München 2023.
304 S., geb., 22,- Euro.
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