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Ungleich zu Ungleich gesellt sich gern: Irene Dische lässt im Roman "Schwarz und weiß" das erhoffte Gesellschaftspanorama vermissen.
Von Andreas Platthaus
Amerika ist ein vielfach gespaltenes Land, und die bislang fruchtlosen Bemühungen, diese Konflikte zu lösen, bestimmen seine Geschichte und die Geschichten, die über die Vereinigten Staaten erzählt werden. So auch in Irene Disches neuem Roman, der einen, wenn nicht den zentralen Zwiespalt der dortigen Gesellschaft im Titel führt: "Schwarz und weiß". Das Buch der in Berlin lebenden und schreibenden Amerikanerin erzählt von der Ehe zwischen Lili Stone und Duke Butler; sie die Tochter eines wohlhabenden New Yorker Intellektuellenpaars polnischer Abstammung (der Vater Komponist, die Mutter Essayistin), er der Sohn einer Deutschen, die in den frühen fünfziger Jahren mit einem farbigen amerikanischen Besatzungsoffizier in dessen Heimatort nach Florida übersiedelte, wo sie aber feststellen musste, dass der vermeintliche Ehemann schon mit einer anderen verheiratet war. Fortan zog Jutta Kurz, die sich in der Neuen Welt nur noch Jo nennt, ihren Sohn allein auf, in prekären Verhältnissen, die dadurch nicht einfacher wurden, dass Duke nach amerikanischen Maßstäben als Schwarzer gilt.
Mit Lili und Duke treffen also in vielerlei Hinsicht zwei Welten zusammen, als sie sich 1972 in New York ineinander verlieben und im Folgejahr heiraten. Bei den liberalen Eltern der Braut stößt der Schwiegersohn aus der Unterschicht durchaus auf Sympathie, zumal er einen Vietnam-Einsatz hinter sich hat, der krankheitsbedingt unterbrochen werden musste und dessen Fortführung durch allerlei Tricks der neuen Familie verhindert wird. Bei einem distinguierten Weinhändler erwirbt Duke die Befähigung zum Weintester und erlebt einen kometenhaften Aufstieg in der New Yorker Gastronomieszene. Mit der eigenen Verwandtschaft in Florida scheint der junge Mann genauso gebrochen zu haben wie mit seiner Südstaaten-Vergangenheit, und das ist auch besser so, heißt es doch bei Dische einmal in ihrem unnachahmlich lapidaren Ton: "Im Süden heirateten die Leute und blieben zusammen, bis sie ihren Ehepartner satthatten, und dann brachten sie ihn um."
Der Norden kommt allerdings bei Dische kaum besser weg. Ein typisches Beispiel für den Spott der gebürtigen New Yorkerin über ihre Heimatstadt: "Eine dreiköpfige Familie wie die Stones hat nicht drei, sondern sechs Mitglieder, weil jedes Mitglied rund um die Uhr von einem unsichtbaren Therapeuten begleitet wird, einem Vertrauten, auf den man sich beruft und den man zitiert und der so an allem beteiligt ist, an jedem Zerwürfnis, jedem Kuss und jedem Gespräch." Lili und Duke entwickeln sich trotzdem zum Traumpaar der feinen Gesellschaft.
Dass sie es nicht bleiben, wird bereits auf den ersten Seiten klar, die von Dukes Mutter Jo aus der Ich-Perspektive bestritten werden - wie später auch einige Zwischenspiele und das Schlusswort des ansonsten auktorial erzählten Romans. Wir erfahren, dass Duke im Jahr 2000 in Florida zum Tode verurteilt worden und das dortige Haus der Butlers am Tag des Urteilsspruchs explodiert ist, noch nichts aber zu den näheren Umständen. Dafür ist Jo dank eines ortsüblichen meteorologischen Ausnahmezustands in den Besitz von Aufzeichnungen gekommen, die Lili über ihre Ehe gemacht hat. Wer nun aber erwartet hätte, dass diese Aufzeichnungen im Folgenden zitiert würden, sieht sich getäuscht. Weder weitere Erzählhaltung noch Faktenlage entsprechen Lilis Blickwinkel. Was Irene Dische zu ihrer romantisch anmutenden Manuskript-Fiktion getrieben hat, bleibt bis zuletzt unklar. Das ist leider nicht der einzige konzeptionelle Mangel dieses Romans.
Schwerer noch wiegt das Ungleichgewicht des auf Dichotomie angelegten Handlungsverlaufs. Lili, die als Fotomodell Furore macht, und Duke kommen dabei noch einigermaßen gleichberechtigt zur Darstellung, aber schon bei den Eltern Stone findet der Vater, der ein spätes Coming-out als Homosexueller erlebt, weitaus mehr Beachtung als die Mutter, deren Karriere als Schriftstellerin immer stärker bröckelt. Und dann ist da die Gliederung des Romans in zwei Teile namens "Norden" und "Süden", deren letzter aber gerade einmal ein Viertel des Gesamtumfangs erreicht. Natürlich kennt Irene Dische New York und seine (gehobenen) Milieus weitaus besser als Florida und den dortigen white scum abseits der Großstädte. Sie begleitet deshalb mit erkennbarer Lust ihre Protagonisten durch die metropolitanen siebziger, achtziger und neunziger Jahre, während sie für Lilis und Dukes Landleben im Süden nur noch gerade so viel Platz opfert, wie die Abrundung diverser Handlungsbogen erfordert. Aber dadurch kommt just jener Teil des Buches zu kurz, der die größere Neugier weckt. Über das New York der Jahrzehnte vor dem 11. September 2001 haben wir in diesem Jahr schon viel und vor allem Besseres gelesen als "Schwarz und weiß" - Paul Austers "4 3 2 1" etwa oder Hanya Yanigiharas "Ein wenig Leben". Ein Gegenwartsporträt der Südstaaten dagegen, zumal eines, das dabei auch die weißen Deklassierten in den Blick nimmt, solch ein Roman fehlt. Und daran ändert sich auch mit "Schwarz und weiß" leider nichts.
Bleibt das, was Irene Dische vor allem gelockt haben wird: die Geschichte einer Ehe, die gegen alle Wahrscheinlichkeit und auch gegen alle konkreten Anfechtungen (Affären, Kinderlosigkeit, berufliches Scheitern, Auftauchen unverhoffter Verwandtschaft) Bestand hat und dennoch in ein Desaster mündet. Es ist nicht die Schuld von Lili und Duke als Gemeinschaft; sie versagen als Individuen, und das ist die verblüffendste Volte, die dieser Eheroman aufzubieten hat. Darüber allerdings ist die Sorgfalt bei Autorin, Übersetzerin und Lektorat verlorengegangen, denn nicht nur widersprechen sich die Altersangaben zu Lili - mal ist sie vor 1972 schon achtzehn, dann wieder erreicht sie dieses Alter erst 1973 -, auch die Explosion des Butlerschen Hauses soll zunächst am Tag des Urteilsspruchs und schließlich am Tag der Hinrichtung von Duke stattgefunden haben. Dazwischen liegen 480 durchaus amüsante Seiten, deren Reiz aber vor allem auf satirischer Ebene liegt, nicht auf dem, was Irene Dische wirklich wichtig war. Und uns gewesen wäre.
Irene Dische: "Schwarz und weiß". Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch von Elisabeth Plessen. Hoffmann und Campe, Hamburg 2017. 489 S., geb., 26,- [Euro].
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