„Schwarzer September“ ist ein Roman über den Terrorismus der Siebziger Jahre. Rebellische Idealisten wie Theresa, Alexander und Jakob reisen in den Nahen Osten, um sich ausbilden zu lassen. Ihre Familien bleiben mit Legenden in der Bundesrepublik zurück. Menschen aus dem Nahen Osten wiederum wechseln in die Bundesrepublik, um Aktionen vorzubereiten. Sie alle verbindet eines: Werkzeuge zu sein in einem Zusammenhang, den sie nicht überschauen. Kraftwellen einer Gewalt, die uns bis heute beschäftigt, auch wenn sich der Terrorismus inzwischen von einer mit revolutionärem Elan ausgeübten Gewalt zum Ausdruck einer extrem politisierten Religiosität gewandelt hat.
Sherko Fatah ist einer der klügsten Beobachter und Deuter der Vorgänge im Nahen Osten. Seine faktenreichen und doch atmosphärisch dicht erzählten Romane sind ihrer Zeit auch dann voraus, wenn sie den Blick in die Vergangenheit richten. Sie spüren den abenteuerlichen Wegen der handelnden Figuren aus unterschiedlichen Kulturen inmitten der Konflikte im Nahen Osten nach und beschreiben die Auswirkungen dieser Konflikte, die wie Druckwellen auch das heutige Westeuropa erreichen.
Sherko Fatah ist einer der klügsten Beobachter und Deuter der Vorgänge im Nahen Osten. Seine faktenreichen und doch atmosphärisch dicht erzählten Romane sind ihrer Zeit auch dann voraus, wenn sie den Blick in die Vergangenheit richten. Sie spüren den abenteuerlichen Wegen der handelnden Figuren aus unterschiedlichen Kulturen inmitten der Konflikte im Nahen Osten nach und beschreiben die Auswirkungen dieser Konflikte, die wie Druckwellen auch das heutige Westeuropa erreichen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.10.2019Wer die Fäden zieht
Sherko Fatahs angemessen komplexer Roman „Schwarzer
September“ spielt vor und nach dem Münchner Olympiaattentat
VON MORITZ BAUMSTIEGER
Alles ist anders jetzt im Nahen Osten. Und alles beim Alten. Junge Erwachsene aus dem Westen kommen dort hin, um die Menschen mit dem Weltverbesserungswahn zu beglücken, den sie sich in der spießigen Heimat zusammengeträumt haben. Radikale aus der Region reisen unterdessen in die Gegenrichtung, um im Schutz der offenen Gesellschaften Europas Attentate zu planen – manchmal ohne zu wissen, welchen Herren sie dabei letztlich dienen. Und dazwischen sitzen, einen etwas zu frühen Drink in der Hand, die Mitarbeiter westlicher Sicherheitsbehörden. Sie lauschen und manipulieren, bestechen und lassen auch mal foltern, wenn es unbedingt sein muss. Es muss ab und zu sein, so sind in Arabien halt die Umgangsformen. Und im Hintergrund zieht gerade mal wieder ein neuer Bürgerkrieg auf.
Die Grundmuster von Sherko Fatahs Roman „Schwarzer September“ würden ganz hervorragend auf die jüngste Vergangenheit passen, auf die Jahre nach 2011, als junge Erwachsene aus Dinslaken-Lohberg oder der sächsischen Provinz nach Syrien zogen, um dort das Handwerk des Tötens zu lernen oder schnellstmöglich zur Witwe eines Märtyrers zu werden. Als IS-Terroristen unbehelligt einen ganzen Kontinent durchquerten, bevor sie von Paris Schockwellen des Terrors in die Welt schickten. Als Geheimdienste über all diese Vorgänge entweder mehr wussten, als sie zugeben konnten oder weniger, als sie zugeben wollten.
„Schwarzer September“ spielt aber – der Titel deutet es an – vier Dekaden früher. In der Zeit, als die Menschen in Europa durch Anschläge palästinensischer Terroristen zum ersten Mal darauf aufmerksam gemacht wurden, dass Globalisierung nicht nur bedeutet, immer neue exotische Waren im Kaufhaus zu finden; als junge deutsche Linke aus dem Holocaust die krudeste aller Lehren zogen und ihr „Nie wieder!“ ausgerechnet gegen Israel richteten. Der Weg zu einer gerechten Welt führte für sie nicht in ein Kalifat mit angeblich gottgegebenen Gesetzen, sondern in Flüchtlingslager im Libanon oder Terrortrainingscamps in der Wüste des Jemen. Dort mussten sie jeweils feststellen, dass die „Ästhetik der Tat“ mit recht viel Langweile und Entbehrung einhergeht.
Sherko Fatah, 1964 in Ostberlin als Sohn einer DDR-Bürgerin und eines irakischen Kurden geboren, hat es seit langem zu seiner Spezialität gemacht, fiktionale Charaktere in faktenreich recherchierte Kontexte zu setzen, mal historische, mal aktuellere. Seine Geschichten oszillieren meist zwischen Orient und Okzident.
In „Ein weißes Land“ aus dem Jahr 2012 verschlug es etwa den jungen Iraker Anwar aus Bagdad ins Weltkriegs-Berlin und schließlich in eine SS-Division, Fatah schilderte so die nur wenig bekannten Verquickungen zwischen deutschen Nationalsozialisten und frühen Islamisten.
In „Der letzte Ort“, 2014 erschienen, wird ein Archäologe mit DDR-Vergangenheit von Islamisten im Nordirak entführt. Mitunter wirkt es, als hätte Fatah hier den Aufstieg der Terrormiliz IS und ihre grausamen Geiselnahmen von Ausländern bereits vorausgeahnt – das Video mit dem Mord an dem vom IS entführten US-Journalisten James Foley tauchte exakt eine Woche nach dem Erscheinen des Buches im Netz auf.
„Schwarzer September“ startet brutal im Jahr 1971 und in Kairo – dort ermordete die neu gegründete Terrorgruppe gleichen Namens in einem Hotelfoyer bei ihrem ersten Anschlag den jordanischen Premierminister, der im Jahr zuvor die palästinensische Befreiungsorganisation PLO aus seinem Land vertrieben hatte. Einer der Mörder geht nach den Schüssen auf die Knie, leckt das Blut auf, das aus den Schusswunden der Leiche über den Marmorboden rinnt. Die anderen Morde, die in diesem Roman folgen werden, sind nicht weniger drastisch beschrieben.
Die bekannteste Tat des „Schwarzen September“, das Attentat auf die israelische Mannschaft bei den Spielen 1972, taucht dagegen eigentlich nur in dem Bild auf dem Umschlag des Buches auf, wo sich dunkle Wolken über dem Münchner Olympiagelände zusammenziehen. In seiner Geschichte interessiert Fatah vor allem, was vor und nach dieser Tat geschah: Der größte Teil des Romans ist im Beirut der Siebziger Jahre angesiedelt, das schon nicht mehr jener Ort des unbeschwerten Müßiggangs ist, als der er einst berüchtigt war. Zwar besuchen die dort stationierten CIA-Agenten Victor und Amos noch die mondänen Strandclubs und die verrauchten Bars, in deren Hinterzimmern alles zu bekommen ist, was nicht korankonform ist. Doch die immer häufiger werdenden Morde und Attentate kündigen bereits den Bürgerkrieg an, der den Libanon 15 Jahre lang zerstören sollte.
In der Stadt bekriegen sich Clans, politische und ganz normale Kriminelle, Milizen verschiedener Volks- und Glaubensgruppen. Hier landet irgendwann auch Ziad, der einem jordanischen Flüchtlingslager entstammt und nach Frankreich gegangen war, um der Armut zu entkommen. Ohne genau zu wissen, für wen er da arbeitet, wird er eine Art Laufbursche für führende Mitglieder des „Schwarzen September“, die sich nach der Tat von München in Europa vor Rachekommandos der Israelis zu verstecken versuchen. Wie etwa der legendäre „Rote Prinz“ Ali Hassan Salameh, der als Playboy und Lebemann fast ebenso berüchtigt war wie als Terrorist.
Nach seiner Rückkehr in den Nahen Osten wird Ziad auch Informant der CIA. Victtor und Amos, den Agenten aus Amerika, geht es jedoch ähnlich wie ihrem Spitzel – und letztendlich auch dem Leser von Sherko Fatahs Roman: Wirklich überblicken, welche Macht gerade im Hintergrund die Fäden zieht, welche Ziele sie hat und welcher Moral sie folgt, kann niemand.
Während die meisten Autoren von Spionage- und Terrorismusthrillern irgendwann einen Erzbösewicht samt teuflischem Plan aus dem Dickicht von Tarnung, Täuschung und falschen Fährten herausschälen, ist die Sache bei Fatah komplizierter: Konflikte sind nie monokausal, und auch die mächtigsten Akteure kontrollieren die Agenda letztlich nicht selbst, sondern sind Getriebene des Geschehens. Und die Kreaturen, die sie erschaffen, wenden sich später nicht selten gegen sie. Die Welt ist verwirrend, der Nahe Osten erst recht – und Sherko Fatahs Roman manchmal auch. Doch gerade dadurch ist er wahrhaftiger. Denn die Formeln, mit denen manche Nahost-Experten komplizierteste Zusammenhänge erklären, sind oft simplifizierend.
Wie ahnungslos jene sind, die meinen, als einzige das große Ganze durchschauen zu können, zeigt Fatah auch an den drei deutschen Studenten, die er durch das brodelnde Beirut stolpern lässt. Theresa, Jakob und Alexander haben ihre Kommunen in Frankfurt-Bockenheim und Kreuzberg verlassen, um als Teil des erweiterten RAF-Dunstkreises die palästinensische Sache zu unterstützen. Diese „Kinder des Olymp“ träumen vom revolutionären Kampf und müssen dann überrascht feststellen, dass man in diesem auch sterben kann: Alexander, dessen Fantasien der einen Tat galten, die die Welt von Grund auf verändern wird, explodiert seine Bombe schon beim Transport. Er stirbt kläglich und sinnlos, anstatt als Held in die Geschichte einzugehen, bleibt er ein Niemand – genau wie viele der jungen Menschen, die vierzig Jahre nach ihm in den Nahen Osten ziehen sollten, um für eine vermeintlich höhere Mission zu kämpfen. Alles mag nun anders sein im Nahen Osten. Aber alles ist beim Alten.
Konflikte sind nie monokausal,
die mächtigsten Akteure
kontrollieren die Agenda
nicht völlig, die Welt und der
Roman sind verwirrend
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Sherko Fatahs angemessen komplexer Roman „Schwarzer
September“ spielt vor und nach dem Münchner Olympiaattentat
VON MORITZ BAUMSTIEGER
Alles ist anders jetzt im Nahen Osten. Und alles beim Alten. Junge Erwachsene aus dem Westen kommen dort hin, um die Menschen mit dem Weltverbesserungswahn zu beglücken, den sie sich in der spießigen Heimat zusammengeträumt haben. Radikale aus der Region reisen unterdessen in die Gegenrichtung, um im Schutz der offenen Gesellschaften Europas Attentate zu planen – manchmal ohne zu wissen, welchen Herren sie dabei letztlich dienen. Und dazwischen sitzen, einen etwas zu frühen Drink in der Hand, die Mitarbeiter westlicher Sicherheitsbehörden. Sie lauschen und manipulieren, bestechen und lassen auch mal foltern, wenn es unbedingt sein muss. Es muss ab und zu sein, so sind in Arabien halt die Umgangsformen. Und im Hintergrund zieht gerade mal wieder ein neuer Bürgerkrieg auf.
Die Grundmuster von Sherko Fatahs Roman „Schwarzer September“ würden ganz hervorragend auf die jüngste Vergangenheit passen, auf die Jahre nach 2011, als junge Erwachsene aus Dinslaken-Lohberg oder der sächsischen Provinz nach Syrien zogen, um dort das Handwerk des Tötens zu lernen oder schnellstmöglich zur Witwe eines Märtyrers zu werden. Als IS-Terroristen unbehelligt einen ganzen Kontinent durchquerten, bevor sie von Paris Schockwellen des Terrors in die Welt schickten. Als Geheimdienste über all diese Vorgänge entweder mehr wussten, als sie zugeben konnten oder weniger, als sie zugeben wollten.
„Schwarzer September“ spielt aber – der Titel deutet es an – vier Dekaden früher. In der Zeit, als die Menschen in Europa durch Anschläge palästinensischer Terroristen zum ersten Mal darauf aufmerksam gemacht wurden, dass Globalisierung nicht nur bedeutet, immer neue exotische Waren im Kaufhaus zu finden; als junge deutsche Linke aus dem Holocaust die krudeste aller Lehren zogen und ihr „Nie wieder!“ ausgerechnet gegen Israel richteten. Der Weg zu einer gerechten Welt führte für sie nicht in ein Kalifat mit angeblich gottgegebenen Gesetzen, sondern in Flüchtlingslager im Libanon oder Terrortrainingscamps in der Wüste des Jemen. Dort mussten sie jeweils feststellen, dass die „Ästhetik der Tat“ mit recht viel Langweile und Entbehrung einhergeht.
Sherko Fatah, 1964 in Ostberlin als Sohn einer DDR-Bürgerin und eines irakischen Kurden geboren, hat es seit langem zu seiner Spezialität gemacht, fiktionale Charaktere in faktenreich recherchierte Kontexte zu setzen, mal historische, mal aktuellere. Seine Geschichten oszillieren meist zwischen Orient und Okzident.
In „Ein weißes Land“ aus dem Jahr 2012 verschlug es etwa den jungen Iraker Anwar aus Bagdad ins Weltkriegs-Berlin und schließlich in eine SS-Division, Fatah schilderte so die nur wenig bekannten Verquickungen zwischen deutschen Nationalsozialisten und frühen Islamisten.
In „Der letzte Ort“, 2014 erschienen, wird ein Archäologe mit DDR-Vergangenheit von Islamisten im Nordirak entführt. Mitunter wirkt es, als hätte Fatah hier den Aufstieg der Terrormiliz IS und ihre grausamen Geiselnahmen von Ausländern bereits vorausgeahnt – das Video mit dem Mord an dem vom IS entführten US-Journalisten James Foley tauchte exakt eine Woche nach dem Erscheinen des Buches im Netz auf.
„Schwarzer September“ startet brutal im Jahr 1971 und in Kairo – dort ermordete die neu gegründete Terrorgruppe gleichen Namens in einem Hotelfoyer bei ihrem ersten Anschlag den jordanischen Premierminister, der im Jahr zuvor die palästinensische Befreiungsorganisation PLO aus seinem Land vertrieben hatte. Einer der Mörder geht nach den Schüssen auf die Knie, leckt das Blut auf, das aus den Schusswunden der Leiche über den Marmorboden rinnt. Die anderen Morde, die in diesem Roman folgen werden, sind nicht weniger drastisch beschrieben.
Die bekannteste Tat des „Schwarzen September“, das Attentat auf die israelische Mannschaft bei den Spielen 1972, taucht dagegen eigentlich nur in dem Bild auf dem Umschlag des Buches auf, wo sich dunkle Wolken über dem Münchner Olympiagelände zusammenziehen. In seiner Geschichte interessiert Fatah vor allem, was vor und nach dieser Tat geschah: Der größte Teil des Romans ist im Beirut der Siebziger Jahre angesiedelt, das schon nicht mehr jener Ort des unbeschwerten Müßiggangs ist, als der er einst berüchtigt war. Zwar besuchen die dort stationierten CIA-Agenten Victor und Amos noch die mondänen Strandclubs und die verrauchten Bars, in deren Hinterzimmern alles zu bekommen ist, was nicht korankonform ist. Doch die immer häufiger werdenden Morde und Attentate kündigen bereits den Bürgerkrieg an, der den Libanon 15 Jahre lang zerstören sollte.
In der Stadt bekriegen sich Clans, politische und ganz normale Kriminelle, Milizen verschiedener Volks- und Glaubensgruppen. Hier landet irgendwann auch Ziad, der einem jordanischen Flüchtlingslager entstammt und nach Frankreich gegangen war, um der Armut zu entkommen. Ohne genau zu wissen, für wen er da arbeitet, wird er eine Art Laufbursche für führende Mitglieder des „Schwarzen September“, die sich nach der Tat von München in Europa vor Rachekommandos der Israelis zu verstecken versuchen. Wie etwa der legendäre „Rote Prinz“ Ali Hassan Salameh, der als Playboy und Lebemann fast ebenso berüchtigt war wie als Terrorist.
Nach seiner Rückkehr in den Nahen Osten wird Ziad auch Informant der CIA. Victtor und Amos, den Agenten aus Amerika, geht es jedoch ähnlich wie ihrem Spitzel – und letztendlich auch dem Leser von Sherko Fatahs Roman: Wirklich überblicken, welche Macht gerade im Hintergrund die Fäden zieht, welche Ziele sie hat und welcher Moral sie folgt, kann niemand.
Während die meisten Autoren von Spionage- und Terrorismusthrillern irgendwann einen Erzbösewicht samt teuflischem Plan aus dem Dickicht von Tarnung, Täuschung und falschen Fährten herausschälen, ist die Sache bei Fatah komplizierter: Konflikte sind nie monokausal, und auch die mächtigsten Akteure kontrollieren die Agenda letztlich nicht selbst, sondern sind Getriebene des Geschehens. Und die Kreaturen, die sie erschaffen, wenden sich später nicht selten gegen sie. Die Welt ist verwirrend, der Nahe Osten erst recht – und Sherko Fatahs Roman manchmal auch. Doch gerade dadurch ist er wahrhaftiger. Denn die Formeln, mit denen manche Nahost-Experten komplizierteste Zusammenhänge erklären, sind oft simplifizierend.
Wie ahnungslos jene sind, die meinen, als einzige das große Ganze durchschauen zu können, zeigt Fatah auch an den drei deutschen Studenten, die er durch das brodelnde Beirut stolpern lässt. Theresa, Jakob und Alexander haben ihre Kommunen in Frankfurt-Bockenheim und Kreuzberg verlassen, um als Teil des erweiterten RAF-Dunstkreises die palästinensische Sache zu unterstützen. Diese „Kinder des Olymp“ träumen vom revolutionären Kampf und müssen dann überrascht feststellen, dass man in diesem auch sterben kann: Alexander, dessen Fantasien der einen Tat galten, die die Welt von Grund auf verändern wird, explodiert seine Bombe schon beim Transport. Er stirbt kläglich und sinnlos, anstatt als Held in die Geschichte einzugehen, bleibt er ein Niemand – genau wie viele der jungen Menschen, die vierzig Jahre nach ihm in den Nahen Osten ziehen sollten, um für eine vermeintlich höhere Mission zu kämpfen. Alles mag nun anders sein im Nahen Osten. Aber alles ist beim Alten.
Konflikte sind nie monokausal,
die mächtigsten Akteure
kontrollieren die Agenda
nicht völlig, die Welt und der
Roman sind verwirrend
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2019Ein volles Jahrzehnt liegt in Fetzen da
So entstand, womit wir jetzt leben müssen: Sherko Fatahs multiperspektivischer Roman "Schwarzer September" erzählt von den Wurzeln des heutigen Terrorismus.
Eingerahmt wird dieser Roman von zwei Schreckenstaten. Das erste Kapitel spielt im November 1971. Der jordanische Premierminister schreitet auf den Eingang des Sheraton Hotels in Kairo zu, er sinnt über die letzten Monate nach, die harte Entscheidungen von ihm verlangten. Er schaut auf den Nil, genießt den "Anblick des großen alten Stroms", um kurz darauf von Kugeln durchsiebt zu werden. Einer der Attentäter kniet nieder, um das Blut des Premierministers vom Fußboden zu lecken. Ein Jahr zuvor hat der Politiker die Palästinenser unter Massakern aus ihren Rückzugsgebieten in Jordanien vertreiben lassen - im Zuge des "Schwarzen September", des jordanischen Bürgerkriegs.
Knapp vierhundert Seiten später rammt ein mit einer Tonne Sprengstoff beladener Lastwagen die amerikanische Botschaft von Beirut. Eine gewaltige Explosion bringt am 18. April 1983 das Gebäude zum Einsturz, 63 Menschen sterben. Die Terrorgruppe "Heiliger Krieg" bekennt sich zu dem Anschlag. Islamistische Selbstmordattentate in dieser Größenordnung hat es bisher nicht gegeben. Es ist der Beginn von etwas Neuem.
"Wer immer ihr auch seid - wir sind die Partei Gottes", lautet der letzte Satz des Romans. Er wird gesprochen von einer seiner Hauptfiguren, Ziad, einem intelligenten, hellwachen jungen Palästinenser, der nach einer Kindheit im Flüchtlingslager als Laufbursche des Terrorismus beginnt, sich in Paris die ersten Sporen verdient, später im Libanon als Doppelagent auch für die CIA arbeitet, am Ende aber unter dem Einfluss eines charismatischen Imams zum Gotteskrieger und Mitorganisator des verheerenden Anschlags wird. Der Roman beschreibt die Jahre zwischen 1970 und 1983 als Wendezeit des Terrors. Nicht länger mit europäischen Vordenkern wie Marx oder Lenin soll die revolutionäre Gewalt begründet werden, weil dies eine Form der geistigen Kolonisierung wäre. Sie soll von Ideen aus heimischem Anbau, also vom Konzept des Heiligen Kriegs inspiriert sein. Statt hedonistischer Jetset-Terroristen wie dem "schwarzen Prinz" Ali Hassan Salameh, der die Gruppe "Schwarzer September" anführte, die 1972 das Münchner Olympia-Attentat verübt hatte, übernehmen nun ernste, gottesfürchtige Männer das Kommando.
Der Roman spielt in Paris, Frankfurt und Bagdad, vor allem aber in Beirut. Die Stadt taumelt auf den Bürgerkrieg zu. Die Straßen um den Flughafen sind bereits von MG-Nestern und ausgebrannten Autowracks gesäumt. Der libanesische Bürgerkrieg, in dem sich eine Vielzahl von Milizen, Allianzen, Konfessionen und internationalen Interessen ineinander verstrickte, ist berüchtigt für seine Unübersichtlichkeit. Der 1964 in Ost-Berlin geborene Schriftsteller Sherko Fatah, der sich inzwischen mit einem halben Dutzend Romanen als bester literarischer Nahostspezialist unter den deutschen Autoren ausgewiesen hat, ist jedoch nicht angetreten, um eine trügerische Ordnung über die wirre Wirklichkeit zu stülpen. Zwar ist "Schwarzer September" in luzider Sprache geschrieben und weist viele historisch identifizierbare Figuren und Geschehnisse auf, in der Grundanlage aber ist es ein Roman der Konspiration. Wir sehen so viel, wie die Figuren sehen, und deren Sicht ist auf je eigene Art beschränkt. Die verengte Perspektive ist ein Mittel dieses Autors. Zuletzt hat er einen klaustrophobischen Roman ("Der letzte Ort") über ein deutsches Entführungsopfer im Irak geschrieben, das die Welt gleichsam durch die Ritzen eines Holzverschlags wahrnahm.
"Schwarzer September" wird allerdings bevölkert von lauter hauptberuflichen Bescheidwissern und Geheimniskrämern: Politikberatern, CIA-Agenten, diversen Spitzeln und Kontaktmännern. Die "Untergangsstimmung in Verbindung mit der lieblichen Mittelmeerlage" erzeugt die besondere, erotisch aufreizende Atmosphäre von Beirut, besonders in den Nächten, wenn in den Clubs an der Corniche gefeiert wird und in den Hinterzimmern alles zu bekommen ist, was der Koran verbietet. Der amerikanische Agent Heller, eine der Hauptfiguren, vergnügt sich mit dem schönen Callboy Gigi; sein Kollege Victor sorgt sich unterdessen um seine achtzehnjährige Tochter Natalie, die dem Charme der Gewaltprediger und Bombenleger zu verfallen droht.
Auf wen kann man sich verlassen? Wer führt wen hinters Licht? Die meisten Figuren in diesem Roman sind Werkzeuge, wissen aber kaum, in wessen Hand. "Versuche gar nicht erst, das Spiel zu verstehen, versuche es so gut wie möglich zu spielen", sagt Jakob, einer von drei Deutschen in diesem Roman, ein kalter, theoriegetriebener junger Linker aus den Sympathisantenkreisen der RAF. Die Revolutionäre aus Deutschland werden von den Arabern allerdings spöttisch als "Kinder des Olymp" bezeichnet und eher als Abenteuertouristen wahrgenommen.
Die anderen beiden Deutschen, Teresa und ihr Freund Alexander, sind zu "Marxisten der Innerlichkeit" geworden, die selbst weniger mit dem Kapitalismus kämpfen als mit allem, "was sie an Bürgerlichkeit in sich fanden". Mit der Darstellung solcher linken Melancholie ist "Schwarzer September" nahe beim bisher maßgeblichen deutschen Roman über Beirut im Bürgerkrieg: Nicolas Borns "Die Fälschung" aus dem Jahr 1979. Als wäre er eine von Selbstzweifeln angekränkelte Born-Figur, geniert sich Alexander kurz nach der Ankunft in Beirut vor den jungen palästinensischen Milizen, die für ihn das verkörpern, wovon sie in den linken Diskussionszirkeln von Berlin und Frankfurt geträumt haben: "Diese Jungen trugen ihre Waffen selbstverständlich wie Gebrauchsgegenstände." Er holt einen Koffer aus einem Schließfach ab. Kurz darauf ist er tot. In dem Koffer war eine Bombe; sie wurde versehentlich ausgelöst. Für Teresa hat der Schock immerhin heilsame Wirkung.
Konspiration statt Zusammenhang - das ist auch das Erzählprinzip des Romans. Das Lektüreerlebnis kommt dem Lebensgefühl der Figuren bisweilen nahe: "Wie ein blinder Maulwurf durch ein unbekanntes Höhlensystem kriechen und immer nur die wenigen Zentimeter vor der eigenen Schnauze kennen . . ." Kapitel für Kapitel wechselt die Perspektive, rückt eine andere Gestalt ins Zentrum, aus deren Sicht erzählt und reflektiert wird. Daraus ergibt sich jedoch nie ein Gesamtbild. Sherko Fatah ist es wichtiger, den Facetten der komplexen Wirklichkeit gerecht zu werden, als einen schmissigen Plot zu komponieren. Die Qualität seiner Prosa legitimiert allerdings jede einzelne Seite. Es gibt viele Sätze, die in ihrer dunklen Zeichenhaftigkeit jedem guten Thriller Ehre machen würden: "Amos starrte durch das Fenster hinaus in den makellos blauen Himmel, in dem die weißen Möwen kreisten wie zeternde Engel."
Der schonungslose, kühle, aber niemals zynische Blick auf das, was Menschen einander antun, prägt den Stil dieses Autors. "Schwarzer September" bietet ein detailsattes, gleichsam in Fetzen gerissenes Panorama der siebziger Jahre als Schlüsseljahrzehnt des Terrors. Wer es richtig zusammensetzen könnte, würde die Welt klarer sehen; auch die von heute.
WOLFGANG SCHNEIDER
Sherko Fatah:
"Schwarzer September". Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2019. 382 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
So entstand, womit wir jetzt leben müssen: Sherko Fatahs multiperspektivischer Roman "Schwarzer September" erzählt von den Wurzeln des heutigen Terrorismus.
Eingerahmt wird dieser Roman von zwei Schreckenstaten. Das erste Kapitel spielt im November 1971. Der jordanische Premierminister schreitet auf den Eingang des Sheraton Hotels in Kairo zu, er sinnt über die letzten Monate nach, die harte Entscheidungen von ihm verlangten. Er schaut auf den Nil, genießt den "Anblick des großen alten Stroms", um kurz darauf von Kugeln durchsiebt zu werden. Einer der Attentäter kniet nieder, um das Blut des Premierministers vom Fußboden zu lecken. Ein Jahr zuvor hat der Politiker die Palästinenser unter Massakern aus ihren Rückzugsgebieten in Jordanien vertreiben lassen - im Zuge des "Schwarzen September", des jordanischen Bürgerkriegs.
Knapp vierhundert Seiten später rammt ein mit einer Tonne Sprengstoff beladener Lastwagen die amerikanische Botschaft von Beirut. Eine gewaltige Explosion bringt am 18. April 1983 das Gebäude zum Einsturz, 63 Menschen sterben. Die Terrorgruppe "Heiliger Krieg" bekennt sich zu dem Anschlag. Islamistische Selbstmordattentate in dieser Größenordnung hat es bisher nicht gegeben. Es ist der Beginn von etwas Neuem.
"Wer immer ihr auch seid - wir sind die Partei Gottes", lautet der letzte Satz des Romans. Er wird gesprochen von einer seiner Hauptfiguren, Ziad, einem intelligenten, hellwachen jungen Palästinenser, der nach einer Kindheit im Flüchtlingslager als Laufbursche des Terrorismus beginnt, sich in Paris die ersten Sporen verdient, später im Libanon als Doppelagent auch für die CIA arbeitet, am Ende aber unter dem Einfluss eines charismatischen Imams zum Gotteskrieger und Mitorganisator des verheerenden Anschlags wird. Der Roman beschreibt die Jahre zwischen 1970 und 1983 als Wendezeit des Terrors. Nicht länger mit europäischen Vordenkern wie Marx oder Lenin soll die revolutionäre Gewalt begründet werden, weil dies eine Form der geistigen Kolonisierung wäre. Sie soll von Ideen aus heimischem Anbau, also vom Konzept des Heiligen Kriegs inspiriert sein. Statt hedonistischer Jetset-Terroristen wie dem "schwarzen Prinz" Ali Hassan Salameh, der die Gruppe "Schwarzer September" anführte, die 1972 das Münchner Olympia-Attentat verübt hatte, übernehmen nun ernste, gottesfürchtige Männer das Kommando.
Der Roman spielt in Paris, Frankfurt und Bagdad, vor allem aber in Beirut. Die Stadt taumelt auf den Bürgerkrieg zu. Die Straßen um den Flughafen sind bereits von MG-Nestern und ausgebrannten Autowracks gesäumt. Der libanesische Bürgerkrieg, in dem sich eine Vielzahl von Milizen, Allianzen, Konfessionen und internationalen Interessen ineinander verstrickte, ist berüchtigt für seine Unübersichtlichkeit. Der 1964 in Ost-Berlin geborene Schriftsteller Sherko Fatah, der sich inzwischen mit einem halben Dutzend Romanen als bester literarischer Nahostspezialist unter den deutschen Autoren ausgewiesen hat, ist jedoch nicht angetreten, um eine trügerische Ordnung über die wirre Wirklichkeit zu stülpen. Zwar ist "Schwarzer September" in luzider Sprache geschrieben und weist viele historisch identifizierbare Figuren und Geschehnisse auf, in der Grundanlage aber ist es ein Roman der Konspiration. Wir sehen so viel, wie die Figuren sehen, und deren Sicht ist auf je eigene Art beschränkt. Die verengte Perspektive ist ein Mittel dieses Autors. Zuletzt hat er einen klaustrophobischen Roman ("Der letzte Ort") über ein deutsches Entführungsopfer im Irak geschrieben, das die Welt gleichsam durch die Ritzen eines Holzverschlags wahrnahm.
"Schwarzer September" wird allerdings bevölkert von lauter hauptberuflichen Bescheidwissern und Geheimniskrämern: Politikberatern, CIA-Agenten, diversen Spitzeln und Kontaktmännern. Die "Untergangsstimmung in Verbindung mit der lieblichen Mittelmeerlage" erzeugt die besondere, erotisch aufreizende Atmosphäre von Beirut, besonders in den Nächten, wenn in den Clubs an der Corniche gefeiert wird und in den Hinterzimmern alles zu bekommen ist, was der Koran verbietet. Der amerikanische Agent Heller, eine der Hauptfiguren, vergnügt sich mit dem schönen Callboy Gigi; sein Kollege Victor sorgt sich unterdessen um seine achtzehnjährige Tochter Natalie, die dem Charme der Gewaltprediger und Bombenleger zu verfallen droht.
Auf wen kann man sich verlassen? Wer führt wen hinters Licht? Die meisten Figuren in diesem Roman sind Werkzeuge, wissen aber kaum, in wessen Hand. "Versuche gar nicht erst, das Spiel zu verstehen, versuche es so gut wie möglich zu spielen", sagt Jakob, einer von drei Deutschen in diesem Roman, ein kalter, theoriegetriebener junger Linker aus den Sympathisantenkreisen der RAF. Die Revolutionäre aus Deutschland werden von den Arabern allerdings spöttisch als "Kinder des Olymp" bezeichnet und eher als Abenteuertouristen wahrgenommen.
Die anderen beiden Deutschen, Teresa und ihr Freund Alexander, sind zu "Marxisten der Innerlichkeit" geworden, die selbst weniger mit dem Kapitalismus kämpfen als mit allem, "was sie an Bürgerlichkeit in sich fanden". Mit der Darstellung solcher linken Melancholie ist "Schwarzer September" nahe beim bisher maßgeblichen deutschen Roman über Beirut im Bürgerkrieg: Nicolas Borns "Die Fälschung" aus dem Jahr 1979. Als wäre er eine von Selbstzweifeln angekränkelte Born-Figur, geniert sich Alexander kurz nach der Ankunft in Beirut vor den jungen palästinensischen Milizen, die für ihn das verkörpern, wovon sie in den linken Diskussionszirkeln von Berlin und Frankfurt geträumt haben: "Diese Jungen trugen ihre Waffen selbstverständlich wie Gebrauchsgegenstände." Er holt einen Koffer aus einem Schließfach ab. Kurz darauf ist er tot. In dem Koffer war eine Bombe; sie wurde versehentlich ausgelöst. Für Teresa hat der Schock immerhin heilsame Wirkung.
Konspiration statt Zusammenhang - das ist auch das Erzählprinzip des Romans. Das Lektüreerlebnis kommt dem Lebensgefühl der Figuren bisweilen nahe: "Wie ein blinder Maulwurf durch ein unbekanntes Höhlensystem kriechen und immer nur die wenigen Zentimeter vor der eigenen Schnauze kennen . . ." Kapitel für Kapitel wechselt die Perspektive, rückt eine andere Gestalt ins Zentrum, aus deren Sicht erzählt und reflektiert wird. Daraus ergibt sich jedoch nie ein Gesamtbild. Sherko Fatah ist es wichtiger, den Facetten der komplexen Wirklichkeit gerecht zu werden, als einen schmissigen Plot zu komponieren. Die Qualität seiner Prosa legitimiert allerdings jede einzelne Seite. Es gibt viele Sätze, die in ihrer dunklen Zeichenhaftigkeit jedem guten Thriller Ehre machen würden: "Amos starrte durch das Fenster hinaus in den makellos blauen Himmel, in dem die weißen Möwen kreisten wie zeternde Engel."
Der schonungslose, kühle, aber niemals zynische Blick auf das, was Menschen einander antun, prägt den Stil dieses Autors. "Schwarzer September" bietet ein detailsattes, gleichsam in Fetzen gerissenes Panorama der siebziger Jahre als Schlüsseljahrzehnt des Terrors. Wer es richtig zusammensetzen könnte, würde die Welt klarer sehen; auch die von heute.
WOLFGANG SCHNEIDER
Sherko Fatah:
"Schwarzer September". Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2019. 382 S., geb., 22,- [Euro].
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