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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Wiederentdeckt: Susan Hills Inspector Serailler
Ein Landstädtchen mit imposanter Kathedrale und beschaulichem Alltag, eine gern benutzte Ausgangsbasis für einen Kriminalroman englischer Provenienz. Lafferton nennt sich der fiktive Ort, der ermittelnde Detective Chief Inspector heißt Simon Serailler, ist Ende dreißig, semmelblond und ein Drilling. Sein Bruder ist ausgewandert, seine Schwester Ärztin vor Ort. "Seelenängste" ist schon sein dritter Fall, für deutsche Leserinnen und Leser kommt er im zweiten Anlauf. Aufgewärmtes von gestern?
Vor fünfzehn Jahren ist die erste, von Susanne Aeckerle übersetzte Ausgabe unter dem Titel "Der Seele schwarzer Grund" bei Droemer Knaur erschienen. Nun legt der Kampa Verlag die Bücher von Susan Hill wieder auf. Die Autorin, Jahrgang 1942, hat mit "Die Frau in Schwarz" die Vorlage für einen West-End-Bühnendauerbrenner geschrieben, sie ist Dame Commander im Order of the British Empire. Und sie versteht was vom Geschäft des Schreibens.
Acht Monate ist es her, seit der kleine David Angus verschwand, nicht das erste Kind, das in der Gegend vermisst wird. Doch nun gibt es zum ersten Mal eine heiße Spur. Ein Zeuge hat beobachtet, wie ein sechsjähriges Mädchen an einem Eisstand in einen Mondeo gezerrt wurde. Teile der Autonummer helfen, die Jagd auf den Entführer zu eröffnen. Serailler löst den Fall bereits nach neunzig Seiten mittels einer heldenhaften Actioneinlage an der Steilküste inklusive Hubschraubereinsatz. Der mutmaßliche Täter, Ed Sleightholme, entpuppt sich als Frau. Ed für Edwina. Eine Frau als Kindsmörderin?
Nun setzt Hill eine Kaskade von Schicksalsschlägen und Verbrechen in Gang, die Laffertons Fassungsvermögen übersteigen. Max Jameson verliert, fünf Jahre nachdem seine erste Frau an Krebs gestorben ist, auch die zweite große Liebe seines Lebens. Lizzie fällt der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit zum Opfer, besser bekannt als Rinderwahn. Die Trauer bringt Jameson um den Verstand, er nimmt die anglikanische Geistliche Jane Fitzroy als Geisel. Deren Mutter, eine Psychologin, wird Opfer eines Überfalls in ihrer Londoner Wohnung.
Derweil rumort es in Seraillers Privatleben. Seine Schwester Cat gibt dem Drängen ihres Mannes nach, wenigstens für ein halbes Jahr nach Australien zu übersiedeln. Seraillers Mutter stirbt plötzlich, und der ohnehin schwierige Vater, ein Freimaurer, wird noch schwieriger. Und dann gibt es da noch ein zweites Leben, das der Herr Inspector führt: Er zeichnet. Und zwar so gut, dass ihn eine Londoner Galerie erfolgreich verkauft. In der Hauptstadt führt er ein teures Parallelleben inklusive einer deutlich älteren Geliebten, die nicht von ihm lassen kann.
Der Roman spielt in den mittleren Nullerjahren, Handys waren damals diese kleinen Telefone, deren Akku eine Woche lang durchhielt. Man spielt noch Cricket, geht zum Gottesdienst und konversiert beim Grillen über Belangloses, ist es nicht? Die meisten der älteren Herrschaften haben "eine von der Bibel durchtränkte Kindheit und Jugend hinter sich".
Während die Polizei kaum hinterherkommt, schwenkt die Erzählung immer wieder ins Gefängnis zur rätselhaften Mörderin ebenso wie zu deren Mutter, die nicht glauben will, was nicht sein darf. Sie verfasst Hunderte von Bittbriefen und verliert die Kontrolle über ihr Leben. Und im Nachbarhaus Edwinas wartet die kleine Kyra verzweifelt auf die Rückkehr ihrer Freundin Ed.
Warum ermordet eine Frau Kinder? Kriminalisten und Psychologen glauben längst nicht mehr an "emotionale Mangelsituationen in der Kindheit", halten das für "ausgelatscht" und "bla, bla, bla". Ihre Arbeit zwingt ihnen die Erkenntnis auf, nicht in allen Menschen verberge sich ein guter Kern. Das Böse lauert auch in Lafferton: "Es war der Teufel, der auf Erden wandelte und sich an jene heranpirschte, die er verschlingen konnte."
Multiperspektivisches Erzählen hat seine Tücken, nicht selten verliert es unterwegs die Orientierung. Susan Hill dagegen hält Kurs, treibt ihre Binnengeschichten umsichtig voran. Einfache Lösungen hat sie für keine ihrer Figuren parat, der Kuschelkrimi ist nicht ihr Ding. Serailler geht als strahlender Ermittler vom Feld, aber sein Liebesleben bleibt unerlöst. Die vielen wunden Seelen machen aus dem Roman ein noch immer lesenswertes Porträt seiner Zeit. HANNES HINTERMEIER
Susan Hill: "Seelenängste". Der dritte Fall für Inspector Serailler.
Aus dem Englischen von Susanne Aeckerle.
Kampa Verlag, Zürich 2023.
460 S., br., 19,90 Euro.
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