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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Der karge Rest auf siebzehn Lastwagen: Die Autorin Luo Lingyuan hat sich in das abenteuerliche Leben der Amerikanerin Emily Hahn vertieft. Deren Chinareise diente ihr zum Stoff für einen Roman.
Ich erzähle die Geschichte vollkommen wahrheitsgemäß und zitiere die Originaldokumente, soweit es geht. Fehlt es in den Quellen an Dialogen, habe ich sie aus den Charakteren und der damaligen Atmosphäre entwickelt." So erklärt die chinesische Autorin Luo Lingyuan, 1963 in Südwestchina geboren und seit 1990 in Berlin lebend, ihr Vorgehen als Romanautorin: "Aufgrund des Materialreichtums war es nicht nötig, neue, fremde Stützfiguren zu erfinden. Ich musste mich beim Erzählen eher beschränken, um die Leserinnen und Leser nicht mit einer Überfülle bekannter und unbekannter Gestalten zu überfordern."
Luo Lingyuan hat sich auf die Spuren von Emily Hahn gemacht, die 1935 im Alter von dreißig Jahren in Schanghai von Bord geht. Gescheiterte Liebesverhältnisse hat die Amerikanerin hinter sich, sie sucht nach Abenteuern und neuem Liebesglück. Es ist nicht das politisch aufgewühlte China, das die meisten Ausländerinnen anzieht, oder Schutz vor der Judenverfolgung. Emily Hahn liebt den Luxus der Weltstadt Schanghai, die heißen Nächte, die großen Feste, die Eleganz der mondänen Hotels. Sie ist jedoch nicht nur Frau von Welt, heiß begehrte Lebedame, sie ist auch eine fleißige und begehrte Journalistin, die sowohl für Schanghaier Zeitungen als auch Reportagen für den "New Yorker" schreibt. Sie will das Alltagsleben einfangen. Dafür geht sie nicht in die Armenviertel, das jüdische Ghetto oder an die Stadtränder - ihr Milieu sind die chinesischen Intellektuellenkreise, Schriftsteller, Verleger, Journalisten und die europäischen und amerikanischen reichen Ausländer, die die Stadt bevölkern und dem "Paris des Ostens" Glanz verleihen. Darunter auch Viktor Sassoon, ein jüdischer Immobilienhändler aus dem Vorderen Orient, der die besten Hotels Shanghais besitzt und über Hahn schützend die Hand hält.
Die Amerikanerin war nicht die einzige westliche Frau, die es in den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts wagte, in den turbulenten Zeiten Chinas im Kampf gegen die japanische Besetzung und im Rivalitätskampf zwischen Kuomintang und Kommunistischer Partei das Land zu bereisen. Es gab Frauen rund um die Führungsspitze von Mao Zedong, etwa Agnes Smedley und Anna Wang, Pearl S. Buck oder die Fotografin Gun Kessle, die Frau von Jan Myrdal, und die ukrainische Dokumentarfilmerin Sofia Yablonska. Über alle sie wissen wir unterschiedlich viel, nur eines ist gewiss: Es waren emanzipierte, couragierte, unerschrockene Frauen, die allen Konventionen trotzten und eine Gesellschaft im Umbruch miterleben wollten.
Luo Lingyuan beschreibt ihre Protagonistin indes als einen flirrenden, tanzenden Vogel, der den ganzen Tag tiriliert und von einem Liebesabenteuer zum nächsten schwirrt. Emily Hahns große Liebe ist der Schriftsteller Zau Sinmay, aus einer reichen Traditionsfamilie stammend, der mit einer Chinesin verheiratet ist und mit ihr mehrere Töchter hat. Während er seine Nächte konventionell mit der Ehefrau verbringt, nimmt sich das west-östliche Liebespaar tagsüber alle sexuellen Freiheiten.
Die Autorin beschreibt mit eleganter Feder eine elegante Welt. Der politische Wahnsinn, der zur selben Zeit durch China tobt, geht an dieser Gesellschaft zunächst vorbei. Man raucht Opium und feiert ausschweifende Soiréen. Ganz allmählich rückt in Schanghai die japanische Besetzung näher, von der die Libertinage-Gesellschaft nichts wissen wollte Der Tanz auf dem Vulkan hat ein Ende. Im August 1937 überfallen die Japaner die Stadt. Der Verleger muss aus seinem Haus ausziehen, und die ganze Familie samt Dienerschaft, vorher in einer üppigen Villa residierend, wird in einem Zimmer zusammengepfercht. Emily Hahn zieht mehrfach um, um sich vor der japanischen Invasion in Schutz zu bringen. Die Stadt wird bombardiert, ganze Straßenzeilen zerfallen in Trümmer. Die Zahl der Toten steigt täglich.
In dieser Gefahrensituation wächst Hahn über sich selbst hinaus. Sie rettet für ihren Geliebten, der alles Hab und Gut verloren hat, den letzten Rest von Hausrat mit siebzehn Lastwagen aus der japanisch besetzten Zone. Sie versorgt die chinesische Familie, sie transportiert die tonnenschwere Druckmaschine des Verlags in den freien Sektor der Stadt. Hahns Liebesleben beginnt unter den Verhältnissen zu leiden, sie trennt sich von ihrem Geliebten. Ein neues Projekt fesselt sie, von dem sie sich Weltruhm verspricht: eine Biographie über die drei berühmten Soong-Schwestern - Madame Sun Yatsen, Madame Tschiangkaischek und Madame Kong, eine reiche Bankiersgattin. Diese drei hohen Frauen der chinesischen Nomenklatura sind Ikonen der Gesellschaft. Sie interviewen zu dürfen ist ein hohes Privileg. Emily Hahn gelingt es, in der alten Hauptstadt Chonqing, die schon unter schwerem Beschuss der Japaner steht, und in Hongkong, das noch kriegsverschont ist, das schwer zu erringende Vertrauen der feinen Damen zu gewinnen und die Gespräche mit den Schwestern zu führen. Emily vollendet ihre Soong-Biographie im Sommer 1940, überglücklich.
Aber auch Hongkong gerät ins Visier der Japaner, die Stadt wird bombardiert, die Ausländer werden interniert. Hahny entzieht sich mit Bravour allen Bedrohungen bis zu ihrer Rückkehr in die USA im Herbst 1943, wo sie 1997 starb. Sie hat ein Leben geführt, das Luo Lingyuan mit Empathie und Bewunderung nachzeichnet und erfindet - eine glückliche Mischung aus Fiktion und Non-Fiction, geschmeidig und temperamentvoll in Worte gefasst. Der letzte Satz des Romans teilt mit: "Emilys Produktivität ist schwer zu übertreffen: 52 Bücher und 181 Artikel für den 'New Yorker' veröffentlichte sie. Sie verbrachte nur acht Jahre ihres langen Lebens in China, aber sie waren die besten und stärksten. Ihre Liebesgeschichte ist zur Ikone geworden." LERKE VON SAALFELD
Luo Lingyuan: "Sehnsucht nach Shanghai". Roman.
Ebersbach & Simon, Berlin 2021. 283 S., geb., 24,- Euro.
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