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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Vier Frauen und zwei Todesfälle: In Bodo Kirchhoffs neuem
Roman "Seit er sein Leben mit einem Tier teilt" sucht ein alter Held während einiger schwüler Augusttage Erlösung und stellt sich einer Reifeprüfung in der Kunst des Loslassens.
Das Haus hoch über dem Ostufer des Gardasees, in dem Louis Arthur Schongauer wohnt, ist klein und idyllisch gelegen. Doch die Dämonen, die dort mit dem einstigen Schauspieler hausen, sind groß: Gleich zwei Frauen sind vor seinen Augen gestorben, nachdem es zuvor jeweils zum Beziehungsstreit gekommen ist. Die erste hat sich erschossen, die zweite ging schwimmen in einer Brandung, in die niemand gestiegen wäre, dem das eigene Leben lieb ist. Die eine hat Schongauer in Verkennung der Lage mit einem "Go ahead" noch ermuntert, die andere hat er gewähren lassen, die Verstimmung vom Vorabend wirkte offenbar noch nach.
Fünf Jahre ist der Tod im Meer nun her, und seitdem lebt Schongauer wie ein Einsiedler über dem See, nur eine Hündin leistet ihm und seinen Schuldgefühlen Gesellschaft. Das ändert sich an dem Tag, mit dem die Handlung von Bodo Kirchhoffs neuem Roman einsetzt. Eine freie Journalistin aus dem Taunus hat sich angemeldet, die ein Porträt über Schongauer, den weitgehend vergessenen einstigen Darsteller von Nebenrollen-Nazis in Hollywood, schreiben möchte. Und kurz bevor die Endvierzigerin im Oldtimer, einem Lancia Flavia Cabrio, eintrifft, strandet eine junge Reisebloggerin aus Heidelberg auf Schongauers Grundstück; ihr klappriges Wohnmobil, in dem einst Prostituierte ihrer Arbeit nachgingen, gibt beim Wenden in der Einfahrt den Geist auf.
Mit zwei toten und zwei sehr lebendigen Frauen hat es Schongauer nun also während schwüler Augusttage, die in einem gewaltigen Gewitter kulminieren werden, zu tun; da Männer sonst nur in geringer Zahl und nur als schemenhafte Gestalten auftreten, ist die Frauenquote in dem Kammerspiel, als das Kirchhoff "Seit er sein Leben mit einem Tier teilt" angelegt hat, ziemlich hoch.
Wer das bisherige Werk des Autors auch in seinen schwächeren Figuren kennt, könnte befürchten, dass diese Konstellation dazu dient, den Phantasien eines altgewordenen erotomanen Narzissten Raum zu geben, zumal Schongauer bald 75 Jahre alt ist und die Besucherinnen der Klause am Gardasee Tochter oder Enkelin sein könnten. Doch die Sorge ist unbegründet: Nicht, dass Begehren und Liebe keine Rolle in diesem Roman spielten, aber sie tun das in der Annäherung zwischen der Journalistin und Schongauer in einer zurückhaltenden, tastenden, gebrochenen Form. Da ist auch auf seiner Seite nichts Unangemessenes, sondern die Unsicherheit verschütteter Erfahrung.
Die Alterserscheinungen des Protagonisten werden auch sonst ziemlich schonungslos beschrieben. Auch er selbst gibt sich über seinen Zustand keinen Illusionen hin: die Hand zittert, die Haut ist dünn, der Atem aufgrund einer schweren Herzerkrankung kurz; nur der Mund ist jung geblieben, heißt es an einer Stelle. Die Anziehungskraft, über die er offenbar immer noch verfügt, ist vor allem seiner Schauspielerstimme zu verdanken und womöglich der Aura von Tragik, die ihn umgibt.
Der Besuch der jüngeren Frauen wird für Schongauer, der es in seiner Passivität zu beträchtlicher Menschenkenntnis gebracht hat, zur Prüfung, die ihn anstrengt und die er als mögliche Erlösung zugleich ersehnt. Almut Stein, die Journalistin, und Frida, die Bloggerin, halten sich nicht mit Small Talk auf. Ihre bohrenden Fragen zielen mitten ins Trauma. Ihnen und sich selbst gibt Schongauer nach und nach Rechenschaft ab, wie es zur Verzweiflungstat der labilen Lynn kam, der jungen begabten Kostümbildnerin, die dafür gesorgt hatte, dass er endlich eine Hauptrolle spielen sollte, wenn auch in einer Off-Produktion. Und zum Gang ins Wasser von Magda, einer selbstbewussten und auf Autonomie bedachten Tierfotografin, für die er seine bescheidene Filmkarriere aufgegeben hatte, um sie auf ihren Reisen um die Welt zu begleiten, was ihm am Ende wohl doch nicht reichte.
Schongauer reagiert, wie nicht nur Männer auf schwierige persönliche Fragen reagieren: Bekenntnisse wechseln sich ab mit Ablenkungsmanövern in Form von Gegenfragen. Auch wenn der personale Erzähler immer bei Schongauer bleibt, gewinnen darüber die Stein, wie Schongauer sie innerlich manchmal nennt, und Frida nach und nach Gestalt. Die Ältere ist in einer unglücklichen kinderlosen Ehe mit einem wohlhabenden Arzt gefangen, die Jüngere flieht vor den Erwartungen der erfolgreichen Eltern, ihrerseits einen respektablen bürgerlichen Beruf zu ergreifen.
Was in dieser Verdichtung nach Klischee klingt, wird in der Erzählung durch individuelle Züge zur glaubwürdigen Schilderung von klugen Frauen mit vielen inneren Widersprüchen und Verletzungen. Das komplizierte Verhältnis von Frida zu ihrer Mutter Lilly Roth, einer Fernsehmoderatorin, wird in wenigen Strichen meisterhaft skizziert. Mit einem fulminanten Kurzauftritt während eines Abendessens präsentiert sie ihr großes, aber eben auch kluges und klarsichtiges Ego, das Fridas Provokationen als solche durchschaut, was diese wiederum durchaus anerkennend registriert. Und Almut hat es sich im Unglück mit ihrem Kardiologen - der sich um Herzen kümmert, aber nicht um das seiner Frau - bequem gemacht.
Überhaupt stimmt an der Komposition dieses gewissermaßen zwiegenähten und zugleich konzentrierten Buches so beglückend vieles, dass es zum Pageturner wird: Die Konstellation der Frauen-Figuren-Paare, die sich ineinander spiegeln, die Toten und die Lebenden jeweils untereinander, aber auch diese wechselseitig in jenen. Der Erzählton, der über das Verhandeln vieler letzter Dinge das komische Element nicht vergisst. Die Dialoge, die fließend in die Erzählerrede übergehen, ohne dass es zu Unklarheiten kommt. Die bildreichen, aber ungemein präzisen Beschreibungen der Wechselfälle von Licht, Luft, Wasser und Felsen, die die betörende Wirkung des Gardasees ausmachen.
Hier spürt man die Vertrautheit des Autors mit dem Ort der Handlung, der im Roman mit T. abgekürzt wird, womit unverkennbar Torre di Benaco gemeint ist. Dort haben der 75 Jahre alte Kirchhoff und seine Frau ein Haus, in dem sie die Sommer verbringen. Und noch ein autobiographisches Motiv hat es ins Buch geschafft. Bei dem Tier aus dem Titel handelt es sich um eine Hündin namens Ascha, die Schongauer noch mit Magda aus einer elenden Straßenexistenz in Rumänien gerettet hat. Sie ähnelt der Hündin aus dem Leben der Kirchhoffs so sehr, dass das als "privat" ausgewiesene Bild auf dem Umschlag des Buches (es ist Kirchhoffs Debüt bei seinem neuen Verlag dtv) bis ins Detail in einer Art Vision Schongauers auftaucht: Wie er "vom Ufer aus schwimmen geht und die Hündin seine Kleidung bewacht, Hut und Hemd, Schuhe und Hose - wie sie nicht weicht und nicht weicht, auch wenn er schon längst ertrunken wäre, als hätte er vorher Bleib gerufen, Bleib!".
Diese Ascha ist keineswegs nur eine Nebenfigur, gewissermaßen treudoof schwanzwedelndes Symbol für Schongauers Sehnsucht nach Selbstvergessenheit und bedingungsloser Treue, sondern handlungstreibende Kraft. Ascha wendet sich zunehmend Frida zu; wie Schongauer mit diesem Verrat aus Instinkt umgeht, ist auch eine Art Reifeprüfung in der Kunst des Loslassens und der wahren Liebe. Wie er sie besteht und wie ihn Frida in einem rücksichtsvoll-herben Blogeintrag darin unterstützt, ist die vielleicht raffinierteste Erfindung in Kirchhoffs großem Buch. Das damit noch nicht zu Ende ist, sondern das, obwohl es mit einem gezückten Revolver begonnen hat, ganz leise endet. MATTHIAS ALEXANDER
Bodo Kirchhoff: "Seit er sein Leben mit einem Tier teilt". Roman.
Dtv, München 2024. 384 S., geb., 24,- Euro.
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